Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 17. Dezember 1979 – BReg 1 Z 76/79 Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments

Juni 15, 2019

Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 17. Dezember 1979 – BReg 1 Z 76/79
Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments
1. Ein gemeinschaftliches Ehegattentestament für den Fall gleichzeitigen Versterbens kann unter besonderen Umständen dahin ausgelegt werden, daß es auch gelten soll, wenn die Eheleute nacheinander versterben (Ergänzung KG Berlin 1968-02-05, 1 W 62/68, FamRZ 1968, 217; Ergänzung KG Berlin 1968-02-05, 1 W 63/68, FamRZ 1968, 217; Ergänzung KG Berlin 1970-01-03, 1 W 9697/69, FamRZ 1970, 148).
2. Die mangelnde Eindeutigkeit eines vom Erblasser im Testament gebrauchten Begriffs (hier: gleichzeitiges Versterben) kann sich aus einem (hier der Form des BGB § 2247 Abs 1 entsprechend) Begleitschreiben des Erblassers zum Testament ergeben.
Tatbestand
1. Am 9.3.1978 verstarb in N., seinem letzten Wohnsitz, (Erblasser) im Alter von 84 Jahren. Er war verwitwet und kinderlos; seine Ehefrau war am 7.9.1966 verstorben.
Als gesetzliche Erben kommen nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen die Beteiligten zu 6) bis 23) – Verwandte der dritten Ordnung – in Betracht. Zur Sicherung und Verwaltung des Nachlasses, sowie zur Ermittlung der Erben ist am 9.3.1978 Nachlaßpflegschaft angeordnet und Rechtsbeistand X. zum Nachlaßpfleger bestellt worden.
2. Der Erblasser hinterließ ein eigenhändig geschriebenes und unterschriebenes Testament, das am 25.4.1978 vom Amtsgericht eröffnet wurde und folgenden Wortlaut hat:
“(Ortsangabe), 2. Jan. 43
Testament
Im Falle meines Ablebens bestimme ich ausdrücklich, daß unser Eigentum, sei es Gold oder Gegenstände als alleinige Erbin nur meine lb Frau in Frage kommt!
Sollten wir beide jedoch zu gleicher Zeit, (sei es durch Fliegerangriff etc) ums Leben kommen, so sollen als Erben nur meine lb Schwiegereltern in Betracht kommen! Nach deren Ableben sollen ihre Kinder, also ihre Söhne, vor allem W. …, der durch diesen Krieg sicher ohne Hab und Gut ist, sowie deren Schwestern bedacht werden”.
Anschließend befindet sich auf demselben Blatt Papier folgender von der Ehefrau des Erblassers eigenhändig geschriebener und unterschriebener Zusatz:
(Ortsangabe), 2. Jan. 1943
Das vorstehende Testament soll auch als mein Testament gelten”!
Die Unterschriften der Eheleute S. unter der Testamentsurkunde wurden unter dem 5.1.1943 von dem Bürgermeister der Stadt G. als Ortspolizeibehörde beglaubigt.
Der Erblasser hatte dieses Testament mit einem Begleitschreiben an die Eltern seiner Ehefrau zur Aufbewahrung übersandt; darin heißt es ua:
“Anbei das Testament, das nun jetzt richtig sein wird.

Unvergeßlich wird mir immer meine Ferienzeit und vor allem die schönen Weihnachtstage bleiben, die man herzlicher und inniger kaum erlebt. Ihr beiden lieben Eltern habt Euch immer ebenso großzügig und rührend um mich bemüht, obwohl Ihr mit Glücksgütern auch nicht allzu reich gesegnet seid! Nach all diesen Erwägungen gaben mir diese Tatsachen Veranlassung, daß, wenn mir oder uns etwas zustoßen sollte, – Kriegszeiten sind immer unberechenbar, – die Erträgnisse meines – unseres Fleißes und Sparsamkeit Euch, bzw Euren Kindern zugute kommen soll! …”
Der Schwiegervater des Erblassers ist am 12.11.1949, die Schwiegermutter am 3.3.1969 in G. verstorben. Ihre Kinder sind die Beteiligten zu 1) bis 4) sowie die verstorbene Ehefrau des Beteiligten zu 5).
Die Ehefrau des Erblassers hatte am 5.5.1950 folgendes eigenhändiges Testament errichtet, das am 25.4.1978 vom Amtsgericht N. eröffnet wurde:
“Testament
Sollte mein Mann vor mir sterben u ich durch irgendeine Krankheit nicht in der Lage sein, über meine Person, wie vorhandenes Eigentum Beschlüsse zu fassen, so hat kein Fremder das Recht, über mich u das Eigentum eigenmächtig zu verfügen!
In jedem Falle ist hierüber der Rat meiner Geschwister einzuholen. Diese sind …
Nach meinem Tode fällt alles Vorhandene an die oben aufgeführten Geschwister u mein Bruder G., wie Pate hat das Recht, alles nach seinem Gutdünken gerecht zu verteilen”.
3. Der Beteiligte zu 1) beantragte am 30.6./17.7.1978 die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, in dem bezeugt werden soll, daß der Erblasser aufgrund des Testaments vom 2.1.1943 von ihm und seinen vier Geschwistern, den Beteiligten zu 2) bis 4) sowie der nachverstorbenen Ehefrau des Beteiligten zu 5), zu je einem Fünftel beerbt worden seien.
Die Beteiligten zu 6) bis 23) traten dem Erbscheinsantrag entgegen. Sie brachten im wesentlichen vor, das Testament habe nur für die Kriegszeit gelten sollen; zudem enthalte es keine Regelung für den Fall des Vorversterbens der Ehefrau; es sei insoweit auch nicht durch Auslegung ergänzungsfähig; sonach sei die gesetzliche Erbfolge eingetreten.
Mit Beschluß vom 2.5.1979 kündigte das Nachlaßgericht an, es werde – nach Erfüllung der formellen Voraussetzungen – den beantragten Erbschein erteilen, sofern gegen diesen Beschluß nicht binnen zwei Wochen ab Zustellung Beschwerde eingelegt werde. Das Amtsgericht vertrat die Ansicht, der Erblasser habe in seinem Begleitschreiben zum Testament vom 2.1.1943 zum Ausdruck gebracht, daß die Erbeinsetzung seiner Schwiegereltern bzw deren Kinder nicht auf den Fall des gleichzeitigen Versterbens der Ehegatten beschränkt sein solle, sondern daß diesen schlechthin die Erträgnisse seiner und seiner Ehefrau Fleißes zukommen sollten.
Die am 11./12.5.1979 eingelegten Beschwerden der Beteiligten zu 6) bis 19) wies das Landgericht mit Beschluß vom 19.9.1979 als unbegründet zurück.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 9), der die Beteiligten zu 1) bis 5) entgegentreten.
Die Beteiligten zu 2) bis 5) haben sich inzwischen dem Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1) angeschlossen.
Entscheidungsgründe
1. Die – an keine Frist gebundene – weitere Beschwerde ist statthaft (§ 27 FGG) sowie formgerecht eingelegt (§ 29 Abs 1 Sätze 1 und 2 FGG). Die Beschwerdeberechtigung der Rechtsbeschwerdeführerin ergibt sich gem §§ 20, 29 Abs 4 FGG bereits aus der Zurückweisung ihrer Erstbeschwerde (BGHZ 31, 92/95; BayObLGZ 1978, 205/206). Sie folgt – ebenso wie für das Erstbeschwerdeverfahren – ferner daraus, daß die Beteiligte zu 9) als gesetzliche Erbprätendentin durch den angekündigten Erbschein in ihrem gesetzlichen Erbrecht (§ 1926 BGB) beeinträchtigt würde (§ 20 Abs 1 FGG).
Die Ankündigung des Amtsgerichts, es beabsichtige, sofern nicht binnen einer bestimmten Frist Beschwerde eingelegt werde, einen Erbschein nach dem bezeichneten Inhalt zu erteilen, ist eine beschwerdefähige Verfügung. Ein solcher Vorbescheid ist stets dann zulässig, wenn eine Vorklärung der Sachlage und Rechtslage geboten ist, um die Erteilung eines unrichtigen und später wieder einzuziehenden Erbscheins zu vermeiden (BGHZ 20, 255/256; BayObLGZ 1963, 19/24 und ständige Rechtsprechung; Keidel/Kuntze/Winkler FGG 11. Aufl § 84 RdNrn 1, 2). Diese Voraussetzungen durften die Vorinstanzen hier bedenkenfrei als gegeben ansehen.
Das sonach zulässige Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. …
3. Die Entscheidung des Landgerichts hält der im Verfahren der weiteren Beschwerde allein möglichen rechtlichen Nachprüfung (§ 27 FGG, § 550 ZPO) im Ergebnis stand.
a) Die Feststellung des Landgerichts, der Erblasser habe mit seinem Testament vom 2.1.1943 nicht nur für die Dauer der aus dem 2. Weltkrieg resultierenden Gefahrensituation letztwillig verfügen wollen, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Ein – wie hier – in der Form des § 2247 Abs 1 BGB (= § 21 Abs 1 des Gesetzes über die Errichtung von Testamenten und Erbverträgen vom 31.7.1938 – TestG -) errichtetes eigenhändiges Testament bleibt, wenn es nicht befristet ist, bis zu seinem Widerruf wirksam. Eine Befristung (§§ 158ff BGB) brauchte das Landgericht weder dem Testament selbst noch außerhalb desselben liegenden Umständen zu entnehmen. Ein Widerruf (§§ 2253 bis 2258 BGB, §§ 32 bis 36 TestG) ist nicht erfolgt.
Eine gesetzliche Beschränkung der Gültigkeitsdauer besteht gem § 2252 Abs 1 BGB (= § 26 Abs 1 TestG) nur für ein nach § 2249, § 2250 oder § 2251 BGB (= § 23, § 24 oder § 25 TestG) errichtetes Nottestament, falls dieses nicht zugleich den Erfordernissen eines eigenhändigen Testaments entspricht (RGZ 104, 320/322f; Palandt BGB 39. Aufl § 2252 Anm 2). Da hier die gesetzliche Form des eigenhändigen Testaments gewahrt ist, wäre also das Testament selbst dann nicht durch Ablauf der Dreimonatsfrist (§ 26 Abs 1 TestG, § 2252 Abs 1 BGB) ungültig geworden, wenn der Erblasser irrig geglaubt hätte, ein Nottestament errichtet zu haben. Ein solcher Irrtum könnte lediglich eine Testamentsanfechtung begründen (§ 2078 Abs 2 BGB; RGZ aaO); für sein Vorliegen bietet aber weder das Vorbringen der Beteiligten noch der Sachverhalt einen Anhalt. Die Tatsache allein, daß der Erblasser und seine Ehefrau ihre Testamentsunterschriften von einer Ortspolizeibehörde beglaubigen ließen, läßt nicht darauf schließen, daß sie geglaubt hätten, damit ein Nottestament vor dem Bürgermeister (§§ 23, 28 Abs 3 TestG) errichtet zu haben, das nach drei Monaten ungültig werde (§ 26 Abs 1 TestG). Aus dem Umstand, daß die Ehefrau am 5.5.1950 erneut letztwillig verfügt hat, brauchte das Landgericht nicht den Schluß zu ziehen, die Gültigkeit des Testaments vom 2.1.1943 habe zeitlich beschränkt sein sollen, oder die Testatoren seien der irrigen Meinung gewesen, am 2.1.1943 ein Nottestament errichtet zu haben, das inzwischen ungültig geworden sei. Der Inhalt des Testaments vom 5.5.1950 spricht vielmehr dafür, daß die Ehefrau des Erblassers bei der Testamentserrichtung davon ausgegangen ist, sie werde ihren Ehemann nach dessen Tod gemäß dem Testament vom 2.1.1943 allein beerben. Schließlich liegt auch kein Anhaltspunkt dafür vor, daß der Erblasser selbst geglaubt habe, das den Schwiegereltern in Verwahrung gegebene Testament vom 2.1.1943 sei nicht mehr wirksam, oder daß er auch nur eine Sinnesänderung in der Richtung geäußert habe, daß an die Stelle der in dem Testament festgesetzten Erbfolge die gesetzliche treten solle.
Die Annahme des Landgerichts, das Testament vom 5.5.1950 widerspreche nicht demjenigen vom 2.1.1943, ist zwar insofern nicht bedenkenfrei, als nach letzterem nach dem Tode der Ehegatten zunächst die Eltern der Ehefrau des Erblassers und dann erst deren Geschwister erben sollten, während nach dem Testament vom 5.5.1950 sogleich die Geschwister zum Zuge kommen sollten. Diese Annahme kann auf dem von der Rechtsbeschwerde aufgezeigten Irrtum der Beschwerdekammer beruhen, daß beide Elternteile der Ehefrau des Erblassers am 5.5.1950 bereits verstorben gewesen seien, so daß – wie nach dem Testament vom 2.1.1943 – an ihre Stelle deren Geschwister getreten wären. Wie jedoch schon das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, hat die Ehefrau des Erblassers auch insoweit nicht zu erkennen gegeben, daß sie sich an das gemeinschaftliche Testament vom 2.1.1943 nicht mehr gebunden fühle; es liege vielmehr – wie das Amtsgericht fortfährt – die Annahme nahe, daß sie lediglich den zwischenzeitlich veränderten Verhältnissen noch ausdrücklich habe Rechnung tragen wollen; ihr im Testament vom 2.1.1943 bedachter Vater sei erst knapp sechs Monate vorher gestorben, ihre Mutter sei bereits hochbetagt gewesen, so daß die Ehefrau des Erblassers sehr wohl davon habe ausgehen können, daß ihre im Testament von 1943 nach den Eltern eingesetzten Geschwister zum Zuge kommen würden.
Die Ansicht der Vorinstanzen, der letztwilligen Verfügung vom 5.5.1950 sei nicht zu entnehmen, daß das Testament vom 2.1.1943 von den Testatoren als gegenstandslos (nicht mehr gültig) angesehen worden sei, begegnet sonach im Ergebnis keinen Bedenken. Die Frage, ob es sich bei der Erbeinsetzung der Eltern der Ehefrau des Erblassers im Testament vom 2.1.1943 um eine wechselbezügliche Verfügung der Ehegatten (§ 2270 Abs 1, 2 iVm §§ 2267, 2269 Abs 1 BGB bzw § 28 Abs 1, 2 TestG) gehandelt hat, die zu Lebzeiten der Ehegatten nicht einseitig hätte geändert werden können (§ 2271 Abs 1 Satz 2 BGB), ist für den hier zu beurteilenden Erbfall nach dem letztverstorbenen Ehegatten ohne Bedeutung. Denn einmal ist das nur für den Fall des Vorversterbens des Ehemannes errichtete Testament der Ehefrau vom 5.5.1950 infolge des Nichteintritts dieses Falls gegenstandslos geworden, zum anderen steht fest, daß beide Schwiegereltern des Erblassers jedenfalls vor ihm verstorben sind und damit nur noch deren Kinder als Erbprätendenten in Betracht kommen können. Insofern besteht kein – entscheidungserheblicher – Widerspruch zwischen den Testamenten vom 2.1.1943 und vom 5.5.1950, wie das Landgericht letztlich angenommen hat.
b) Auch gegen die vom Landgericht vorgenommene Auslegung des Testaments vom 2.1.1943 dahin, daß die Beteiligten zu 1) bis 4) und die Ehefrau des Beteiligten zu 5) zu je einem Fünftel Erben sind, bestehen im Ergebnis keine rechtlichen Bedenken.
aa) Ist der Inhalt einer letztwilligen Verfügung nicht völlig eindeutig, so ist der Wille des Erblassers durch Auslegung zu ermitteln. Ob eine Verfügung von Todes wegen der Auslegung fähig und bedürftig ist, ist eine Rechtsfrage, die vom Rechtsbeschwerdegericht nachzuprüfen und deren Verkennung als eine Gesetzesverletzung iS des § 27 FGG anzusehen ist (BGHZ 32, 60/63; BayObLGZ 1976, 67/74f mit Nachw).
Die Rechtsbeschwerde rügt zu Unrecht, daß das Landgericht nach diesen Grundsätzen die einschlägige Verfügung im Testament vom 2.1.1943 einer Auslegung unterzogen hat. Eine in einem Ehegattentestament für den Fall des gleichzeitigen Versterbens getroffene letztwillige Verfügung kann zwar in der Regel nicht dahin ausgelegt werden, daß sie auch dann gelten solle, wenn die Eheleute nacheinander versterben (KG FamRZ 1968, 217 und 1970, 148f). Hier haben aber die Vorinstanzen mit Recht vor allem in den Erklärungen des Erblassers in seinem Begleitschreiben zum Testament hinreichende Anhaltspunkte dafür erblickt, daß die Eheleute S. den grundsätzlich eindeutigen Begriff des gleichzeitigen Versterbens (KG aaO) nicht im Wortsinn gemeint haben und daß der Wortlaut des Testaments insoweit nur scheinbar klar ist. Die Feststellung, ob ein Erblasser sich zweifelsfrei erklärt oder ob er einem von ihm gebrauchten Begriff eine vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichende Bedeutung beigelegt hat, dient der Erforschung seines wahren Willens und stellt sich damit als Auslegung dar (§ 133 BGB; KG FamRZ 1970, 148/149).
Im Hinblick darauf, daß in dem vom Erblasser unterzeichneten Begleitschreiben zum Testament nach Darlegung der Gründe für den Ausschluß der gesetzlichen Erbfolge geschrieben steht, daß “wenn mir oder uns” etwas zustoßen sollte, die “Erträgnisse meines – unseres Fleißes und Sparsamkeit” den Schwiegereltern bzw deren Kindern zukommen sollen, ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanzen die Vermutung, daß der an sich klare Wortlaut des Testaments (“zu gleicher Zeit … ums Leben kommen”) den wahren Willen des Erblassers wiedergibt, über bloße Zweifel (vgl KG aaO) hinaus als erschüttert angesehen und daher mangels Eindeutigkeit die Auslegungsfähigkeit der letztwilligen Verfügung bejaht haben.
Eine Auslegung gegen einen eindeutigen Testamentswortlaut ist allerdings grundsätzlich nur möglich, wenn sie eine, wenn auch noch so geringe, Grundlage in der vorliegenden Erklärung hat (BGH FamRZ 1962, 256/257; BayObLGZ 1964, 6/12; KG aaO); erst dann können und müssen auch Umstände außerhalb des Testaments, mögen sie vor oder nach der Testamentserrichtung liegen oder sie begleitet haben, zur Erforschung des im Zeitpunkt der Errichtung bestehenden Willens herangezogen werden (BGH FamRZ 1970, 192/193). Hier aber kann das Begleitschreiben, in dem der Erblasser seinen im anliegenden Testament erklärten letzten Willen in der Form des § 2247 Abs 1 BGB/§ 21 Abs 1 TestG erläutert hat, bei natürlicher Betrachtung nicht als ein in diesem Sinn außerhalb des Testaments liegender Umstand, sondern als ein zur Gesamterklärung gehöriger, noch vom Testierwillen beherrschter Akt der Testamentserrichtung selbst angesehen werden; es bestehe jedenfalls eine so enge Verbindung, daß eine mangelnde Eindeutigkeit des Testamentswortlauts hier auch aus dem Begleitschreiben hergeleitet werden muß. Da nach dem Inhalt der im Begleitschreiben enthaltenden Erklärung das Vermögen des Erblassers und seiner Ehefrau deren Eltern bzw Geschwistern nicht nur – wie nach dem Testament – dann zukommen sollte, wenn beide Eheleute “zu gleicher Zeit” versterben, sondern auch dann, wenn ihm (allein) oder beiden Ehegatten etwas zustoßen sollte, ist die Gesamterklärung insoweit nicht eindeutig und damit auslegungsfähig.
bb) Auch die Auslegung der letztwilligen Verfügung selbst ist Sache des Tatrichters. Sie bindet das Rechtsbeschwerdegericht, sofern sie nach den Denkgesetzen und der Erfahrung möglich ist, mit den gesetzlichen Auslegungsregeln in Einklang steht, dem klaren Sinn und Wortlaut des Testaments nicht widerspricht und alle wesentlichen Umstände berücksichtigt. Nur in diesem Rahmen unterliegt sie der Nachprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht (BGH LM § 133 (B) BGB Nr 1; BayObLGZ 1976, 67/75f). Dabei müssen die Schlußfolgerungen des Tatrichters nicht zwingend sein; es genügt, wenn sie nur möglich sind, mag auch eine andere Schlußfolgerung ebenso nahe oder noch näher gelegen haben (BayObLG aaO). Bei einem gemeinschaftlichen Testament ist stets zu prüfen, ob eine nach dem Verhalten des einen Ehegatten mögliche Auslegung auch dem Willen des anderen Ehegatten entsprochen hat (BGH NJW 1951, 959; BGH DNotZ 1953, 100 und FamRZ 1973, 189; BayObLG FamRZ 1976, 549/551).
Bei seiner Auslegung des Testaments ist die Beschwerdekammer zu dem Ergebnis gelangt, daß die Eheleute S. sich gegenseitig zu Erben eingesetzt haben und daß – auch bei einem Vorversterben der Ehefrau – die gesetzliche Erbfolge nach dem Erblasser ausgeschlossen sein sollte und deren Schwiegereltern, ersatzweise (§§ 2096, 2102 BGB) deren Kinder, Erben sein sollten. Diese Auslegung ist nach der sich aus dem Testament und dem Begleitschreiben ergebenden Gesamterklärung des Erblassers möglich; sie widerspricht weder Denkgesetzen und Erfahrungssätzen noch – wie schon oben dargelegt – einem eindeutigen Sinn und Wortlaut des Testaments in seiner Gesamtheit. Es wird dadurch kein Sinn in das Testament hineingetragen, der darin unter Berücksichtigung des Zusammenhangs aller Teile der Gesamterklärung nicht irgendwie zum Ausdruck kommt (vgl BGH LM § 133 BGB (B) Nr 1). Schließlich entspricht die Auslegung auch dem erkennbaren Willen des anderen Ehegatten; denn es liegt nahe, daß auch die Ehefrau des Erblassers – wie dieser – nur ihre Verwandten, nicht diejenigen ihres Ehemannes, als Schlußerben (§ 2269 Abs 1 BGB) einsetzen wollte.
Auf eine sogenannte ergänzende Auslegung, dh die Erforschung des hypothetischen Erblasserwillens (Lückenausfüllung; vgl BayObLGZ 1954, 27/36; KG aaO; Palandt § 2084 BGB Anm 4b), hätte das Landgericht allerdings nicht zurückzugreifen brauchen. Denn, wenn schon die Auslegung des Testaments in Verbindung mit dem Begleitschreiben ergab, daß nach dem – mindestens mutmaßlichen – wirklichen Willen des Erblassers dessen Schwiegereltern bzw deren Kinder nicht nur im Falle des gleichzeitigen Sterbens der Eheleute S. bedacht sein sollten, sondern auch dann, wenn diese nacheinander versterben, dann bleibt für die Ermittlung eines hypothetischen (unwirklichen) Erblasserwillens kein Raum mehr (BayObLG aaO). Eine solche wäre nur dann noch von Bedeutung, wenn der Erblasser und seine Ehefrau in dem gemeinschaftlichen Testament den Fall des Vorversterbens des anderen Ehegatten, hier insbesondere der Ehefrau, überhaupt nicht bedacht hätten; das trifft aber nach dem Gesamtinhalt des gemeinschaftlichen Testaments und dessen Auslegung durch die Tatrichter schon deshalb nicht zu, weil die Ehefrau – wie die Tatrichter ohne Rechtsverstoß festgestellt haben – für den Fall ihres Vorversterbens “entsprechend” verfügt, die Ehegatten sich somit gegenseitig als Erben eingesetzt und daher den Fall des Nacheinandersterbens sehr wohl bedacht hatten. Wie danach im Testament in Verbindung mit dem Begleitschreiben zum Ausdruck kommt, sollten aber, wenn dem Erblasser oder seiner Ehefrau (“mir oder uns”) etwas zustoßen sollte, die Erträgnisse “meines – unseres Fleißes” letztlich in jedem Falle den Eltern bzw Geschwistern der Ehefrau des Erblassers zukommen. Eine durch Erforschung des hypothetischen Willens auszufüllende wirkliche Testamentslücke liegt danach nicht vor; denn der Fall des Vorversterbens der Ehefrau war von den Testatoren nicht nur bei der gegenseitigen Erbeinsetzung, sondern auch bei der Schlußerbeneinsetzung erkennbar bedacht worden.
Die vom Landgericht vorgenommene Auslegung trägt – wenn auch nicht als sog ergänzende, sondern als gewöhnliche Auslegung – gem § 133 BGB jedenfalls im Ergebnis seine Entscheidung. Denn auch nach seiner Auslegung entsprach es dem aus dem Gesamtverhalten erkennbaren Willen des Erblassers, daß sein Vermögen im Falle des Vorversterbens seiner Ehefrau nicht auf seine gesetzlichen Erben, sondern auf die Eltern, ersatzweise die Geschwister seiner Ehefrau übergehen soll.
4. Die weitere Beschwerde ist mithin als unbegründet zurückzuweisen.

Schlagworte

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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