Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 04. September 2012 – 12 Sa 1482/10 Heimarbeit – Nachzahlung von Minderbeträgen – Partei- und Prozessfähigkeit nach Löschung einer GmbH & Co KG im Handelsregister

Dezember 1, 2019

Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 04. September 2012 – 12 Sa 1482/10
Heimarbeit – Nachzahlung von Minderbeträgen – Partei- und Prozessfähigkeit nach Löschung einer GmbH & Co KG im Handelsregister
1. Verweigerung der Zustimmung zur Parteierweiterung auf Beklagtenseite im Berufungsrechtszug ist im Streitfall rechtsmissbräuchlich.
2. Partei- und Prozessfähigkeit nach Löschung der beklagten GmbH & Co. KG im Handelsregister.
3. Zahlung von Minderbeträgen an den Heimarbeitern gemäß § 1 Abs 2 HAG gleichgestellte Personen.

Tenor
1. Auf die Berufung des klagenden Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 19.08.2010 – 6 Ca 8875/09 – teilweise abgeändert:
Die Beklagte und die Berufungsbeklagte zu 2) werden als Gesamtschuldner verurteilt, an Frau S , in L , 2.358,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.10.2009 zu zahlen.
2. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen das klagende Land zu 51 % und die Beklagte zu 49 %. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits tragen das klagende Land zu 51 % und die Beklagte und die Berufungsbeklagte zu 2) gesamtschuldnerisch zu 49 %.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Das klagende Land nimmt die Berufungsbeklagten, bei denen es sich um im Adresshandel tätige Unternehmen handelt, nach § 25 HAG auf Nachzahlung von Minderbeträgen an Frau S in Anspruch.
Bei der Beklagten und Berufungsbeklagten zu 1) (im Folgenden: Beklagte) handelt es sich um eine GmbH & Co. KG, die am 21.11.2011 im Handelsregister gelöscht worden ist. Bei der Berufungsbeklagten zu 2) handelt es sich um die Komplementär-GmbH der Beklagten. Frau S wurde von der Beklagten in der Zeit von April 2006 bis August 2008 mit der Erledigung von Schreibarbeiten beauftragt. Sie hat ein Gewerbe in Form eines Schreibbüros angemeldet und die Tätigkeiten von zu Hause aus verrichtet. Den jeweils von ihr in Rechnung gestellten Betrag zuzüglich Mehrwertsteuer erhielt sie von der Beklagten vergütet. In ihrem damaligen Internetauftritt hatte Frau S neben dem Adressenschreiben weitere Dienstleistungen unter Verwendung der „Wir-Form“ angeboten.
Nach der „Bekanntmachung einer Gleichstellung betreffend Adressenschreiben, Schreibarbeiten und ähnliche Arbeiten vom 05.12.1991 in der Fassung vom 07.12.1993″, die auf Grundlage von § 1 Abs. 2a und Abs. 4 HAG erlassen wurde, gelten als den in Heimarbeit Beschäftigten gleichgestellt solche Personen, die ein Gewerbe angemeldet haben (Schreibbüro) und ohne Heimarbeiter oder fremde Hilfskräfte das Schreiben von Adressen, Versicherungspolicen usw., Schreib- und Abschreibarbeiten, Korrekturlesen sowie Datenerfassung auf Datenträgern und ähnliche Bürohilfsarbeiten für Personenvereinigungen oder Körperschaften des privaten Rechts in Heimarbeit ausführen.
Nach den §§ 19, 20 HAG sind die Entgelte für Heimarbeit in der Regel als Stückentgelte, und zwar möglichst auf der Grundlage von Stückzeiten, zu regeln. Ist dies nicht möglich, sind Zeitentgelte festzusetzen, die der Stückentgeltberechnung im Einzelfall zugrunde gelegt werden können. Die Entgeltfestsetzung ist im Einzelnen geregelt in der „Bekanntmachung einer bindenden Festsetzung von Entgelten und sonstigen Vertragsbedingungen für Adressenschreiben, Abschreibarbeiten und ähnliche Arbeiten in Heimarbeit vom 17.04.2002“ (im Folgenden: „bindende Festsetzung“), zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 16.09.2008.
Mit der beim Arbeitsgericht Köln erhobenen Klage hat das Land von der Beklagten die sich unter Berücksichtigung der „bindenden Festsetzung“ ergebenden Minderbeträge für die von Frau S im Zeitraum April 2006 bis August 2008 geleisteten Arbeiten verlangt und diese zuletzt mit 4.342,23 € beziffert. Wegen der Einzelheiten der Ausführungen zu den erbrachten Arbeiten und der Berechnung der Forderung wird auf den Schriftsatz des klagenden Landes vom 09.12.2009, Seite 11 – 38, verwiesen. Das klagende Land hat behauptet, Frau S habe ihr Schreibbüro alleine als Einzelperson betrieben. Ihr damaliger Internetauftritt habe nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprochen, sondern sei lediglich als Werbemaßnahme anzusehen gewesen. Die Forderung der Minderbeträge sei nicht treuwidrig gemäß § 242 BGB. Die Beklagte habe sich erkundigen müssen, ob Frau S den Status einer gleichgestellten Heimarbeiterin hat.
Das klagende Land hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an Frau S in L den Betrag vom 4.583,19 € nebst 4 % Zinsen ab Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat gemeint, Frau S werde von der Gruppengleichstellung nicht erfasst. Der Internetauftritt von Frau S spreche dagegen, dass sie ohne Hilfskräfte gearbeitet hat. Darüber hinaus hat die Beklagte die Auffassung vertreten, die Geltendmachung der Ansprüche sei jedenfalls treuwidrig, da Frau S aufgrund der Darstellung im Internet gemäß § 242 BGB verpflichtet gewesen sei, ihre Gleichstellung ungefragt mitzuteilen. Hinsichtlich der weitergehenden Einwände der Beklagten gegen die Berechnung der Forderung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 05.03.2010, Seite 5 – 11, Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht Köln hat die Klage mit Urteil vom 19.08.2010 abgewiesen. Zu Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei hinsichtlich der über den Betrag von 2.358,17 € hinausgehenden Forderung schon deshalb unbegründet, weil das Land nicht substantiiert, für jeden Auftrag getrennt, dargelegt habe, dass Frau S mit Rücksicht auf angeblich unleserliche Vorgaben und ähnliche Schwierigkeiten lediglich 100 Adressen pro Stunden erfassen konnte. Auch im Übrigen sei die Klage abzuweisen, da – unabhängig davon, dass das Land bei seiner Berechnung fehlerhaft die von der Beklagten gezahlte Mehrwertsteuer nicht in Abzug gebracht habe – die Geltendmachung unterstellter Ansprüche rechtsmissbräuchlich sei, weil Frau S aufgrund ihres seinerzeitigen Internetauftritts die Beklagte über ihren tatsächlichen Status getäuscht habe, indem sie nicht nur Tipparbeiten, sondern darüber hinausgehend vielfältige andere Tätigkeiten angeboten und darüber hinaus durch die Verwendung des Begriffes „wir“ suggeriert habe, neben ihr seien noch andere Personen mit der Erledigung der Dienste beschäftigt. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
Gegen das ihm am 09.11.2010 zugestellte Urteil hat das klagende Land am 06.12.2010 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 06.01.2011, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 07.01.2011, begründet. Mit der Berufung verfolgt das Land die Klage teilweise, nämlich in Höhe von 2.358,17 € weiter. Das Arbeitsgericht habe die Berechnung dieses Betrages zu Unrecht bemängelt. Die von der Beklagten gezahlte Mehrwertsteuer sei nicht zu berücksichtigen, da die vorgenommene Differenzberechnung auf Grundlage der jeweiligen Nettobeträge vorgenommen worden sei. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts liege auch kein rechtsmissbräuchliches Verhalten vor. Das klagende Land bestreitet mit Nichtwissen, dass die Beklagte überhaupt Kenntnis von dem Internetauftritt der Frau S hatte. Auch stelle die Selbstdarstellung im Internet keine Täuschung dar, sondern müsse vielmehr vor dem Hintergrund des werbenden Charakters gesehen werden. Jedenfalls sei die Beklagte durch Vorlage des Gewerbescheins hinreichend darüber informiert gewesen, dass Frau S die Schreibarbeiten allein erledigt habe, so dass die Geltendmachung nicht treuwidrig sei. Die mit der Berufung weiter verfolgte Klageforderung entspreche der absoluten Mindestentlohnung unter Zugrundelegung des denkbar geringsten Aufwandes. In der Berufungsbegründung errechnet das Land die Minderbeträge mit insgesamt 2.601,77 €. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 06.01.2011, Seite 10 – 27, Bezug genommen.
Das klagende Land meint, die Beklagte sei trotz der am 21.11.2011 erfolgten Löschung im Handelsregister weiterhin parteifähig. Die Löschung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Das Land behauptet, die Beklagte verfüge weiterhin über Vermögen, jedenfalls in Form von Steuererstattungsansprüchen und in Form der von ihr verwalteten Adressen.
Darüber hinaus hat das Land die Klage mit Schriftsatz vom 12.03.2012 auf die Berufungsbeklagte zu 2) als Komplementär-GmbH erweitert. Sie meint, die Parteierweiterung sei ohne Zustimmung der Berufungsbeklagten zu 2) zulässig, da sie sachdienlich sei. Jedenfalls sei die Zustimmungsverweigerung rechtsmissbräuchlich, da der Geschäftsführer beider Beklagten, Herr W , volle Kenntnis des Prozessstoffes sowie der entscheidungserheblichen Tatsachen habe.
Unter teilweiser Rücknahme der Berufung
beantragt das klagende Land,
die Berufungsbeklagten zu 1) und 2) unter Abänderung des am 19.08.2010 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Köln – 6 Ca 8875/09 – als Gesamtschuldner zu verurteilen, an Frau S in L den Betrag vom 2.358,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte zu 1) beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Berufungsbeklagte zu 2) beantragt,
die gegen sie gerichtete Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, sie sei aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten Löschung nicht mehr parteifähig und die Klage damit unzulässig. In der Sache verteidigt sie das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vortrags. Darüber hinaus meint sie, Frau S falle auch deshalb nicht unter die Gleichstellung, weil sie nicht wirtschaftlich abhängig und daher nicht schutzbedürftig gewesen sei. Die Beklagte beanstandet zudem die Berechnung des klagenden Landes hinsichtlich des anzusetzenden Mindestlohnes und der fehlenden Berücksichtigung der gezahlten Mehrwertsteuer.
Die Berufungsbeklagte zu 2) widerspricht der Parteierweiterung in der Berufungsinstanz. Sie meint, die Zustimmungsverweigerung sei nicht rechtsmissbräuchlich, da sich aufgrund des Liquidationsstadiums der Beklagten schwierige und keinesfalls geklärte Rechtsfragen hinsichtlich ihrer – der Berufungsbeklagten zu 2) – Haftung ergäben und sie die Möglichkeit haben müsse, sich in einem fair geführten Verfahren zu verteidigen, in dem alle Instanzen offen stehen. Im Übrigen sei das angegriffene Urteil in der Berufung nicht richtig bezeichnet und es sei auch nicht klar, wer nun in die Berufung einbezogen worden sei. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten des Vorbringens wird auf den Schriftsatz der Berufungsbeklagten zu 2) vom 13.08.2012, Seite 2, Bezug genommen. In der Sache selbst schließt die Berufungsbeklagte zu 2) sich den Ausführungen der Beklagten an.
Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 19.07.2011 durch Vernehmung der Zeugin S . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 14.08.2012 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Akteninhalt, insbesondere auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des klagenden Landes ist zulässig und begründet.
I. Die Berufung ist zulässig.
1. Die gegen die Beklagte gerichtete Berufung ist zulässig, da sie gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG statthaft ist und gemäß §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, §§ 519 und 520 ZPO frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden ist. Soweit der Berufungsbeklagten zu 2) im Zuge der erfolgten Parteierweiterung von der Klägerseite eine Abschrift der Berufungsschrift vom 09.11.2010 in einem gegen die Firma H gerichteten Verfahren zugeleitet worden ist, handelte es sich offensichtlich um ein Versehen. Die Berufungsschrift in dem vorliegenden Rechtsstreit datiert vom 01.12.2010, ist am 06.12.2010 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen und bezeichnet die angefochtene Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln vom 19.08.2010 – 6 Ca 8875/09 – und die erstinstanzlichen Parteien des Rechtsstreits. An der ordnungsgemäßen Einlegung der Berufung bestehen damit keine Zweifel.
2. Die in der Berufungsinstanz erfolgte Parteierweiterung auf die Berufungsbeklagte zu 2) ist zulässig.
a) Dass die eigentliche Berufung sich gegen die hiesige Beklagte richtet und ordnungsgemäß eingelegt worden ist, ist mit den Parteien im Hinblick auf den Einwand der Berufungsbeklagten zu 2), es sei für sie nicht erkennbar, gegen wen sich die Berufung richte, da ihr die Berufungsschrift vom 09.11.2010 gegen die Firma H zugeleitet worden ist, in der letzten mündlichen Verhandlung erörtert und klargestellt worden. Der Berufungsbeklagten zu 2) wurde auch angeboten, diesbezüglich Akteneinsicht zu nehmen.
b) Eine Parteierweiterung auf Beklagtenseite im Berufungsrechtszug ist zulässig, wenn der neue Beklagte zustimmt oder die Verweigerung der Zustimmung rechtsmissbräuchlich ist (BAG, Urteil vom 27.01.2000, 8 AZR 98/99, juris; BGH, Urteil vom 04.10.1985, V ZR 136/84, NJW-RR 1986, 356).
Zwar hat die Berufungsbeklagte zu 2) die Zustimmung ausdrücklich verweigert. Diese Zustimmungsverweigerung ist jedoch rechtsmissbräuchlich. Die Berufungsbeklagte zu 2) war als Komplementärin der Beklagten allein zur Vertretung berechtigt (§§ 164, 170 HGB) und damit deren Handlungsorgan. Ihr Geschäftsführer, Herr W , war von Anfang an mit dem Sach- und Streitstand des vorliegenden Rechtsstreits vertraut. Dies wird auch von der Berufungsbeklagten zu 2) nicht in Abrede gestellt. Die Berufungsbeklagte zu 2), die als Komplementärin für die Verbindlichkeiten der beklagten GmbH & Co. KG haftet, hat damit keine irgendwie geartete Schlechterstellung durch die erst zweitinstanzlich erfolgte Einbeziehung in den Rechtsstreit zu befürchten. Die Begründung der Berufungsbeklagten zu 2) für die Verweigerung der Zustimmung, sie müsse sich gegen schwierige und ungeklärte Fragen, inwieweit eine Komplementärin Gesellschaftsschulden einer liquidierten bzw. vollbeendeten GmbH & Co. KG zu erfüllen habe, in einem fair geführten Verfahren verteidigen können, in dem alle Instanzen offen stehen, überzeugt nicht. Denn die von der Berufungsbeklagten zu 2) aufgeworfene Frage stellt sich nicht ernsthaft, da die persönliche und unbeschränkte Haftung der Komplementärin für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft gesetzlich in §§ 161 Abs. 2, 128 HGB vorgeschrieben ist. Die möglichen Einwendungen der Gesellschafter sind in § 129 HGB geregelt. Die Liquidation der Gesellschaft fällt ersichtlich nicht darunter. Für die Zustimmungsverweigerung fehlt es damit an jedem schutzwürdigen Interesse.
II. Die Berufung des klagenden Landes hat auch in der Sache Erfolg.
1. Die gegen die Beklagte gerichtete Zahlungsklage ist zulässig.
a) Die Prozessführungsbefugnis des klagenden Landes, das heißt die Befugnis, im eigenen Namen den Anspruch auf Nachzahlung der Minderbeträge an Frau S gerichtlich geltend zu machen, ergibt sich aus § 25 HAG.
b) Die Beklagte war im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht auch noch partei- und prozessfähig im Sinne des §§ 50, 51 ZPO in Verbindung mit § 64 Abs. 6 ArbGG bzw. entsprechend zu behandeln.
aa) Der Verlust der Parteifähigkeit ergibt sich nicht daraus, dass die Beklagte am 21.11.2011 im Handelsregister gelöscht worden ist.
Nach § 50 Abs. 1 ZPO ist parteifähig, wer rechtsfähig ist. Bei der Beklagten handelt es sich um eine GmbH & Co.KG, die als solche rechtsfähig ist. Die Kommanditgesellschaft erlischt durch Auflösung und Liquidation oder Umwandlung auf gleiche Weise wie eine offene Handelsgesellschaft. Scheidet der letzte persönlich haftende Gesellschafter aus, so hat dies die Auflösung der Kommanditgesellschaft zur Folge, denn es gibt keine handelsrechtliche Personengesellschaft ohne einen persönlich haftenden Gesellschafter. Diese Folge ist mit Wirkung nach außen nicht aufhebbar und deshalb zwingend in das Handelsregister einzutragen (Weipert in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Auflage, § 161, Rn. 24). Mit dem Wegfall der Rechtsfähigkeit erlischt grundsätzlich auch die Parteifähigkeit der juristischen Person.
Gleichwohl wird eine Gesellschaft auch im Passivprozess in einer Reihe von Konstellationen als parteifähig behandelt, wenn sie wegen Vermögenslosigkeit oder nach vollzogener Liquidation im Handelsregister gelöscht worden ist. Werden z.B. mit der Klage vermögensrechtliche Ansprüche verfolgt, reicht grundsätzlich die substantiierte Behauptung des Klägers aus, die Gesellschaft habe noch Aktivvermögen (vgl. BGH, Urteil vom 25.10.2010, II ZR 115/09, NJW-RR 2011, 115; BAG, Urteil vom 04.06.2003, 10 AZR 449/02, NZA 2003, 1049; BAG, Urteil vom 25.09.2003, 8 AZR 446/02, AP Nr. 256 zu § 613a BGB jeweils m. w. N.). Vermögen in diesem Sinne liegt auch dann vor, wenn der Gläubiger im Liquidationsverfahren zu Unrecht übergangen worden ist und die Gesellschaft deshalb einen Ersatzanspruch gegen die Liquidatoren hat (BAG v. 04.06.2003 a.a.O.).
Das klagende Land hat substantiiert behauptet, dass die Beklagte noch über Aktivvermögen verfügt. Es hat vorgetragen, dass die letzte Steuerklärung der Beklagten aus dem Jahre 2008 stamme und sich daraus ergebe, dass jedenfalls noch Vermögen in Form von Steuererstattungsansprüchen bestehe. Darüber hinaus hat das klagende Land behauptet, dass die Beklagte noch die Verfügungsgewalt über die von ihr erworbenen, erhobenen, verwalteten und vermarkteten Adressen habe. Diese Adressen stellen einen wesentlichen Vermögensbestandteil für die im Adresshandel tätige Beklagte dar. Diese von dem klagenden Land behaupteten Tatsachen sind gemäß § 138 ZPO unstreitig, da die Beklagte dem Vortrag nicht entgegengetreten ist. Im Übrigen reicht für die Annahme der Parteifähigkeit der Beklagten aber auch allein der – hier vorliegende – substantiierte Vortrag, dass noch Vermögen vorhanden ist. Ob die Liquidation der Beklagten ordnungsgemäß erfolgte und ob tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beklagten noch Ersatzansprüche gegen die Liquidatoren zustehen, kann für den vorliegenden Streitfall damit dahingestellt bleiben.
bb) Die Beklagte ist trotz der Löschung aus dem Handelsregister auch weiterhin als prozessfähig gemäß § 51 ZPO zu behandeln.
Prozessfähigkeit ist die Fähigkeit, Prozesshandlungen selbst oder durch selbst bestellte Vertreter wirksam vor- oder entgegenzunehmen (vgl. BAG, Urteil vom 04.06.2003, 10 AZR 449/02, NZA 2003, 1049). Eine GmbH & Co. KG ist als solche nicht fähig, selbst Prozesshandlungen vorzunehmen. Sie wird durch ihre Komplementärin, vorliegend die Berufungsbeklagte zu 2), diese wiederum durch ihren Geschäftsführer, vorliegend Herrn W , gesetzlich vertreten.
Die Tatsache, dass die Berufungsbeklagte zu 2) aufgrund der Löschung der Beklagten im Handelsregister ihre Stellung als gesetzliche Vertreterin der Beklagten verloren hat, hindert nicht, die Beklagte weiterhin als prozessfähig zu behandeln. Denn es entspricht der ständigen Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes (vgl. BAG vom 04.06.2003 a.a.O. mit entsprechenden Nachweisen), dass der Wegfall der Prozessfähigkeit dann ohne Bedeutung ist, wenn die Partei von einem Prozessbevollmächtigten vertreten wird, dem wirksam Prozessvollmacht erteilt worden ist, weil diese Vollmacht nach § 86 ZPO durch eine Veränderung in der Prozessfähigkeit der Partei oder in ihrer gesetzlichen Vertretung nicht aufgehoben wird. Entsprechend tritt in diesen Fällen gemäß § 246 Abs. 1 ZPO eine Unterbrechung nach § 241 Abs. 1 ZPO nicht ein.
Die Beklagte wird durch Prozessbevollmächtigte vertreten, denen sie bereits vor ihrer Löschung und damit zu einem Zeitpunkt, als sie noch gesetzlich vertreten war, Prozessvollmacht erteilt hat.
2. Die gegen die Beklagte gerichtete Zahlungsklage ist im Umfang des im Berufungsverfahren eingeschränkten Klagebegehrens begründet. Das klagende Land hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von Minderbeträgen an Frau S in Höhe von 2.358,17 € aus §§ 19, 20 HAG in Verbindung mit der „Bekanntmachung einer Gleichstellung betreffend Adressenschreiben, Schreibarbeiten und ähnliche Arbeiten vom 05.12.1991 in der Fassung vom 07.12.1993″ (im Folgenden: Gleichstellung) in Verbindung mit der „bindenden Festsetzung” in Verbindung mit §§ 10, 11 EFZG.
Die Beklagte ist verpflichtet, an Frau S den ausgeurteilten Betrag nachzuzahlen, da Frau S im streitgegenständlichen Zeitraum unter die Gleichstellung fiel und sich unter Zugrundelegung der sich aus der „bindenden Festsetzung“ und den §§ 10, 11 EFZG ergebenden und der bereits gezahlten Entgelte für die Tätigkeiten im Zeitraum April 2006 bis August 2008 Minderbeträge in Höhe von insgesamt 2.358,17 € ergeben. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts muss Frau S sich die von der Beklagten bereits gezahlte Mehrwertsteuer nicht auf die Forderung anrechnen lassen. Auch ist die Geltendmachung der Forderung nicht treuwidrig.
a) Für Heimarbeiter und Hausgewerbetreibende können Mindestpreise für einen in Heimarbeit auszuführenden Lohnauftrag durch bindende Festsetzungen bestimmt werden (§ 19 Abs. 1 HAG). Diese bindenden Festsetzungen haben die Wirkungen eines allgemeinverbindlichen Tarifvertrags. Von den Vorschriften einer solchen bindenden Festsetzung kann nur zugunsten des Beschäftigten abgewichen werden. Ein Verzicht auf Rechte aufgrund einer bindenden Festsetzung ist nur unter erschwerten Voraussetzungen zulässig, selbst eine Verwirkung solcher Rechte ist ausgeschlossen (§ 19 Abs. 3 Satz 1 bis 4 HAG).
Den Heimarbeitern und Hausgewerbetreibenden können gemäß § 1 Abs. 2 HAG bestimmte Personen gleichgestellt werden, wenn dieses wegen ihrer Schutzbedürftigkeit gerechtfertigt erscheint. Eine solche Gleichstellung ist für den Bereich Adressenschreiben, Schreibarbeiten und ähnliche Arbeiten mit der Bekanntmachung vom 05.12.1991 i.d.F. vom 07.12.1993 u.a. für Personen erfolgt, die ein Gewerbe angemeldet haben (Schreibbüro) und ohne Heimarbeiter oder fremde Hilfskräfte das Schreiben von u.a. Adressen für eine Personenvereinigung oder Körperschaft des privaten Rechts in Heimarbeit ausführen.
b) Frau S war den Heimarbeitern im Sinne des § 1 Abs. 2 HAG gleichgestellt, da sie die Voraussetzungen der Gleichstellung erfüllte. Sie hatte ein Gewerbe (Schreibbüro) angemeldet und erledigte die streitgegenständlichen Schreibarbeiten in Heimarbeit ohne fremde Hilfskräfte oder Anstellung von weiteren Heimarbeitern für die Beklagte, einer Personenvereinigung des privaten Rechts.
aa) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist wegen der erfolgten Gruppengleichstellung nicht zu prüfen, ob Frau S im streitgegenständlichen Zeitraum persönlich schutzbedürftig im Sinne des § 1 Abs. 2 HAG war. Zutreffend hat bereits die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln mit Urteil vom 27.06.2011 (2 Sa 120/11) ausgeführt, dass die Überprüfung der Schutzbedürftigkeit dem Heimarbeitsausschuss obliegt. Er überprüft im Rahmen der Gruppengleichstellung, ob eine abstrakt definierte Gruppe von erwerbstätigen Personen wegen ihrer Schutzbedürftigkeit in den Schutzbereich des HAG aufgenommen werden. Die Feststellung der Schutzbedürftigkeit im Rahmen der Gleichstellungsentscheidung obliegt hingegen nicht den Arbeitsgerichten (so auch LAG Köln, Urteil vom 15.12.2011, 8 Sa 97/11; LAG Köln, Urteil vom 14.02.2012, 11 Sa 1380/10; LAG Köln, Urteil vom 18.06.2012, 2 Sa 45/12).
bb) Frau S fiel auch unter die Gleichstellung, da sie in dem streitgegenständlichen Zeitraum von April 2006 bis August 2008 die für die Beklagte erbrachten Tätigkeiten ohne Heimarbeiter oder fremde Hilfskräfte erbracht hat. Dies steht aufgrund der am 14.08.2012 durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer fest. Die als Zeugin vernommene Frau S hat glaubhaft bekundet, dass sie in dem hier in Rede stehenden Zeitraum alleine gearbeitet hat. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Zeugin ein unmittelbares Eigeninteresse an dem Ausgang des Rechtsstreits hat, da das Land die streitigen Minderbeträge in Prozessstandschaft für sie – die Zeugin – einklagt. Im Falle des Obsiegens sind die Beklagten verpflichtet, die ausgeurteilten Minderbeträge an Frau S zu zahlen. Dies führt im Ergebnis aber nicht dazu, dass die Kammer Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin oder an der Glaubhaftigkeit der Aussage hat. Für die Glaubhaftigkeit der Aussage spricht vielmehr, dass die Zeugin auf Nachfrage des Gerichts bekundet hat, dass sie zu Beginn ihrer Selbständigkeit im Jahr 2001 zwei Personen angestellt hatte. Wenn es ihr nur darum gegangen wäre, eine für sie im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits günstige – wahrheitswidrige – Aussage hinsichtlich der fehlenden Beschäftigung von Hilfskräften zu tätigen, hätte für sie keine Veranlassung bestanden, für einen anderen Zeitraum die Beschäftigung von Hilfskräften einzugestehen. Hinsichtlich der Angabe, dass sie in den Jahren 2005 bis 2008 keine Personen angestellt hatte, hat die Zeugin zudem darauf hingewiesen, dass dies auch den betriebswirtschaftlichen Auswertungen zu entnehmen sei. Auch dies spricht für die Glaubhaftigkeit der Aussage, da dies zeigt, dass die Zeugin sich der Überprüfbarkeit der Aussage anhand der betriebswirtschaftlichen Auswertungen bewusst war. Es ist auch glaubhaft, dass sie die Tätigkeiten allein erbracht hat. Insoweit hat die Zeugin auf Nachfrage der Prozessbevollmächtigten der Beklagten bekundet, dass sie im Zeitraum 2005 bis 2008 nicht viele Aufträge gehabt habe. 2007 habe sie wieder fest gearbeitet und in dieser Zeit nur zwei Auftraggeber gehabt. Der Umfang der Aufträge war demnach nicht dergestalt, dass davon ausgegangen werden müsste, dass Frau S die Arbeit entgegen ihrer Aussage nicht allein hätte bewältigen können. Die Zeugin hat auf Nachfrage der Prozessbevollmächtigten der Beklagten weiter glaubhaft bekundet, dass sie in dem hier in Rede stehenden Zeitraum keine Kuriertätigkeiten durchgeführt hat, aber auf weitere Nachfrage auch bekundet, 2001 bis 2002 Kuriertätigkeiten durchgeführt zu haben. Auch dies zeigt, dass die Zeugin um eine wahrheitsgemäße Aussage bemüht war.
Schließlich wird das Ergebnis der Beweisaufnahme auch durch den früheren Internetauftritt der Frau S nicht entkräftet. Dass sie dort ein umfangreiches Dienstleistungsangebot beworben und die „Wir-Form“ verwendet hat, steht der Überzeugung der Kammer, dass Frau S in dem hier maßgeblichen Zeitraum allein gearbeitet hat, nicht entgegen. Dass umfangreiche Dienstleistungen angeboten werden, bedeutet nicht, dass auch entsprechende Aufträge akquiriert werden können und angenommen werden. Die Verwendung der „Wir-Form“ ist im Geschäftsleben auch bei Einzelfirmen verbreitet und lässt jedenfalls keine sicheren Rückschlüsse darauf zu, ob das Gewerbe tatsächlich allein oder mit Hilfskräften betrieben wird.
c) Die Nachzahlungsforderung stellt auch keine unzulässige Rechtsausübung im Sinne des § 242 BGB dar. Frau S war nicht verpflichtet, der Beklagten ungefragt mitzuteilen, dass sie unter die Gleichstellung fällt. Sie hat die Beklagte auch nicht von Fragen nach einer eventuellen Gleichstellung abgehalten.
aa) Gemäß § 1 Abs. 6 HAG haben Gleichgestellte bei Entgegennahme von Heimarbeit auf Befragen des Auftraggebers ihre Gleichstellung bekannt zu geben. Es ist damit im Grundsatz Sache des Auftraggebers, sich das erforderliche Wissen darüber zu verschaffen, ob und welchen rechtlichen Beschränkungen die Vergabe von Lohnarbeit an Heimarbeiter und gleichgestellte Personen unterliegt. Eine Offenbarungspflicht des Gleichgestellten besteht in der Regel nicht.
Andererseits schließt § 1 Abs. 6 HAG den Einwand einer unzulässigen Rechtsausübung nicht aus. Eine Offenbarungspflicht kann sich aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen unter anderem aus Treu und Glauben gemäß § 242 BGB ergeben (vgl. BAG, Urteil vom 19.01.1988, 3 AZR 424/87, NZA 1988, 805).
Da die Vorschriften des Heimarbeitsgesetzes, die in Ausführung des Gesetzes erlassenen Gleichstellungen und bindenden Festsetzungen den Schutz der betroffenen Personen und Personengruppen bezwecken, muss der Gedanke des Sozialschutzes aber auch im Zusammenhang mit der Aufklärungspflicht gegenüber Auftraggebern gelten. Nur unter ganz besonderen Umständen kann deshalb einem Gleichgestellten die Berufung auf die zu seinen Gunsten und zu seinem Schutz erlassene Gleichstellungsanordnung versagt werden. Dass strenge Anforderungen zu stellen sind, wird auch belegt durch § 19 Abs. 3 Satz 4 HAG, wo bestimmt ist, dass selbst eine Verwirkung von Ansprüchen aus einer bindenden Festsetzung ausgeschlossen ist, also ein längerer Zeitablauf sogar bei Hinzutreten eines Umstands, der die Geltendmachung einer Forderung als treuwidrig erscheinen lässt, nicht zur Leistungsverweigerung berechtigt (BAG, Urteil vom 19.01.1988, 3 AZR 424/87, NZA 1988, 805).
bb) Diese Maßstäbe zugrunde gelegt, kann eine Treuwidrigkeit im Streitfall nicht angenommen werden. Sie ergibt sich nicht allein aus dem (früheren) Internetauftritt der Frau S . Zwar hat Frau S im Rahmen ihres Internetauftritts in der „Wir-Form“ für ihre Dienste geworben, die Beklagte hat aber nicht dargelegt, dass sie im Zeitraum der Auftragsvergabe (April 2006 bis August 2008) überhaupt Kenntnis von dem Internetauftritt der Frau S hatte. Da das klagende Land dies ausdrücklich mit Nichtwissen bestritten hat und die Beklagte sich hierzu nicht erklärt hat, ist unter Anwendung des § 138 ZPO davon ausgehen, dass die Beklagte erst zu einem späteren Zeitpunkt den Internetauftritt von Frau S überhaupt zur Kenntnis genommen hat. Der Internetauftritt von Frau S kann die Beklagte mangels entsprechender Kenntnis damit nicht von Nachfragen hinsichtlich einer Gleichstellung abgehalten haben. Hinzukommt, dass Frau S der Beklagten vor Aufnahme der Tätigkeit den Gewerbeschein vorgelegt hatte, aus dem sich ergab, dass sie allein und ohne Hilfskräfte die Arbeiten verrichtete. Jedenfalls angesichts dieser Information hätte sich die Beklagte durch Nachfrage vergewissern müssen, ob die Voraussetzungen der Geltung des Heimarbeitsrechts vorlagen. Dies gilt umso mehr als die Beklagte in Person ihres Komplementärgeschäftsführers im Rahmen der Entgeltprüfung im Jahre 2006 um die Problematik der Anwendbarkeit des Heimarbeitsrechts auf die beauftragten Schreibkräfte wusste. Vor diesem Hintergrund konnte ein schutzwürdiges Vertrauen der Beklagten nicht entstehen.
d) Schließlich ist die Nachforderung auch in der erkannten Höhe begründet.
Die von dem klagenden Land zuletzt mit der Berufungsbegründungsschrift aufgeführten Adressen/Datensätze wurden von Frau S unstreitig erfasst. In der „bindenden Festsetzung“ sind in § 9 die Arbeitszeiten für das Anfertigen von Adressenlisten je 1.000 Adressen konkretisiert. Unter den günstigsten Bedingungen für den Auftraggeber beträgt der Zeitaufwand für das Erfassen von je 1.000 Adressen nach § 9 Abs. 1 der „bindenden Festsetzung“ bei
1. bis zu durchschnittlich 50 Anschlägen je Adresse 340 Minuten
2. bis zu durchschnittlich 51 – 60 Anschlägen je Adresse 375 Minuten
3. bis zu durchschnittlich 51 – 70 Anschlägen je Adresse 410 Minuten
4. bis zu durchschnittlich 71 – 80 Anschlägen je Adresse 445 Minuten
5. bei über 80 Anschlägen je Adresse 505 Minuten
Daraus ergibt sich, dass in der Stunde folgende Anzahl von Adressen/Datensätze erfasst werden können:
Zu 1.: 176 Adressen/Datensätze
Zu 2.: 160 Adressen/Datensätze
Zu 3.: 146 Adressen/Datensätze
Zu 4.: 134 Adressen/Datensätze
Zu 5.: 118 Adressen/Datensätze
Für das Abschreiben von Adressen von Briefen/Postkarten wird gemäß § 9 Abs. 4 der „bindenden Festsetzung“ für je 1.000 Adressen eine zusätzliche Arbeitszeit von 20 Minuten eingeräumt. In diesem Fall ergibt sich, dass in der Stunde folgende Anzahl von Adressen/Datensätze erfasst werden können:
Zu 1.: 167 Adressen/Datensätze
Zu 2.: 152 Adressen/Datensätze
Zu 3.: 140 Adressen/Datensätze
Zu 4.: 129 Adressen/Datensätze
Zu 5.: 114 Adressen/Datensätze.
Gemäß der „Änderung der bindenden Festsetzung vom 30.06.2004“ beträgt das Grundentgelt je Arbeitsstunde für das Schreiben von Adressen und einfachen Abschreibarbeiten ab dem 01.07.2004 6,78 € und gemäß der „Änderung der bindenden Festsetzung vom 20.12.2006“ ab dem 01.01.2007 6,92 €.
Die Beanstandung der Beklagten hinsichtlich des von dem Land zugrunde gelegten Grundentgelts ist damit nicht gerechtfertigt. Die Beklagte geht bei ihrer Berechnung von einem Grundentgelt in Höhe von lediglich 6,41 € aus. Dabei handelt es sich um das Grundentgelt, dass in der „bindenden Festsetzung vom 17.04.2002“ festgesetzt worden war. Dieses ist jedoch mit den oben genannten Änderungen vom 30.06.2004 und 20.12.2006 erhöht worden. Auf die entsprechenden Bekanntmachungen, die das klagende Land in Kopie als Anlagen zur Klageschrift vom 14.09.2009 beigefügt hat, wird insoweit Bezug genommen.
Zu dem jeweiligen Grundentgelt kommen gemäß § 3 Abs. 2 der „bindenden Festsetzung“ ein Zuschlag in Höhe von 16 %, da Frau S den Computer für die Arbeiten gestellt hat und gemäß § 4 der „bindenden Festsetzung“ Urlaubsentgelt in Höhe von 15,8 % und ein zusätzliches Urlaubsgeld in Höhe von 4,6 %. Schließlich sind noch der Zuschlag gemäß § 10 EFZG in Höhe von 3,4 % und Feiertagsgeld in Höhe von 3,6 % gemäß § 11 EFZG zu zahlen. Das klagende Land hat das Urlaubsentgelt, Urlaubsgeld und Feiertagsgeld aus Vereinfachungsgründen pauschaliert berechnet. Dagegen hat sich die Beklagte nicht gewandt. Daraus ergibt sich insgesamt ein Zuschlag in Höhe von 43,4 % auf das jeweils geltende Grundentgelt und damit ein Stundenentgelt
ab dem 01.07.2004 in Höhe von 9,71 € und
ab dem 01.01.2007 in Höhe von 9,92 €.
Unter Berücksichtigung der von dem klagenden Land in der Berufungsbegründungsschrift auf den Seiten 10 – 27 dargelegten und von der Beklagten nicht bestrittenen Aufträge und den jeweils von der Beklagten geleisteten unstreitigen Zahlungen ergibt sich folgende Berechnung:

Auftrag Rechnung Adressen Teiler Zeit Std.
satz Ergebnis Rechnung Differenz
= Minderbeträge
W 38 009/2005 3199 167 19,1556886 9,71 186,00 € 111,97 € 74,03 €
W 51 b 019/2006 3682 167 22,0479042 9,71 214,09 € 28,87 € 85,22 €
Adressfit 54 026/2006 3981 118 33,7372881 9,71 327,59 € 139,34 € 188,25 €
Adressfit75 030/2006 5636 167 33,748503 9,71 327,70 € 97,26 € 130,44 €
Adressfit 80z 035/2006 2501 176 14,2102273 9,71 137,98 € 87,53 € 50,45 €
Adressfit 80m 039/2006 3666 118 31,0677966 9,71 301,67 € 128,31 € 173,36 €
Adressfit 116h 011/2007 3989 118 33,8050847 9,92 335,35 € 139,61 € 95,74 €
Adressfit116c 019/2007 3925 114 34,4298246 9,92 341,54 € 137,38 € 204,16 €
Adressfit186f 042/2007 1910 114 6,754386 9,92 166,20 € 95,50 € 70,70 €
Adressfit186l 001/2008 4415 114 38,7280702 9,92 384,18 € 220,75 € 163,43 €
Adressfit 193c 003/2008 8967 167 53,6946108 9,92 532,65 € 313,85 € 218,80 €
Adressfit 196c 005/2008 5936 167 35,5449102 9,92 352,61 € 207,76 € 144,85 €
Adressfit 205 c 007/2008 4733 167 28,3413174 9,92 281,15 € 165,66 € 115,49 €
Adressfit 207 008/2008 514 176 2,92045455 9,92 28,97 € 12,85 € 16,12 €
Adressfit 208 008/2008 108 176 0,61363636 9,92 6,09 € 2,70 € 3,39 €
Adressfit 209 008/2008 108 176 0,61363636 9,92 6,09 € 2,70 € 3,39 €
Adressfit 213 010/2008 6294 114 55,2105263 9,92 547,69 € 283,23 € 264,46 €
Adressfit 214a 011/2008 8653 167 51,8143713 9,92 514,00 € 302,86 € 211,14 €
Adressfit 235a 014/2008 2205 167 13,2035928 9,92 130,98 € 77,18 € 53,80 €

5.122,53€ 2.755,31 € 2.367,22 €
Insgesamt errechnen sich danach Minderbeträge in Höhe von 2.367,22 €. Da das Gericht gemäß § 308 Abs. 1 ZPO nicht befugt ist, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist, war lediglich der mit dem Berufungsantrag weiterverfolgte Betrag in Höhe von 2.358,17 € zuzusprechen.
Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts und der Berufung ist von dem ermittelten Betrag nicht die von der Beklagten bereits gezahlte Mehrwertsteuer in Abzug zu bringen. Die Beklagte hat Mehrwertsteuer nur auf die von Frau S in Rechnung gestellten Beträge, nicht aber auf die hier allein in Rede stehenden Minderbeträge gezahlt. Dass Frau S unter die Gleichstellung fällt, führt nicht etwa dazu, dass sie ihre Berechtigung, Mehrwertsteuer zu verlangen, verliert und diese daher „gegengerechnet” werden müsste. Denn durch die Gleichstellung ändert sich nichts daran, dass das Schreibbüro als Gewerbe betrieben wird. Dies ist vielmehr Voraussetzung für die Gleichstellung.
e) Der Zinsanspruch ab Rechtshängigkeit folgt aus den §§ 288 Abs. 1, 291, 247 BGB. Die Klageschrift ist der Beklagten am 08.10.2009 zugestellt worden.
3. Die im Wege der Parteierweiterung in der Berufungsinstanz gegen die Berufungsbeklagte zu 2) erhobene Klage auf Zahlung der Minderbeträge in Höhe von 2.358,17 € als Gesamtschuldnerin mit der Beklagten ist zulässig und begründet.
Gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen keine Bedenken, insbesondere ist die Berufungsbeklagte zu 2) nicht im Handelsregister gelöscht und damit unstreitig parteifähig.
Die Klage ist auch begründet. Die Berufungsbeklagte zu 2) haftet für die unter Ziffer 1) des Tenors ausgeurteilte Forderung als Gesamtschuldnerin mit der Beklagten. Als Komplementärgesellschafterin haftet die Berufungsbeklagte zu 2) gemäß §§ 161 Abs. 2, 128 HGB den Gläubigern gegenüber persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, d.h. vorliegend der Beklagten. Die Haftung besteht als Gesamtschuldner mit der Gesellschaft. Die Haftung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Beklagte liquidiert ist bzw. zweifelhaft ist, ob sie ordnungsgemäß liquidiert worden ist. Die Liquidationsprobleme der Beklagten wirken sich haftungsrechtlich nicht auf die Berufungsbeklagte zu 2) aus, soweit es – wie vorliegend – um die Haftung für Verbindlichkeiten der Beklagten geht. §§ 161 Abs. 2, 128 HGB sieht die persönliche und unbeschränkte Haftung der Gesellschafter vor. Die möglichen Einwendungen der Gesellschafter sind abschließend in § 129 HGB geregelt. Diese sehen keine Besonderheiten für den Fall der Liquidation der Gesellschaft vor. Soweit sich die Berufungsbeklagte zu 2) in der Sache den Ausführungen der Beklagten angeschlossen hat, so sind die Einwendungen aus den oben unter II. 2. ausgeführten Gründen nicht geeignet, den mit der Berufung weiter verfolgten Zahlungsanspruch zu Fall zu bringen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 92 Abs. 1, 516 Abs. 3 S. 1, 100 Abs. 4 ZPO. Bei der Kostenverteilung war zu Lasten des klagenden Landes zu berücksichtigen, dass die Berufung in Höhe von 2.225,02 € zurückgenommen worden ist. Das klagende Land ist damit im Rechtsstreit in Bezug auf ihre ursprüngliche Forderung in Höhe von 4.583,19 € mit einer Quote von 51 % unterlegen. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte und die Berufungsbeklagte zu 2) entsprechend ihrem Unterliegen mit einer Kostenquote von 49 % gemäß § 100 Abs. 4 ZPO als Gesamtschuldner. An den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens ist die Berufungsbeklagte zu 2) dagegen nicht zu beteiligen, da sie erst im Berufungsverfahren in den Rechtsstreit einbezogen worden ist.
5. Die gesetzlichen Voraussetzungen der Zulassung der Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor.

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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