Landgericht Hagen 4 T 1/22

Februar 14, 2023

Landgericht Hagen 4 T 1/22, Zur Zuständigkeit des Amtsgerichts in einer Pflichtteilssache, Landwirtschaftsgericht
Vorinstanz:
Amtsgericht Hagen, 10 C 389/21

Tenor:


Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 25.04.2022 wird der Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 06.04.2022 aufgehoben.

Das Verfahren wird an das Amtsgericht Hagen zurückverwiesen zum Zwecke der Entscheidung über eine Verweisung des Rechtsstreits nach § 17a Abs. 6 GVG an das Amtsgericht Schwelm – Landwirtschaftsgericht.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.



Beschluss


In dem Prozesskostenhilfeverfahren


des Herrn L, I 2, 58091 Hagen,


Antragsteller und Beschwerdeführer,


gegen


Herrn L2, T-Straße, 58097 Hagen,


Antragsgegner und Beschwerdegegner,


Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte B & Partner


hat die 4. Zivilkammer Hagenam 15.09.2022durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht Dr. X, den Richter am Landgericht Dr. L4 und die Richterin Dr. L3


beschlossen:


Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 25.04.2022 wird der Beschluss des Amtsgerichts Hagen vom 06.04.2022 aufgehoben.


Das Verfahren wird an das Amtsgericht Hagen zurückverwiesen zum Zwecke der Entscheidung über eine Verweisung des Rechtsstreits nach § 17a Abs. 6 GVG an das Amtsgericht Schwelm – Landwirtschaftsgericht.


Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei.


Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.


Gründe

Landgericht Hagen 4 T 1/22


I.


Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen bzgl. der landwirtschaftlichen Güter des 2018 mit letztem Wohnsitz in Hagen verstorbenen W L (nachfolgend: Erblasser).


Der Erblasser war bei seinem Tod Eigentümer des im Grundbuch des Amtsgerichts Hagen von E Blatt 1234 eingetragenen landwirtschaftlichen Grundbesitzes mit Hofstelle, für den im Grundbuch ein Hofvermerk eingetragen ist. Der Grundbesitz besteht nach dem Inhalt des Grundbuches und laut Mitteilung der Landwirtschaftskammer aus ca. 11 ha Acker, 2 ha Dauergrünland und 17 ha Forst. Der Einheitswert des Hofes wurde vom Finanzamt mit 51.200 DM mitgeteilt.


Der Erblasser war bis zu seinem Tod verheiratet mit M L. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen, und zwar der Antragsteller, Frau B W, geb. L, und der Antragsgegner.


Mit notariellem Testament vom 24.04.2018, UR-Nr. E75/2018 des Notars F in G setzte der Erblasser den Antragsgegner sowohl zum Hoferben als auch zu seinem Alleinerben seines hoffreien Vermögens ein.


Mit Beschluss vom 19.11.2019 erteilte das Amtsgericht Schwelm – Landwirtschaftsgericht dem Antragsgegner Hoffolgezeugnis und Erbschein.


Mit seiner am 29.12.2021 beim Amtsgericht Hagen eingegangenen „Klage – Stufenklage“ beantragt der Antragsteller,


den Beklagten/Antragsgegner zu verurteilen,

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  1. Auskunft zu geben aufgrund des Testamentes des Erblassers mit der Urkundennummer E75/2018 über die übertragenen land- und forstwirtschaftlichen Güter,


• über die übertragenen Waldflächen, den Bestand der Alters- und der Baumgattung in Bezug zu den jeweiligen Parzellen,


• über das übertragene „Anlage- und Umlaufvermögen”,


• über das übertragene und selbstgenutzte Grünland, sowie die bei der Landwirtschaftskammer beantragten Basis- und Greeningsprämienansprüche


• über das übertragene und selbstgenutzte Ackerland, sowie die bei der Landwirtschaftskammer NRW beantragten Basis- und Greeninprämienansprüche

  1. an den Kläger/Antragsteller einen Pflichtteilsanspruch zu zahlen, welcher nach Auskunftserteilung bestimmt wird.


Ferner hat der Antragsteller unter dem 29.12.2021 eine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zwecks Prozess- und Verfahrenskostenhilfe eingereicht.


Das Amtsgericht hat dem Antragsgegner die Klage zur Stellungnahme im Prozesskostenhilfeverfahren übersandt.


Der Antragsgegner ist dem Prozesskostenhilfeantrag entgegengetreten. Er macht unter Hinweis auf das ihm erteilte Hoffolgezeugnis und den im Grundbuch eingetragenen Hofvermerk geltend, die landwirtschaftliche Grundbesitzung nebst Hofstelle sei Hof im Sinne der Höfeordnung.

Etwaige Pflichtteilsansprüche würden sich lediglich nach Maßgabe des 1,5-fachen Einheitswertes bemessen.

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Anders als der Antragsteller meine, habe der Betrieb auch nicht seine Eigenschaft als Hof im Sinne der Höfeordnung verloren.


Das Amtsgericht Hagen hat den Prozesskostenhilfeantrag mit Beschluss vom 06.04.2022 mit der Begründung zurückgewiesen, der Grundbesitz sei mindestens 40.000 € Wert, „sodass der Pflichtteil bei ½ jedenfalls 20000 Euro wertig sein dürfte (§ 71 GVG, § 114 ZPO)“.


Gegen diesen, dem Antragsteller am 13.04.2022 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner am 12.05.2022 beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde vom 25.04.2022.


Mit Verfügung vom 23.05.2022 hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen mit der Begründung, dass nach dem Klagevorbringen der Streitwert weit über die Zuständigkeitsgrenze zum Landgericht hinausgehe.


Der Antragsgegner begehrt die Zurückweisung der Beschwerde.


II.

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  1. Die als sofortige Beschwerde auszulegende Beschwerde des Antragstellers vom 25.04.2022 ist zulässig, insbesondere statthaft nach § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO sowie fristgerecht nach § 127 Abs. 2 S. 3 ZPO eingelegt worden.

  1. Die Beschwerde ist auch begründet. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Rechtsverletzung.


a) Die Annahme des Amtsgerichts, es sei sachlich unzuständig, sachlich zuständig sei das Landgericht, weil der Streitwert über 5.000 € liege, ist rechtsfehlerhaft.


Die Annahme eines Streitwertes von 20.000 € und einer sachlichen Zuständigkeit des Landgerichts beruht auf einer vom Amtsgericht unzutreffend angenommenen Pflichtteilsquote.


Die vom Amtsgericht angenommene Pflichtteilsquote von ½ trifft nicht zu. Vielmehr beläuft sich die Pflichtteilsquote des Antragstellers, die gemäß gem. § 2303 Abs. 1 S. 2 BGB die Hälfte des dem Pflichtteilsberechtigten im Falle gesetzlicher Erbfolge zustehenden gesetzlichen Erbteils beträgt, auf lediglich 1/12.


Der Erblasser hinterließ neben seiner mit ihm im gesetzlichen Güterstand lebenden Ehefrau, die er testamentarisch mit einem Vermächtnis bedacht hat und welche bei gesetzlicher Erbfolge einen Erbteil von 1/2 gem. §§ 1931 Abs. 1, 1. Fall, 1371 Abs. 1 BGB erworben hätte, drei Kinder. Diese hätten im Falle gesetzlicher Erbfolge Erbteile von je 1/6 erworben; die Hälfte des gesetzlichen Erbteils (§ 2303 Abs. 1 S. 2 BGB) beträgt mithin 1/12.


Dafür, dass der Antragsteller – von der vorstehenden Berechnung abweichend – eine höhere als die ihm zustehende Pflichtteilsquote geltend machen wollte, was für die Bestimmung des Streitwertes relevant wäre, ist nichts ersichtlich. Vielmehr nimmt die Klageschrift auf das Testament des Erblassers, aus dem sich die Statusangaben der Familie ergeben, Bezug, weshalb die Klageschrift so zu verstehen ist, dass der Kläger seinen sich aus den mitgeteilten Statusangaben der Familie zu errechnenden Anteil verlangt.


Auf der Grundlage einer Pflichtteilsquote von 1/12 beträgt selbst bei dem vom Amtsgericht angenommenen Nachlasswert von 40.000 € der Streitwert der Leistungsstufe der Stufenklage lediglich 3.333,33 €.

Mithin übersteigt der Zuständigkeitsstreitwert der Stufenklage auch unter Berücksichtigung der beim Zuständigkeitsstreitwert nach § 5 ZPO vorzunehmenden Wertaddition

(OLG Hamm, Beschluss vom 6. September 2016 – I-32 SA 49/16 –, Rn. 21, juris;

Herget in: Zöller, 34. Aufl. 2022, ZPO, § 3, Rn. 16_160)

und des mit allenfalls 1/4 des Wertes der Leistungsstufe – mithin 833,33 € – anzusetzenden Wertes der Auskunftsstufe nicht die Wertgrenze des § 23 Nr. 1 GVG von 5.000 €.

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Überdies ist die angefochtene Entscheidung aber auch deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Amtsgericht verfahrensfehlerhaft aus der Annahme der eigenen Unzuständigkeit als Konsequenz die sofortige Zurückweisung des Prozesskostenhilfegesuches gezogen hat.

Richtigerweise hätte das Amtsgericht vor einer Zurückweisung des Prozesskostenhilfegesuchs mit der Begründung, es selbst sei sachlich unzuständig, auf die aus seiner Sicht bestehende Unzuständigkeit hinweisen und einen Verweisungsantrag anregen müssen.

Fehlt nämlich für die Hauptsache die Zuständigkeit, so ist das angerufene Gericht gem. § 127 Abs. 1 S. 2, 1. Hs ZPO auch nicht für die Prozesskostenhilfeentscheidung zuständig und hat es deshalb vor einer Entscheidung hierauf hinzuweisen und eine Verweisung an das zuständige Gericht anzuregen.

Erst wenn nach Hinweis und Anregung ein im Falle örtlicher oder sachlicher Unzuständigkeit notwendiger Verweisungsantrag nicht gestellt wird, kann das PKH-Gesuch abgelehnt werden (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 12.11.2002 – 2 WF 93/02 –, Rn. 11, juris; Schultzky in: Zöller, ZPO, § 127 Rn. 5). Gegen diese im Falle sachlicher Unzuständigkeit gebotene Verfahrensweise hat das Amtsgericht verstoßen.


b) Die auf der Annahme der eigenen Unzuständigkeit beruhende Entscheidung des Amtsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als zutreffend.


aa) Vorliegend sind allerdings weder das Amtsgericht Hagen noch das Landgericht Hagen funktionell zuständig. Vielmehr ist für den Rechtsstreit ausschließlich das Amtsgericht Schwelm – Landwirtschaftsgericht – funktionell zuständig.


Nach § 18 Abs. 1 HöfeO sind für die Entscheidung über alle Anträge und Streitigkeiten, die sich bei Anwendung der Höfeordnung ergeben, die Landwirtschaftsgerichte zuständig. Nach § 1 Nr. 5 LwVfG gilt dies insbesondere für das sog. Anerbenrecht.

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Unter das Anerbenrecht fallen dabei auch die auf einen Hof bezogenen Pflichtteilsansprüche gem. §§ 2303 ff. BGB (Düsing/Martinez, 2. Aufl 2022, LwVG § 1 Rn. 37;

v. Selle/Huth/v. Selle, 1. Aufl. 2017, LwVG § 1 Rn. 184;

Lüdtke-Handjery/v. Jeinsen/Brinkmann, 11. Aufl. 2015, HöfeO § 18 Rn. 2).

Denn bezogen auf den Hof enthält § 12 Abs. 10 HöfO den Pflichtteilsanspruch modifizierende Sonderregelungen. In Abgrenzung hierzu sind die Prozessgerichte für Pflichtteils- bzw. Pflichtteilsergänzungsansprüche bezogen auf das hoffreie Vermögen zuständig

(Düsing/Martinez, a.a.O Rn. 38; Lüdtke-Handjery/v. Jeinsen/Brinkmann a.a.O. Rn. 2).


Schwierigkeiten bereitet die Zuständigkeitsabgrenzung – nicht nur bei Pflichtteilsansprüchen sondern stets – dann, wenn der Antragsteller seinen Sachantrag mit Tatsachen begründet, die sowohl ein höferechtliches Begehren als auch einen bürgerlich-rechtlichen Klagegrund ausfüllen (Düsing/Martinez, 2. Aufl 2022, LwVG § 1 Rn. 36).

Auf Grund der weiten Formulierung des § 18 Abs. 1 HöfeO sind indes alle Angelegenheiten, die in tatsächlicher Hinsicht jedenfalls auch einen höferechtlichen Bezug aufweisen, allein den Landwirtschaftsgerichten zugewiesen (Düsing/Martinez, a.a.O. Rn. 36).

Mithin sind die Landwirtschaftsgerichte nach § 1 Nr. 5 LwVfG immer dann zuständig sein, wenn zumindest für eine von mehreren nach dem Tatsachenvortrag des Antragstellers/Klägers in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen jedenfalls auch höferechtliche Vorschriften streitentscheidend sind.

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Das Landwirtschaftsgericht hat dann den Rechtsstreit gem. § 17 Abs. 2 GVG unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen und zu entscheiden

(OLG Hamm, Beschl. v. 05.3.2002 – 10 W 73/01, BeckRS 2002, 17486 Rn. 10;

OLG Köln, Beschl. v. 17.06. 2013 – 23 U 12/09, BeckRS 2014, 11269;

Düsing/Martinez, 2. Aufl 2022, LwVG § 1 Rn. 36;

v. Selle/Huth/v. Selle, 1. Aufl. 2017, LwVG § 1 Rn. 181;

Lüdtke-Handjery/v. Jeinsen/Brinkmann, 11. Aufl. 2015, HöfeO § 18 Rn. 5).

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Demgegenüber gehören Verfahren vor das allgemeine Prozessgericht, wenn zwar ein Hof iSd HöfeO Streitgegenstand ist, es bei den streitentscheidenden Fragen jedoch um Tatsachen geht, die keine höferechtlichen Vorschriften berühren, sondern allein bürgerlich-rechtliche Gesichtspunkte betreffen.

Ein solcher Fall ist aber nicht bereits dann gegeben, wenn der Antragsteller in erster Linie Ansprüche auf eine Norm des BGB stützt, hierfür streitentscheidend aber eine höferechtliche Frage ist

(OLG Köln Beschl. v. 17.6.2013 – 23 U 12/09, BeckRS 2014, 11269, unter Ziff. II. 1.a);

Düsing/Martinez, 2. Aufl 2022, LwVG § 1 Rn. 36;

v. Selle/Huth/v. Selle, 1. Aufl. 2017, LwVG § 1 Rn. 182).

Demgegenüber ist eine auf die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen gerichtete Klage rein bürgerrechtlich zu beurteilen mit der Folge der Zuständigkeit des Prozessgerichts, wenn der Hofvermerk im Todeszeitpunkt rechtskräftig – aufgrund einer Hofaufgabeerklärung des Eigentümers mit der Folge des Verlustes der Hofeigenschaft gem. § 1 Abs. 4 HöfeO – gelöscht wurde

(vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 03.11.1988 – 10 WLw 32/87, BeckRS 1988, 30984580).

Gleichsam kommt eine Zuständigkeit des Landwirtschaftsgerichts nicht in Frage, wenn der Verlust der Hofeigenschaft unstreitig ist

(OLG Hamm, Beschl. v. 04.06.2019 – 10 W 43/19, BeckRS 2019, 11545, Rn 16).


Nach diesen Maßstäben ist im vorliegenden Fall der Anwendungsbereich der § 18 Abs. 1 HöfeO, § 1 Nr. 5 LwVfG eröffnet. Es liegt eine Streitigkeit über das Anerbenrecht, nämlich über Pflichtteilsansprüche bezogen auf den Hof vor.

Dies folgt schon daraus, dass der Antragsteller in seiner Klageschrift zwar sein Begehren primär auf die Ansicht stützt, es liege trotz eingetragenen Hofvermerks kein Hof mehr vor, er aber gleichwohl unbedingt – sinngemäß auch für den Fall, dass noch ein Hof besteht – seinen Pflichtteil bezogen auf die Hofgrundstücke und -gegenstände verlangt.

Insoweit nennt die Klageschrift selbst keinerlei Normen, sondern das uneingeschränkte Begehren nach der Zahlung des Pflichtteils bezogen auf die zum Hof gehörenden Grundstücke und Gegenstände.

Dem Antragsteller steht insoweit sowohl bei Vorliegen eines Hofes ein Pflichtteilsanspruch nach § 2303 BGB – dann unter Modifikation des § 12 Abs. 10 HöfeO – zu, als auch im Falle des lebzeitigen Wegfalls der Hofeigenschaft.

Abgesehen davon wäre es aufgrund des einheitlichen Streitgegenstandes – Auskunfts-/Leistungsantrag bezogen auf den Klagegrund der streitgegenständlichen Hofgrundstücke und -gegenstände – prozessual auch nicht möglich, diesen allein durch Nennung bestimmter Gesetzesvorschriften auf die Anwendung selbiger zu beschränken.

Denn im Rahmen desselben Streitgegenstands hat das Gericht stets den Sachverhalt insgesamt rechtlich zu beurteilen, und zwar im vorliegenden Falle auch gem. §§ 17a Abs. 6, 17 Abs. 2 GVG. Mithin weist das zur Entscheidung gestellte Pflichtteilsbegehren bezogen auf die Hofgrundstücke zumindest auch einen höferechtlichen Bezug auf, weil es auch Ansprüche im Falle des Vorliegens der Hofeigenschaft umfasst.

Hinzu kommt, dass der durch Hoffolgezeugnis als Hoferbe ausgewiesene Antragsgegner einwendet, es handele sich um einen Hof im Sinne der Höfeordnung, und dass ein Hofvermerk im Grundbuch eingetragen ist, weshalb gem. § 5 HöfeVfO die Vermutung für die durch den Vermerk ausgewiesene Hofeigenschaft – und damit auch eine Vermutung für die Anwendbarkeit der Höfeordnung – spricht.

Der Hofvermerk wurde gerade nicht lebzeitig aufgrund Hofaufgabeerklärung des Eigentümers (mit der Folge des § 1 Abs. 4 HöfeO) gelöscht und es ist gerade nicht unstreitig, dass kein Hof vorliegt. Vielmehr ist in beiderlei Hinsicht der umgekehrte Fall gegeben.

Die streitentscheidende Frage ist mithin, ob dem Antragsteller ein uneingeschränkter Pflichtteilsanspruch oder – wegen Vorliegen eines Hofes – ein nach § 12 Abs. 10 HöfeO modifizierter Pflichtteilsanspruch zusteht.

Diese Frage ist gerade höferechtlicher Art und nach höferechtlichen Vorschriften, die für die Qualifikation des Hofes als solchen im Sinne der Höfeordnung maßgeblich sind (§§ 1 bis 3 HöfeO), zu entscheiden.


Mithin macht der Antragsteller auf einen Hof bezogene Pflichtteilsansprüche geltend und sind höferechtliche Rechtsfragen streitentscheidend.


Nach alledem ist für den Rechtsstreit ausschließlich das Landwirtschaftsgericht funktionell zuständig.


bb) Angesichts der funktionellen Unzuständigkeit des Amtsgerichts Hagen (und des Landgerichts Hagen) erweist sich die angefochtene Entscheidung, mit welcher der Prozesskostenhilfeantrag zurückgewiesen wurde, gleichwohl auch nicht im Ergebnis als richtig.


Denn Folge der funktionellen Unzuständigkeit hätte nicht die Zurückweisung des Prozesskostenhilfegesuches durch das unzuständige Amtsgericht Hagen sein dürfen.

Vielmehr hätte sich das Amtsgericht Hagen aufgrund der funktionellen Zuständigkeit des Landwirtschaftsgerichts von Amts wegen hinsichtlich des anhängigen Rechtsstreits für funktionell unzuständig erklären und diesen nach § 17a Abs. 6 GVG von Amts wegen an das gem. § 18 Abs. 1 HöfeO, § 1 Nr. 5 LwVfG zuständige Landwirtschaftsgericht verweisen müssen, wobei gem. §§ 8, 10 LwVfG iVm § 1 Nr. 2 v) der Verordnung zur Übertragung von Landwirtschaftssachen (NRW) örtlich das Amtsgericht Schwelm als Landwirtschaftsgericht zuständig ist.


Insoweit gelten gemäß § 17a Abs. 6 GVG die Vorschriften über die Rechtswegverweisung für die in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, Familiensachen und Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zuständigen Spruchkörper in ihrem Verhältnis zueinander entsprechend, wobei es sich hierbei um eine Frage der funktionellen Zuständigkeit handelt, die insbesondere das Verhältnis von Amts- bzw. Landgericht als Prozessgericht zu den Familien-/FGG-Abteilungen der Amtsgerichte

(Musielak/Voit/Wittschier, 19. Aufl. 2022, GVG § 17a)

und insoweit auch das Verhältnis von Amts-/Landgericht als Prozessgericht zum Landwirtschaftsgericht als Gericht der freiwilligen Gerichtsbarkeit betrifft

(OLG Hamm, Beschl. v. 04.06.2019 – 10 W 43/19, BeckRS 2019, 11545 Rn. 13;

BeckOK GVG, 15. Ed. 2022, § 17a Rn. 18).

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  1. Der Kammer ist es allerdings verwehrt, die nach § 17a Abs. 6 GVG gebotene Verweisung an das Amtsgericht Schwelm – Landwirtschaftsgericht – selbst im Rahmen der Beschwerdeentscheidung auszusprechen.


Zwar ist es in einem isolierten Prozesskostenhilfeverfahren möglich, das isolierte Prozesskostenhilfeverfahren in entsprechender Anwendung des § 17a GVG an das funktionell zuständige Gericht zu verweisen. In einem solchen Fall kann dies auch das Beschwerdegericht im Rahmen seiner Entscheidung über eine bei ihm anhängige PKH-Beschwerde anordnen (BGH, Beschl. v. 21.10.2020 – XII ZB 276/20 –, Rn. 14, juris).

Ist allerdings bereits ein Rechtsstreit in erster Instanz anhängig und gelangt nach Ablehnung der beantragten Prozesskostenhilfe lediglich die Beschwerde gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe in die Rechtsmittelinstanz, ist das Beschwerdegericht nicht dazu befugt, das Prozesskostenhilfeverfahren isoliert an das Gericht eines anderen Rechtswegs zu verweisen, während der Rechtsstreit selbst noch in erster Instanz des ursprünglich beschrittenen Rechtswegs anhängig ist.

In einem solchen Fall ist vielmehr die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe aufzuheben und das Hauptsacheverfahren durch das erstinstanzliche Gericht an das Gericht des anderen Rechtszugs zu verweisen, welches dann auch über die Prozesskostenhilfe entscheidet

(BGH, Beschl. v. 21.10.2020 – XII ZB 276/20 –, Rn. 16, juris;

Musielak/Voit/Wittschier, 19. Aufl. 2022, GVG § 17a Rn. 5;

Lückemann in: Zöller, 34. Aufl. 2022, ZPO, Vorb zu §§ 17-17c, Rn. 12).

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Dies gilt nicht nur im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 17a Abs. 1 bis 5 GVG für die Rechtswegverweisung, sondern auch im entsprechenden Anwendungsbereich der Verweisungsvorschrift gem. § 17a Abs. 6 GVG (BGH a.a.O.).


Entscheidend für die richtige Verfahrensweise in erster Instanz und im Verfahren der PKH-Beschwerde ist mithin die Frage, ob ein isolierter Prozesskostenhilfeantrag vorliegt oder ob zusammen mit dem Prozesskostenhilfeantrag bereits Klage eingereicht wurde mit der Folge, dass ein Rechtsstreit bereits anhängig ist.

Bei gleichzeitiger Einreichung einer Klage neben einem PKH-Antrag wird auch der Rechtsstreits als solcher anhängig, es sei denn, der Antragsteller stellt eindeutig klar, dass er den Klageantrag nur bedingt für den Fall der PKH-Bewilligung stellen will (BGH, Beschl. v. 17.12.2008 – XII ZB 185/08 –, Rn. 9, juris; Schultzky in: Zöller, 34. Aufl. 2022, ZPO, § 117 Rn. 11). Dies kann durch die Erklärung geschehen, über die PKH solle vorab entschieden werden oder die Klage solle erst nach Bewilligung der PKH erhoben werden.

Eine Klarstellung geschieht auch dadurch, dass die Klageschrift als Entwurf oder als „beabsichtigte Klage“ bezeichnet oder dass sie nicht unterschrieben wird. Eine Klage wird hingegen zugleich anhängig, wenn der Kläger in dem als „Klage“ bezeichneten Schriftsatz erklärt, es werde „ferner“ oder „weiterhin“ PKH beantragt (Schultzky in: Zöller, 34. Aufl. 2022, ZPO, § 117 Rn. 11).


Vorliegend handelt es sich um einen Fall der gleichzeitigen Einreichung der Klage und des Prozesskostenhilfeantrags, wobei von einem bereits anhängig gewordenen Rechtsstreit auszugehen ist. Insoweit hat der Antragsteller seine Klage am 29.12.2021 bereits in von ihm unterzeichneter Form, also gerade nicht nur als Entwurf eingereicht.

Die Klage enthält zudem nicht einmal eine erkennbare Verknüpfung, geschweige denn eine Bedingung im Verhältnis zu dem zeitgleich ausgefüllt eingereichten Formular über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, mit welchem insoweit auch nur konkludent um Gewährung von Prozesskostenhilfe nachgesucht wurde. Mangels jedweden Anhaltspunktes für eine bloß bedingte Klageeinreichung ist somit bereits der Rechtsstreit anhängig geworden.


Nach dem Vorgenannten liegt mithin kein isolierter Prozesskostenhilfeantrag vor, der isoliert verwiesen werden könnte, sondern es liegt ein in erster Instanz bereits anhängig gewordener Rechtsstreit vor, wobei lediglich das Prozesskostenhilfeverfahren in die Beschwerdeinstanz gelangt ist.


Dies schließt eine Verweisung durch das Beschwerdegericht, dem ausschließlich die Beschwerde im PKH-Verfahren angefallen ist, aus und zwingt das Beschwerdegericht zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, mit dem Prozesskostenhilfe versagt wurde, sowie ferner dazu, die weitergehenden Anordnungen in der Sache gem. § 572 Abs. 3 ZPO dem Amtsgericht zu übertragen (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 08.04.2011 – 10 W 2/11 –, juris).

Infolge der Zurückverweisung hat das Amtsgericht dann über die Verweisung des Rechtsstreits (nicht nur des Prozesskostenhilfeverfahrens) an das Amtsgericht Schwelm – Landwirtschaftsgericht – zu entscheiden.

  1. Für das weitere Verfahren weist die Kammer auf Folgendes hin:


Nach § 17a Abs. 6 GVG wird sich das Amtsgericht von Amts wegen aus den oben unter Ziff. 2b) genannten Gründen für funktionell unzuständig zu erklären und zugleich den Rechtsstreit als solchen – nicht nur das Prozesskostenhilfeverfahren – an das Amtsgericht Schwelm – Landwirtschaftsgericht zu verweisen haben. Die Verweisung des Rechtsstreits umfasst auch das Prozesskostenhilfeverfahren.


Die Kammer weist ferner darauf hin, dass der Verweisungsbeschluss gemäß § 17a Abs. 6, Abs. 4 S. 2 GVG zu begründen ist, wobei wegen der Einzelheiten der Begründung eine Bezugnahme auf die Entscheidung der Kammer möglich ist. Der Verweisungsbeschluss unterliegt der Anfechtbarkeit nach § 17a Abs. 4 S. 3 GVG.

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