Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 28. Januar 1992 – BReg 1 Z 64/91 Erbscheinserteilungsverfahren: Nachweis eines nicht auffindbaren Testaments; förmliches Beweisverfahren oder formlose Ermittlungen

Juni 16, 2019

Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 28. Januar 1992 – BReg 1 Z 64/91
Erbscheinserteilungsverfahren: Nachweis eines nicht auffindbaren Testaments; förmliches Beweisverfahren oder formlose Ermittlungen
1. Anforderungen an den Nachweis der Errichtung und des Inhalts eines nicht auffindbaren Testaments.
2. Das förmliche Beweisverfahren verdient den Vorzug vor formlosen Ermittlungen, wenn es auf die Erweisbarkeit bestimmter Einzeltatsachen wie Errichtung und Inhalt eines nicht mehr vorhandenen Testaments ankommt, und wenn das Recht eines Beteiligten, an der Wahrheitsfindung mitzuwirken, ansonsten nicht hinreichend gesichert ist.
1. Ist die Testamentsurkunde ohne Willen und Zutun des Erblassers vernichtet worden, verloren gegangen oder nicht auffindbar, können Errichtung und Inhalt des Testaments mit allen zulässigen Beweismitteln festgestellt werden, wobei allerdings strenge Anforderungen zu stellen sind.

vorgehend LG Regensburg, 29. August 1991, 5 T 266/91
vorgehend AG Regensburg, 17. Juli 1991, VI 157/91

Gründe
I.
Die Erblasserin ist im Jahr 1991 im Alter von 76 Jahren verstorben, ohne Abkömmlinge zu hinterlassen. Ihr Ehemann wurde im Jahr 1955 für tot erklärt. Der Beteiligte zu 2 ist ihr einziger Bruder. Der Nachlaß besteht aus einem Wohnhaus, Bankguthaben und Wertpapieren im Wert von insgesamt rund 140.000 DM.
Das Nachlaßgericht bewilligte am 18.3.1991 einen Erbschein, demzufolge die Erblasserin vom Beteiligten zu 2 allein beerbt wurde. Diesem wurde eine Ausfertigung des Erbscheins übersandt.
Mit Anwaltsschriftsatz vom 30.4.1991 erhob die Beteiligte zu 1, die nichteheliche Tochter des Beteiligten zu 2, dem Nachlaßgericht gegenüber Bedenken gegen die Richtigkeit des Erbscheins vom 18.3.1991. Die Erblasserin habe im Jahr 1989 ein nicht mehr auffindbares Testament errichtet, in dem sie, die Beteiligte zu 1, als Erbin eingesetzt worden sei. Der Nachlaßrichter hörte hierauf die Beteiligten sowie drei Zeugen an. Das Ergebnis der Anhörungen hielt er in Aktenvermerken fest. Mit Schreiben vom 17.7.1991 teilte er dem Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1 mit, er habe die Sachlage überprüft. Keiner der Zeugen habe aber das Testament aus dem Jahr 1989 gesehen oder gar gelesen. Es müsse daher weiter von der gesetzlichen Erbfolge ausgegangen werden.
Die gegen diese Entscheidung eingelegte Beschwerde der Beteiligten zu 1 wies das Landgericht am 29.8.1991 zurück. Gegen diesen Beschluß richtet sich ihre weitere Beschwerde. Der Beteiligte zu 2 tritt dem Rechtsmittel entgegen.
II.
Die zulässige weitere Beschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Das Landgericht hat ausgeführt, daß das Vorliegen eines wirksamen Testaments der Erblasserin nicht festgestellt werden könne. Keine der als Zeugen angebotenen Personen habe das fragliche Schriftstück genauer angesehen und dessen Inhalt gelesen. Es könne daher mit der erforderlichen Sicherheit nicht davon ausgegangen werden, daß überhaupt eine eigenhändig verfaßte und unterschriebene Erklärung der Erblasserin und damit eine formgültige letztwillige Verfügung vorgelegen habe.
Ebensowenig lasse sich der Inhalt des Schriftstücks bestimmen. Da andere Beweismittel nicht benannt worden und auch nicht ersichtlich seien, könne die gesetzliche Erbfolge nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden.
2. Die Beschwerdeentscheidung beruht auf einem Rechtsfehler (§ 27 FGG, § 550 ZPO).
a) Zutreffend geht das Landgericht davon aus, daß es die Wirksamkeit eines Testaments nicht berührt, wenn die Urkunde ohne Willen und Zutun des Erblassers vernichtet worden, verloren gegangen oder nicht auffindbar ist. In einem solchen Fall können Errichtung und Inhalt des Testaments mit allen zulässigen Beweismitteln festgestellt werden, wobei allerdings strenge Anforderungen zu stellen sind (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. BayObLG FamRZ 1990, 1162/1163 m.w.Nachw.).
b) Das Landgericht hat sich nicht davon überzeugen können, daß die Erblasserin ein formgültiges Testament zugunsten der Beteiligten zu 1 errichtet hat, und deshalb im Hinblick darauf, daß die Beteiligte zu 1 die Feststellungslast für diese Tatsache trägt (vgl. Palandt/Edenhofer BGB 51.Aufl. § 2255 Rn.12 m.w.Nachw.), die Voraussetzungen für eine Einziehung des dem Beteiligten zu 2 erteilten Erbscheins (§ 2361 Abs.1 BGB) verneint. Es hat sich ohne eigene Beweiserhebung auf das Ergebnis der formlosen Ermittlungen des Nachlaßrichters gestützt und festgestellt, daß keine der von der Beteiligten zu 1 benannten Personen das von der Erblasserin verfaßte Schriftstück “genauer angesehen und seinen Inhalt gelesen” habe.
c) Die Frage, ob ein formgültiges Testament errichtet worden ist und welchen Inhalt es hat, liegt auf tatsächlichem Gebiet. Im Verfahren der weiteren Beschwerde können die hierzu getroffenen Feststellungen des Gerichts der Tatsacheninstanz und dessen Beweiswürdigung nur auf Rechtsfehler überprüft werden (vgl. zu allem BayObLG aaO m.w.Nachw.). Ein solcher ist dem Landgericht insofern unterlaufen, als es die ihm obliegende Amtsermittlungspflicht (§ 12 FGG) verletzt hat. Das Beschwerdegericht hätte sich nicht mit dem Ergebnis der vom Nachlaßrichter durchgeführten formlosen Ermittlungen begnügen dürfen. Es hätte vielmehr zumindest den Zeugen Sch. förmlich vernehmen müssen, der nach dem Vorbringen der Beteiligten zu 1 bei der Testamentserrichtung “anwesend” gewesen sein soll, und der nach den Feststellungen des Nachlaßgerichts im Bescheid vom 17.7.1991 (vgl. dazu Bassenge/Herbst FGG/RPflG 5.Aufl. Einl FGG III 4 c) ein Testament “in einem Briefumschlag” gesehen hatte. Zwar liegt es grundsätzlich im Ermessen des Gerichts, ob es sich mit formlosen Ermittlungen begnügt oder ob es in der gemäß § 15 Abs.1 FGG vorgesehenen Form Beweis erheben will (vgl. BayObLGZ 1977, 59/65; Keidel/Amelung FGG 12.Aufl. § 15 Rn.3; Jansen FGG 2.Aufl. Rn.39, Bassenge/Herbst Anm. I 3 a, jeweils zu § 12 FGG). Das förmliche Beweisverfahren (Strengbeweis) verdient aber dann den Vorzug, wenn es auf die Erweisbarkeit bestimmter Einzeltatsachen ankommt wie Errichtung und Inhalt eines nicht mehr vorhandenen Testaments (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. BayObLG aaO sowie DNotZ 1984, 47/49 und FamRZ 1986, 1043/1045; vgl. auch OLG Stuttgart BWNotZ 1977, 69/70 und OLG Zweibrücken NJW-RR 1983, 1211; Keidel/Amelung und Jansen, jeweils aaO; Palandt/Edenhofer § 2255 Rn.12). Das gilt insbesondere dann, wenn das Recht eines Beteiligten, an der Wahrheitsfindung mitzuwirken, ansonsten nicht hinreichend gesichert ist (vgl. BayObLG Rpfleger 1988, 67; OLG Zweibrücken aaO; Keidel/Amelung, Jansen, Bassenge/Herbst, jeweils aaO). Von einem förmlichen Beweisverfahren kann in solchen Fällen nur dann abgesehen werden, wenn bereits formlose Ermittlungen zweifelsfrei ergeben haben, daß Errichtung und Inhalt des Testaments nicht festgestellt werden können. Davon kann hier aber nicht ausgegangen werden. Über die Anhörung des Zeugen Sch. hat der Nachlaßrichter lediglich vermerkt, daß dessen Angaben “auch altersbedingt sehr unpräzise” seien. Nach den Ausführungen im Bescheid vom 17.7.1991 hatte der Zeuge das Testament immerhin gesehen. Um festzustellen, ob die Urkunde eigenhändig geschrieben und unterzeichnet war, brauchte er aber das Schriftstück nicht vollständig zu lesen. Mangels näherer Ausführungen hierzu kann das Rechtsbeschwerdegericht auch nicht prüfen, inwiefern die Angaben des Zeugen “unpräzise” waren oder ob der nach Einschätzung des Nachlaßrichters “ca. 70-75 Jahre” alte Zeuge an altersbedingten Erinnerungslücken leidet. Hätte der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 1 an der Vernehmung teilnehmen können, worauf er im Fall förmlicher Beweiserhebung ein Recht gehabt hätte (vgl. Bassenge/Herbst § 15 FGG Anm. I 1 c aa), so hätte er möglicherweise im Weg eines Vorhalts nähere Aufklärung erzielen können. Es ist auch nicht; auszuschließen, daß sich der Zeuge durch die bei einer Zeugenanhörung nicht veranlaßte “Besprechung der Sach- und Rechtslage” beeinflußt gefühlt hatte.
d) Auf der Verletzung des § 12 FGG beruht die angefochtene Entscheidung (§ 550 ZPO), denn es ist nicht auszuschließen, daß sie bei Durchführung einer förmlichen und umfassenden Beweisaufnahme anders ausgefallen wäre (vgl. Keidel/Kuntze § 27 Rn.18).
3. Da sich die Entscheidung auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 27 Abs.1 Satz 2 FGG, § 563 ZPO), muß sie aufgehoben werden. Die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen, weil das Rechtsbeschwerdegericht die erforderlichen Vernehmungen nicht selbst durchführen darf (BayObLG FamRZ 1988, 96/97).

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

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