Wegfall Rechtsschutzbedürfnis für Beschwerde gegen Entscheidung gemäß § 74 FGO – BFH IX B 14/23
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 16. Januar 2023, Az: 16 K 16150/21
Im Fall BFH IX B 14/23 ging es um eine Beschwerde gegen die Ablehnung der Aussetzung eines Verfahrens gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde entfiel aufgrund “prozessualer Überholung”.
Dies geschah, als das Finanzgericht über das Verfahren, dessen Aussetzung beantragt wurde, entschied und dieses Urteil rechtskräftig wurde oder noch nicht rechtskräftig war, aber eine Revision eingereicht wurde.
Das Bundesfinanzhof (BFH) konnte in einem solchen Fall nicht mehr über die Beschwerde entscheiden, da das Verfahren bereits abgeschlossen war oder in der Hauptsache durch die Revision überprüft werden konnte.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens musste der Kläger tragen.
I. Einleitung
A. Beschwerde gegen Ablehnung der Aussetzung gemäß § 74 FGO
B. Rechtsschutzbedürfnis und “prozessuale Überholung”
C. Verlauf des Verfahrens
II. Leitsätze
A. Rechtsschutzbedürfnisentfall bei prozessueller Überholung
III. Tenor A. Verwerfung der Beschwerde als unzulässig B. Kostenlast für den Kläger
IV. Tatbestand A. Klageverfahren des Klägers vor dem FG
B. Erweiterung der Klage um Schadensersatzanspruch
C. Verweisung der Schadensersatzklage an das Landgericht
D. Ablehnung der Aussetzung des Schadensersatzverfahrens
E. Einreichung der Revision gegen die Schadensersatzklage
V. Entscheidungsgründe
A. Erläuterung des Rechtsschutzbedürfnisentfalls
B. Aussetzungsablehnung trotz noch nicht rechtskräftigem Urteil der Vorinstanz
C. Überprüfung eines Verfahrensfehlers im Rahmen der Revision
D. Einfluss auf die Nichtzulassungsbeschwerde
E. Kostenentscheidung basierend auf § 135 Abs. 2 FGO
Leitsätze
NV: Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Beschwerde gegen einen die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO ablehnenden Beschluss entfällt aufgrund “prozessualer Überholung” auch dann, wenn das Finanzgericht zwischenzeitlich in dem Verfahren, dessen Aussetzung begehrt wird, durch Urteil entschieden hat und hiergegen ein Rechtsmittel beim Bundesfinanzhof eingelegt worden ist.
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg vom 16.01.2023 – 16 K 16150/21 wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
I.
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) führte beim Finanzgericht (FG) ein Klageverfahren, in dem er zunächst ausschließlich einen Anspruch gemäß Art. 15 Abs. 3 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) geltend machte.
Später erweiterte er seine Klage um einen Schadensersatzanspruch (Art. 82 Abs. 1 DSGVO).
Das FG trennte die Schadensersatzklage ab und verwies diese zuständigkeitshalber an das Landgericht … (LG).
Die übrige Klage wies es ab. Die hiergegen gerichtete Revision ist beim erkennenden Senat anhängig (IX R 35/21).
Nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) den Verweisungsbeschluss an das LG aufgehoben hatte (II B 93/21), beantragte der Kläger beim FG die Aussetzung des Verfahrens betreffend Schadensersatz (§ 74 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
Er führte unter anderem an, das Revisionsverfahren IX R 35/21 sei ein für den Schadensersatzanspruch vorgreifliches Rechtsverhältnis.
Das FG lehnte die Aussetzung mit dem vorliegend angegriffenen Beschluss vom 16.01.2023 ab.
Mit Urteil vom 01.03.2023 wies das FG auch die Schadensersatzklage ab.
Der Kläger hat hiergegen am 21.06.2023 Revision eingelegt (IX R 17/23).
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg; sie ist unzulässig.
Der Senat kann im vorliegenden Verfahren nicht mehr darüber befinden, ob der angefochtene Beschluss, das seinerzeit beim FG anhängige Klageverfahren wegen Schadensersatz (16 K 16150/21) nicht nach § 74 FGO auszusetzen, rechtmäßig war.
Das für eine Sachentscheidung über die Beschwerde erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ist entfallen.
a) In der Rechtsprechung ist geklärt, dass das Rechtsschutzbedürfnis für eine gegen die Ablehnung der Aussetzung eines Verfahrens gemäß § 74 FGO gerichtete Beschwerde jedenfalls dann entfällt, wenn das FG über das Verfahren, dessen Aussetzung begehrt wird, mittlerweile entschieden hat und diese Entscheidung rechtskräftig geworden ist. In einem solchen Fall der “prozessualen Überholung” ist es dem BFH als Beschwerdegericht unmöglich geworden, den die Aussetzung ablehnenden Beschluss ‑‑sollte er fehlerhaft sein‑‑ aufzuheben
und das Verfahren beim FG in den Stand vor Ergehen des ablehnenden Beschlusses zurückzuversetzen
(ständige Rechtsprechung: so bereits Senatsbeschluss vom 12.10.1988 – IX B 111/86, juris;
nachfolgend u.a. BFH-Beschlüsse vom 25.11.1992 – VIII B 75/92, juris;
vom 08.12.1992 – VII B 153/92, juris;
vom 09.12.1992 – IV B 155/90, BFH/NV 1993, 426;
vom 10.10.2002 – VI B 269/01, BFH/NV 2003, 77
sowie vom 24.10.2011 – XI B 28/11, Rz 8 f.).
b) Im Ergebnis Gleiches gilt bei einer noch nicht rechtskräftigen Entscheidung der Vorinstanz.
Denn das mit der Beschwerde verfolgte Ziel, das Klageverfahren ohne Sachentscheidung des FG durch eine Aussetzung gemäß § 74 FGO zum Ruhen zu bringen, kann nach Ergehen eines Urteils in der Hauptsache nicht mehr erreicht werden
(vgl. Senatsbeschluss vom 09.10.1991 – IX B 111/90, juris;
ggf. a.A. Brandis in Tipke/Kruse, § 74 FGO Rz 18).
Wegfall Rechtsschutzbedürfnis für Beschwerde gegen Entscheidung gemäß § 74 FGO – BFH IX B 14/23
Ob dem FG insoweit ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, lässt sich nur noch im Rechtsmittelverfahren gegen die Hauptsacheentscheidung ‑‑vorliegend somit im Rahmen der anhängigen Revision IX R 17/23‑‑ überprüfen.
Ein Rechtsschutzbedürfnis, diese Frage (auch) zum Gegenstand des Beschwerdeverfahrens gegen den die Aussetzung ablehnenden Beschluss zu machen, besteht nicht mehr.
c) Hiergegen spricht nicht, dass ein gesonderter Beschluss über die Ablehnung der Aussetzung im vorbereitenden Verfahren (§ 79a Abs. 1 Nr. 1 FGO) grundsätzlich mit der Beschwerde angefochten werden muss, um in einer nachfolgenden Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil in der Hauptsache eine Verletzung der Grundordnung des Verfahrens rügen zu können
(vgl. BFH-Beschlüsse vom 10.10.2002 – VI B 269/01, BFH/NV 2003, 77
sowie vom 10.05.2013 – X B 90/12, Rz 13 ff.).
Zum einen ist im vorliegenden Rechtsstreit die Revision statthaftes Rechtsmittel; ein Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens wegen einer fehlerhaften Entscheidung gemäß § 74 FGO wird dort von Amts wegen geprüft
(BFH-Beschluss vom 28.02.2001 – I R 41/99, BFHE 194, 317, BStBl II 2001, 416, unter 1.b;
Werth in Gosch, FGO § 118 Rz 90).
Zum anderen entfiele auch bei einer nicht im FG-Urteil zugelassenen Revision das Rechtsschutzbedürfnis für eine Beschwerde gegen einen die Aussetzung ablehnenden Beschluss, sobald das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt worden ist
(zutreffend Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 74 FGO Rz 212).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.
Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.
Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.
Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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