Auslegung einer Gleichzeitigkeits- / Katastrophenklausel – OLG Schleswig 3 Wx 29/22

Juli 21, 2023

Auslegung einer Gleichzeitigkeits- / Katastrophenklausel – OLG Schleswig 3 Wx 29/22 gemeinschaftliches Ehegattentestament

Zusammenfassung RA und Notar Krau:

Das OLG Schleswig entschied über die Auslegung einer Klausel in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament.

Es wurde festgestellt, dass die Klausel nicht als umfassende Schlusserbenbestimmung gilt, sondern nur für den Fall des gleichzeitigen oder kurz aufeinanderfolgenden Todes der Ehegatten.

Auslegung einer Gleichzeitigkeits- / Katastrophenklausel – OLG Schleswig 3 Wx 29/22 – Inhaltsverzeichnis:

I. Einleitung

A. OLG Schleswig 3 Wx 29/22 – Hintergrund

B. Gemeinschaftliches Ehegattentestament und die Auslegung einer Klausel

II. Zusammenfassung RA und Notar Krau

A. Entscheidung des OLG Schleswig

B. Schlussfolgerungen zur Klausel im gemeinschaftlichen Testament

III. Entscheidungstext

A. Auslegung einer Gleichzeitigkeits- bzw. Katastrophenklausel

B. Andeutungstheorie und Formwirksamkeit von Testamenten

IV. Gründe für die Entscheidung des OLG Schleswig

A. Hintergrund der Testamente

B. Veränderungen in den Testamenten und Streitpunkte

C. Standpunkt des Nachlassgerichts und Beschwerdeführerin

D. Standpunkt des Beteiligten zu 2

E. Ergänzende Überlegungen des Nachlassgerichts

V. Schlussfolgerungen und Entscheidung des OLG Schleswig

A. Bedeutung der Formulierungen im gemeinschaftlichen Testament

B. Wechselbezüglichkeit und Bindungswirkung der Verfügung von Todes wegen

C. Argumente für und gegen die Schlusserbeneinsetzung

D. Amtsermittlungspflicht des Nachlassgerichts und Unklarheiten im Fall

VI. Anträge der Parteien

A. Antrag der Beschwerdeführerin

B. Antrag des Beteiligten zu 2

VII. Schlussbemerkungen

Zum Entscheidungstext:

  1. Zur Auslegung einer Gleichzeitigkeits- bzw. Katastrophenklausel in einem gemeinschaftlichen Ehegattentestament.
  2. Andeutungen in einem späteren Testament können nicht die Formwirksamkeit eines früheren Testaments im Sinne der Andeutungstheorie begründen.


Bestimmen Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament mit wechselseitiger Erbeinsetzung ausdrücklich für den Fall des Versterbens “gleichzeitig oder so nacheinander, dass weitere Verfügungen nicht möglich sind”, einen Dritten als Erben, so handelt es sich regelmäßig nicht um eine (den längere Zeit überlebenden und testierfähig bleibenden Ehegatten bindende) umfassend geltende Schlusserbenbestimmung.

Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Geschäftswert wird festgesetzt auf 150.000,00 €.

Auslegung einer Gleichzeitigkeits- / Katastrophenklausel – OLG Schleswig 3 Wx 29/22 – Gründe

I.


Die Erblasserin und ihr … vorverstorbener Ehemann errichteten am 02.08.1995 zwei inhaltlich übereinstimmende eigenhändige Testamente. Beide unterschrieben auch das jeweils vom anderen Ehegatten verfasste Testament. In den Testamenten setzten sie sich gegenseitig als Erben ein. Weiter bestimmten sie unter anderem:


“Sollten wir gleichzeitig oder so nacheinander versterben, dass weitere Verfügungen nicht möglich sind, setzen wir die Eheleute H… und G… [Beschwerdeführerin] als Erben ein, …”


Erblasserin und Beschwerdeführerin waren Lehrerinnen, die jeweiligen Ehemänner … Journalisten.


Der Ehemann der Beschwerdeführerin ist 2015 vorverstorben. Er wurde von der Beschwerdeführerin beerbt. Unter der Datumsangabe 08.10.2018 errichtete die Erblasserin eigenhändig ein weiteres – so überschriebenes – “Testament” mit dem Inhalt, dass nach ihrem Ableben der Beteiligte zu 2. ihr Vermögen bekommen solle.


Für die Erblasserin wurde vom Betreuungsgericht … die Einrichtung einer Betreuung geprüft … Zu einer solchen ist es nicht gekommen. Die Erblasserin erteilte wechselnd den Beteiligten Vorsorgevollmachten.


Schließlich ließ die Erblasserin am 31.12.2020 eine so bezeichnete Testamentsergänzung notariell beurkunden …, in der sie erklärte, dass das in beglaubigter Abschrift beigefügte Testament vom 08.10.2018 von ihr bestätigt werde. Sie legte umfangreich dar, warum sie den Beteiligten zu 2 und nicht die Beschwerdeführerin als Erbe einsetze, unter anderem, weil persönliche Begegnungen mit der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann nach dem Tod des eigenen Ehemanns 2003 so gut wie nicht mehr stattgefunden hätten, die Beschwerdeführerin versucht habe, eine Betreuung für die Erblasserin gegen ihren Willen einrichten zu lassen und die Rückkehr der Erblasserin aus einer Kurzeitpflege in ihr eigenes Haus zu verhindern…


Die Beschwerdeführerin hat die Erteilung eines sie als Alleinerbin ausweisenden Erbscheins beantragt. Sie hat gemeint, sie und ihr Ehemann, dessen Erbteil nach seinem Vorversterben ihr gemäß § 2094 Abs. 1 BGB angewachsen sei, seien als Schlusserben nicht nur für den Fall des gleichzeitigen oder kurz nacheinander erfolgenden Versterbens der Erblasserin und deren Ehemanns eingesetzt worden, sondern für jeden Fall als Schlusserben. Wegen Wechselbezüglichkeit sei die Erblasserin an die Einsetzung gebunden gewesen, habe nicht abweichend neu testieren dürfen.

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Die Eheleute hätten eine Rechtsnachfolge für den Fall des gleichzeitigen Ablebens festlegen wollen und andererseits auch für den Fall, dass eine gemeinschaftliche Änderung des gemeinschaftlichen Willens nicht mehr möglich sei. Der zweite Fall betreffe ausdrücklich den Fall einer eingetretenen Bindungswirkung nach dem Tod des Erstversterbenden.

Das ergebe sich daraus, dass der entsprechende Satz zweimal das Personalpronomen “wir” enthalte. Es stelle sich die Frage, warum die Eheleute dem Überlebenden nicht ausdrücklich eine unbeschränkte Testierfreiheit eingeräumt hätten, wenn sie das gewollt hätten. Die Bestimmung des Ehemanns der Beschwerdeführerin als Testamentsvollstrecker nicht nur für den 1. Erbfall spreche dafür, dass die Eheleute bindend als Schlusserben eingesetzt worden seien.

Es sei nicht vorstellbar, weshalb der durch abweichende Testierung nach dem Tod des Erstversterbenden wieder enterbte Ehemann der Beschwerdeführerin dennoch zum Testamentsvollstrecker über das Vermögen des Letztversterbenden ernannt worden sei. Eine Beschränkung der Schlusserbeneinsetzung auf den Fall des gleichzeitigen oder kurz nacheinander erfolgenden Versterbens werfe die Frage auf, warum die Eheleute keine Erbfolge für den Regelfall nach dem Tod des Letztversterbenden angeordnet hätten, jedoch für den Ausnahmefall.

Auch die Erblasserin selbst sei von einer Schlusserbeneinsetzung ausgegangen, wie das notariell beurkundete Testament zeige, in dem sie erklärt habe, dass die Einsetzung der Beschwerdeführerin keine Geltung mehr haben solle. Hätte nach dem gemeinschaftlichen Testament die gesetzliche Erbfolge eintreten sollen, hätte es dieser Formulierung nicht bedurft. Aus der Auslegung als Schlusserbeneinsetzung folge unumgänglich auch deren Wechselbezüglichkeit. Auch spreche § 2270 Abs. 2 BGB für Wechselbezüglichkeit, weil ein Näheverhältnis zwischen der Erblasserin und der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann gegeben gewesen sei.

Das habe sich aus der beruflich-kollegialen Verbindung ergeben. Diese sei über Jahrzehnte verfestigt und tiefgründiger geworden. Die Erblasserin und ihr Ehemann hätten sich gerne mit den Kindern der Beschwerdeführerin umgeben. Es habe regelmäßige gemeinsame Freizeitaktivitäten, Urlaube und viele gemeinsame Interessen gegeben. Demgegenüber habe eine enge Beziehung der Erblasserin zum Beteiligten zu 2 nicht bestanden. Keiner der engsten Freunde und Bekannten der Erblasserin habe jemals von den Beteiligten zu 2 gehört oder diesen gesehen. Er sei nie erwähnt worden.


Die Beschwerdeführerin hat behauptet, die Erblasserin und auch deren vorverstorbener Ehemann hätten mehrfach ausdrücklich gegenüber der Beschwerdeführerin deren Ehemann und der Zeugin W1 erklärt, die Erbeinsetzung zugunsten der Beschwerdeführerin und ihres Mannes solle zugunsten der Beschwerdeführerin in jedem Fall Bestand haben, eine Abänderung durch den überlebenden Ehegatten ausdrücklich nicht gegeben sein. Die Erblasserin habe bis Dezember 2020 erklärt, die Beschwerdeführerin sei ihre Erbin.


Es bestünden zudem Zweifel an ihrer Testierfähigkeit zum 31.12.2020. Seinerzeit habe die Erblasserin ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln können. Ein Betreuungsverfahren sei eingeleitet gewesen. Aussagen der Erblasserin zur Person der Beschwerdeführerin seien nachweislich unwahr. Die Erblasserin sei von dem Beteiligten zu 2 stark beeinflusst und abgeschirmt worden, mutmaßlich um sie zu einer für ihn günstigen Verfügung zu bewegen.

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Die Beteiligten haben umfangreich die Fragen der Testierfähigkeit Ende 2020 diskutiert und wie eng oder weit die jeweiligen freundschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten zu Erblasserin und deren Ehemann waren, einschließlich der jeweiligen Historie. In einem Arztbericht des Klinikums Itzehoe vom 25.01.2021 über einen Aufenthalt in der Klinik vom 10 bis 27.01.2021 an die Hausarztpraxis der Erblasserin wird von vielfachen internistischen Erkrankungen berichtet, Hinweise auf eine Demenz, Verwirrtheit, Orientierungslosigkeit, Kritikeinschränkung o.ä. enthält er nicht. Es wird der Wunsch der Erblasserin auf palliative Behandlung benannt. Die Entlassung erfolgte in die ambulante Weiterbehandlung, wobei zu Beginn der Behandlung am 13.01.2021 noch eine Rückkehr in das häusliche Umfeld für ausgeschlossen erachtet worden war, für den Fall, dass es sich so darstelle wie von der Erblasserin geschildert, eine Verlegung in ein Pflegeheim solle erwogen werden.


Das Nachlassgericht hat den Antrag der Beschwerdeführerin zurückgewiesen. Das Testament von 1995 sehe die Schlusserbeneinsetzung der Beschwerdeführerin nicht generell vor. Dem Wortlaut nach sei die testamentarische Regelung an die obergerichtliche Rechtsprechung angelehnt. Danach sei die Formulierung “bei gleichzeitigem Ableben” oder “bei gleichzeitigem Versterben” so zu verstehen, dass auch die Fälle erfasst werden sollten, in denen die Ehegatten innerhalb eines kurzen Zeitraums nacheinander versterben und der Überlebende in dieser Zeitspanne daran gehindert sei, ein neues Testament zu errichten. Eine solche Erbeinsetzung gelte grundsätzlich nicht für den Fall, dass der Tod der Ehegatten in erheblichem zeitlichen Abstand eintreten.

Nur bei besonderen Umständen des Einzelfalls könne eine Ausnahme angenommen werden, dass die Testierenden den Begriff des gleichzeitigen Versterbens gegen den Wortsinn dahin gehend verstanden hätten, dass auch das Versterben in erheblichem zeitlichen Abstand umfassen solle. Darüber hinaus müsse sich dafür eine Grundlage in der Verfügung von Todes wegen finden. Jedenfalls Letzteres sei hier nicht der Fall, sodass es jedenfalls an der formwirksamen Erklärung eines etwaigen Erblasserwillens fehle.


Selbst wenn man die Behauptungen der Antragstellerin bezüglich der Äußerungen gegenüber der genannten Zeugin W1 als wahr unterstelle, wofür auch die Formulierung im Testament vom 31.12.2020 spreche, dass das Testament von 1995 keine Geltung mehr haben solle, so sei dieser Wille dennoch nicht formgerecht gemäß §§ 2247, 2267 BGB erklärt. Der Erblasserwille gehe nur dann jeder anderen Interpretation, die der Wortlaut zulassen würde, vor, wenn er formgerecht erklärt sei. Die Formvorschriften dienten insbesondere dem Zweck, den wirklichen Willen des Erblassers zur Geltung kommen zu lassen, nach Möglichkeit die Selbstständigkeit dieses Willens zu verbürgen und die Echtheit seiner Erklärungen sicherzustellen.

Ein nicht zumindest andeutungsweise oder versteckt im Testament zum Ausdruck gekommener Wille sei daher unbeachtlich. Hier fehle es an der für die Erfüllung der Form notwendigen Grundlage oder auch nur Andeutung im Testament. Dessen Bestimmungen ergäben weder einzeln noch im Zusammenhang einen entsprechenden Anhaltspunkt. Die Einsetzung der Beschwerdeführerin und ihres Ehemanns als Erben biete keinen Hinweis auf eine Schlusserbenbestimmung, weil sie kein zeitliches Moment enthalte, dass Rückschlüsse auf eine Erbeinsetzung für ein Versterben auch bei zeitlich erheblichem Abstand zulasse.

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Auch die Formulierung, Testamentsvollstrecker sei der jeweils überlebende Ehepartner, sonst der Ehemann der Beschwerdeführerin, enthalte keine entsprechende Andeutung einer Schlusserbeneinsetzung auch für den Fall des Versterbens mit erheblichem zeitlichen Abstand.

Die Formulierung sei auslegungsbedürftig. Dem Sinnzusammenhang nach spreche vieles dafür, dass sie nur auf den vorangegangenen bezeichneten Fall des gleichzeitigen oder kurz nacheinander erfolgenden Versterbens der Ehegatten zu beziehen sei. Selbst wenn man dieser Auslegung nicht folgen sollte und sich eine generelle Einsetzung des Testamentsvollstreckers daraus herleiten ließe, bliebe dennoch die Auslegungsbedürftigkeit des Begriffes. Sie zeige nicht, wie er nach dem Willen der Erblasser auszulegen sein soll.


Dagegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde.


Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Nachlassgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Formulierung im gemeinschaftlichen Testament nicht nur von gleichzeitigem Ableben spreche, sondern als weiteren Fall ein Versterben so nacheinander, dass weitere Verfügungen nicht möglich seien, nenne.

Es sei nicht ersichtlich, dass sich das Gericht damit beschäftigt habe, welche Differenzierung mit den beiden formulierten Alternativen gemeint sein könnten. Es gehe nicht darauf ein, weshalb es annehme, die beiden Alternativen behandelten den identischen Fall gleichzeitigen Ablebens. Das Nachlassgericht habe nicht geprüft, ob eine Schlusserbeneinsetzung der Beschwerdeführerin im Testament angedeutet sei. Andeutung sei schon dem Wortsinn nach nicht mit ausdrücklicher Erwähnung gleichzusetzen. Das Nachlassgericht begründe nicht, weshalb eine solche Andeutung hier nicht vorliege.

Die erste Andeutung sei bereits in der Formulierung “so nacheinander sterben, dass weitere Verfügungen nicht möglich sind” im Zusammenspiel mit der Abgrenzung zu der ebenfalls formulierten Alternative des gleichzeitigen Versterbens und der im Nachgang der Formulierung erfolgten Erbeinsetzung der Beschwerdeführerin und ihres Ehemanns zu sehen. Offensichtlich hätten die Erblasser neben der Schlusserbenbestimmung für den Fall des gleichzeitigen Versterbens auch noch einen weiteren Fall abdecken wollen. Es sei zu beachten, was mit dieser Formulierung gemeint sein könnte.

Wechselbezügliche Verfügungen erwüchsen mit dem Tod des Erstversterbenden Ehegatten in Bindungswirkung. Das sei die neben das gleichzeitige Ableben tretende Alternative. Mit dem Tod des erstversterbenden Ehegatten seien weitere Verfügungen des Überlebenden nicht mehr möglich. Unterstützt werde das durch die Angaben der benannten Zeuginnen, wonach der Wille der Erblasserin und ihres Ehemanns gewesen sei, die Beschwerdeführerin und ihren Ehemann zu Schlusserben auch bei Versterben in erheblichem zeitlichen Abstand zu bestimmen.

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Das Nachlassgericht habe verkannt, dass es wegen des zeitlichen Moments auf die Formulierung “so nacheinander…, dass weitere Verfügungen nicht möglich sind”, ankomme. Diese Formulierung setze die Bedingung, dass die Erbeinsetzung der Beschwerdeführerin und ihres Ehemanns für den Fall des Eintritts der Bindungswirkung gelten solle. Es komme also ausschließlich auf den Eintritt der Bindungswirkung an und es sei unerheblich, in welchem zeitlichen Abstand der zweite Ehegatte versterbe.


Die Erbeinsetzung werde dadurch bestätigt, dass der verstorbene Ehemann der Beschwerdeführerin ohne jede weitere Bedingung zum Testamentsvollstrecker eingesetzt worden sei. Auch dies enthalte die Andeutung, dass die Eheleute als Schlusserben eingesetzt seien. Es erscheine schwer vorstellbar, was sich die testierenden Eheleute sonst mit dieser nicht an Bedingungen geknüpften Anordnung der Testamentsvollstreckung vorgestellt haben sollten.

Die Ansicht des Nachlassgerichtes könnte dagegen zu der absurden Situation führen, dass die Testamentsvollstreckung bei dem Ehemann der Beschwerdeführerin gelegen hätte, obwohl gesetzliche Erbfolge zugunsten gänzlich unbekannter entfernter Verwandter eingetreten sei. Es sei schwerlich vorstellbar, dass die Eheleute nur den unwahrscheinlichen Fall gleichzeitigen Ablebens mit einer Schlusserbeneinsetzung versehen, nicht aber dagegen den Regelfall in zeitlichem Abstand.


Eine weitere Andeutung für die in Bindungswirkung erwachsene Schlusserbeneinsetzung finde sich in dem notariellen Testament vom 31.12.2020 und mithin nicht einmal außerhalb der formgerecht errichteten letztwilligen Verfügung der Erblasserin. Die dortige Formulierung, dass das frühere Testament keine Geltung mehr haben solle, bringe unmissverständlich zum Ausdruck, dass die Erblasserin selbst davon ausgegangen sei, dass die Erbeinsetzung der Beschwerdeführerin und ihres Ehemanns bis zur Errichtung des notariellen Testaments wirksam gewesen sein.

Dabei sei zu bemerken, dass das Testament vom 31.12.2020 unter notarieller Beratung errichtet worden sei. Es müsse davon ausgegangen werden, dass der Urkundsnotar die Sach- und Rechtslage zum Zweck der Errichtung einer neuen letztwilligen Verfügung erörtert habe. Er hätte die Formulierung über die fortwährende Geltung der früheren Erbeinsetzung sicherlich nicht aufgenommen, wenn sich für ihn aus den Erörterungen der Erblasserin ergeben hätte, dass die Schlusserbeneinsetzung nur für den Fall gleichzeitigen Ablebens gewollt gewesen sei. Einer solchen Formulierung hätte es dann nicht bedurft.

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Der Fall hier liege zudem gänzlich anders als der Sachverhalt, der der Entscheidung des BGH vom 19.06.2019 (IV ZB 30/18) zugrunde gelegen habe. Dort habe es keine weiteren Bestimmungen im Testament und auch keine weiteren Verfügungen von Todes wegen gegeben. Es habe schlicht kein Platz für Andeutungen oder versteckte Anhaltspunkte bestanden.


Das Nachlassgericht hätte im Rahmen seiner Amtsermittlung die benannten Zeugen hören und zur Anhörung der Parteien einen Termin anberaumen müssen, um sich auch ein besseres Bild von dem Antragsgegner zu machen. Anstatt sich umfassend mit der Auslegung der letztwilligen Verfügungen zu beschäftigen, habe sich das Nachlassgericht auf kürzestem Weg zur Argumentation über die Formunwirksamkeit begeben. Auch die merkwürdig anmutenden weiteren Umstände seien ohne Berücksichtigung geblieben.

Das Nachlassgericht sei nicht auf den Umstand eingegangen, dass das notarielle Testament Silvester 2020 an einer vom Wohnort der Erblasserin weit entfernten Stadt in einem Notariat, bei der eine den Beteiligten zu 2 nahestehende Person arbeite, beurkundet worden sei. Es habe auch nicht zu dem Umstand Stellung genommen, dass dem notariellen Testament nur eine Abschrift des weiteren handschriftlichen Testaments, angeblich aus dem Jahr 2018, beigefügt worden sei. Es habe auch nicht die vorgetragenen Anhaltspunkte für eine Vordatierung dieses weiteren handschriftlichen Testaments erwähnt, ferner nicht die Umstände über das plötzliche Auftauchen der Urschrift dieses weiteren handschriftlichen Testaments berücksichtigt, obwohl es höchst befremdlich anmute, dass die Ablieferung erst erfolgt sei, nachdem auf die Formunwirksamkeit des lediglich in Abschrift gelieferten Testaments hingewiesen worden sei und es zunächst der Antragsgegner als nicht auffindbar angegeben habe.

Auch der Umstand des offensichtlich falschen Eröffnungsprotokolls, in dem es zunächst geheißen habe, dass das Testament in einem verschlossenen Umschlag abgeliefert worden sei, während sich aufgrund der Akteneinsicht durch den Beschwerdeführerinvertreter herausgestellt habe, dass es ein offener Umschlag gewesen sei, der mit der Handschrift des Antragsgegners beschrieben gewesen sei.

Selbst wenn es sich bei diesen Ungereimtheiten nicht um Umstände handele, die unmittelbar Einfluss auf die technische Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments hätten, hätte das Nachlassgericht im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht diesen Hinweisen nachgehen müssen. Es sei verpflichtet, bei der Entscheidungsfindung sämtliche Zweifel auszuräumen, die geeignet seien, die erblasserseitig verfügte Rechtsnachfolge zu erschüttern.


Die Beschwerdeführerin beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts … aufzuheben und die Antragstellerin antragsgemäß entsprechend ihres Erbscheinsantrages vom … zu bescheiden.

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Sie beantragt weiter,


dass die von der Antragstellerin … aufgeführten Tatsachen wonach sie Alleinerbin der … [Erblasserin], geworden ist, für den von ihr mit dem Erbscheinsantrag … beantragten Erbschein als festgestellt erachtet werden.


Der Beteiligte zu 2 beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.


Er verweist und wiederholt seinen Vortrag aus dem ersten Rechtszug. Der Beteiligte zu 2 hat dort geltend gemacht, der Wortlaut des Testaments sei unmissverständlich und nicht auslegungsbedürftig. Die Eheleute hätten präzise formulieren und mit der deutschen Sprache sachgerecht umgehen können. Angesichts der Verwendung juristischer Fachtermini sei davon auszugehen, dass sie sich zunächst informiert und bewusst dagegen entschieden hätten, eine Begrenzung des überlebenden Ehegatten vorzunehmen. Angesichts der Kinderlosigkeit gebe es keine Anhaltspunkte für die Absicht, den überlebenden Ehegatten zu binden.


Im Nichtabhilfebeschluss hat das Nachlassgericht ergänzt, dass nach der 2. Alternative des gemeinschaftlichen Testaments nur der Fall geregelt worden sei, dass die Ehegatten so nacheinander versterben, dass weitere Verfügungen nicht möglich seien, entweder weil das Versterben zeitlich so eng beieinanderliege, dass ein Testament des Letztversterbenden deshalb nicht möglich sei, oder bei einem weiten zeitlichen Abstand des Versterbens der Überlebende zum Beispiel wegen einer Krankheit oder ähnlichem nicht mehr in der Lage sei, neu zu testieren.

Daraus lasse sich nicht ableiten, dass die Eheleute eine wechselbezügliche Schlusserbeneinsetzung hätten vornehmen wollen. Dies widerspreche dem eindeutigen Wortlaut und werde durch die konkret festgelegten Bedingungen klargestellt, dass der überlebende Ehegatte in den anderen Fällen gerade weitere testamentarische Verfügungen treffen und damit seinen Erben solle frei bestimmen dürfen oder es – wenn er nicht verfüge – bei der gesetzlichen Erbfolge nach dem Letztversterbenden bleibe.


Auch aus den sonstigen Umständen lasse sich nichts anderes ableiten. Aus der Testamentsvollstreckereinsetzung folge nichts anderes, weil die Stellung des Testamentsvollstreckers immer unabhängig von der des Erben sei. Beide könnten zusammen- oder auseinanderfallen.

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Einerseits könne sie darauf hindeuten, dass die Eheleute abweichend vom Wortlaut des gemeinschaftlichen Testaments auch von einer generellen Schlusserbeneinsetzung der Beschwerdeführerin und ihres Ehemanns ausgegangen seien. Andererseits sei aber genauso eine Auslegung dahingehend möglich, dass die notariell beratene Erblasserin wie üblich in notariellen Testamenten vorsichtshalber vormalige Verfügungen habe aufheben wollen.

Das könne dahingestellt bleiben, da der erstere Wille im gemeinschaftlichen Testament keine Andeutung finde. Selbst wenn es ihn gegeben haben sollte, sei er nicht formwirksam erklärt. Maßgeblich für die Andeutung sei das gemeinschaftliche Testament, aus dem die Beschwerdeführerin ihre Erbenstellung herleiten wolle. Auch das Argument der Beschwerde, die Verfügungen seien wechselbezüglich, ergebe nichts anderes, weil dies ein Zirkelschluss von einer etwaigen Rechtsfolge auf einen behaupteten Inhalt sei, den das Testament gerade nicht hergebe. Einer weiteren Amtsermittlung bedürfe es nicht.

II.


Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig aber nicht begründet. Der Senat kann über die Beschwerde ohne mündliche Verhandlung entscheiden (vgl. Senat, Beschluss vom 14.01.2010 – 3 Wx 92/09, FamRZ 2010, 1178; KG v. 29.06.2010 – 1 W 161/10, ZEV 2010, 524; OLG Düsseldorf v. 29.03.2011 – 3 Wx 263/10, FamRZ 2011, 1980ff; Sternal-Sternal § 68 FamFG, Rn. 73f m.w.N.; Bahrenfuss-Joachim § 68 FamFG Rn. 17). Dies gilt insbesondere, wenn – wie hier – die Beteiligten sich umfangreich schriftlich geäußert haben und weitere Ermittlungen zum Sachverhalt nicht aussichtsreich erscheinen.


Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil das Nachlassgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend zu dem Ergebnis gelangt ist, dass das gemeinschaftliche Testament der Eheleute keine für den hier eingetretenen Todesfall maßgebliche formwirksame Schlusserbenbestimmung trifft. Auch wenn die Eheleute zwei inhaltsgleiche Testamente am 02.08.1995 errichtet haben, handelt es sich doch um ein gemeinschaftliches Ehegattentestament. Denn § 2267 BGB, der die Errichtung durch einen Ehegatten für ausreichend erklärt, wenn der andere diese mitunterzeichnet, soll nur eine Erleichterung der Errichtung bewirken. Zudem ist diese Voraussetzung auch bei beiden Testamenten vom 02.08.1995 erfüllt.


Die Eheleute haben eine ausdrückliche Regelung sowohl für den Fall getroffen, dass sie zum selben Zeitpunkt versterben, als auch für den Fall eines zeitlich versetzten Versterbens ohne die Möglichkeit weiterer Verfügungen. Richtig hat das Nachlassgericht erkannt, dass eine alleinige Regelung für den Fall des gleichzeitigen Todes beider auslegungsbedürftig und häufig so zu verstehen ist, dass damit auch der hier gerade ausdrücklich geregelte Fall erfasst sein soll. Insofern sind allerdings die Überlegungen zu einer den über den reinen Wortlaut hinausgehenden Auslegung einer Anordnung für den Fall gleichzeitigen Versterbens hier überflüssig gewesen. Denn genau das, was die Rechtsprechung vielfach im Wege der Auslegung herleitet, haben die Eheleute hier ausdrücklich geregelt.

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Die Beschwerdeführerin will nun daraus herleiten, dass die ausdrückliche Regelung des Falls eines Versterbens in zeitlichem Abstand ohne Möglichkeit eines erneuten Testierens gerade dafür sprechen soll, dass die Schlusserbeneinsetzung für jeden Fall gelten soll, selbst dann, wenn ein Neutestieren des Überlebenden möglich gewesen wäre. Das ergibt der Text des gemeinschaftlichen Testaments weder ansatz- noch andeutungsweise.


Für die Auslegung eines Testaments ist der wirkliche Wille der Testierenden zu erforschen, nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern der Wortsinn gewissermaßen zu hinterfragen. Es kommt danach darauf an, was die Testierenden mit ihren Worten zum Ausdruck bringen wollten.

Bei einer Abweichung vom Wortsinn müssen Umstände vorliegen, die den Schluss erlauben, dass ein anderer als der übliche Sinn vom Testierenden gemeint war. Insoweit setzt der Wortlaut der Auslegung auch keine Grenze. Zusätzlich muss bei einem gemeinschaftlichen Testament festgestellt werden, dass ein gefundenes Auslegungsergebnis auch dem Willen des jeweils anderen entsprochen hat. Maßgeblich für die Auslegung ist der Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Zutreffend hat das Nachlassgericht auch erkannt, dass ein so ermittelter gemeinsamer Wille beider Testierender sich zumindest in einer Andeutung im Testament niedergeschlagen haben muss. Denn sonst wäre dem notwendigen Formerfordernis nicht genügt. Gemessen daran ist die angefochtene Entscheidung nicht zu beanstanden.


Wortlaut und Systematik des Testaments sprechen hier nicht für eine für alle Fälle geltende Schlusserbenbestimmung. Bei dem Verständnis von Gleichzeitigkeitsklauseln besteht im Ausgangspunkt Übereinstimmung, dass der sekundengenau gleichzeitige Todeseintritt praktisch nicht oder nur extrem selten vorkommt, die Regelung im Testament also meist nur dann einen Sinn ergibt, wenn es nicht auf Gleichzeitigkeit im strengen Sinn ankommt. Problematisch ist allerdings, wann und mit welchen Maßgaben dies im Einzelfall noch anzunehmen ist.

Rein sprachlich kann es zunächst einen Unterschied machen, ob auf beiderseitigen, gemeinsamen oder gleichzeitigen Tod abgestellt wird. Gleichzeitig erscheint als die engere Formulierung, während die beiden anderen eher auch Situationen erfassen, die nur darauf abstellen, dass beide Ehegatten gestorben und damit der Schlusserbfall eingetreten ist.

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Auch diese schließen aber nicht aus, dass letztlich Gleichzeitigkeit gemeint ist (vgl. Senat v. 02.11.2003 – 3 Wx 47/02, SHAnz 2004, 125, bei juris Tz. 28f). Weitgehende Einigkeit in der obergerichtlichen Rechtsprechung dürfte bestehen, dass ein zeitlich nicht allzu weit auseinanderliegender Tod, der auf einer gemeinsamen Ursache beruht, als gleichzeitig gewertet wird, insbesondere wenn eine Situation wie “Unfall” ausdrücklich angesprochen wird.

Die Rechtsprechung hat das in den Obersatz gekleidet, dass Gleichzeitigkeit auch dann noch vorliegt, wenn der überlebende Ehegatte keine Möglichkeit mehr hat, eine neue Verfügung von Todes wegen zu errichten (Senat v. 16.12.2020 – 3 Wx 43/20 – n.v.; OLG Frankfurt v. 23.10.2018 – 21 W 38/18, DNotZ 2019, 368ff, bei juris Tz. 15f m.w.N.; OLG München v. 24.10.2013 – 31 WX 139/13, FamRZ 2014, 1064ff, bei juris Tz. 12; OLG Jena vom 23.02.2015 – 6 W 516/14, FamRZ 2016, 412 = BeckRS 2015, 09957; BayObLG v. 13.04.1995 – 1Z BR 32/95, FamRZ 2995, 1446; OLG Stuttgart v. 29.12.1993 – 8 W 583/92, NJW-RR 1994, 592f; OLG Stuttgart v. 10.03.1982 – 8 W 224/81, FamRZ 1982, 1136f; OLG Düsseldorf v. 01.07.2015 – 3 Wx 193/14, FamZR 2016, 408 = BeckRS 2015, 14452, bei juris Tz. 38; KG v. 29.11.2005 – 1 W 17/05, FamRZ 2006, 511).


Die Besonderheit des vorliegenden Falles besteht darin, dass die Eheleute die sich aus der Verwendung des Begriffs “gleichzeitig” ergebenden Auslegungsprobleme offenbar bereits bedacht und ausdrücklich eine Regelung getroffen haben, die der oben genannten Rechtsprechung im Wesentlichen entspricht.

Sie haben dadurch unmittelbar sprachlich deutlich gemacht, dass sie gerade auch die Situation erfasst und geregelt sehen wollten, in der sie eben nicht exakt zum gleichen Zeitpunkt zusammen versterben, sondern in zeitlichem Abstand hintereinander, ohne dass es die Chance für ein Neutestieren gegeben hätte. Es kommt danach auf die Rechtsprechung zur Auslegung eines “gleichzeitigen” Todeseintritts beider gar nicht an.

Offenbleiben kann hier die Frage, ob damit auch ein zeitlich viele Jahre auseinander liegender Todeseintritt erfasst ist, wenn die Unmöglichkeit eines Neutestierens des Überlebenden daraus herrührt, dass er durch – unter Umständen sogar schon vor dem Tod des Erstversterbenden – bspw. demenzbedingt eingetretene Testierunfähigkeit nicht mehr in der Lage ist, ein neues Testament zu errichten, wofür die von den Eheleuten gewählte Formulierung sprechen könnte. Die Erblasserin hatte hier tatsächlich die Möglichkeit, nach dem Tod ihres Ehemanns im Verlauf der nächsten fast zwei Jahrzehnte ein neues Testament zu errichten und hat davon auch Gebrauch gemacht.

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Keinen Erfolg hat die Beschwerde mit der Argumentation, weil die Eheleute nicht nur den seltenen Ausnahmefall des tatsächlich gleichzeitigen Todeseintritts regeln wollten, erfasse die Schlusserbenbestimmung alle Versterbensfälle. Das übersieht, dass es praktisch unendlich viele denkbare dazwischenliegende Fallgestaltungen geben kann. Hätten die Eheleute tatsächlich eine (abschließende) Schlusserbenregelung gewollt, hätte es sich angeboten, solche eine Regelung auch schlicht zu treffen.

Es ist nicht zu erkennen, warum das den Eheleuten entgangen sein sollte. Vielmehr ist der Verzicht im Testament auf die sonst naheliegende und wesentlich einfachere schlichte Bestimmung der Beschwerdeführerin und ihres Ehemanns als Schlusserben ein deutliches Zeichen dafür, dass die Eheleute gerade noch keine für alle Fälle geltende Schlusserbenregelung treffen wollten. Vielmehr spricht alles für die Überlegung der Eheleute, dass das weitere Leben des Längstlebenden nach dem Tod des Erstversterbenden noch Wendungen nehmen könnte, die es sinnvoll und notwendig erscheinen lassen würden, ihm im Hinblick auf den Nachlass Verfügungsfreiheit zu geben (vgl. Senat v. 02.11.2003 – 3 Wx 47/02, NJW-RR 2004, 368, 370, bei juris Tz. 32) und gerade noch keine Regelung für den zweiten Todesfall zu treffen. Zu bedenkende Kinder gab es nicht.

Verwandte als mögliche gesetzliche Erben spielten jedenfalls 1995 keine maßgebliche Rolle. Bedacht wurde das seinerzeit als befreundet angesehene Ehepaar. Es liegt aber auf der Hand, dass sich gerade nach Tod eines Partners solche Freundschaften auseinander entwickeln können und die ursprünglich für richtig gehaltene Entscheidung später vom Überlebenden als falsch erkannt oder zumindest dafür gehalten wird. Dass sich Ehegatten in solchen Situationen schon endgültig festlegen und zudem wechselseitig binden wollen, liegt nicht nahe. Vielmehr zeigt das Testament ja gerade, dass die Möglichkeit zu weiteren Verfügungen des Längstlebenden gegeben sein sollte.


Nicht nachvollziehbar ist die Argumentation, die Eheleute hätten sich mit der Regelung für den Fall eines zeitlich versetzten Todeseintritts nur die Möglichkeit eines gemeinsamen neuen Testierens vorbehalten wollen, wofür die doppelte Verwendung des Wortes “wir” im Testament spreche. Denn gemeinschaftliche Testamente können gemeinschaftlich auch jederzeit geändert werden. Dafür bedarf es keines Vorbehalts.

Die Formulierung, mit der beide Schlusserben für den Fall des gleichzeitigen Todes oder des zeitlich nacheinander eintretenden Todes so, dass weitere Verfügungen nicht möglich sind, werden sollten, zeigt vielmehr, dass die Eheleute davon ausgingen, dass der überlebende Ehegatte, eine Bestimmung für seinen Tod selbst treffen würde. Sie wollten erkennbar nur den Fall regeln, dass ihm das nicht mehr gelingen würde.

Es ging nach der gewählten Formulierung ferner nicht darum, eine Schlusserbfolge für alle Fälle mit einer Befreiung für den Überlebenden zu treffen. Die von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage, warum die Eheleute dem Überlebenden nicht ausdrücklich eine unbeschränkte Testierfreiheit eingeräumt hätten, wenn sie das gewollt hätten, stellt sich nicht.

Auslegung einer Gleichzeitigkeits- / Katastrophenklausel – OLG Schleswig 3 Wx 29/22

Sie beruht anscheinend auf dem Fehlverständnis, dass ein länger lebender Ehegatte an ein früheres gemeinschaftliches Testament gebunden sei, wenn keine Befreiung erfolgt, und übersieht, dass eine Bindung überhaupt nur bei Erfüllung des Tatbestands des § 2270 BGB eintreten kann. Eine Befreiung kommt erst in Betracht, wenn eine wechselbezügliche Verfügung vorliegt, die Wechselbezüglichkeit ist für jede in einem Testament enthaltene Verfügung gesondert zu bestimmen.


Eine Testamentsvollstreckereinsetzung ohne Bedenken des eingesetzten Testamentsvollstreckers als Erben ist auch keineswegs ungewöhnlich oder gar “absurd”, wie die Beschwerdeführerin meint. Gerade ein nicht selbst am Nachlass beteiligter Testamentsvollstrecker ohne eigene Interessen hat am ehesten Chancen, von den Erben akzeptiert zu werden und eine Erbauseinandersetzung einigermaßen einvernehmlich herbeizuführen. Insbesondere verantwortungsvolle Erblasser werden bei einer Vielzahl in Betracht kommender gesetzlicher Erben davon Gebrauch machen.

Gerade bei engen Freunden kann es ein “letzter Freundschaftsdienst” sein, eine Testamentsvollstreckung rein altruistisch zu übernehmen. Die dies ausblendende Argumentationsweise der Beschwerdeführerin bestätigt eher die Sicht des Beteiligten zu 2., dass die Bindung und enge Beziehung der beiden Ehepaare zueinander vor allem auf Freundschaft und Vertrauen der Ehemänner zueinander beruhte und nach dem Tod des Ehemanns der Erblasserin die Intensität der Beziehung deutlich abnahm.


Sollte die Erblasserin angenommen haben, die Eheleute hätten eine alle Fälle umfassende Schlusserbenregelung getroffen, wofür die Passage zur aufgehobenen Geltung des früheren Testaments im notariell beurkundeten von Ende 2020 sprechen könnte, würde sich daraus noch längst nicht entnehmen lassen, dass ihr vorverstorbener Ehemann das auch so verstanden hätte.

Das aber wäre notwendig, um einen entsprechenden gemeinsamen Willen der Eheleute festzustellen. Insoweit muss die Auslegung gemeinschaftlicher Testamente von Eheleuten ebenso wie die von Erbverträgen nicht nur den tatsächlichen Willen des einen Testierenden ermitteln, sondern auch berücksichtigen, wie dieser vom anderen Testierenden als Erklärungsempfänger aus seiner Sicht heraus zu verstehen ist. Es kommt auf das Verständnis beider Seiten an.

Auslegung einer Gleichzeitigkeits- / Katastrophenklausel – OLG Schleswig 3 Wx 29/22

Vor allem aber erlaubt die Angabe der Erblasserin im notariellen Testament von Ende 2020 nicht sicher den Schluss darauf, dass sie tatsächlich eine Schlusserbenbestimmung für alle Fälle im Testament von 1995 vornehmen wollte. So kann es durchaus sein, dass es sich um eine auf Veranlassung des Notars zur Absicherung aufgenommene, vorsorgliche Bestimmung handelte. Dass die Erklärung im notariellen Testament dabei nicht so richtig vom Notar bedacht worden ist, so dass ihr auch keine besondere Bedeutung beigemessen werden kann, liegt dann nahe. Denn dem Notar hätte sich bei einer Schlusserbenbestimmung für alle Fälle in den Testamenten von 1995 die Frage der Bindung und Wechselbezüglichkeit aufdrängen müssen.

Insoweit wäre dann auch eine erklärende Passage im notariellen Testament zu erwarten gewesen. Es kann aber auch sein, dass sich das Verständnis der Erblasserin über das, was sie seinerzeit verfügt hatte, im Laufe der Jahre verändert hat. Insoweit lässt die Erklärung 25 Jahre später nicht sicher auf den früheren Willen schließen.


Es gibt auch sonst keine belegten Anhaltspunkte dafür, dass für jeden Fall eine Schlusserbenbestimmung getroffen werden sollte. Allenfalls aus der vom Nachlassgericht sogar als wahr unterstellten Behauptung der Beschwerdeführerin, dass die Eheleute seinerzeit erklärt haben sollen, die Beschwerdeführerin und ihren Ehemann in jedem Fall als Schlusserben eingesetzt zu haben, könnte sich etwas anderes ergeben.

Tatsächlich könnte dies, wenn es zuträfe, möglicherweise auf einen entsprechenden Willen schließen lassen. Allerdings spricht hier – ohne dass es darauf ankäme – wenig dafür, dass es solche Erklärungen der Eheleute gegeben hat und die benannte Zeugin dies zur Überzeugung des Senats bestätigen könnte. Schon ihre schriftlich vorgelegte Erklärung enthält insoweit nur pauschale Angaben und Wertungen, jedoch keine Realitätskennzeichen. Maßgeblich ist – und das hat das Nachlassgericht zutreffend erkannt – dass ein solcher Wille im gemeinschaftlichen Testament nicht angedeutet ist.


Aus Andeutungen in späteren Testamenten lässt sich entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nichts für die Formwirksamkeit des früheren Testaments herleiten. Allenfalls können sich unter Umständen – meist sehr schwache – Indizien für die Auslegung eines früheren Testaments ergeben. Davon ist aber die Frage der Formwirksamkeit zu unterscheiden.

Auslegung einer Gleichzeitigkeits- / Katastrophenklausel – OLG Schleswig 3 Wx 29/22


Zu Recht hat das Nachlassgericht vorrangig geprüft, ob ein eventueller Wille einer Schlusserbeneinsetzung für alle Fälle im Testament von 1995 angedeutet worden ist. Es hat auch die Voraussetzungen einer Andeutung zutreffend dargelegt und deren Erfüllung hier verneint.

Die Beschwerdeführerin verkennt die Argumentationslast, wenn sie meint, das Nachlassgericht hätte begründen müssen, weshalb eine Andeutung nicht vorliege. Das Gegenteil ist der Fall. Wer sich auf eine für ihn günstige Auslegung eines Testaments beruft, trägt auch die Argumentationslast zur Frage, ob das gewünschte Ergebnis im Testament zumindest angedeutet ist.

Dem wird die Beschwerde nicht gerecht. Zutreffend stellt sie fest, dass die Erblasser offensichtlich nicht nur den Fall gleichzeitigen Versterbens regeln wollten. Sie haben eben auch eine Regelung für einen Fall zeitlich versetzten Sterbens getroffen. Das deutet aber gerade nicht an, dass damit die Regelung für alle Fälle zeitlich versetzten Sterbens geltend soll.

Dass sich die Erblasser 1995 nicht auf eine sich erst viele Jahre später durchsetzende Rechtsprechung zum Verständnis von Formulierungen zu gleichzeitigem oder gemeinsamen Versterben verlassen haben, sondern eine eigene vollständige Regelung getroffen haben, spricht gerade gegen die Andeutung eines weiteren Verständnisses. Gleichermaßen dagegen spricht der Text des Testaments selbst, der ausdrücklich nur auf die Unmöglichkeit späteren Testierens durch den Überlebenden abstellt.

Es ist im Testament auch nicht davon die Rede, dass der Überlebende eine getroffene Regelung nicht mehr ändern könne, was dafür sprechen könnte, dass eine weitergehende Schlusserbenbestimmung gewollt gewesen sein könnte. Vielmehr spricht das Testament neutral von “weiteren Verfügungen”, lässt völlig offen, worin diese liegen könnten.

Damit ist gar kein weitergehender Inhalt angedeutet.

Auf die Frage eintretender Bindungswirkung kommt es nicht an. Angaben der benannten Zeugen können allenfalls für die Auslegung der im Testament enthaltenen Verfügungen herangezogen werden, besagen aber nichts zu der Frage, was im Testament angedeutet ist.

Auslegung einer Gleichzeitigkeits- / Katastrophenklausel – OLG Schleswig 3 Wx 29/22

Offenbar verwechselt die Beschwerdeführerin die Fragen der (ergänzenden) Auslegung und der Anhaltspunkte für diese bzw. deren Andeutung im Testament zur Gewährleistung der notwendigen Formerfordernisse. Das gilt auch für die Heranziehung der Testamentsvollstreckerbestimmung.

Die Bestimmung eines Testamentsvollstreckers ist gerade keine Erbeinsetzung und deutet eine solche auch nicht an. Wie schon oben im Zusammenhang mit der Auslegung des Testaments ausgeführt, spricht sie hier im übrigen gerade gegen eine generelle Schlusserbenbestimmung, sondern eher dafür, dass die Eheleute außerhalb der ausdrücklich geregelten Fälle und vorbehaltlich weiterer Verfügungen des Längstlebenden seinerzeit von der Möglichkeit einer gesetzlichen Erbfolge ausgingen.


Es kommt für die Entscheidung über den Erbscheinsantrag der Beschwerdeführerin weder darauf an, ob die Erblasserin Ende 2020 testierunfähig war, noch auf die Frage, wann das auf den 08.10.2018 datierte Testament tatsächlich errichtet worden ist.

Auch die Umstände des Auffindens des Testaments sind unerheblich. Das alles mag im Fall eines Erbscheinsantrags des Beteiligten zu 2 eine Rolle spielen.

Es ist aber nicht maßgeblich für die Frage, ob die Beschwerdeführerin durch das Testament von 1995 Erbin geworden ist. Das war nicht der Fall. Demzufolge hat sich das Nachlassgericht auch völlig richtig mit diesen Punkten nicht weiter beschäftigt.

Die Beanstandungen der Beschwerdeführerin gehen an der Sache vorbei, wie sie offenbar auch selbst gesehen hat, wenn sie ausführt, dass es sich bei den von ihr so bezeichneten “Ungereimtheiten” nicht um Umstände handele, die unmittelbar Einfluss auf die technische Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments hätten.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Danach soll das Gericht dem Beteiligten, der ein erfolgloses Rechtsmittel eingelegt hat, die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auferlegen. Es gibt keinen Grund, hier ausnahmsweise von dieser Regel abzuweichen.


Die Wertfestsetzung beruht auf §§ 79, 61, 40 Abs. 1 Nr. 2 GNotKG.

Auslegung einer Gleichzeitigkeits- / Katastrophenklausel – OLG Schleswig 3 Wx 29/22

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