OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04. Februar 2014 – I-3 Wx 15/14 Grundbucheinsicht für einen gesetzlichen Erben und Pflichtteilsberechtigten trotz entgegenstehenden Willens des testamentarischen Erben

April 21, 2019

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04. Februar 2014 – I-3 Wx 15/14
Grundbucheinsicht für einen gesetzlichen Erben und Pflichtteilsberechtigten trotz entgegenstehenden Willens des testamentarischen Erben
1. Prüft ein gesetzlicher Erbe und Pflichtteils- bzw. Pflichtteilsergänzungsberechtigter nach dem Tode des im Grundbuch eingetragenen Erblassers seine erbrechtlichen Ansprüche (hier: Kind des Erblassers mit Blick auf seine vom Wert des Grundstücks abhängig zu machende Entscheidung, Pflichtteils- oder gar Erbansprüche zu verfolgen), so ergibt sich bereits aus der Darlegung seiner Rechtsposition sein berechtigtes Interesse wirtschaftlicher Art gegenüber dem Erben an der Grundbucheinsicht.
2. Dass sich der – testamentarische – Erbe gegen die Einsicht in das Grundbuch ausgesprochen hat, lässt die verfahrensrechtliche Befugnis des Grundbuchamts, bei Vorliegen der Voraussetzungen dem Gesuch zu entsprechen, unberührt.

Tenor
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Das Grundbuchamt wird angewiesen, über den Antrag der Beteiligten zu 1 unter Berücksichtigung der Gründe des heutigen Beschlusses erneut zu entscheiden.
Geschäftswert: 5.000 Euro.
Gründe
I.
Die Beteiligte zu 1 bat mit Anwaltsschreiben vom 16. Oktober 2013 um Übersendung von Grundbuchauszügen.
Hierzu machte sie geltend, ihr Vater G. G., der mit der Beteiligten zu 2 verheiratet gewesen sei, sei am 21. März 2013 verstorben; sie als Pflichtteilsberechtigte benötige Einsicht in das Grundbuch, um zu überprüfen, ob ihr Vater Alleineigentümer oder Miteigentümer eines Hausgrundstücks gewesen sei.
Das Grundbuchamt erwiderte, dem Antrag könne nicht entsprochen werden, weil ein rechtliches Interesse nicht bestehe.
Die Beteiligte zu 2 ließ mit Anwaltsschrift vom 19. November 2013 ausführen, es treffe zwar zu, dass die Beteiligte zu 1 pflichtteilsberechtigt sei; die Eigentumsverhältnisse an dem Immobilienbesitz, soweit er in den Nachlass des G. G. gefallen ist, seien allerdings bereits mitgeteilt worden.
Die Beteiligte zu 1 entgegnete, die Beteiligte zu 2 habe die erforderliche Auskunft, die durch Grundbuchauszüge belegt werden könne, nicht vorgelegt.
Das Grundbuchamt – Rechtspfleger – hat den Antrag auf Gewährung von Einsicht in die Grundbücher des Nachlasses von G. G. am 13. Dezember 2013 abgelehnt und ausgeführt, es bestünden Zweifel, ob einer vermeintlich pflichtteilsberechtigten Person Grundbucheinsicht gewährt werden könne. Es komme auf eine Interessenabwägung an. Kernbegriff sei das “berechtigte Interesse” der Einsicht begehrenden Person. Zum Zwecke der Ausdeutung dieses Kernbegriffes sei der Beteiligten zu 2 rechtliches Gehör gewährt worden; sie habe widersprochen; zur Gewährung von Grundbucheinsicht gegen ihren Willen sei das Gericht als Grundbuchamt verfahrensrechtlich nicht befugt.
Hiergegen hat sich die Beteiligte zu 2 unter dem 30. Dezember 2013 mit der Beschwerde gewandt.
Das Amtsgericht – Rechtspfleger – hat mit Beschluss vom 06./07. Januar 2014 unter Bekräftigung seiner Auffassung der Beschwerde der Beteiligten zu 1 nicht abgeholfen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Grundakte Bezug genommen.
II.
1.
Die gemäß §§ 12 c Abs. 4 Satz 2, 71 GBO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
a)
Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 GBO ist die Einsicht des Grundbuchs jedem gestattet, der ein berechtigtes Interesse darlegt. Ein solches ist nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung gegeben, wenn zur Überzeugung des Grundbuchamts ein verständiges, durch die Sachlage gerechtfertigtes Interesse des Antragstellers dargelegt wird, wobei auch ein bloß tatsächliches, insbesondere wirtschaftliches Interesse das Recht auf Grundbucheinsicht begründen kann (Senat, ZEV 2011, 44 und I-3 Wx 45/10; KG Berlin, NJW-RR 2004, 943 f.; OLG München FamRZ 2013, 1070; Demharter, GBO, 28. Auflage, § 12 Rn. 7 ff.;). § 12 Abs. 1 GBO bezweckt nicht in erster Linie einen Geheimnisschutz, sondern zielt auf eine Publizität, die über die rein rechtliche Anknüpfung an die Vermutungs- und Gutglaubensvorschriften der §§ 891 ff. BGB hinausgeht. Dabei genügt zwar nicht jedes beliebige Interesse des Antragstellers. Entscheidend ist in der Regel das Vorbringen sachlicher Gründe, welche die Verfolgung unbefugter Zwecke oder bloßer Neugier ausgeschlossen erscheinen lassen (OLG München, a.a.O.; Senat, Beschluss vom 27.11.2012 – I-3 Wx 158/12; KG NJW 2002, 223 ff; KG NJW-RR 2004, 1316 ff.). In Zweifelsfällen ist auch zu berücksichtigen, dass der in seinem informationellen Selbstbestimmungsrecht Betroffene grundsätzlich vor der Gewährung der Einsicht nicht gehört wird (BVerfG NJW 2001, 503 ff.) und ihm gegen die Gewährung auch kein Beschwerderecht zusteht (BGHZ 80, 126 ff.).
b)
Ein berechtigtes Interesse wirtschaftlicher Art an der Grundbucheinsicht steht in der Regel dem Pflichtteilsberechtigten zu, der nach dem Tode des im Grundbuch eingetragenen Erblassers (OLG München, NJOZ 2013, 2081; Wilsch in BeckOK-GBO Stand: 01.06.2013 § 12 Rdz. 60 mit Nachweisen; Griwotz, MDR 2013, 433, 434 f.) seine erbrechtlichen Ansprüche prüfen will. Dieses folgt aus der Gläubigerstellung des Pflichtteilsberechtigten bzw. Pflichtteilsergänzungsberechtigten gegenüber dem Erben (OLG München, FamRZ 2013, 1070; OLG Karlsruhe ZEV 2013, 621; vgl. auch NJW-Spezial 2013, 647 Wilsch in BeckOK-GBO Stand: 01.06.2013 § 12 Rdz. 60 mit Nachweisen; Griwotz, MDR 2013, 433, 434 f.).
Dabei genügt zur Darlegung des berechtigen Interesses der Hinweis auf die Stellung als gesetzlicher Erbe, ohne dass es einer schlüssigen Darlegung der etwa geltend zu machenden Pflichtteilsansprüche oder konkreter von der Grundbucheinsicht abhängender Entschließungen bedarf (so KG NJW-RR 2004, 1316); zu prüfen ist lediglich die Pflichtteilsberechtigung (Wilsch, a.a.O.; Böhringer ZfIR 2011, 710, 714).
2.
Nach diesen Grundsätzen hat das Amtsgericht zu Unrecht ein derartiges Interesse der Beteiligten zu 1 verneint.
a)
Die Stellung der Beteiligten zu 1 als gesetzliche Erbin nach ihrem Vater (§ 1924 Abs. 1 BGB), die als Tochter des Erblassers zudem nach § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten zählt, rechtfertigt die Grundbucheinsicht, denn die Kenntnis vom Grundbuchinhalt kann für die Prüfung erbrechtlicher Ansprüche wie auch Pflichtteilsansprüche gegen den Erben erheblich sein (vgl. zum berechtigten Interesse eines Pflichtteilsberechtigten oder Erben Senat ZEV 2011, 44; KG Berlin, NJW-RR 2004, 1316 ff.; LG Stuttgart, BWNotZ 2007, 40 f.; Staudinger/Haas, BGB, Neubearbeitung 2006, § 2314, Rdnr. 57 a; Birkenheier in: juris PK-BGB, 4. Auflage 2008, § 2314, Rdnr. 89). Das gilt auch für die Eintragungen in Abt. II und III des Grundbuchs, da diese Einfluss auf den maßgebenden Nachlasswert (§ 2311 Abs. 1 S.1 BGB) haben können. Es ist sachlich begründet, wenn die Beteiligte zu 1 als Antragstellerin die Entscheidung, ob sie Pflichtteils- oder gar Erbansprüche geltend macht, von dem Wert des Grundstücks abhängig machen will, denn insoweit handelt es sich – anders als bei Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsansprüchen vor dem Erbfall (vgl. dazu Senat, FG Prax 1997, 258; BayObLG 1998, a.a.O.) – nicht um nur zukünftige Ansprüche (KG NJW-RR 2004, 1316 f.).
Die Beteiligte zu 1 hat ihr berechtigtes Interesse auch hinreichend dargelegt. Hierzu genügen bereits ihre Angaben auf geltend zu machende Erb-/bzw. Pflichtteilsansprüche nach dem Tod ihres Vaters.
Im Übrigen aber bedarf es bei der vorliegenden Sachlage einer schlüssigen Darlegung der etwa von der Beteiligten zu 1 und Antragstellerin – noch – geltend zu machenden erbrechtlichen Ansprüche oder konkreter, von der Grundbucheinsicht abhängender Entschließungen nicht. Anders als beim Einsichtsverlangen eines Gläubigers, der sein berechtigtes Interesse an der durch die Grundbucheinsicht zu erlangenden Information nach allgemeiner Ansicht (BayObLG, Rpfleger 1983, 1384, 1385; 1975, 361) durch konkreten und nachvollziehbaren Vortrag zu den näheren Umständen der Forderung darzulegen hat, ist ein solcher Vortrag hier nicht zu verlangen. Ob die Beteiligte zu 1 erbrechtliche Ansprüche oder Pflichtteilsansprüche oder evtl. einen im Falle einer teilunentgeltlichen Veräußerung des in Rede stehenden Grundstücks in Betracht kommenden Pflichtteilsergänzungsanspruch (§ 2325 Abs. 1 BGB; vgl. OLG Karlsruhe ZEV 2013, 621) – in diesem Zusammenhang muss es der Beteiligten zu 1 als Antragstellerin gestattet sein, selbst zu prüfen, ob es unter Berücksichtigung des Zustandekommens des Geschäfts und der vereinbarten Gegenleistung Anhaltspunkte für eine teilunentgeltliche Übertragung gibt (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.) – tatsächlich geltend macht, ist ihrer Entschließung überlassen, zu deren Vorbereitung gerade auch die hier begehrte Grundbucheinsicht dienlich sein kann.
b)
Dem steht nicht entgegen, dass die Beteiligte zu 2 sich gegen die Einsicht der Beteiligten zu 1 in das Grundbuch ausgesprochen hat. Dies lässt die verfahrensrechtliche Befugnis des Grundbuchamts, bei Vorliegen der oben bezeichneten Voraussetzungen dem Gesuch der Beteiligten zu 1 zu entsprechen, unberührt.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 36 Abs. 3, 61 GNotKG.

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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