BAG 7 ABR 71/11

Oktober 20, 2017

BAG 7 ABR 71/11 Unternehmenseinheitlicher Betriebsrat – Sachdienlichkeit – Betriebsvereinbarung nach § 3 Abs 1 Nr 1 Buchst a Abs 2 BetrVG

RA und Notar Krau

Sachverhalt:

Die Arbeitgeberin, ein Softwareunternehmen mit mehreren Standorten, beantragte die gerichtliche Feststellung,

dass durch eine Gesamtbetriebsvereinbarung (GesBV) wirksam die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats bestimmt wurde.

Die GesBV sah die Ablösung der bestehenden zwei regionalen Betriebsräte (Nord und Süd) und des Gesamtbetriebsrats durch einen unternehmenseinheitlichen Betriebsrat vor.

Der Betriebsrat Nord hielt die GesBV für unwirksam und lehnte die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats ab.

Entscheidung des BAG:

BAG 7 ABR 71/11

Das BAG hob den Beschluss des Landesarbeitsgerichts auf und verwies die Sache zurück.

Das Landesarbeitsgericht hatte zwar die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für den Abschluss der GesBV und das Erfordernis der

Sachdienlichkeit für die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats zutreffend erkannt, jedoch nicht alle relevanten Aspekte bei der Prüfung der Sachdienlichkeit berücksichtigt.

Zentrale Punkte des Urteils:

  • Zulässigkeit des Antrags: Der Antrag der Arbeitgeberin war zulässig, da er auf eine Entscheidung nach § 18 Abs. 2 BetrVG gerichtet war, die die Klärung der Betriebsratsfähigkeit einer Organisationseinheit ermöglicht.
  • Sachdienlichkeit: Die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats ist nur zulässig, wenn sie die Bildung von Betriebsräten erleichtert oder einer sachgerechten Wahrnehmung der Interessen der Arbeitnehmer dient (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 2 BetrVG).   
  • Zentrale Entscheidungsfindung: Für die Sachdienlichkeit ist insbesondere von Bedeutung, wo die mitbestimmungspflichtigen Entscheidungen im Unternehmen getroffen werden. Eine zentrale Entscheidungsfindung auf Unternehmensebene spricht für die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats.

BAG 7 ABR 71/11

  • Ortsnähe: Neben der zentralen Entscheidungsfindung ist auch der Grundsatz der Ortsnähe zu berücksichtigen. Durch die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats darf der Kontakt zwischen den Arbeitnehmern und ihrer Vertretung nicht unangemessen erschwert werden.
  • Erleichterung der Betriebsratsbildung: Die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats kann auch dann sachdienlich sein, wenn sie die Bildung von Betriebsräten erleichtert, z.B. wenn anderenfalls die Gefahr besteht, dass in einzelnen Betrieben kein Betriebsrat gebildet wird.
  • Einschätzungsspielraum der Betriebsparteien: Den Betriebsparteien kommt ein Einschätzungsspielraum hinsichtlich des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen für die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats zu.
  • Unwirksamkeit einzelner Bestimmungen: Die mögliche Unwirksamkeit einzelner Bestimmungen der GesBV führt nicht zur Gesamtunwirksamkeit, solange der verbleibende Teil eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung darstellt.

Detaillierte Begründung:

BAG 7 ABR 71/11

  • Das BAG stellte fest, dass das Landesarbeitsgericht zwar die zentrale Entscheidungsfindung in der Unternehmenszentrale als Argument für die Sachdienlichkeit eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats angeführt hatte, jedoch die damit verbundene räumliche Entfernung zwischen den Standorten und die damit möglicherweise einhergehende Erschwerung des Kontakts zwischen Arbeitnehmern und Betriebsrat nicht berücksichtigt hatte.
  • Die Sache wurde zurückverwiesen, damit das Landesarbeitsgericht die Sachdienlichkeit unter Berücksichtigung aller relevanten Aspekte prüfen und den Beteiligten Gelegenheit zur weiteren Stellungnahme geben konnte.
  • Das BAG stellte klar, dass die GesBV nicht deshalb unwirksam war, weil der Betriebsrat Nord ihre Zustimmung verweigerte. Ein Vetorecht einzelner Betriebsräte gegen die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats besteht nicht.
  • Die GesBV war auch nicht deshalb unwirksam, weil die Arbeitgeberin Tarifverträge anwendete. Die Regelungssperre des § 3 Abs. 2 BetrVG greift nur bei normativer Geltung von Tarifverträgen, nicht bei einzelvertraglicher Bezugnahme.
  • Die mögliche Unwirksamkeit einzelner Bestimmungen der GesBV, z.B. hinsichtlich der Festlegung der Anzahl der Betriebsratsmitglieder, führte nicht zur Gesamtunwirksamkeit.

BAG 7 ABR 71/11

Fazit:

Das Urteil verdeutlicht die Voraussetzungen für die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats.

Neben der zentralen Entscheidungsfindung im Unternehmen ist auch der Grundsatz der Ortsnähe zu berücksichtigen.

Den Betriebsparteien kommt zwar ein Einschätzungsspielraum zu, die Gerichte haben aber im Streitfall zu prüfen,

ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats tatsächlich vorliegen.

 

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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