LAG Hamm 10 Sa 1175/12

Juni 29, 2020

LAG Hamm 10 Sa 1175/12, Urteil vom 01.03.2013, Insolvenzverfahren, Zahlungsansprüche, Betriebsübergang, Nachtragsliquidation

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen – das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 2. August 2012 – 4 Ca 1045/12 – teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 15.000,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils 2.500,00 Euro brutto seit dem 2. Februar, 2. März, 3. April, 3. Mai, 2. Juni und 3. Juli 2012 zu zahlen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben die Klägerin zu 47 % und die Beklagte zu 53 % zu tragen. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Die Revision für die Klägerin wird nicht zugelassen.

Tatbestand

LAG Hamm 10 Sa 1175/12

Die Parteien streiten nach teilweiser Berufungsrücknahme noch über Zahlungsansprüche der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs und des Schadensersatzes.

Die Klägerin war seit dem 1. August 2009 als Bürokauffrau bei der L1 GmbH gegen ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 2.500,00 Euro im Betrieb in H1 beschäftigt.

Am 1. September 2010 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der L1 eröffnet. Mit Schreiben vom 29. September 2010 kündigte der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis zum 31. Oktober 2010 und stellte die Klägerin ab dem 1. Oktober 2010 unter Fortzahlung der Vergütung unwiderruflich von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung frei.

Nachdem die nicht über einen Betriebsübergang unterrichtete Klägerin Anfang November 2010 erfahren hatte, dass mit Schreiben vom 13. Oktober 2010 eine T1 GmbH Kunden der L1 über die Fortsetzung des Geschäftsbetriebs informiert hatte, erweiterte sie die gegen den Insolvenzverwalter erhobene Kündigungsschutzklage zunächst um einen Antrag auf Feststellung, dass über den 30. November 2011 hinaus ein Arbeitsverhältnis zu dieser Gesellschaft bestehe.

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Auf Mitteilung des Arbeitsgerichts vom 28. Januar 2011, dass eine Firma T1 nicht zu ermitteln sei, stellte die Klägerin durch Einsichtnahme in das Handelsregister fest, dass es sich um die hiesige Beklagte – seinerzeit firmierend als P1 GmbH – handelte. Eine Zustellung an die Beklagte gelang erst, als die Klägerin nach eigener Recherche dem Arbeitsgericht die Adresse eines weiteren Unternehmens des damaligen Geschäftsführers der Beklagten mitgeteilt hatte. Mit Schreiben vom 11. April 2011 meldeten sich erstmals die Prozessbevollmächtigten der Beklagten.

Das Arbeitsgericht wies mit Urteil vom 6. Juli 2011 – 4 Ca 2296/10 – die zwischenzeitlich auch auf Zahlung von Annahmeverzugsvergütung durch die Beklagte für die Zeit vom 1. November 2010 bis zum 30. Juni 2011 gerichtete Klage mit der Begründung ab, dass ein Betriebsübergang nicht erfolgt sei und deshalb zu keiner Zeit ein Arbeitsverhältnis zu der Beklagten bestanden habe.

Die hiergegen von der Klägerin eingelegte Berufung wurde vom Landesarbeitsgericht Hamm mit Urteil vom 26. März 2012 – 6 Sa 1318/11 – insoweit als unzulässig verworfen, als sie gegen die Abweisung der Zahlungsklage gerichtet war.

Dem Antrag auf Feststellung eines über den 30. November 2010 hinaus zur Beklagten bestehenden Arbeitsverhältnisses gab das Landesarbeitsgericht Hamm statt. Zur Begründung führte es aus, dass ein Betriebsübergang auf die Beklagte vor dem Zugang der Kündigung des Insolvenzverwalters dadurch erfolgt sei, dass die Beklagte im September 2010 für den gleichen Betriebszweck die Betriebsräume und Betriebsmittel der L1 in H1 genutzt habe. Zwar sei der Betrieb in der Folge von der Beklagten nicht fortgeführt worden. Jedoch sei es zu keinem Betriebsübergang zurück auf den Insolvenzverwalter gekommen.

Das Landesarbeitsgericht Köln hat der Klägerin mit Urteil vom 21. September 2012 Annahmeverzugsvergütung durch die Beklagte für die Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 2011 zuerkannt.

Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin Zahlungen für die Zeit vom 1. November 2010 bis zum 30. Juni 2011 und vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2012 zunächst ausschließlich als Schadensersatz gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 3, 241 Abs. 2 iVm. § 613a Abs. 5 BGB verlangt. Zur Begründung hat sie – zusammengefasst – vorgetragen, dass sie mangels Unterrichtung über deren Sitz und Anschrift nicht in der Lage gewesen sei, ihre Arbeitsleistung tatsächlich gegenüber der Beklagten zur rechten Zeit am rechten Ort anzubieten.

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Ihr sei nicht einmal bekannt, ob die Beklagte überhaupt einen Betrieb unterhalte. Unter der im Handelsregister eingetragenen Anschrift sei dies jedenfalls nicht der Fall. Bei ordnungsgemäßer Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 BGB hätte sie ihre Arbeitsleistung tatsächlich gegenüber der Beklagten anbieten können und wäre diese zur Zahlung von Annahmeverzugsvergütung verpflichtet gewesen.

Die Klägerin hat – soweit für die verbliebene Berufung noch von Interesse – sinngemäß beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 35.000,00 Euro brutto abzüglich erhaltener 7.586,70 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach im Einzelnen bestimmter Staffelung zu zahlen.

Das Arbeitsgericht ist mit Urteil vom 2. August 2012 (Bl. 112 – 119 d.A.) dem Klageabweisungsantrag der Beklagten gefolgt und hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB solle dem Arbeitnehmer eine Entscheidung darüber ermöglichen, ob er sein Widerspruchsrecht aus § 613a Abs. 6 BGB betätigen wolle oder nicht. Der Klägerin sei kein Schaden dadurch entstanden, dass sie ihr Widerspruchsrecht nicht habe ausüben können. Denn im Falle des Widerspruchs wäre das Arbeitsverhältnis beim Insolvenzverwalter verblieben und durch dessen Kündigung zum 31. Oktober 2010 beendet worden.

Gegen das ihr am 10. August 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. August 2012 Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis zum 12. November 2012 an jenem Tage begründet.

Die Klägerin wendet sich unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags zur Sach- und Rechtslage gegen das Urteil des Arbeitsgerichts und trägt ergänzend vor: Die Zahlungsansprüche für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2012 stütze sie zuvorderst auf den Gesichtspunkt des Annahmeverzugs. Zahlungen für die Zeit vom 1. Oktober 2010 bis zum 30. Juni 2011 begehre sie weiterhin nur als Schadensersatz.

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Das Arbeitsgericht habe insofern verkannt, dass die Klägerin ihr Widerspruchsrecht aus § 613a Abs. 6 BGB in keinem Fall ausgeübt hätte. Entgegen dem Arbeitsgericht ziele die Unterrichtungspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB nicht allein auf die Ausübung des Widerspruchsrechts ab. Träfe die Ansicht des Arbeitsgerichts zu, könnte dem Arbeitnehmer nie ein Schaden entstehen. Ihm könnte stets vorgehalten werden, dass der Veräußerer ihm im Falle des Widerspruchs betriebsbedingt gekündigt hätte.

Ein tatsächliches Arbeitsangebot sei mangels eines “Betriebs” der Beklagten unmöglich gewesen. Die Beklagte betreibe offenbar eine Briefkastenfirma. Unter der im Handelsregister angegebenen Anschrift fänden sich weder Betriebsräumlichkeiten noch eine Klingel. Die Beklagte verfüge nicht einmal über einen eingetragenen Telefonanschluss. Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Klägerin wird Bezug genommen auf deren Schriftsatz vom 12. November 2012 (Bl. 156 – 172 d.A.).

Mit Schriftsatz vom 30. August 2012 haben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten den Antrag angekündigt, die Berufung zurückzuweisen.

Ausweislich einer Niederschrift über die Gesellschafterversammlung (Bl. 199 d.A.) hat der alleinige Gesellschafter der Beklagten am 5. Oktober 2012 beschlossen, dass die Gesellschaft aufgelöst, die Firma erloschen und eine Liquidation mangels Gesellschaftsvermögens nicht erforderlich sei. Am 17. Oktober 2012 wurde in das Handelsregister eingetragen, dass die Gesellschaft aufgelöst, die Liquidation beendet und die Firma erloschen sei.

Mit Schriftsatz vom 15. November 2012 teilten die Prozessbevollmächtigten der Beklagten mit, dass sie diese nicht mehr verträten und nicht mehr zustellungsbevollmächtigt seien. Gleichwohl wurde ihnen am 16. November 2012 die Berufungsbegründung und am 11. Dezember 2012 die Terminsladung gegen Empfangsbekenntnis nach § 174 ZPO zugestellt.

Nachdem im Termin zur mündlichen Berufungsverhandlung für die Beklagte niemand erschienen ist, beantragt die Klägerin nach teilweiser Berufungsrücknahme zuletzt sinngemäß,

die Beklagte im Wege des Versäumnisurteils unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts zu verurteilen, an die Klägerin 35.000,00 Euro brutto abzüglich erhaltener 7.586,70 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach im Einzelnen bestimmter Staffelung zu zahlen.

Gründe

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A.

Die verbliebene Berufung ist nur teilweise begründet. Die insgesamt zulässige Klage mit den Zahlungsanträgen ist nach dem Vorbringen der Klägerin nur für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2012 begründet. Insoweit war der Berufung im Wege des Versäumnisurteils stattzugeben. Für die Zeit vom 1. November 2010 bis zum 30. Juni 2011 ist die Zahlungsklage hingegen unschlüssig. Insofern war die Berufung durch Endurteil zurückzuweisen (§ 331 Abs. 2 ZPO). Beide Entscheidungen konnten ergehen, weil der Rechtsstreit nicht unterbrochen worden ist.

I. Die verbliebene Klage mit den Zahlungsanträgen ist weiter zulässig und der Rechtsstreit nicht unterbrochen worden.

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1. Die Beklagte ist trotz ihrer Löschung im Handelsregister parteifähig. Nach § 50 Abs. 1 ZPO ist parteifähig, wer rechtsfähig ist. Eine GmbH entsteht als juristische Person und wird rechtsfähig gemäß § 11 Abs. 1 GmbHG mit der Eintragung. Sie erlischt mit Eintritt der Vollbeendigung, wobei diese die Vermögenslosigkeit und die Eintragung der Löschung voraussetzt. Mit dem Wegfall der Rechtsfähigkeit erlischt grundsätzlich auch die Parteifähigkeit der juristischen Person.

Gleichwohl wird eine Gesellschaft auch im Passivprozess in einer Reihe von Konstellationen als parteifähig behandelt, wenn sie wegen Vermögenslosigkeit oder nach vollzogener Liquidation im Handelsregister gelöscht worden ist (vgl. BAG 4. Juni 2003 – 10 AZR 448/02 – zu II 1 der Gründe, NZA 2003, 1049; 25. September 2003 – 8 AZR 446/02 – zu II 1 b der Gründe, AP BGB § 613a Nr. 256; 21. Mai 2008 – 8 AZR 623/07 – Rn. 20 ff., NZA-RR 2009, 75). Vorliegend kann auch ohne näheren Vortrag der Klägerin nicht ausgeschlossen werden, dass noch verteilungsfähiges Vermögen der Beklagten, gegebenenfalls in Form von Regressansprüchen der Gesellschaft gegenüber dem Liquidator nach § 73 Abs. 3 GmbHG, vorhanden ist.

Es ist weder ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt worden, noch ist ersichtlich, dass zum Zeitpunkt der Löschung eine Liquidationsschlussbilanz im Sinne von § 74 Abs. 1 GmbHG vorgelegen hätte. Gegen die völlige Vermögenslosigkeit der Beklagten spricht auch, dass offenbar keine Löschung von Amts wegen aus diesem Grund erfolgte (§ 60 Abs. 1 Nr. 7 GmbHG; § 394 FamFG). Bei Eintragung der Löschung wurde nämlich nicht vermerkt, die Löschung sei von Amts wegen nach den vorgenannten Vorschriften erfolgt, was gegebenenfalls gemäß § 19 Abs. 2 HRV geboten gewesen wäre. Die Beklagte ist deshalb trotz ihrer Löschung im Handelsregister weiter als parteifähig zu behandeln (vgl. BAG 4. Juni 2003 aaO zu II 1 c der Gründe).

2. Die Beklagte ist auch prozessfähig im Sinne von § 51 Abs. 1, § 52 ZPO. Prozessfähigkeit ist die Fähigkeit, Prozesshandlungen selbst oder durch selbstbestellte Vertreter wirksam vor- oder entgegenzunehmen. Eine GmbH ist als juristische Person nicht fähig, Prozesshandlungen selbst vorzunehmen. Sie wird nach § 35 Abs. 1 GmbHG durch ihre Geschäftsführer und im Fall der Liquidation gemäß § 66 Abs. 1 GmbHG durch die Liquidatoren gesetzlich vertreten.

Zwar hat der vormalige Geschäftsführer und spätere Liquidator der Beklagten mit der Löschung der Gesellschaft im Handelsregister die Stellung als gesetzlicher Vertreter der Beklagten verloren. Es entspricht jedoch ständiger Rechtsprechung der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, dass der Wegfall der Prozessfähigkeit dann ohne Bedeutung ist, wenn dem Prozessbevollmächtigten wirksam Prozessvollmacht erteilt worden ist, weil die Vollmacht nach § 86 ZPO weiter wirkt (vgl. BAG 19. März 2002 – 9 AZR 752/00 – B III 1 der Gründe, NZA 2003, 59; 4. Juni 2003 – 10 AZR 448/02 – zu II 2 der Gründe, NZA 2003, 1049; 25. September 2003 – 8 AZR 446/02 – zu II 1 c der Gründe, AP BGB § 613a Nr. 256; BAG 21. Mai 2008 – 8 AZR 623/07 – Rn. 23 ff., NZA-RR 2009, 75).

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Hier ist dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten wirksam Prozessvollmacht zu einem Zeitpunkt erteilt worden, als die Beklagte noch gesetzlich vertreten war. Die in erster Instanz wirksam erteilte Prozessvollmacht bestand in der Berufungsinstanz fort (vgl. BGH 8. November 1993 – II ZR 26/93 – zu I 1 der Gründe, NJW 1994, 320) und wurde durch Ankündigung des Antrags auf Zurückweisung der Berufung zunächst auch noch betätigt.

3. Der Rechtsstreit ist nicht dadurch unterbrochen worden, dass zum Wegfall der Prozessfähigkeit der Beklagten als solcher die Beendigung des Mandats ihres Prozessbevollmächtigten hinzu getreten ist.

a) Gemäß § 241 Abs. 1 ZPO wird, wenn eine Partei die Prozessfähigkeit verliert, das Verfahren unterbrochen bis der (neue) gesetzliche Vertreter von seiner Bestellung dem Gericht Anzeige macht oder der Gegner seine Absicht, das Verfahren fortzusetzen, dem Gericht angezeigt und das Gericht diese Anzeige von Amts wegen zugestellt hat. Nach § 246 Abs. 1 ZPO tritt eine Unterbrechung des Verfahrens allerdings nicht ein,

wenn im Falle des Verlustes der Prozessfähigkeit eine Vertretung durch einen Prozessbevollmächtigten stattfindet und nach § 87 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO erlangt das Erlöschen der Vollmacht in Anwaltsprozessen wie dem vorliegenden Berufungsverfahren (vgl. § 11 Abs. 4 ArbGG) nicht nur dem Gegner, sondern auch dem Gericht gegenüber erst mit der Anzeige der Bestellung eines anderen Rechtsanwalts rechtliche Wirksamkeit (vgl. BGH 14. Dezember 1979 – V ZR 146/78 – zu I der Gründe, NJW 1980, 999).

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b) Die nach Sinn und Zweck der Bestimmung vorzunehmende Auslegung, die vor allem zu fragen hat, ob die Interessen des Mandanten oder des Gegners im Vordergrund stehen (vgl. BGH 5. Februar 1965 – V ZB 12/64 – zu II der Gründe, NJW 1965, 1019 für § 239 ZPO) ergibt für Fälle des § 241 ZPO, dass eine Unterbrechung jedenfalls dann nicht eintritt, wenn – was hier anzunehmen ist – die Beendigung des Mandats des Prozessbevollmächtigten einer gesetzlich nicht mehr vertretenen Gesellschaft nach der Löschung im Handelsregister und damit erst nach dem Wegfall der gesetzlichen Vertretung der Gesellschaft eintritt. Unter diesen Umständen ist die Gesellschaft zunächst eindeutig noch im Sinne des § 246 Abs. 1 ZPO “durch einen Prozessbevollmächtigten” vertreten.

Jener hat noch vor der Mandatsniederlegung die Möglichkeit (und ggf. Pflicht) eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 246 Abs. 1 Halbs. 2 ZPO zu beantragen (vgl. BFH 27. April 2000 – I R 65/98 – zu III 4 der Gründe, DB 2000, 1799) und die Gesellschaft dadurch wieder handlungs- und prozessfähig werden zu lassen, dass er beim Registergericht die Bestellung eines Nachtragsliquidators gemäß § 66 Abs. 5 GmbHG beantragt (vgl. BAG 19. März 2002 – 9 AZR 752/00 – zu B II 2 a der Gründe, NZA 2003, 59).

Wollte man hingegen von einer Unterbrechung des Verfahrens ausgehen, hätte die beklagte Partei es in der Hand, einen Prozess durch Manipulation ihrer Vertretungsverhältnisse zu beeinflussen. Denn typischerweise dürfte der Prozessbevollmächtigte das Mandat (spätestens) niederlegen, nachdem die vom ihm vertretene GmbH im Handelsregister gelöscht worden ist.

Es entspricht aber dem Normzweck nicht nur der §§ 86, 87 ZPO, sondern auch der §§ 241, 246 ZPO, den Prozessgegner vor den Auswirkungen von Veränderungen auf der Gegenseite weitgehend zu schützen und einen einmal begonnenen Rechtsstreit möglichst ohne Verzug zu Ende zu führen (vgl. BGH 8. Februar 1993 – II ZR 62/92 – zu 2 b der Gründe, NJW 1993, 1654; BAG 20. Januar 2000 – 2 AZR 733/98 – zu II 2 c der Gründe, NZA 2000, 613; 4. Juni 2003 – 10 AZR 448/02 – zu II 2 b der Gründe, NZA 2003, 1049)

4. Der Zahlungsklage für die Zeit vom 1. November 2010 bis zum 30. Juni 2011 steht nicht die Rechtskraft des klageabweisenden Urteils des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 26. März 2012 – 6 Sa 1318/11 – nach § 322 Abs. 1 ZPO entgegen. Die Klägerin stützt den gleich lautenden Klageantrag nicht lediglich auf eine andere Anspruchsgrundlage, sondern auf einen neuen Lebenssachverhalt. Annahmeverzugsansprüche gemäß § 615 iVm. §§ 293 ff. BGB und Schadensersatzansprüche aus §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 3, 241 Abs. 2 iVm. § 613a Abs. 5 BGB bilden unterschiedliche Streitgegenstände.

II. Die zulässige Klage ist nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nur teilweise begründet.

1. Die Zahlungsklage für die Zeit vom 1. November 2010 bis zum 30. Juni 2011 ist unschlüssig und deshalb durch Endurteil (sog. unechtes Versäumnisurteil) abzuweisen. Der für diesen Zeitraum ausschließlich erhobene Schadensersatzanspruch gemäß §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 3, 241 Abs. 2 iVm. § 613a Abs. 5 BGB ist nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nicht gegeben. Der Klägerin ist nach ihrem eigenen Vorbringen nach sämtlichen zum Schutzzweck des § 613a Abs. 5 BGB vertretenen Ansichten kein kausaler, erstattungsfähiger Schaden entstanden. Damit stehen ihr auch keine Zinsansprüche zu.

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a) Nach der in Rechtsprechung und Schrifttum ganz herrschenden (vgl. die umfangreichen Nachweise bei Sagan ZIP 2011, 1641, 1642 Fn. 9), auch vom Arbeitsgericht vertretenen Auslegung von § 613a Abs. 5 BGB kann der Klägerin schon deshalb ein im Schutzzweck der Norm liegender Schaden nicht entstanden sein, weil sie ihr Widerspruchsrecht gemäß § 613a Abs. 6 BGB auch bei ordnungsgemäßer Unterrichtung über den Betriebsübergang nicht betätigt hätte. Damit fehlt es nach der vorherrschenden nationalrechtlichen Auslegung von § 613a Abs. 5 BGB bereits an der haftungsbegründenden Kausalität der unterbliebenen Unterrichtung für den von der Klägerin erhobenen Schaden.

aa) Nach nationalrechtlich orientiertem Verständnis hat die über die Vorgaben von Art. 7 Abs. 6 RL 2001/23/EG hinausgehende (vgl. Bernsau/Dreher/Hauck Betriebsübergang 3. Aufl. § 613a BGB Rn. 149; ErfK/Preis 13. Aufl. § 613a BGB Rn. 84; Gaul/Otto DB 2002, 634) Unterrichtungspflicht der beteiligten Arbeitgeber aus § 613a Abs. 5 BGB

als ein das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers gemäß § 613a Abs. 6 BGB bloß “flankierendes Hilfsrecht” (so kritisch Sagan ZIP 2011, 1641, 1642) einen doppelten Zweck: Einerseits soll dem Arbeitnehmer eine möglichst breite Informationsgrundlage für seine Entscheidung über einen Widerspruch gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses verschafft werden.

Das trägt dem Umstand Rechnung, dass ein Betriebsinhaberwechsel für den einzelnen Arbeitnehmer mit wesentlichen Änderungen der Arbeitsbedingungen und seiner beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten verbunden sein kann, die ihn gegebenenfalls veranlassen, dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen anderen Arbeitgeber zu widersprechen.

Auf der Grundlage der erteilten Informationen soll der Arbeitnehmer über die Ausübung oder Nichtausübung des Widerspruchsrechts entscheiden können. Dem Arbeitnehmer soll eine ausreichende Wissensgrundlage für diese Entscheidung verschafft werden (BT-Drucks. 14/7760, S. 19; BAG 13. Juli 2006 – 8 AZR 305/05 – Rn. 17, NZA 2006, 1268; ErfK/Preis aaO Rn. 84; HWK/Willemsen/Müller-Bonanni 5. Aufl. § 613a BGB Rn. 316; Gaul/Otto DB 2002, 634; dies. DB 2005, 2465; Lunk RdA 2009, 48). Andererseits soll dem bisherigen sowie dem neuen Arbeitgeber Rechtssicherheit gegeben werden.

Denn mit Zugang der Unterrichtung beginnt für den Arbeitnehmer die einmonatige Frist für die Erklärung eines etwaigen Widerspruchs nach § 613a Abs. 6 BGB (Gaul/Otto DB 2002, 634; dies. DB 2005, 2465).

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Der so bestimmte erste – und hauptsächliche – Gesetzeszweck ist zum einen Leitlinie für die Konkretisierung des notwendigen Inhalts der Unterrichtung (ErfK/Preis aaO Rn. 84; HWK/Willemsen/ Müller-Bonanni aaO Rn. 316). Dem Arbeitnehmer soll (nur) die Möglichkeit eröffnet werden, sich zu erkundigen und beraten zu lassen und auf dieser Grundlage über den Widerspruch zu entscheiden (BAG 10. November 2011 – 8 AZR 430/10 – Rn. 23, AP BGB § 613a Unterrichtung Nr. 15; ErfK/Preis aaO Rn. 84).

Der derart bestimmte primäre Gesetzeszweck ist zum anderen Leitlinie zur Bestimmung der Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs, der auf die Verletzung der Unterrichtungspflicht nach § 613a Abs. 5 BGB gestützt wird. Die unterlassene oder fehlerhafte Unterrichtung muss ursächlich geworden sein für die Ausübung oder Nichtausübung des Widerspruchsrechts.

Bei ordnungsgemäßer Unterrichtung müsste der Arbeitnehmer das Widerspruchsrecht – anders als geschehen – betätigt oder nicht betätigt haben und dürfte der entstandene Schaden nicht eingetreten sein (vgl. BAG 13. Juli 2006 – 8 AZR 382/05 – Rn. 44, NZA 2006, 1406). Für die haftungsbegründende Kausalität muss der Arbeitnehmer darlegen und beweisen, dass die eingetretene Vermögensminderung bei korrekter Unterrichtung ausgeblieben wäre.

Dazu muss er den Nachweis erbringen, dass er dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses entweder widersprochen oder gerade nicht widersprochen hätte, wenn er zutreffend und vollständig informiert worden wäre (vgl. HWK/ Willemsen/Müller-Bonanni aaO Rn. 338; Gaul/Otto DB 2005, 2465, 2470).

Für die haftungsausfüllende Kausalität muss der Arbeitnehmer sodann darlegen und beweisen, dass der geltend gemachte Schaden bei Betätigung oder Nichtbetätigung des Widerspruchsrechts ausgeblieben wäre (vgl. HWK/Willemsen/Müller-Bonanni aaO Rn. 338; Gaul/Otto aaO). Schäden, die unabhängig von der Ausübung oder Nichtausübung des Widerspruchsrechts entstanden sind, fallen hiernach nicht in den – zumindest primären – Schutzzweck des § 613a Abs. 5 BGB und sind nicht erstattungsfähig.

bb) Nach diesen Grundsätzen hat das Arbeitsgericht zu Recht einen erstattungsfähigen Schaden im – zumindest primären – Schutzzweck des § 613a Abs. 5 BGB verneint. Die Klägerin trägt selbst vor, dass sie ihr Widerspruchsrecht unabhängig von der Unterrichtung in keinem Fall betätigt hätte. Hätte sie dies getan, könnte sie den gegenüber der Beklagten erhobenen “Erfüllungsschaden” auch nicht ersetzt verlangen.

Denn ihr Arbeitsverhältnis wäre dann beim Veräußerer verblieben (vgl. BAG 13. Juli 2006 – 8 AZR 382/05 – Rn. 37, NZA 2006, 1406) und gegen die Beklagte kämen Ansprüche nach den Grundsätzen des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses (vgl. LAG Köln 11. Juni 2004 – 12 Sa 374/04 – zu 2 der Gründe, ZIP 2005, 591; 5. Oktober 2007 – 11 Sa 257/07 – zu II 3 b der Gründe, NZA-RR 2008, 5) nur für tatsächlich geleistete Arbeit in Betracht.

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b) Der Klägerin ist kein ersatzfähiger Schaden im Sinne einer Sekundärhaftung dadurch entstanden, dass sie nicht rechtzeitig gemäß § 613a Abs. 5 BGB über den Betriebsübergang und die Identität der Beklagten als der Betriebserwerberin unterrichtet worden ist.

aa) Nach § 613a Abs. 5 BGB ist dem Arbeitnehmer bereits vor dem Betriebsübergang Klarheit über die Identität des Erwerbers zu verschaffen. Der Erwerber muss als solcher identifizierbar sein. Der Arbeitnehmer soll sich ein – auch negatives – Bild über den Erwerber machen, ergänzende Auskünfte einziehen und gegebenenfalls Klage gegen den Erwerber erheben können. Bei juristischen Personen sind dazu die Firma (§ 17 Abs. 1 HGB),

der Sitz der Gesellschaft, die verantwortlichen natürlichen Personen und eine Geschäftsadresse mitzuteilen (vgl. BAG 13. Juli 2006 – 8 AZR 305/05 – Rn. 17 und 22 ff., NZA 2006, 1268; 24. Juli 2008 – 8 AZR 1020/06 – Rn. 27, juris; 23. Juli 2009 – 8 AZR 538/08 – Rn. 20, NZA 2010, 89; Bernsau/Dreher/Hauck aaO Rn. 153; HWK/Willemsen/Müller-Bonanni aaO Rn. 326).

Es wird – insbes. von Verfechtern einer richtlinienorientierten Auslegung (vgl. Sagan ZIP 2011, 1641, 1645 f.) – vertreten, dass für die Ermittlung des bei Verstößen gegen die Unterrichtungspflicht erstattungsfähigen Vermögensschadens die hypothetische Ausübung des Widerspruchsrechts außer Betracht zu bleiben habe und § 613a Abs. 5 BGB den Arbeitnehmer zumindest auch vor solchen Rechtsnachteilen schützen möchte, die dieser dadurch erleidet,

dass er seinen neuen Vertragspartner (den Betriebserwerber) nicht kennt und damit seine Ansprüche ohne die nötigen Angaben über die Person seines Schuldners nicht rechtzeitig im Sinne einschlägiger Verfall- oder Verjährungsregelungen durchsetzen kann (vgl. LAG Hamm 11. März 2003 – 8 Sa 1249/01 – zu I 2 der Gründe, juris; Gaul/Otto DB 2005, 2465, 2468; Sagan ZIP 2011, 1641, 6146).

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Damit wird zu § 613a Abs. 5 BGB eine sogenannte Sekundärhaftung anerkannt, wie sie auch im Bereich des NachwG (vgl. nur BAG 17. April 2002 – 5 AZR 89/01 – zu III 4 der Gründe, NZA 2002, 1096) und aus der Rechtsanwaltshaftung bekannt ist. Diese Sekundärhaftung lässt an die Stelle durch Zeitablauf untergegangener Primäransprüche einen äquivalenten Schadensersatzanspruch treten.

bb) Darum geht es hier indes nicht. Die Klägerin stützt den erhobenen Schadensersatzanspruch nicht darauf, dass ihre Annahmeverzugsansprüche nach § 615 iVm. §§ 293 ff. BGB durch Zeitablauf untergegangen seien.

Vielmehr hat sie diese in dem Vorfahren Arbeitsgericht Iserlohn – 4 Ca 2296/10 – und nachfolgend Landesarbeitsgericht Hamm – 6 Sa 1318/11 – rechtzeitig gegenüber der Beklagten geltend machen können. Den nun verfolgten Schadensersatzanspruch begründet die Klägerin damit, dass Annahmeverzugsansprüche gegen die Beklagte wegen der Unmöglichkeit eines tatsächlichen Arbeitsangebots gar nicht erst entstanden seien. Damit beruft sie sich nicht auf eine Sekundär-, sondern gleichsam auf eine Primärhaftung der Beklagten.

c) Unabhängig von sämtlichen denkbaren Normzwecken des § 613a Abs. 5 BGB kann ein Arbeitnehmer jedenfalls im Sinne äquivalenter Kausalität nur verlangen, so gestellt zu werden, wie er gestanden hätte, wenn er rechtzeitig, richtig und vollständig informiert worden wäre. Die Klage basiert insofern auf den Prämissen, dass ein tatsächliches Arbeitsangebot erforderlich war, ohne ordnungsgemäße Unterrichtung nach § 613a Abs. 5 BGB nicht erfolgen konnte und bei korrekter Unterrichtung hätte erfolgen können. Diese drei Annahmen gehen allesamt fehl.

aa) Zum einen war unter den besonderen Umständen des Streitfalls ein tatsächliches Arbeitsangebot gemäß § 294 BGB bereits seit dem 1. November 2010 entbehrlich.

(1) Nach § 295 Satz 1 BGB genügt ein wörtliches Angebot des Schuldners, wenn zur Bewirkung der Leistung eine Handlung des Gläubigers erforderlich ist.

Mitwirkungshandlungen in diesem Sinne sind Maßnahmen, die der Gläubiger vornehmen muss, damit der Schuldner seine Leistung erbringen kann.

Dazu rechnet selbst im ungekündigten Arbeitsverhältnis, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zumindest den Zugang zum bisherigen Betriebsgelände ermöglicht (vgl. HWK/Krause 5. Aufl. § 615 BGB Rn. 35) oder ihm Mitteilung über einen neuen Arbeitsort macht (vgl. Hess. LAG 21. August 2006 – 19 (11) Sa 2008/05 – zu II 1 a der Gründe, NZA-RR 2007, 186).

Dies entspricht dem Zweck des § 295 BGB, den Schuldner von unnötigen und sinnlosen Handlungen – hier: nutzlosen tatsächlichen Arbeitsangeboten – zu entlasten (vgl. HWK/Krause aaO Rn. 32 unter Bezugnahme auf die Motive zum BGB Band II S. 70 f.).

LAG Hamm 10 Sa 1175/12

Selbst ein wörtliches Arbeitsangebot wäre im Übrigen bei einem Betriebsübergang unter anschließender Stilllegung des Betriebs – wenn nicht gemäß § 296, dann doch wenigstens nach § 242 BGB – entbehrlich, solange dem Arbeitnehmer die Identität des Erwerbers entgegen § 613a Abs. 5 BGB nicht mitgeteilt wird oder ihm – ohne eine Obliegenheit zu eigener Recherche – zumindest sonst wie zur Kenntnis gelangt.

Es beruht dann nämlich auf der Verletzung eigener Pflichten des Erwerbers, dass es dem Arbeitnehmer analog § 130 BGB an einem Empfänger für sein wörtliches Arbeitsangebot, einer geschäftsähnlichen Handlung (vgl. HWK/Krause aaO Rn. 33 mwN), mangelt.

(2) Der vorliegend erhobene Schadensersatzanspruch kann trotz der Entscheidungen des Arbeitsgerichts Iserlohn vom 6. Juli 2011 – 4 Ca 2296/10 – und nachfolgend des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 26. März 2012 – 6 Sa 1318/11 – mit der Begründung verneint werden, dass ein – zumindest tatsächliches – Arbeitsangebot nicht erforderlich war.

Zwar steht aufgrund dieser Entscheidungen nach § 322 Abs. 1 ZPO rechtskräftig fest, dass der Klägerin für die Zeit vom 1. November 2010 bis zum 30. Juni 2011 Annahmeverzugsansprüche gegen die Beklagte nicht zustehen. Jedoch ist hiermit nicht in bindender Weise gesagt, dass es zur Begründung von Annahmeverzug eines tatsächlichen Arbeitsangebots der Klägerin bedurft hätte.

Auch wenn bei einer Klageabweisung der aus der Begründung zu ermittelnde, die Rechtsfolge bestimmende, ausschlaggebende Abweisungsgrund nicht allein Element der Urteilsfindung ist, erwächst im Fall einer Zahlungsklage doch als Teil des Entscheidungssatzes nur in Rechtskraft,

dass der Kläger am Schluss der mündlichen Verhandlung im Vorprozess gegen den Beklagten keinen Zahlungsanspruch im Rahmen des geltend gemachten Streitgegenstands hatte

(vgl. BGH 24. Juni 1993 – III ZR 43/92 – zu III 1 der Gründe, NJW 1993, 2304).

Damit ist nichts Verbindliches darüber gesagt, aus welchen Gründen der Zahlungsanspruch nicht bestand.

LAG Hamm 10 Sa 1175/12

Deshalb spielt es keine Rolle mehr, dass die Ausführungen richtigerweise auch des Arbeitsgerichts Iserlohn und jedenfalls des Landesarbeitsgerichts Hamm zum fehlenden Arbeitsangebot ohnehin nur als die Entscheidungen nicht tragende Randbemerkungen (obiter dicta) erfolgt sind.

bb) Zum anderen wäre der Klägerin ein – obgleich sinnloses und entbehrliches – tatsächliches Arbeitsangebot auch ohne ordnungsgemäße Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 BGB möglich gewesen.

Die Klägerin geht davon aus, dass es insofern eines Empfängers bedurft hätte. Damit verkennt sie die Rechtsnatur eines tatsächlichen Arbeitsangebots.

(1) Nach § 294 BGB muss der Schuldner die Leistung dem Gläubiger so, wie sie zu bewirken ist, tatsächlich anbieten. Die gängige Formel für ein ordnungsgemäßes Arbeitsangebot lautet: Der Arbeitnehmer muss dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft in eigener Person (§ 613 Satz 1 BGB), zur rechten Zeit, am rechten Ort und in der rechten Weise anbieten (ErfK/Preis aaO Rn. 18 mwN).

Das tatsächliche Arbeitsangebot ist ein Realakt und erfordert, dass der Arbeitnehmer sich am Arbeitsort einfindet. Die Vorschriften über Willenserklärungen sind nicht anwendbar, insbesondere nicht diejenigen über den Zugang gemäß § 130 BGB (ErfK/Preis aaO Rn. 17 mwN).

Genügt das tatsächliche Arbeitsangebot obigen Anforderungen, erfolgt es insbesondere auch zur rechten Zeit, ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber ebenfalls vor Ort ist.

(2) Nach diesen Grundsätzen konnte die Klägerin, der nie eine neue Arbeitszeit oder ein anderer Arbeitsort als der Betrieb in H1 mitgeteilt worden war, dort weiter zu ihrem gewöhnlichen Dienstbeginn ein tatsächliches Arbeitsangebot – gegebenenfalls vor den verschlossenen Toren des Betriebsgeländes anstatt an ihrem nicht mehr erreichbaren Arbeitsplatz – erbringen.

LAG Hamm 10 Sa 1175/12

Dass der Betrieb vollständig und endgültig stillgelegt war, betraf das Betriebsrisiko der Beklagten und führte nach § 615 Satz 3 BGB nicht dazu, dass die Klägerin das tatsächliche Arbeitsangebot nicht – wie zB während bloßer Betriebsferien (vgl. LAG Köln 12. April 2000 – 11 Sa 1327/01 – zu I 2 der Gründe, NZA-RR 2003, 128) – zur rechten Zeit unterbreiten konnte.

Ein tatsächliches Arbeitsangebot hätte erst dann nur andernorts erfolgen können, wenn der Klägerin jener Ort bekannt gemacht und zudem eine möglicherweise erforderliche Versetzung wirksam ausgesprochen worden wäre.

cc) Wollte man dagegen annehmen, dass ein tatsächliches Arbeitsangebot stets nur am Arbeitsplatz erbracht werden kann, wäre der Klägerin ein solches nach ihrem eigenen Vortrag auch bei ordnungsgemäßer Unterrichtung unmöglich gewesen.

Dies gilt selbst dann, wenn man zu ihren Gunsten unterstellen wollte, dass sie den erhobenen Schadensersatzanspruch ohne Erweiterung des Streitgegenstands auch auf eine Verletzung von § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4, § 3 Satz 1 NachwG stützen kann.

Denn die Klägerin trägt im Berufungsverfahren selbst vor, dass es sich bei der Beklagten offenbar um eine “Briefkastenfirma” handele.

LAG Hamm 10 Sa 1175/12

Wenn dem aber so sein sollte, hätte die Klägerin auch bei ordnungsgemäßer Unterrichtung bzw. korrektem Nachweis ein tatsächliches Arbeitsangebot nicht unterbreiten können. Abgesehen davon, dass lediglich § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 NachwG, nicht hingegen § 613a Abs. 5 BGB Angaben zum Arbeitsort erfordert, hätte die Beklagte zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Unterrichtungs- und Nachweispflichten nicht einen “echten” Betrieb installieren und der Klägerin dort einen Arbeitsplatz einrichten müssen.

d) Nach allem gilt, dass Annahmeverzugsansprüche der Klägerin gegen die Beklagte für die Zeit vom 1. November 2010 bis zum 30. Juni 2011 allein deshalb nicht “entstanden” sind, weil sie in dem rechtzeitig gegen die Beklagte eingeleiteten “Vorverfahren” nicht zuerkannt wurden.

Für dieses von der Erfüllung gesetzlicher Nachweis- oder Unterrichtungspflichten unabhängige allgemeine Lebensrisiko der Klägerin hat nicht über den “Umweg” eines Schadensersatzanspruchs die Beklagte einzustehen.

2. Der verbliebenen Zahlungsklage für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2012 war unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung durch Versäumnisurteil stattzugeben.

a) Die Voraussetzungen des § 335 ZPO für den Erlass eines Versäumnisurteils sind erfüllt. Sowohl die Berufungsbegründung als auch die Terminsladung konnten trotz Eintritts der Prozessunfähigkeit der Beklagten als solcher und trotz der nachfolgenden Mandatsbeendigung an den zuvor wirksam bestellten Prozessbevollmächtigten erfolgen

(vgl. BGH 14. Dezember 1979 – V ZR 146/78 – zu I der Gründe, NJW 1980, 999).

LAG Hamm 10 Sa 1175/12

b) Die von der Klägerin in der Berufungsinstanz vorgenommene Klageerweiterung ist zulässig. Es kann dahinstehen, ob die Berufung – was im Übrigen anzunehmen sein dürfte – sich noch in zulässiger Weise gegen die Abweisung der Zahlungsklage für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2012 mit dem in erster Instanz alleinigen Streitgegenstand “Schadensersatz” wendet.

Denn es genügt, dass jedenfalls hinsichtlich der Zahlungsklage für die Zeit vom 1. November 2010 bis zum 30. Juni 2011 eine zulässige Berufung vorliegt, mit der die Abwendung der Beschwer durch das erstinstanzliche Urteil begehrt wird. Die “auf dem Boden” einer zulässigen Berufung erfolgte Klageänderung erfüllt auch die Voraussetzungen von § 533 ZPO iVm. § 529 ZPO iVm. § 67 ArbGG.

c) Die wirksam erweiterte, zulässige Klage ist unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs schlüssig im Sinne von § 331 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 ZPO. Von der Darstellung von Entscheidungsgründen wird insoweit gemäß § 313b Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

B.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1, 2 und § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO. Die Kosten erster Instanz sind von den Parteien anteilig zu tragen (§ 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Die Kosten zweiter Instanz hat die Klägerin nicht nur im Umfang der Berufungsrücknahme (§ 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO) und der Berufungszurückweisung (§ 97 Abs. 1 ZPO), sondern nach § 97 Abs. 2 ZPO auch insoweit zu tragen, als ihrer Berufung stattgegeben worden ist.

Den der Klage für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2012 zum Erfolg verhelfenden Streitgegenstand “Annahmeverzugsvergütung” hätte die Klägerin schon erstinstanzlich einführen können.

§ 97 Abs. 2 ZPO gilt nicht bloß für neues tatsächliches Vorbringen im Rahmen eines einheitlichen Streitgegenstands, sondern auch für neue Hilfsanträge und Klageänderungen (vgl. BGH 11. November 2008 – XI ZR 468/07 – Rn. 38, DB 2008, 2829).

Die Vorschrift kann vorliegend nach sämtlichen vertretenen Ansichten angewendet werden, weil sicher feststeht, dass die Berufung der Klägerin ohne den neu eingeführten Streitgegenstand erfolglos geblieben wäre (vgl. BGH 2. März 2005 – XIII ZR 174/04 – zu IV 3 der Gründe, DB 2005, 1162).

C.

Es bestand kein Grund, die Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen, soweit die Berufung durch Endurteil zurückgewiesen worden ist.

Weiter bestand kein Grund, die Rechtsbeschwerde nach § 574 ZPO zuzulassen, soweit die Kostenentscheidung auf § 516 Abs. 3 ZPO beruht.

LAG Hamm 10 Sa 1175/12

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

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