BayObLG BReg. 1a Z 36/89

September 20, 2020

BayObLG
BReg. 1a Z 36/89

1. Außerhalb der Vertretungsmacht des Nachlaßpflegers liegt die Einlegung einer Beschwerde gegen Beschlüsse, die im Erbscheinsverfahren desjenigen Erblassers ergehen, für dessen unbekannte Erben der Nachlaßpfleger bestellt wurde.

2. Nach Aufhebung der Nachlaßpflegschaft treten die Erben anstelle des Nachlaßpflegers ohne Aussetzung und ohne Unterbrechung in das Verfahren ein.

3. Der Erbscheinsantrag kann bis zum rechtskräftigen Abschluß des Erbscheinsverfahrens auch noch durch Erklärung gegenüber dem Rechtsbeschwerdegericht zurückgenommen werden.

Gründe:

I.

Die Erblasserin starb i. J. 1987 im Alter von 78 Jahren. Ihr Ehemann war vor ihr verstorben. Die Beteiligten [Bet.] zu 2 bis 5 sind die Kinder der Erblasserin. Ein weiterer Sohn ist nach ihr verstorben.

Die Erblasserin hatte i. J. 1977 durch notariellen Erbvertrag den nach ihr verstorbenen Sohn als ihren Alleinerben eingesetzt, jedoch zu notarieller Urkunde v. 24. 1. 1978 den Rücktritt erklärt und außerdem diesen Erbvertrag hilfsweise angefochten. Am 25. 6. 1987 errichtete sie ein eigenhändig geschriebenes und eigenhändig unterzeichnetes Testament. Darin hat sie bestimmt, daß der wesentliche Grundbesitz auf die Bet. zu 2 “übergehen” solle.

Gestützt auf das Testament hat die Bet. zu 2 einen Erbschein beantragt, der sie als Alleinerbin ausweisen werde. Der für die zunächst unbekannten Erben im Nachlaßverfahren des nach der Erblasserin verstorbenen Sohnes bestellte Nachlaßpfleger (Bet. zu 1) hat einen Erbschein aufgrund des Erbvertrags beantragt mit der Begründung, weder für einen Rücktritt noch für eine Anfechtung seien die Voraussetzungen erfüllt.

Durch Beschluß v. 29. 11. 1988 hat das Nachlaßgericht den Antrag des Nachlaßpflegers zurückgewiesen; zugleich hat es einen Erbschein angekündigt, der die Bet. zu 2 als Alleinerbin ausweisen werde, falls nicht binnen zwei Wochen Beschwerde eingelegt werde. Gegen den Beschluß des Nachlaßgerichts hat der Nachlaßpfleger für die Erben des nach der Erblasserin verstorbenen Sohnes Beschwerde eingelegt. Das Nachlaßgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme dem Rechtsmittel des Nachlaßpflegers nicht abgeholfen. Am 20. 3. 1989 hat das LG die Entscheidung des Nachlaßgerichts aufgehoben (Nr. I) sowie dieses angewiesen, einen Erbschein zu erteilen, demzufolge die Erblasserin von dem nach ihr verstorbenen Sohn allein beerbt werde (Nr. II).

Gegen den Beschluß des LG richtet sich die “sofortige weitere Beschwerde” der Bet. zu 2. Sie beantragt, den Beschluß des LG aufzuheben und die Entscheidung des Nachlaßgerichts wiederherzustellen.

Die Bet. des Rechtsbeschwerdeverfahrens haben mitgeteilt, daß die Nachlaßpflegschaft am 22. 2. 1989 aufgehoben worden ist und daß die Bet. zu 2 bis 5 die Erben des nach der Erblasserin verstorbenen Sohnes zu gleichen Anteilen seien. Außerdem sei zwischen den Bet. zu 2 bis 5 eine Vereinbarung über die Auseinandersetzung des Nachlasses der Erblasserin getroffen worden. Aufgrund dieser Vereinbarung erklärten sich die Bet. zu 3 bis 5 ausdrücklich einverstanden mit dem Beschluß des Nachlaßgerichts sowie mit einem Erbschein, der die Bet. zu 2 aufgrund des Testaments als Alleinerbin ausweise. Schließlich haben die Bet. zu 2 bis 5 die Zurücknahme des vom Nachlaßpfleger gestellten Erbscheinsantrags gegenüber dem LG erklärt.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Wiederherstellung der Entscheidung des Nachlaßgerichts.

1. Zutreffend ist das LG von der Zulässigkeit der Erstbeschwerde ausgegangen.

a) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerdeführerin war der Nachlaßpfleger auch befugt, für die seinerzeit unbekannten Erben des nach der Erblasserin verstorbenen Sohnes als deren gesetzlicher Vertreter (§§ 1960 I S. 2, II, 1915 I,1793 BGB ; vgl. BGH, FamRZ 1983, 582 = NJW 1983, 226; Soergel/Stein, BGB, 11. Aufl. § 1960 Rz. 23, jeweils m. w. N.) die Beschwerde einzulegen. Der Nachlaßpfleger hatte das Recht und die Pflicht, für die Sicherung des Nachlasses Sorge zu tragen und die Interessen der unbekannten Erben zu wahren. Zur Sicherung des Nachlasses gehörte hier auch die Einlegung der Beschwerde für die unbekannten Erben im Nachlaßverfahren der Erblasserin, weil der Nachlaßpfleger nicht für das vorliegende Nachlaßverfahren bestellt worden war, sondern für die unbekannten Erben des nach der Erblasserin verstorbenen Sohnes (vgl. MünchKomm/Leipold, BGB, 2. Aufl. § 1960 Rz. 57, m. w. N.). Außerhalb der Vertretungsmacht des Nachlaßpflegers liegt nur die Einlegung von Rechtsmitteln gegen solche Beschlüsse, die im Erbscheinsverfahren desjenigen Erblassers ergehen, für dessen unbekannte Erben der Nachlaßpfleger bestellt wurde (MünchKomm/Leipold, a.a.O., m. w. N.). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

b) Die Beschwerdeberechtigung der unbekannten Erben ergibt sich daraus, daß das Nachlaßgericht den Erbscheinsantrag zurückgewiesen hat (§ 20 II FGG ), den der Nachlaßpfleger als gesetzlicher Vertreter wirksam für sie gestellt hatte (vgl. Palandt/Edenhofer, BGB, 49. Aufl. § 1960 Anm. 4 c), sowie daraus, daß sie in ihrem behaupteten Erbrecht aufgrund des Erbvertrags als Erben des nach der Erblasserin verstorbenen Sohnes beeinträchtigt sein können (§ 20 I FGG ).

c) Durch die Aufhebung der Nachlaßpflegschaft (§§ 1919 , 1962 BGB , § 16 I FGG ) ist die Beschwerde nicht unzulässig geworden, weil die Erben des nach der Erblasserin verstorbenen Sohnes anstelle des Nachlaßpflegers ohne Aussetzung und ohne Unterbrechung in das Verfahren eingetreten sind (vgl. Palandt/Edenhofer, a.a.O., § 1960 Anm. 4 g bb).

2. Der Beschluß des LG muß in Nr. II schon deshalb aufgehoben werden, weil die Bet. zu 2 bis 5 als Erben des nachverstorbenen Sohnes der Erblasserin den vom Nachlaßpfleger gestellten Erbscheinsantrag zurückgenommen haben. Für den vom LG angeordneten Erbschein ist deshalb eine Verfahrensvoraussetzung, nämlich der gemäß § 2353 BGB vorgeschriebene Antrag, entfallen.

– 230 -FamRZ 1991, 230-231- 231 –

a) Die Zurücknahme des Erbscheinsantrags, eine neue Tatsache, durfte der Senat bei seiner Entscheidung berücksichtigen. Zwar wird die tatsächliche Entscheidungsgrundlage durch den Zeitpunkt des Erlasses der Beschwerdeentscheidung abgeschlossen (§§ 23 , 27 FGG ; Jansen, FGG, 2. Aufl. § 27 Rz. 38). Das LG hat aber solche neuen Tatsachen von Amts wegen zu berücksichtigen, die ergeben, ob die Verfahrensvoraussetzungen erfüllt sind (allgemeine Meinung; Jansen, a.a.O., § 27 Rz. 40; Keidel/Kuntze/Winkler, FG, Teil A, 12. Aufl. FGG § 27 Rz. 45; Bassenge/Herbst, FGG/RPflG, 5. Aufl. § 27 Anm. 5 b). Hierzu gehört das Vorliegen des erforderlichen Antrags im Antrags verfahren.

b) Der Erbscheinsantrag wurde wirksam zurückgenommen. Nach Aufhebung der Nachlaßpflegschaft (§§ 1919 , 1962 BGB , § 16 I FGG ) waren die anstelle des Nachlaßpflegers in das Verfahren eingetretenen Erben des nach der Erblasserin verstorbenen Sohnes berechtigt, den vom Nachlaßpfleger als ihrem gesetzlichen Vertreter (§§ 2353 , 1960 I S. 2, II, 1915 I, 1793 BGB ) gestellten Erbscheinsantrag zurückzunehmen. Diese Erklärung konnte vor dem Abschluß des Verfahrens auch gegenüber dem Rechtsbeschwerdegericht abgegeben werden (Keidel/Kuntze/Winkler/Amelung, a.a.O., FGG § 12 Rz. 15; Jansen, a.a.O., § 27 Rz. 42).

3. In Nr. I muß der Beschluß des LG aufgehoben werden, weil das Nachlaßgericht auch insoweit im Ergebnis richtig entschieden hat. Das Nachlaßgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Bet. zu 2 ein Erbschein als Alleinerbin aufgrund des formgültigen Testaments v. 25. 6. 1987 (§ 2247 I BGB ) zu erteilen sei.

a) Das LG hat zu Unrecht angenommen, daß der Rücktritt vom Erbvertrag mangels eines Rücktrittsgrundes unwirksam sei. Hierbei ist dem LG insoweit ein Rechtsfehler unterlaufen, als es bei seiner Beweiswürdigung wesentliche Umstände außer acht gelassen hat (vgl. BayObLGZ 1989, 327, 329 = FamRZ 1989, 1346).

aa) Zwar wurde ohne Verletzung des Verfahrensrechts festgestellt, daß der nach der Erblasserin verstorbene Sohn diese mit beiden Händen im Bereich des Halses gefaßt und ein paar Sekunden lang geschüttelt habe. Außerdem ist das LG zutreffend von den rechtlichen Voraussetzungen gemäß § 2333 Nr. 2 BGB ausgegangen. Auch die Darlegungs- und Feststellungslast der Bet. zu 2 wurde zutreffend beurteilt.

bb) Bei der Würdigung, es habe sich nur um eine unerhebliche Beeinträchtigung der Erblasserin gehandelt, hat das LG jedoch unterlassen, den Umstand einzubeziehen, daß die bereits betagte Erblasserin seinerzeit schwer krank und bettlägerig gewesen ist. Außerdem fehlt eine Würdigung der Tatsache, daß die Erblasserin den Vorfall in der notariellen Urkunde v. 24. 1. 1978, die dem nach ihr verstorbenen Sohn förmlich zugestellt worden war, geschildert und selbst als schwere Verfehlung empfunden hat.

b) Eine Zurückverweisung der Sache an das LG ist nicht geboten. Nachdem keine Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen erkennbar sind (vgl. Jansen, a.a.O., § 27 Rz. 50), weil die Bet. zu 3 bis 5 ihre Einwendungen hinsichtlich der Wirksamkeit des Rücktritts vom Erbvertrag vielmehr ausdrücklich nicht mehr aufrechterhalten, kommt der Senat unter Würdigung der gesamten Umstände zu dem Ergebnis, daß die Erblasserin durch die vorsätzliche körperliche Mißhandlung in ihrem körperlichen Wohlbefinden nicht nur unerheblich beeinträchtigt worden ist. Gemäß §§ 2294 , 2333 Nr. 2, 2296 II BGB hat die Erblasserin somit den Rücktritt vom Erbvertrag v. 25. 1. 1977 gegenüber dem nach ihr verstorbenen Sohn wirksam erklärt. Durch den wirksamen Rücktritt wurden die vertragsmäßigen Verfügungen der Erblasserin zugunsten ihres Sohnes aufgehoben (vgl. Palandt/Edenhofer, a.a.O., § 2296 Anm. 2). Die Erbfolge beurteilt sich daher nach dem eigenhändigen Testament der Erblasserin v. 25. 6. 1987.

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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