Bayerisches Oberstes Landesgericht 1Z BR 102/98

September 16, 2017

Bayerisches Oberstes Landesgericht 1Z BR 102/98 Testamentsauslegung: Erbeinsetzung durch Zuwendung einer Immobilie; solange Du lebst-Klausel

Tenor

Die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluß des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 29. Juni 1998 wird zurückgewiesen.

Gründe Bayerisches Oberstes Landesgericht 1Z BR 102/98 

Die im 71. Lebensjahr verstorbene Erblasserin war ledig und kinderlos. Die Beteiligte zu 2 ist ihre Zwillingsschwester und ebenfalls unverheiratet und ohne Kinder. Vater war H. Die Mutter heiratete später R. Aus dieser Ehe gingen die Beteiligten zu 1, 3 und 4 hervor. Die Mutter verstarb 1934.

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Am 6.1.1977 fertigte die Erblasserin folgendes an die Beteiligte zu 2 gerichtetes, mit Hand geschriebenes und unterschriebenes Schreiben mit folgendem Inhalt:

“Testament!    Liebe Schwester                6.1.1977

Ich Deine Schwester möchte Dir mitteilen, wenn ich sollte einmal vor Dir sterben daß von dem Geld auf der Sparkasse wenigstens die Hälfte für gute Zweck verwendet werden soll. Zum Beispiel Ostpriesterhilfe, Diaspora und für die Mission Das ist mein Wille    Tante Emma soll ebenfalls bei Dir wohnen bleiben.

Und die Eigentumswohnung gehört Dir solange Du lebst.

Geschrieben an Hl. 3 König    6. Januar 1977 … “

Nach dem Tod der Erblasserin am 12.7.1989 übergab die Beteiligte zu 2 dieses Schreiben dem Nachlaßgericht und beantragte die Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbin. Das Nachlaßgericht erteilte aufgrund Beschlusses vom 15.11.1989 den beantragten Erbschein, nachdem die hierzu gehörten Beteiligten zu 1, 3 und 4 keine Einwendungen erhoben hatten. Der Nachlaß besteht aus Geldvermögen in Höhe von DM 57.000,– und der im Schreiben vom 6.1.1977 erwähnten Eigentumswohnung im Wert von mindestens DM 80.000,–. Die Beteiligten zu 1, 3 und 4 erhielten von der Beteiligten zu 2 aus dem Nachlaß erhebliche Geldzuwendungen. Die Eigentumswohnung verkaufte die Beteiligte zu 2 im Jahr 1996.

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Mit Schreiben seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 2.7.1997 hat der Beteiligte zu 1 die Einziehung des Erbscheins beantragt. Der Erbschein sei unrichtig, weil das Testament vom 6.1.1977 bezüglich des Geldvermögens keine Verfügung zugunsten der Beteiligten zu 2 enthalte und diese bezüglich der Wohnung nur ein Vermächtnis erhalten habe oder Vorerbin geworden sei.

Das Nachlaßgericht hat nach Vernehmung sämtlicher Beteiligter mit Beschluß vom 20.6.1997 den Einziehungsantrag zurückgewiesen. Es ist zur Auffassung gekommen, daß die Beteiligte zu 2 Alleinerbin geworden sei. Wegen der widersprechenden Angaben der Beteiligten zu 2 einerseits und der übrigen Beteiligten andererseits bestehe kein Hinweis auch außerhalb des Testaments, daß die Erblasserin Nacherbfolge habe anordnen wollen. Die Testamentsurkunde selbst erlaube diese Folgerung nicht. Die Klausel “… die Eigentumswohnung … gehört Dir solange Du lebst” enthalte lediglich eine Floskel.

Gegen diese Entscheidung hat der Beteiligte zu 1 Beschwerde eingelegt, die das Landgericht mit Beschluß vom 29.6.1998 zurückgewiesen hat. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1, mit der er die Einziehung des Erbscheins weiter verfolgt.

Die zulässige, insbesondere formgerecht (§ 29 Abs. 1 Satz 2 FGG) eingelegte weitere Beschwerde ist unbegründet.

Das Landgericht, das sich in allen Punkten der Entscheidung des Nachlaßgerichts angeschlossen hat, legt das Testament vom 6.1.1977 dahin aus, daß die Beteiligte zu 2 Alleinerbin geworden sei. Dies ergebe sich bezüglich des Geldvermögens daraus, daß sie ohne diese Rechtsstellung den Auflagen der Erblasserin über die Verteilung eines Teils des Geldvermögens nicht hätte nachkommen können. Außer der mit einem Vermächtnis bedachten Tante Emma sei nur die Beteiligte zu 2 als Zuwendungsempfängerin genannt worden. Dieser sei ausdrücklich die Eigentumswohnung, die den wesentlichen Teil des Vermögens der Erblasserin ausgemacht habe, zugewiesen worden.

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Die Beweisaufnahme habe keine Umstände zu Tage gebracht, die auf einen anderen Testierwillen hingewiesen hätten. Die Angaben der Beteiligten zu 2 einerseits und der Beteiligten im übrigen andererseits seien widersprüchlich, ohne daß den Aussagen einer Seite ein höheres Gewicht zukomme als der anderen. Sie müßten daher bei der Testamentsauslegung außer Betracht bleiben. Der Formulierung im Testament vom 6.1.1977 “Und die Eigentumswohnung … gehört Dir solange Du lebst” komme keine eigenständige Bedeutung zu.

Vielmehr sei diese eine Floskel, mit der die Erblasserin möglicherweise zum Ausdruck gebracht habe, das weitere Leben ihrer Zwillingsschwester absichern zu wollen. Immerhin habe die Erblasserin mit der Beteiligten zu 2 engere persönliche Beziehungen unterhalten als zu den übrigen Beteiligten.

Die Entscheidung des Landgerichts hält der rechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand (§ 27 Abs. 1 FGG, § 550 ZPO).

a) Zu Recht geht das Landgericht davon aus, daß die Erblasserin das Schreiben vom 6.1.1977 an die Beteiligte zu 2 mit ernstlichem Testierwillen und in der erforderlichen Form gemäß 2247 BGB verfaßt hat. Die Erblasserin bezeichnet selbst das Schreiben als “Testament” und bekräftigt den Charakter als Verfügung von Todes wegen mit dem Satz “Das ist mein Wille”.

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Der Umstand, daß der Satz “Tante Emma soll ebenfalls bei Dir wohnen bleiben” möglicherweise nachträglich eingefügt worden ist, schränkt die Formgültigkeit der Testamentsurkunde nicht ein. Auf demselben Blatt angebrachte Nachträge müssen vom Erblasser dann nicht gesondert unterzeichnet werden, wenn sie nach seinem Willen von der ursprünglichen Unterschrift gedeckt sein sollen und das räumliche Erscheinungsbild der Testamentsurkunde dem nicht entgegensteht (vgl. BGH NJW 1974, 1083; BayObLGZ 1984, 194/196).

Die Anordnung des Wohnrechts steht in der Urkunde nicht nur räumlich, sondern auch dem Sinn nach in unmittelbarem Zusammenhang mit der Zuordnung der Eigentumswohnung an die Beteiligte zu 2. Die Unterschrift der Erblasserin deckt beide Anordnungen und läßt keinen Zweifel an dem entsprechenden Testierwillen.

b) Das Landgericht hat das Testament vom 6.1.1977 rechtsfehlerfrei dahin ausgelegt, daß die Erblasserin darin die Beteiligte zu 2 als Alleinerbin bestimmt hat.

aa) Die Testamentsauslegung ( 133, § 2084 BGB) ist Sache der Tatsacheninstanz. Das Rechtsbeschwerdegericht kann nur prüfen, ob die Auslegung alle wesentlichen Umstände berücksichtigt, nach den Denkgesetzen und der Erfahrung möglich ist, mit den gesetzlichen Auslegungsregeln im Einklang steht und dem klaren Sinn und Wortlaut des Testaments nicht widerspricht (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. BayObLG FamRZ 1991, 234/235).

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bb) Das Landgericht hat im Einklang mit diesen Grundsätzen ausgeführt, daß der Inhalt des Testaments rechtlich nicht eindeutig ist und deshalb der Auslegung bedarf. Die Erblasserin hat nämlich über einzelne Vermögensgegenstände, nämlich einen Teil ihres Geldvermögens, ihre Eigentumswohnung und das Recht, darin zu wohnen, zugunsten der Beteiligten zu 2 und der Tante Emma verfügt, ohne einen von ihnen ausdrücklich als Erben zu bezeichnen. Die Wortwahl der Erblasserin ist nicht entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob eine Erbeinsetzung ( 1937 BGB) oder Vermächtnisse (§ 1939 BGB) vorliegen. Dies beurteilt sich vielmehr nach dem auszulegenden sachlichen Inhalt der letztwilligen Verfügung.

cc) Das Landgericht hat, ohne sich mit der Auslegungsregel des 2087 Abs. 2 BGB auseinanderzusetzen, im Ergebnis zutreffend das Testament dahin ausgelegt, daß die Beteiligte zu 2 als Alleinerbin eingesetzt worden ist.

(1) Nach der Auslegungsregel des § 2087 Abs. 2 BGB will ein Erblasser mit der Zuwendung bestimmter Gegenstände oder bestimmter Gruppen von Gegenständen im Zweifel nur über diese konkreten Gegenstände verfügen und Vermächtnisse (§§ 2147, 2174 BGB) begründen, nicht aber sein Vermögen als Ganzes (§§ 1922, 1937 BGB) oder zu einem bestimmten Bruchteil dem auf diese Weise Bedachten zukommen lassen.

(1.1) § 2087 Abs. 2 BGB enthält aber nur eine Auslegungsregel, keine gesetzliche Vermutung (OLG Köln FamRZ 1993, 735). Die Vorschrift greift daher nicht ein, wenn ein anderer Wille des Erblassers festgestellt werden kann (BayObLG FamRZ 1999, 59/60 m.w.N.). Hat ein Erblasser praktisch sein gesamtes Vermögen, etwa unterteilt in Immobiliar- und sonstiges Vermögen, einer oder mehreren Personen zugedacht, so ist, entgegen dem Wortlaut des § 2087 Abs. 2 BGB, regelmäßig anzunehmen, daß der Testierende eine Erbeinsetzung bezweckt hat; denn es kann nicht unterstellt werden, daß er überhaupt keinen Erben berufen wollte (vgl. BGH DNotZ 1972, 500; BayObLG FamRZ 1995, 246/248).

(1.2) Eine solche testamentarische Aufteilung des Nachlasses kann als Erbeinsetzung angesehen werden (vgl. BGH FamRZ 1990, 396/398; BayObLG FamRZ 1992, 862/864). Allerdings müssen nicht alle Bedachten auch zu Erben berufen sein. Vielmehr kann die Auslegung ergeben, daß nur eine oder einzelne der bedachten Personen als Erben eingesetzt (§§ 1937, 1922 BGB), den anderen nur Vermächtnisse (§§ 1939, 2174 BGB) zugewendet sind (vgl. BGH aaO; BayObLG FamRZ 1999, 59/60 m.w.N.).

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Naheliegend ist es, als Alleinerben die Person oder Personen anzusehen, denen wertmäßig der Hauptnachlaßgegenstand zugewiesen ist und als Vermächtnisnehmer die Personen, die mit Gegenständen von verhältnismäßig geringerem Wert bedacht sind (vgl. BayObLG FamRZ 1995, 246/248 und 1999, 59/60).

(1.3) Insbesondere wenn eine Immobilie seinem Wert nach den wesentlichen Teil des Vermögens bildet, liegt es nahe, in seiner Zuwendung an eine bestimmte Person deren Einsetzung als Alleinerben zu sehen (vgl. BayObLG FamRZ 1997, 1177/ 1178). Maßgebend sind die Vorstellungen, die der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung über die voraussichtliche Zusammensetzung seines Nachlasses und den Wert der in diesen fallenden Gegenständen hat (BayObLG FamRZ 1995, 246/248).

(2) Nach diesen Auslegungsgrundsätzen kommt der Zuordnung der Eigentumswohnung an die Beteiligte zu 2 maßgebliche Bedeutung für die Annahme ihrer Erbeinsetzung zu. Mit einem Verkehrswert von mindestens DM 80.000,– macht die Eigentumswohnung den wesentlichen Teil des Vermögens der Erblasserin aus. Dazu kommt, daß der Beteiligten zu 2 auch das Geldvermögen in Höhe von DM 57.000,– übertragen ist. Dies ergibt sich daraus, daß ihr die Auflage gemacht ist, wenigstens die Hälfte des Geldvermögens für gute Zwecke zu verwenden.

Da die Beteiligte zu 2 diese Auflage nur erfüllen kann, wenn ihr über das Geldvermögen die Verfügungsbefugnis eingeräumt ist, wollte die Erblasserin, daß der Beteiligten zu 2 auch das Geldvermögen gehört. Demgegenüber begründet das angeordnete Wohnrecht lediglich den schuldrechtlichen Anspruch der Tante Emma auf dessen Einräumung gegenüber der Erbin (§ 2174 BGB).

c) Auch die Testamentsauslegung des Landgerichts zu der Bedeutung der Klausel “und die Eigentumswohnung … gehört Dir solange Du lebst” ist im Ergebnis nicht zu beanstanden, denn die vorgenommene Testamentsauslegung ist möglich und verstößt weder gegen die gesetzlichen Auslegungsgrundsätze ( 133, § 2084 BGB) noch gegen Denk- und Erfahrungssätze. Die Schlußfolgerungen des Tatgerichts müssen hierbei nicht zwingend sein; es genügt und ist mit der weiteren Beschwerde nicht mit Erfolg angreifbar, wenn der vom Tatgericht gezogene Schluß möglich ist (vgl. BGH BayObLGZ 1996, 165/171; st. Rspr.).

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aa) Das Landgericht hat in Betracht gezogen, daß in der Klausel eine Beschränkung der Erbenstellung der Beteiligten zu 2 liegt, die – wie aus der Bezugnahme des Landgerichts auf die erstinstanzielle Entscheidung erkenntlich – in der Anordnung von Nacherbschaft liegen könnte. Bei der Auslegung einer letztwilligen Verfügung, die als Anordnung einer Nacherbschaft in Betracht kommen könnte, gelten die allgemeinen erbrechtlichen Auslegungsregeln ( 133, § 2084 BGB).

Danach ist der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (vgl. BayObLGZ 1996, 165/170). Ausgangspunkt ist der Wortlaut der letztwilligen Verfügung; dieser ist jedoch nicht bindend. Vielmehr ist der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften.

Ein Abweichen vom Wortsinn setzt aber voraus, daß der Erklärende mit den Worten einen anderen Sinn verbunden hat, als es dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht (BayObLGZ 1997, 59/65 f.). Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, daß der Sprachgebrauch nicht immer so exakt ist oder sein kann, daß der Erklärende mit seinen Worten genau das unmißverständlich wiedergibt, was er zum Ausdruck bringen wollte (BGH NJW 1993, 256).

Um dem wirklichen Willen des Erblassers zur Geltung zu verhelfen, sind zunächst die tatsächlichen wirtschaftlichen Absichten und Ziele des Erblassers, die in der Erklärung selbst oder in den außerhalb der Verfügung liegenden Umständen vor und nach Testamentserrichtung zum Ausdruck gekommen sind, zu ermitteln (vgl. BayObLG FamRZ 1997, 316/317).

Dabei sind die gesetzlichen Auslegungsregeln und Wertungen zu beachten. Entscheidend ist, ob sich der Klausel entnehmen läßt, daß die Erblasserin nach der Einsetzung der Beteiligten zu 2 als Alleinerbin die Weitergabe des Erbes an dritte Personen angeordnet und zu deren Sicherung die für den Vorerben gesetzlich vorgesehenen Verfügungsbeschränkungen der §§ 2113 f. BGB der Beteiligten zu 2 auferlegen wollte.

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bb) Die Auslegung des Landgerichts, die Erblasserin habe der Klausel “Und die Eigentumswohnung … gehört Dir solange Du lebst” keine derartige rechtliche Bedeutung beigemessen, steht mit diesen Grundsätzen im Einklang. Für sie sprechen folgende Gesichtspunkte:

(1) Nach dem Inhalt des Testaments hat die Erblasserin ihr Augenmerk hauptsächlich auf die wohltätige Verwendung ihres Geldvermögens gelegt und die Erfüllung dieses Anliegens in die Hände ihrer Zwillingsschwester, der Beteiligten zu 2, gelegt. Sie hat keineswegs konkrete Vermächtnisse zugunsten bestimmter wohltätiger Einrichtungen angeordnet, sondern die Regelung im einzelnen in das Ermessen ihrer Zwillingsschwester gestellt und damit zum Ausdruck gebracht, sie als ihre engste Vertrauensperson anzusehen.

Diese zur freien Verfügung über das Geldvermögen berechtigende Vertrauensstellung steht der Annahme eines auf Vorerbschaft gerichteten Erblasserwillens entgegen. Es besteht kein Anhaltspunkt, daß die Erblasserin ihrer Zwillingsschwester einerseits freie Hand über das Geldvermögen lassen wollte, andererseits aber bezüglich der Eigentumswohnung sie den Beschränkungen des Vorerben gemäß § 2113 f. BGB unterwerfen wollte.

Von keinem der Beteiligten wird behauptet, daß die Halbgeschwister ein größeres Vertrauen der Erblasserin als ihre Zwillingsschwester genossen haben, so daß die Erblasserin keinen Anlaß gehabt hat, die von ihr als Alleinerbin eingesetzte Zwillingsschwester in ihrer Verfügungsbefugnis zugunsten der im Testament überhaupt nicht genannten Halbgeschwister zu beschränken.

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(2) Die Erblasserin hat nur für den Fall, daß sie vor ihrer Zwillingsschwester verstirbt, eine letztwillige Verfügung getroffen, nicht aber für den Fall, daß sie nach dem Tod ihrer Zwillingsschwester verstirbt. Sie hat bei diesem Ablauf keinen Anlaß gesehen, eine von der gesetzlichen Erbfolge abweichende Regelung zu treffen. Gesetzliche Erben sind in diesem Fall ihre Halbgeschwister, die Beteiligten zu 1, 3 und 4, die ebenfalls gesetzliche Erben ihrer Zwillingsschwester sind.

Es ist daher naheliegend, daß die Erblasserin von der Vorstellung ausgegangen ist, daß auch nach dem Tod der als ihre Erbin eingesetzten Zwillingsschwester die Halbgeschwister als deren gesetzliche Erben anstehen und sie nur für die Lebenszeit der Zwillingsschwester die Abfassung einer letztwilligen Verfügung als notwendig angesehen hat und dieser Vorstellung mit den Worten “… solange Du lebst” Ausdruck geben wollte.

(3) Danach hat das Landgericht zu Recht in Erwägung gezogen, daß die Erblasserin mit der “solange Du lebst”-Klausel die wirtschaftliche Absicherung der Zwillingsschwester bis zu ihrem Tode im Auge gehabt hat. Dieser Intention liefe die Annahme einer Vorerbschaft zuwider, die die wirtschaftliche Absicherung im Hinblick auf die mit ihr verbundenen Verfügungsbeschränkungen (§§ 2113 f. BGB) behindern könnte.

(4) Die Bewertung der “… solange Du lebst”-Klausel durch die Vorinstanzen wird durch die Entwicklung nach dem Tod der Erblasserin unterstrichen. Der Beteiligten zu 2 wurde am 15.11.1989 ohne Einwendung der übrigen Beteiligten ein Erbschein als Alleinerbin ohne Einschränkung durch einen Nacherbenvermerk erteilt.

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Diese haben offenbar die vom Nachlaßgericht bei der Auslegung des Testaments zugrunde gelegten Vorstellungen der Erblasserin geteilt. Sie haben nach Angaben der Beteiligten zu 1 und 4 nicht unerhebliche Geldzahlungen der Beteiligten zu 2 entgegengenommen und dabei keine Zweifel zum Ausdruck gebracht, daß die Beteiligte zu 2 hierzu nicht berechtigt gewesen sei.

cc) Die Vorinstanzen haben im übrigen bei der Testamentsauslegung zur Frage, ob die Erblasserin Nacherbfolge angeordnet hat, die Angaben der einvernommenen Verfahrensbeteiligten außer Betracht gelassen.

Dies begegnet keinen Bedenken, weil die Angaben der Beteiligten zu 2 einerseits und der übrigen Beteiligten andererseits miteinander nicht zu vereinbaren sind und keiner der Aussagen ein höheres Gewicht beizumessen ist, nachdem alle Beteiligten ein erhebliches Interesse am Verfahrensausgang haben.

Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht. Wer die Gerichtskosten zu tragen hat, ergibt sich aus dem Gesetz. Die Anordnung einer Kostenerstattung gemäß § 13a Abs. 1 Satz 2 FGG ist nicht geboten, weil die Beteiligten zu 2 bis 4 im Verfahren der weiteren Beschwerde nicht hervorgetreten sind. Somit bedarf es auch keiner Festsetzung des Geschäftswerts.

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Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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