Oberlandesgericht Hamm, 10 W 35/17

Oktober 20, 2020

Oberlandesgericht Hamm, 10 W 35/17

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht – Nachlassgericht – zurückverwiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

G r ü n d e :

I.

Der Erblasser, der die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, ist im Alter von 80 Jahren in X, Spanien, verstorben. Er war in dritter Ehe verheiratet und hatte vier Kinder. Die Antragstellerinnen zu 3. und 4. stammen aus der ersten Ehe des Erblassers, die im Jahr 1984 geschieden wurde. Die Beschwerdeführerinnen zu 1. und 2. sind aus der zweiten, mit einer Spanierin geschlossenen Ehe hervorgegangen, die im Jahr 2003 geschieden wurde. Die dritte Ehe ist kinderlos geblieben. Mit seiner letzten Ehefrau errichtete der Erblasser ein gemeinsames Testament, das er durch notarielle Erklärung vom 09.10.2015 widerrief, nachdem er sich von seiner Ehefrau getrennt hatte. Der Erblasser zog aus der ehelichen Wohnung in W aus und lebte bis zu seinem Tod in Spanien. Am 15.12.2015 hatte er ein handschriftliches Testament errichtet.

Die Beschwerdeführerinnen haben einen gemeinschaftlichen Erbschein beantragt, der sie als Miterben zu je ½ ausweist. Das Amtsgericht hat den Antrag unter Hinweis auf fehlende internationale Zuständigkeit abgelehnt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, der Erblasser habe seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt offenbar in Spanien gehabt.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beschwerdeführerinnen, die – ebenso wie die Antragstellerin zu 4. – geltend machen, der Erblasser habe seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland gehabt, während die Antragstellerin zu 3. dem entgegen tritt und der Auffassung ist, das Amtsgericht Bad Oeynhausen sei international nicht zuständig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Verfahrensstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die gemäß den §§ 342 Abs. 1 Nr. 6, 58, 59, 61, 63, 64 FamFG zulässige Beschwerde der Beteiligten zu 1. und 2. ist begründet.

Der Erblasser ist am ##.##.2016 verstorben. Damit ist die am 17.8.2015 in Kraft getretene EUErbVO anzuwenden. Gemäß Art. 4 EUErbVO sind für Entscheidungen in Erbsachen für den gesamten Nachlass die Gerichte desjenigen Mitgliedstaates zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hat. Entscheidung im Sinne dieser Verordnung ist gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchstabe g EuErbVO jede von einem Gericht eines Mitgliedstaates in einer Erbsache erlassene Entscheidung ungeachtet ihrer Bezeichnung, somit auch ein Erbschein, wie er vorliegend von den Antragstellerinnen begehrt wird.

Der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers könnte im vorliegenden Fall entweder in Deutschland oder in Spanien gelegen haben. Der Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ i.S.d. Art. 4 EuErbVO ist unter Heranziehung der Erwägungsgründe (23) und (24) zu bestimmen. Insoweit ist eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände vorzunehmen, auch unter Berücksichtigung von Dauer und Regelmäßigkeit von Besuchen, der besonders engen Bindung an einen Staat, der Sprachkenntnisse, der Lage des Vermögens (vgl. Palandt/Thorn, 76. Aufl., Art 21. EuErbVO). Daraus ergibt sich, dass in Bezug auf den „gewöhnlichen Aufenthalt“ der tatsächliche Lebensmittelpunkt einer natürlichen Person zu verstehen ist, der mittels einer Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor seinem Tod und zum Zeitpunkt des Todes festzustellen ist (Keidel/Zimmermann, FamFG, 19. Aufl., § 343 Rn. 62; § 34 IntErbRVG Rn. 2 ff.). Für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltes des Erblassers ist neben dem objektiven Moment des tatsächlichen Aufenthalts auch ein subjektives Element, nämlich ein Aufenthalts- bzw. Bleibewille, erforderlich. Andernfalls können Fragen eines erzwungenen oder willenlosen Aufenthalts nicht zufriedenstellend geklärt werden (Keidel/Zimmermann a.a.O. § 343 Rn. 67). Vorliegend spricht eine weit überwiegende Gesamtheit von Umständen dafür, dass der Erblasser seinen Lebensmittelpunkt im dargestellten Sinne noch in Deutschland hatte, obwohl er sich bis zu seinem Tod in Spanien aufgehalten hatte.

Der Senat stellt dabei vor allem auf die tatsächlichen Angaben in dem nur wenige Monate vor dem Tod des Erblassers verfassten Schriftsatz vom 01.02.2016 ab, der das Verfahren wegen vorzeitigem Zugewinnausgleich eingeleitet hat und die vom Erblasser selbst stammen. In dem Schriftsatz ist als Anschrift des Erblassers zwar seine spanische Wohnadresse angegeben. Die Angabe ist aber zugleich mit der Einschränkung „derzeit“ versehen, woraus zu schließen ist, dass der Erblasser selbst seinen Aufenthalt in Spanien nicht als endgültig, sondern nur als vorübergehend angesehen hat. In dem Antrag ist im Einzelnen geschildert, dass der Erblasser zwar in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts nach Spanien „ausgewandert“ war und auch dort eine Ehe geschlossen hat, aus der die Beschwerdeführerinnen hervorgegangen sind. Nach der Scheidung dieser Ehe ist er jedoch nach Deutschland zurückgekehrt und hat mit seiner dritten Ehefrau eine gemeinsame Ehewohnung in W erworben. Der Senat verkennt nicht, dass sich der Erblasser im Zuge der Trennung von seiner dritten Ehefrau im Jahr 2015 in Spanien aufgehalten hat. Das war naheliegend, da er die gemeinsame Ehewohnung in W verlassen hatte und eine eigene Wohnung, die ihm in Spanien zur Verfügung stand, nehmen wollte. Dennoch hat der Erblasser sich nicht in W abgemeldet. Auch hat er der Post keinen Nachsendeauftrag erteilt, wie aus den mit Schriftsatz der Antragstellerin zu 4. vom 16.10.2017 vorgelegten diversen Schreiben hervorgeht. Das spricht ebenfalls dafür, dass der Erblasser seinen Lebensmittelpunkt nicht nach Spanien verlagert hatte. Auch hat er sich nicht in Spanien behandeln lassen, sondern von deutschen Ärzten und in hiesigen Krankenhäusern. Dies ist jedenfalls durch den an den Arzt für Allgemeinmedizin Dr. O in W adressierten Krankenbericht des Klinikums in Z belegt. Wie aus dem Antrag des Erblassers vom 01.02.2006 zur Überzeugung des Senats eindeutig hervorgeht, wollte der Erblasser im Juni 2015 nicht dauerhaft in Spanien bleiben, sondern von dort wieder abgeholt werden. Nur weil ihn vorübergehend niemand nach Deutschland zurückfahren wollte, ist er notgedrungen solange in Spanien geblieben, bis er sich von seiner Tochter nach Deutschland bringen lassen konnte. Nach einer kurzfristigen Rückkehr in die eheliche Wohnung in W hat er sodann Kontakt zu seiner Schwester in T aufgenommen. Dass er im weiteren zeitlichen Verlauf nach Spanien zurückgekehrt und dort letztlich verstorben ist, kann nach alle dem nicht dahingehend gewertet werden, dass er wieder endgültig nach Spanien umsiedeln wollte. Ob sich möglicherweise aus dem handschriftlichen Testament des Erblassers vom 15.12.2015, das in deutscher Sprache verfasst ist, eine konkludente Rechtswahl i.S.d. Art. 22 EuErbVO zugunsten des deutschen Erbrechts ergeben könnte, braucht deshalb angesichts dessen, dass die Antragstellerin zu 3. die internationale Zuständigkeit des angerufenen Amtsgerichts ausdrücklich nicht anerkennt (vgl. Art. 7 c) EuErbVO) nicht entschieden zu werden.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 FamFG nicht vorliegen.

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

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Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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