BGH, Urteil vom 08. Februar 1989 – IVa ZR 98/87 –, BGHZ 106, 359-370

Juli 7, 2020

BGH, Urteil vom 08. Februar 1989 – IVa ZR 98/87 –, BGHZ 106, 359-370

vorgehend Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, 24. Februar 1987, 7 U 30/85
vorgehend LG Saarbrücken, 11. Januar 1985, 3 O 143/84

Tatbestand
Der am 13. August 1983 verstorbene Ehemann der Klägerin und Vater der Beklagten (Erblasser) hinterließ ein Hausgrundstück in O.. Aufgrund Erbvertrages des Erblassers mit der Beklagten vom 17. September 1980 wurde er von dieser allein beerbt. Nach dem Erbfall ließ sie sich als Eigentümerin im Grundbuch eintragen. Die Klägerin beansprucht das Grundstück für sich und stützt sich dabei auf ihren notariellen Vertrag mit dem Erblasser vom 18. April 1951, in dem dieser ihr das Grundstück “unentgeltlich zu Alleineigentum vermacht” hatte. Die Beklagte hält dem entgegen, bei dem Vermächtnis handele es sich nicht um eine vertragsmäßige, sondern um eine einseitige Verfügung des Erblassers, die dieser in dem Erbvertrag vom 17. September 1980 wirksam widerrufen habe. Dort hatte der Erblasser erklärt, er habe in dem Erbvertrag von 1951 “erst keine Bindung eingehen und Herr seines Vermögens bleiben wollen, und zwar so, daß er immer noch frei unter Lebenden habe verfügen können”. Überdies beruft sich die Beklagte auf ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 2083 BGB. Der Klägerin hätte nämlich der Pflichtteil entzogen werden können, weil sie den Erblasser grausam mißhandelt und ihn auch daran gehindert habe, sich mit einem Notar zu beraten.
Inzwischen hat die Beklagte in öffentlich beglaubigter Erklärung vom 21. Dezember 1984 “die Versäumung der Ausschlagungsfrist” gegenüber dem Nachlaßgericht angefochten und die Erbschaft ausgeschlagen. Landgericht und Oberlandesgericht halten die Klage, mit der die Klägerin die Übereignung des Grundstücks auf sich begehrt, für begründet. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten führt zur Abweisung der Klage; diese ist unbegründet.
I. Unbegründet ist die Klage entgegen der Auffassung der Revision allerdings nicht schon deshalb, weil der Erblasser die Zuwendung des Grundstücks an die Klägerin in dem Vertrag von 1951 durch seine spätere Verfügung von Todes wegen vom 17. September 1980 aufgehoben hätte oder weil die Zuwendung sonst unwirksam wäre.
1. Mit Recht sieht das Berufungsgericht den Vertrag des Erblassers mit der Klägerin vom 18. April 1951 als Erbvertrag und die darin ausgesprochene Zuwendung des Grundstücks an die Klägerin als vertragsmäßiges Vermächtnis und nicht als Erbeinsetzung an. Dabei ist das Berufungsgericht, wie die Revision zutreffend ausführt, zwar nicht näher darauf eingegangen, daß der Erblasser in dem späteren Erbvertrag von 1980 angegeben hat, er habe in dem Erbvertrag von 1951 “(zu-)erst keine Bindung eingehen und Herr seines Vermögens bleiben wollen”. Das ist aber unschädlich. Denn diese nachträgliche und einseitige Erklärung des Erblassers bietet für die Auslegung in dem von der Beklagten gewünschten Sinne keinerlei Hilfe. Maßgebend für die Auslegung eines Vertrages – auch eines Erbvertrages – ist das, was die Vertragsteile erklärt haben und wie das Erklärte aus der Sicht des anderen Teiles zu verstehen war (§ 157 BGB). Was der Erblasser – einseitig – gewollt (und nicht auch geäußert) hat, fällt dagegen, solange es dem anderen Teil verborgen bleibt, bei der Auslegung hier nicht ins Gewicht.
Daß es sich bei dem Grundstücksvermächtnis um eine vertragsmäßige Verfügung (§ 2278 BGB) und nicht nur um eine einseitige Verfügung von Todes wegen (§ 2299 Abs. 1 BGB) handelt, hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen. Soweit in einem notariellen Vertrag einer Person etwas durch Verfügung von Todes wegen zugewendet wird, die an dem Vertrag selbst beteiligt ist, ist die Annahme einer vertragsmäßigen Zuwendung besonders nahegelegt (BGHZ 26, 204, 208; vgl. auch BGHZ 36, 115, 120). Daß der Vertrag zugleich einen gegenseitigen Erbverzicht enthält, steht dem nicht entgegen. Vielmehr spricht die Verbindung von Erbverzicht und Zuwendung an die Klägerin in einem und demselben notariellen Vertrag umgekehrt für einen Zusammenhang zwischen dem Vermächtnis zugunsten der Klägerin und ihrem Verzicht auf jedes weitere Erbrecht nach dem zwanzig Jahre älteren Erblasser und damit ebenfalls für ein vertragsmäßiges Vermächtnis.
2. Das hat zur Folge, daß der Erblasser das Vermächtnis zugunsten der Klägerin nicht einseitig, nämlich ohne deren förmliche Zustimmung (§§ 2290ff. BGB), aufheben konnte. Die entsprechende einseitige Verfügung von Todes wegen des Erblassers in dem Erbvertrag von 1980 ist vielmehr gemäß § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB ihrerseits unwirksam.
3. Entgegen der Auffassung der Revision ist der Erblasser von dem Vermächtnis auch nicht wirksam zurückgetreten (§§ 2294, 2335 Nr. 2 BGB). Soweit die Revision den Erbvertrag vom 17. September 1980 zugleich als eine Rücktrittserklärung ansehen will, kann sie damit schon deshalb keinen Erfolg haben, weil diese Erklärung entgegen § 2296 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht der Klägerin gegenüber erfolgt und ihr auch, wie diese mit Recht betont, bei Lebzeiten des Erblassers weder zugegangen noch auch nur im Sinne von § 130 Abs. 2 BGB abgegeben worden ist (RGZ 65, 270, 274; vgl. BGHZ 48, 374, 379f.).
4. Mit Recht hat das Berufungsgericht die Klage auch nicht an § 2083 BGB scheitern lassen. Nach dieser Vorschrift kann der Erbe die Erfüllung eines anfechtbaren Vermächtnisses auch dann verweigern, wenn er die Anfechtungsfrist des § 2082 BGB versäumt hat. Darauf kann die Beklagte sich schon deshalb nicht stützen, weil die – nicht erklärte – Anfechtung hier nicht “nach § 2082 BGB ausgeschlossen” ist. Ein solcher Fall liegt nicht vor, weil nicht die Beklagte die Anfechtungsfrist hat verstreichen lassen, sondern weil bereits der Erblasser innerhalb der Frist des § 2283 BGB nicht angefochten hat (§ 2281 BGB) und der Beklagten schon deshalb gemäß § 2285 BGB kein Anfechtungsrecht zustehen konnte.
Die Voraussetzungen der Vermächtnisunwürdigkeit gemäß §§ 2345 Abs. 1, 2339 Abs. 1 BGB und eines daraus folgenden Leistungsverweigerungsrechts entsprechend § 2083 BGB hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei verneint.
II. Jedoch richtet sich der Vermächtnisanspruch der Klägerin nicht (mehr) gegen die Beklagte, nachdem diese die Erbschaft ausgeschlagen hat. Das hat das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt.
1. Das Berufungsgericht meint, die Beklagte habe die Erbschaft am 21. Dezember 1984 rechtzeitig ausgeschlagen, weil sie die in § 1944 BGB (§ 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB) vorausgesetzte Kenntnis erst seit einem Hinweis des Landgerichts in der mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 1984 gehabt habe. Bei dieser Überlegung ist nicht berücksichtigt, daß die Beklagte die Erbschaft spätestens durch ihr Prozeßverhalten angenommen hat (Bl. 60, 63, 91 d.A.). Eine schlichte Ausschlagung der Erbschaft war daher nicht ausreichend (§ 1943 Fall 1 BGB). Die von der Beklagten ausdrücklich erklärte Anfechtung der “Versäumung der Ausschlagungsfrist” (§ 1956 BGB) genügte ebensowenig. Vielmehr bedurfte es einer Anfechtung der Annahme (§§ 1954, 1955 BGB). Wie den Umständen, insbesondere dem erstinstanzlichen Schriftsatz der Beklagten vom 26. November 1984 (Bl. 91 d.A.) einwandfrei zu entnehmen ist, war die Anfechtung der (etwaigen) Annahme der Erbschaft in der Erklärung der Beklagten vom 21. Dezember 1984 jedoch mit gemeint. Die Anfechtung war gemäß § 119 Abs. 2 BGB begründet. Wie dem Zusammenhang der Urteilsgründe (noch) zu entnehmen ist, will das Berufungsgericht der Beklagten darin folgen, daß sie sich – bis zu dem angeführten Hinweis des Landgerichts – auf den Erbvertrag von 1980 und darauf verlassen (und geglaubt) habe, daß das Vermächtnis zugunsten der Klägerin keinen Bestand habe. Das ist rechtlich einwandfrei und begründet einen Eigenschaftsirrtum im Sinne von § 119 Abs. 2 BGB in Bezug auf die Erbschaft. Eine verkehrswesentliche Eigenschaft des Nachlasses im Sinne von § 119 Abs. 2 BGB (vgl. RGZ 158, 50; BGH Urteil vom 21.2.1952 – IV ZR 103/51 – LM BGB § 779 Nr. 2) wird weithin bejaht, wenn es sich um die Überschuldung des Nachlasses handelt. Eine solche kann aber auch dann anzunehmen sein, wenn es um die Belastung des Nachlasses mit wesentlichen Verbindlichkeiten geht, deren rechtlicher Bestand ungeklärt ist. Das gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – der Irrtum ein Vermächtnis betrifft, das den Nachlaß derart belastet, daß der Pflichtteil des (vorläufigen) Erben gefährdet wäre. Dafür spricht auch § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB, der dem zum Erben berufenen nächsten Angehörigen die Möglichkeit eröffnen will, seinen Pflichtteil durch Ausschlagung zu sichern, wenn er von den ihm lästigen Beschränkungen und Beschwerungen Kenntnis erlangt. Eine Annahme der Erbschaft, die der Erlangung der Kenntnis vorangegangen ist und insofern auf unzutreffenden rechtlichen Vorstellungen beruht, kann dem im allgemeinen nicht entgegenstehen.
Die Beklagte hat die Anfechtung innerhalb der Frist des § 1954 Abs. 1 BGB erklärt. Wenn das Berufungsgericht davon ausgeht, daß diese an das Nachlaßgericht gerichtete öffentlich beglaubigte Erklärung dort rechtzeitig eingegangen ist, dann ist das rechtlich nicht zu beanstanden. Diese Anfechtung gilt gemäß § 1957 Abs. 1 BGB als rechtzeitige Ausschlagung, so daß die Erbschaft gemäß § 1953 Abs. 1 BGB als der Beklagten nicht angefallen anzusehen ist. Die Klägerin kann von der Beklagten daher nicht (mehr) die Erfüllung des Vermächtnisses verlangen. Schuldner des Vermächtnisses sind vielmehr diejenigen Personen, die infolge der während des Rechtsstreits erklärten Anfechtung rückwirkend Erben geworden sind (§ 2147 Satz 2 BGB); nach dem Vortrag der Beklagten im Revisionsverfahren handelt es sich dabei um deren beide Kinder.
2. Was die Revisionserwiderung gegen die Wirksamkeit der Anfechtung vorbringt, kann ihr nicht zum Erfolg verhelfen.
Daß die Beklagte sich auf ihre “Unkenntnis” von dem rechtlichen Bestand des Vermächtnisses nicht berufen habe, trifft ausweislich des in Bezug genommenen Schriftsatzes vom 26. November 1984 (Bl. 91 d.A.) nicht zu. Die Beklagte zu diesem Punkt gemäß § 448 ZPO von Amts wegen zu vernehmen, war entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht geboten.
III. Obwohl die Klägerin auch nach der Auffassung des Berufungsgerichts keinen materiell-rechtlichen Anspruch gegen die Beklagte (mehr) hat, der ihren Klageantrag stützen könnte, gibt es der Klage statt. Dabei stützt es sich auf § 265 ZPO, der hier zumindest sinngemäß anzuwenden sei. Die Vorschrift greife bei jeder Rechtsnachfolge ein, soweit nicht ein Fall von §§ 239ff. ZPO vorliege. Ihr Sinn treffe auch hier zu, wo die Beklagte durch ihre Ausschlagung den Übergang der Erbschaft einschließlich des Grundstücks auf Dritte bewirkt habe.
Diese Ausführungen halten dem Angriff der Revision nicht stand.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts findet bei der Ausschlagung einer Erbschaft keine Rechtsnachfolge im Sinne von § 265 ZPO (vom vorläufigen auf den endgültigen Erben) statt. § 1953 Abs. 1 BGB nötigt vielmehr dazu, den “vorläufigen Erben”, der wirksam ausgeschlagen hat, materiell-rechtlich von Anfang an als Nichterben anzusehen. Stattdessen fällt die Erbschaft gemäß § 1953 Abs. 2 BGB dem Nächstberufenen an. Dieser gilt vom Erbfall an (rückwirkend) als Erbe; er ist der unmittelbare Rechtsnachfolger des Erblassers. Geschäfte, die der scheinbare Erbe in der Zwischenzeit in Bezug auf die Erbschaft geführt hat, berühren die Rechtsstellung des endgültigen Erben, soweit nicht Gutglaubensvorschriften eingreifen, daher nur nach Maßgabe des § 1959 BGB. Dementsprechend können auch rechtskräftige Urteile, die in Rechtsstreitigkeiten des “Scheinerben”, seien es nun Aktiv- oder Passivprozesse, ergangen sind, den endgültigen Erben grundsätzlich nicht binden (vgl. z.B. MK-Leipold, BGB § 1959 Rdn. 12, § 1958 Rdn. 9).
Ebensowenig wäre es gerechtfertigt, den Anwendungsbereich des § 265 ZPO so weit auszudehnen, daß er sogar den Fall noch mit umfaßt, in dem kraft Gesetzes an die Stelle des zunächst in Anspruch genommenen ein anderer Schuldner tritt. Für die befreiende Schuldübernahme und auch für einen Fall, in dem die Verpflichtung zur Zahlung einer Leibrente nach dem zugrundeliegenden Vertrag zunächst den Vertragspartner A und später bei Eintritt eines bestimmten Ereignisses den Vertragspartner B treffen sollte, hat der Bundesgerichtshof eine entsprechende Ausdehnung des § 265 ZPO bereits abgelehnt (BGHZ 61, 136, 142ff.; Urteil vom 31. Oktober 1974 – III ZR 82/72 – LM ZPO § 265 Nr. 14). Für den vorliegenden Fall kann nichts anderes gelten. Zu den Gründen, die zu diesen Entscheidungen geführt haben und die im wesentlichen auch auf den vorliegenden Fall zutreffen, kommt noch hinzu, daß die Anwendung des § 265 ZPO hier zu einer Gefährdung oder Vereitelung des Pflichtteilsrechts der Beklagten führen könnte.
In einem Fall des § 2306 Abs. 1 Satz 2 BGB, wie hier, muß der Erbe die ihn beschwerenden Vermächtnisse voll tragen, und zwar grundsätzlich auch auf Kosten seines eigenen Pflichtteils (vgl. BGHZ 95, 222, 227). Will der zum Erben Berufene dem entgehen, dann muß er die Erbschaft ausschlagen. Dadurch sichert ihm das Gesetz die Möglichkeit, stets in den Genuß seines vollen Pflichtteils zu kommen. Wegen dieses Pflichtteils muß er sich dann an denjenigen halten, der infolge der Ausschlagung Erbe ist. Dieser sieht sich zwar ebenfalls dem Vermächtnis ausgesetzt, dem der Pflichtteilsberechtigte mit Hilfe der Ausschlagung entgangen ist, kann dieses aber gegebenenfalls gemäß § 2322 BGB soweit kürzen, daß ihm der zur Deckung des (vorrangigen) Pflichtteils erforderliche Betrag verbleibt (BGHZ 19, 309, 311). Diese Fragen ließen sich jedoch auf dem vom Berufungsgericht gewählten Wege über § 265 ZPO nicht klären. Vielmehr müßte damit gerechnet werden, daß die Klägerin mit Hilfe des angefochtenen Urteils Eigentümerin des Grundstücks würde. Dadurch würde ein etwaiges Vermächtniskürzungsrecht der neuen Erben und dadurch zugleich auch die Durchsetzung des Pflichtteils der Beklagten ohne Grund unnötigerweise mindestens erschwert.
IV. Hiernach ist die Klage infolge der Ausschlagung der Erbschaft durch die Beklagte noch vor Einlegung der Berufung unbegründet geworden, d.h. sie hat sich materiell erledigt (vgl. BGH Urteil vom 6.12.1984 – VII ZR 64/84 – NJW 1986, 588 = LM Nr. 49 zu § 91a ZPO). In einer solchen Lage wird der Kläger den Rechtsstreit zweckmäßig in der Hauptsache für erledigt erklären. Schließt der Beklagte sich dem uneingeschränkt an, dann ist mit den übereinstimmenden Erledigungserklärungen und durch sie die Rechtshängigkeit der Hauptsache beendet (vgl. BGH Urteil vom 23.11.1966 – VIII ZR 160/64 – NJW 1967, 564 = LM 24 zu § 91a) und gemäß § 91a ZPO nur noch über die Kosten des Rechtsstreits zu entscheiden.
Stimmt der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers dagegen nicht zu, liegt also nur eine einseitige Erledigungserklärung des Klägers vor, dann ist das Gericht der Entscheidung über den für erledigt erklärten Klageantrag jedenfalls insofern enthoben, als es diesem auf die einseitige Erledigungserklärung des Klägers nicht mehr stattgeben kann (vgl. BGH Urteil vom 6.5.1965 – II ZR 19/63 – NJW 1965, 1597 = LM 22 zu § 91a ZPO; RGZ 156, 372, 376). Das ist der Grund, der es rechtfertigt, den Streitwert regelmäßig auf den Betrag der bis zur Erledigungserklärung entstandenen Kosten zu begrenzen (vgl. BGH aaO LM Nr. 49 zu § 91a ZPO). Vielmehr ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nur noch zu prüfen, ob die Klage bis zu dem behaupteten erledigenden Ereignis zulässig und begründet war und ob sie durch das erledigende Ereignis unzulässig oder unbegründet geworden ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, dann spricht das Gericht die Erledigung durch Urteil aus. Ist das nicht der Fall, weil die Klage ohnehin schon unzulässig oder unbegründet war, dann weist das Gericht die Klage ab. Mit dieser Rechtsprechung ist den Interessen beider Parteien gedient: Einerseits soll sich der Kläger den Folgen einer von vornherein unzulässigen oder unbegründeten Klage, wenn er deren Aussichtslosigkeit erkennt, durch seine einseitige Erledigungserklärung nicht nachträglich entziehen können. Andererseits sollen dem Beklagten keine prozessualen Vorteile daraus erwachsen, daß die bis dahin zulässige und begründete Klage im Laufe des Rechtsstreits aussichtslos geworden ist (vgl. BGH LM Nr. 49 zu § 91a ZPO).
Nun ist die Klägerin diesen Weg hier aber nicht gegangen. Sie hat vielmehr ihre auf Leistung gerichtete Klage weiterverfolgt und auch noch im Revisionsverfahren als Revisionsbeklagte in erster Linie die Bestätigung des zu ihren Gunsten ergangenen Berufungsurteils begehrt. Dieser trotz materieller Erledigung aufrechterhaltene Hauptantrag kann keinen Erfolg haben; die Zahlungsklage muß deshalb auf die Revision abgewiesen werden (BGH, Urteil vom 24.11.1974 – VIII ZR 9/73 – NJW 1975, 163, 164).
Dem kann die Klägerin durch ihre nur hilfsweise abgegebene Erledigungserklärung nicht entgehen. Würde man der hilfsweise abgegebenen Erledigungserklärung Bedeutung auch im Rahmen der Entscheidung über das zu Unrecht aufrechterhaltene Leistungsbegehren beimessen, wie es der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes in einem Sonderfall mit seinem Urteil vom 7. November 1974 (III ZR 115/72 – WM 1975, 167, teilweise abgedruckt NJW 1975, 539 = LM Nr. 33 zu § 91a ZPO) möglicherweise einmal für richtig gehalten hat, und die Klageabweisung zusätzlich davon abhängig machen, daß die Klage auch bis zu dem erledigenden Ereignis schon (unzulässig oder) unbegründet war, dann würde damit die Beklagte unangemessen benachteiligt. Dabei würde nicht berücksichtigt, daß jeder Beklagte – wie § 269 Abs. 1 ZPO zeigt – grundsätzlich ein Recht auf ein Urteil über jeden gegen ihn erhobenen prozessualen Anspruch hat (BGH Urteil vom 14.5.1979 – II ZR 15/79 unter 1. b) – LM Nr. 39 zu § 91a ZPO = WM 1979, 1128). Ließe man zu, daß ein Kläger einen geltend gemachten prozessualen Anspruch gerade für den Fall seiner Unbegründetheit mit Hilfe eines Eventualantrages der Entscheidung des Gerichts entzieht, dann wäre dadurch die prozessuale Stellung der Gegenpartei unangemessen beeinträchtigt. Da die Klageforderung im vorliegenden Fall infolge der Ausschlagung tatsächlich materiell erledigt ist, wäre im Hinblick auf § 91 ZPO außerdem das Kostenrisiko des Rechtsstreits in unangemessener Weise von der Klägerin auf die Beklagte verlagert.
V. Erstmalig im Revisionsverfahren hat die Klägerin hilfsweise den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Diese Erklärung, mit der die Klägerin den Ausspruch begehrt, der Rechtsstreit sei in der Hauptsache erledigt, verhilft dieser aber nicht zu einem für sie günstigeren Ausgang des Rechtsstreits.
Eine Erledigungserklärung ist grundsätzlich auch dann zu berücksichtigen, wenn der Kläger sie erst im Revisionsverfahren abgibt, und zwar gleichgültig, ob der Beklagte der Erledigung zustimmt (vgl. z.B. BGH Urteil vom 12.12.1975 – I ZR 48/74 – LM ZPO § 91a Nr. 34) oder weiterhin Klageabweisung beantragt. Das gilt jedenfalls dann, wenn das erledigende Ereignis (wie hier die Ausschlagung der Erbschaft) außer Streit ist (z.B. BGH Urteil vom 3.2.1976 – VI ZR 23/72 = WM 1976, 481 und vom 11.3.1982 – III ZR 171/80 – WM 1982, 619, 620 m.w.N.). Der Senat hat auch keine Bedenken dagegen, die Erledigungserklärung der Klägerin zuzulassen, obwohl die materielle Erledigung schon vor Einlegung der Berufung eingetreten ist und die Erklärung darüber schon im Berufungsverfahren hätte abgegeben werden können.
Die Erledigungserklärung der Klägerin ist jedoch unbegründet; denn der Rechtsstreit kann nicht durch Urteil wegen einer lange zurückliegenden Erbschaftsausschlagung für schon erledigt erklärt werden, wenn die trotzdem aufrechterhaltene Klage gerade erst abgewiesen werden muß. Ein derartiges Urteil wäre widersprüchlich und würde der entstandenen prozessualen Lage nicht gerecht.
Demgemäß hat der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes ausgesprochen, daß für eine Erledigungserklärung kein Raum ist, wenn der Kläger seine Räumungsklage in erster Linie aufrecht hält, obwohl der Räumungsanspruch bereits erfüllt ist (Urteil vom 23.11.1966 – VIII ZR 160/64 – NJW 1967, 564, 565). In die gleiche Richtung weist es, wenn das Bundesarbeitsgericht es für unzulässig erklärt hat, wenn der Beklagte einer Erledigungserklärung des Klägers nur hilfsweise für den Fall der Unbegründetheit seines Klageabweisungsantrages zustimmt (BAG AP 11 zu § 91a ZPO). Ebensowenig könnte es einem Beklagten helfen, wenn er nach dem Klageabweisungsantrag den Klageanspruch hilfsweise anerkennen, oder dem Kläger, wenn er nach seinem Klageantrag hilfsweise einen Klageverzicht erklären wollte.
Hiernach ist die Klage mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO abzuweisen. Diese Entscheidung deckt sich nicht mit der Begründung, die der III. Zivilsenat seinem Urteil vom 7. November 1974 (aaO) gegeben hat. Dennoch bedarf es keiner Anrufung des Großen Senats für Zivilsachen. Der III. Zivilsenat hat das Berufungsurteil in der Entscheidung des ihm vorliegenden Sonderfalls nicht etwa deshalb aufgehoben, weil das Berufungsgericht die Klage abgewiesen hatte. Der III. Zivilsenat hat vielmehr ausdrücklich hervorgehoben, daß die vom Landgericht ausgesprochene Verurteilung – nach der Erfüllung der Klageforderung – nicht bestehen bleiben konnte. Die Aufhebung beruht dementsprechend nur darauf, daß das Berufungsgericht in jener Sache nicht auf die hilfsweise abgegebene Erledigungserklärung eingegangen war. Seinerzeit war anzunehmen, daß der Kläger seinen Zahlungsantrag fallen lassen und nur noch einseitig die Erledigung der Hauptsache erklären werde. Dementsprechend beziehen sich die Hinweise des III. Zivilsenats für die weitere Verhandlung nur noch darauf, wie das Berufungsgericht in einer solchen Lage zu verfahren hatte. Wie zu entscheiden ist, wenn der Kläger seinen Klageantrag trotz inzwischen eingetretener Erfüllung aufrecht hält und die Hauptsache nur hilfsweise für erledigt erklärt, sagt das Urteil dagegen nicht. Anhaltspunkte dafür, daß der III. Zivilsenat in einer derartigen Lage – anders als der erkennende Senat – a) nicht die Klageabweisung, sondern die Erledigung der Hauptsache oder aber b) Klageabweisung und Erledigung nebeneinander ausgesprochen haben würde, lassen sich der Entscheidung nicht entnehmen.

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