Bundesfinanzhof II R 84/96

November 20, 2020

Bundesfinanzhof
II R 84/96

I. Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) künftige Aufwendungen zur Instandhaltung eines Gewässers bei der Ermittlung des Einheitswerts ihres Betriebsvermögens mit einem kapitalisierten Wert als “Last” abziehen kann.

Der Grundbesitz der Klägerin wird von einem im Eigentum der Stadt A stehenden Gewässer durchflossen. Durch Bescheid der Stadt A vom 3. Januar 1986 wurde der Klägerin die wasserrechtliche Bewilligung zum Aufstauen dieses Gewässers zur Gewinnung elektrischer Energie erteilt.

Die Klägerin ist verpflichtet, die Ufer des Gewässers selbst instandzuhalten und die der Stadt A darüber hinaus für den Unterhalt des Gewässers entstandenen Aufwendungen anteilig zu tragen.

In ihren Vermögensaufstellungen für die Bewertungsstichtage 1. Januar 1987 bis 1. Januar 1989 gab die Klägerin bei den Schuldposten “übrige Verbindlichkeiten” von ihr als “dauernde Last” bezeichnete Beträge an. Diese Beträge hatte die Klägerin dadurch ermittelt, daß sie die ihr durchschnittlich entstandenen jährlichen Instandhaltungskosten mit ihrem 18-fachen Wert angesetzt hat. Diese Sachbehandlung wurde vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt –FA–) in den unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Einheitswertbescheiden zunächst übernommen. Nach Durchführung einer Betriebsprüfung änderte das FA seine Rechtsauffassung. Es erkannte nunmehr diese Positionen jeweils nicht mehr als abzugsfähig an und erließ entsprechend geänderte Einheitswertbescheide.

Hiergegen richtete sich die Klage, mit der geltend gemacht wurde, daß die strittigen Beträge bei der Vermögensaufstellung abzugsfähig seien. Zur Begründung berief sich die Klägerin auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 14. Februar 1969 III 88/65 (BFHE 95, 334, BStBl II 1969, 395).

Das Finanzgericht (FG) hat unter Änderung der angefochtenen Verwaltungsakte den Einheitswert des Betriebsvermögens zu den streitigen Stichtagen (im wesentlichen) entsprechend den Klageanträgen festgestellt. Zwar habe zu den streitigen Stichtagen eine Verbindlichkeit zur Uferinstandhaltung rechtlich noch nicht bestanden; eine entsprechende Verbindlichkeit sei auch wirtschaftlich noch nicht verursacht gewesen. Die Verpflichtungen der Klägerin im Zusammenhang mit der Uferinstandhaltung stellten jedoch unabhängig davon eine Last dar und könnten insoweit als Betriebsschuld nach § 103 des Bewertungsgesetzes (BewG) abgezogen werden. Im Einzelfall könne auch ohne rechtliche Verpflichtung eine Schuld abzugsfähig sein, wenn mit ihrer Erfüllung, z.B. aufgrund vieljähriger Übung, zu rechnen sei. Bestünde eine gesetzliche oder vertragliche Verpflichtung, die Flußufer ständig instandzuhalten, so sei diese Verpflichtung mit ihrem Kapitalwert nach dem Bewertungsgesetz grundsätzlich abzugsfähig (BFH-Urteil in BFHE 95, 330, BStBl II 1969, 394).

Hiergegen richtet sich die Revision des FA, mit der Verletzung des § 103 BewG gerügt wird. Zur Stützung seiner Rechtsauffassung beruft es sich auf das BFH-Urteil vom 12. Dezember 1991 IV R 28/91 (BFHE 167, 334, BStBl II 1992, 600).

Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Die angefochtenen Bescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung sind rechtmäßig.

1. Das FG hat § 103 Abs. 1 BewG unzutreffend angewendet. Eine nach dieser Vorschrift abzugsfähige Schuld der Klägerin hat zu den streitigen Stichtagen entgegen der Auffassung des FG nicht bestanden.

Nach § 103 Abs. 1 BewG werden bei der Einheitsbewertung des Betriebsvermögens Schulden nur insoweit abgezogen, als sie mit der Gesamtheit oder einzelnen Teilen des gewerblichen Betriebs in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Voraussetzung für den Schuldabzug ist, daß am Bewertungsstichtag (§ 106 Abs. 2 BewG) nicht nur eine rechtliche Verpflichtung zur Erfüllung der Schuld besteht, sondern auch ernstlich damit gerechnet werden muß, daß der Gläubiger die Erfüllung verlangt. Aber auch bei Vorliegen dieser Voraussetzungen ist eine Schuld nur dann als Betriebsschuld abziehbar, wenn sie am Bewertungsstichtag unbedingt entstanden ist. Aufschiebend bedingte Schulden werden gemäß § 6 Abs. 1 BewG nicht berücksichtigt (vgl. Senatsurteil vom 3. Juni 1992 II R 141/88, BFHE 168, 375, BStBl II 1992, 792, 793, m.w.N.).

Aus der (öffentlich-rechtlichen) Verpflichtung der Klägerin zur Unterhaltung des Gewässers bzw. zur Übernahme anteiliger Kosten der Unterhaltung des Gewässers hat sich zu den streitigen Stichtagen eine nach diesen Grundsätzen abzugsfähige Schuld nicht ergeben.

a) Die Unterhaltung des Gewässers obliegt grundsätzlich der Gemeinde (Art. 43 Abs. 1 Nr. 3 des Bayerischen Wassergesetzes –BayWG–). Diese kann die vollen Unterhaltungskosten von den Beteiligten –zu denen auch die Eigentümer von Anlagen gehören (Art. 50 BayWG)– als Beitrag verlangen (Art. 47 Abs. 2 Nr. 3 BayWG). Die Klägerin kann danach unmittelbar nach dem BayWG anteilig zu den Kosten der Unterhaltung des Gewässers herangezogen werden. Ein entsprechender Beitragsanspruch entsteht aber jeweils erst dann, wenn ein umlagefähiger Aufwand entstanden ist, d.h. zumindest mit der Ausführung einer der Unterhaltung des Gewässers dienenden Maßnahme begonnen worden ist. Dies gilt auch für den Fall, daß sich –was nicht abschließend geklärt ist– die Verpflichtung der Klägerin nicht aus dem BayWG, sondern unmittelbar aus den der Klägerin erteilten wasserrechtlichen Erlaubnissen ableitet. Auch in diesem Fall setzt das Entstehen einer Verpflichtung der Klägerin zur anteiligen Tragung eines bestimmten Unterhaltungsaufwands voraus, daß eine entsprechende Maßnahme durchgeführt bzw. zumindest begonnen worden ist (vgl. Giseke/Wiedemann/Czychowski, Wasserhaushaltsgesetz, Kommentar, 6. Aufl., § 4 Rdnr. 98, nach denen Auflagen nach § 4 Abs. 2 Nr. 3, mit denen einem Unternehmer angemessene Beiträge zu den Kosten von Maßnahmen auferlegt werden, in jedem Fall so zu fassen sind, daß die Beitragspflicht nur entsteht, wenn die Maßnahmen tatsächlich getroffen werden).

Entsprechendes gilt auch für die der Klägerin selbst obliegenden Unterhaltungsmaßnahmen (vgl. Art. 43 Abs. 3 BayWG, § 29 des Wasserhaushaltsgesetzes –WHG–). Die Pflicht zur Unterhaltung des Gewässers ist eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung. Sie ist eine zu den öffentlichen Lasten gehörende Sach- und Dienstleistungspflicht (Giseke/Wiedemann/Czychowski, a.a.O., § 28 Rdnr. 55), die gegebenenfalls durch Ersatzvornahme erzwungen werden kann (Art. 45 BayWG). Nach den revisionsgerichtlich nicht zu beanstandenden tatsächlichen Feststellungen des FG hängt eine Rechtspflicht zum Tätigwerden der Klägerin davon ab, daß entsprechende Maßnahmen nach den tatsächlichen Gegebenheiten erforderlich geworden sind (vgl. BFH-Urteil in BFHE 167, 334, BStBl II 1992, 600, 601). Auch in diesem Zusammenhang ist es wiederum ohne Belang, ob die Verpflichtung der Klägerin sich aus dem Gesetz oder aus den ihr gegenüber ergangenen wasserrechtlichen Bescheiden (Erlaubnissen) ergibt.

Das Entstehen einer konkreten rechtlichen Verpflichtung der Klägerin zur Tragung anteiliger Unterhaltungskosten der Gemeinde bzw. zur Durchführung eigener Unterhaltungsmaßnahmen hing daher davon ab, daß entsprechende Maßnahmen von der Gemeinde getroffen wurden oder die tatsächlichen Gegebenheiten eigene Unterhaltungsmaßnahmen der Klägerin erforderlich machten. Die Verpflichtungen der Klägerin waren aufschiebend bedingt; aufschiebend bedingte Schulden werden gemäß § 6 BewG nicht berücksichtigt (vgl. Senatsurteil in BFHE 168, 375, BStBl II 1992, 792). Da Erfüllungsrückstände zu den streitigen Stichtagen nach den Feststellungen des FG nicht bestanden, lagen zu den streitigen Stichtagen abzugsfähige Verbindlichkeiten der Klägerin nicht vor.

b) Entgegen der Auffassung des FG scheidet ein Abzug auch unter dem Gesichtspunkt der dauernden Last aus.

Die Abzugsmöglichkeit von Lasten im Rahmen von § 103 Abs. 1 BewG kann nicht weitergehender sein, als die der in der Vorschrift unmittelbar angesprochenen Schulden. Ein Abzug rechtlich noch nicht entstandener bzw. aufschiebend bedingter Lasten ist daher nicht zulässig. Die Tatsache, daß die die rechtlichen Verpflichtungen der Klägerin auslösenden Sachverhalte periodisch wiederkehren und mit ihrem Eintritt regelmäßig mit großer Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist, ändert hieran nichts. Ausschlaggebend für die bewertungsrechtliche Betrachtung ist, daß die entsprechenden Verpflichtungen rechtlich an den jeweiligen Stichtagen noch nicht entstanden waren (BFH-Urteil vom 25. November 1983 III R 25/82, BFHE 139, 422, BStBl II 1984, 51).

Die sich aus der grundsätzlichen Unterhaltungsverpflichtung der Klägerin ergebenden Belastungen waren daher an den streitigen Stichtagen nicht nach § 103 Abs. 1 BewG abzugsfähig. Soweit der III. Senat des BFH im Urteil in BFHE 95, 330, BStBl II 1969, 394 eine andere Auffassung vertreten hat, folgt ihr der nunmehr für das Bewertungsrecht zuständige erkennende Senat nicht.

2. Die von anderen Grundsätzen ausgehende Entscheidung des FG ist aufzuheben. Die Sache ist spruchreif; die Klage ist aus den zu 1. dargelegten Gründen abzuweisen.

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

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Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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