LG Wuppertal 2 O 298/19

Mai 9, 2023

LG Wuppertal 2 O 298/19 , Urteil vom 06.01.2023 – schließt § 1948 II BGB die Beachtlichkeit eines den beginn der Ausschlagungsfrist hemmenden Rechtsirrtums iSd § 1944 II 1 BGB aus?


Tenor
Die Beklagten zu 1) bis 3) werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 542.731,70 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 891.815,46 Euro vom 01.08.2019 bis zum 13.09.2019 sowie aus einem Betrag von 541.815,46 Euro seit dem 14.09.2019 zu zahlen.

Der Beklagte zu 4) wird verurteilt, die Zwangsvollstreckung in den Nachlass nach Frau L, geb. am 24.09.1921 und verstorben am 03.01.2015, in diesem Umfang zu dulden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten, wobei die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner haften.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

LG Wuppertal 2 O 298/19


Die Klägerin macht gegenüber den Beklagten 1) bis 3) Pflichtteilsansprüche nach Erbausschlagung geltend und gegenüber dem Beklagten 4) als Testamentsvollstrecker einen Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung in den Nachlass.

Die Klägerin, die zugleich Adoptivtochter der Erblasserin ist, und die Beklagten zu 1) und 2) sind die leiblichen Nichten der Erblasserin, der Beklagte zu 3) ist ein entfernter Verwandter. Die Erblasserin war in zwei Ehen verheiratet, die beide kinderlos blieben.

Mit ihrem ersten, am 24.03.1971 verstorbenen Ehemann, C , setzte die Erblasserin am 27.01.1967 einen notariellen Erbvertrag auf, in dessen Ziffer II sich die Eheleute gegenseitig zu Alleinerben einsetzten (Bl. 7-10). Zu Erben des Längerlebenden setzten die Eheleute unter Ziffer III die Klägerin und die Beklagten zu 1) bis 3) zu je ¼ ein. In Ziffer V vereinbarten die Eheleute, dass der Längerlebende zwei Vermächtnisse anordnet, nämlich dass ihre Eigentumswohnung auf der T-Straße in E G und ihre Eigentumswohnung im F in E C erhält. In Ziffer VI vereinbarten die Eheleute, dass der Längerlebende Testamentsvollstreckung zum Zwecke der Vollziehung der Vermächtnisse und der Verwaltung des Grundbesitzes in V auf der Q-Straße X und Xa durch den jetzigen Beklagten zu 3) anordnet.

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Unter Ziffer VII des Erbvertrages schlossen die Eheleute den Vorbehalt eines einseitigen Rücktritts von dem Erbvertrag aus. Gleichzeitig verfügten sie, dass der Längerlebende das Recht behalten soll, unter Widerruf seiner Bestimmungen nach dem Tod des Erstversterbenden anderweitig von Todes wegen zu verfügen, ohne dass dadurch die Verfügungen des Erstversterbenden berührt werden sollen.

Durch notarielles Testament (Urk.-Rolle …# des Notars Dr. B in V)vom 26.04.2005 widerrief die Erblasserin alle früheren Verfügungen von Todes wegen und setzte zu ihrem alleinigen Erben ihren zweiten Ehemann, den am 05.01.2009 verstorbenen Prof. Dr. L2, ein und vermachte der Klägerin den Grundbesitz auf der Q-Straße in V (Bl. 15).

Am 24.02.2009 errichtete die Erblasserin ein weiteres notarielles Testament (Urk.-Rolle … des Notars Dr. B in V), in dem sie unter Ziffer 1 alle früheren Verfügungen von Todes wegen widerrief und in dem sie unter Ziffer 2 die Klägerin als Alleinerbin einsetzte sowie unter Ziffer 3 zahlreiche Vermächtnisse im Umfang von 81% des nach Abzug aller Nachlassverbindlichkeiten und Nachlasskosten verbleibenden Netto-Nachlasswertes nach Abzug des Grundbesitzes in V , Q-Straße, sowie der persönlichen Gegenstände und Wohnungseinrichtung an weitere Personen verfügte, u.a. in Höhe von 15% an ihren Bruder T , den Vater der Klägerin (Bl. 275-278).

Durch Beschluss des Amtsgerichts Wuppertal vom 14.01.2010 nahm die Erblasserin die Klägerin als Kind an (57 XVI 4/09). Am 03.01.2015 verstarb die Erblasserin. Am 01.03.2015 nahm der damalige Testamentsvollstrecker, S, ein Nachlassverzeichnis auf, das er unter Berücksichtigung der Veräußerung der beweglichen Habe und des Einfamilienhauses X-Straße und X am 16.06.2015 für 680.000,00 Euro sowie der avisierten Veräußerung der Immobilie Q-Straße für 1.100.000,00 Euro am 15.11.2016 unter dem 12.01.2016 um eine vorläufige Aufstellung der Nachlassmasse ergänzte. Aus dem Verzeichnis ergeben sich vorläufige Aktiva in Höhe von insgesamt 1.808.677,43 Euro und vorläufige Passiva in Höhe von insgesamt 96.460,72 Euro, wobei Steuerlasten als noch nicht festgestellt und berücksichtigt ausgewiesen sind.

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Am 16.06.2016 verstarb der Vater der Klägerin, deren Alleinerbe sie ist.

Den Antrag der Klägerin auf Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin der Erblasserin ausweist, wies das Amtsgericht Wuppertal – nach einem durch Beschluss vom 11.12.2015 erteilten Hinweis auf die Unwirksamkeit der auf den Erbvertrag vom 27.01.1967 zeitlich nachfolgenden Verfügungen – durch Beschluss vom 06.09.2016 (Az. 564 VI 69/15), in dem zugleich die Klägerin und die Beklagten zu 1) bis 3) als Erben zu je ¼ ausgewiesen sind, zurück (Bl. 11-24). Auf die Beschwerde der Klägerin bestätigte das Oberlandesgericht Düsseldorf die Rechtsauffassung des Amtsgerichts durch Beschluss vom 14.12.2018 (Az. I-25 Wx 4/17), mit dem es die Beschwerde der Klägerin zurückwies (Bl. 25-33).

Durch an das Amtsgericht Wuppertal gerichtetes Schreiben vom 22.01.2019 erklärte die Klägerin hiernach, das Erbe zum Zwecke der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen auszuschlagen sowie vorsorgliche Anfechtungen im Hinblick auf eine etwaige Versäumung der Ausschlagungsfrist wegen Irrtums über den Berufungsgrund und auf eine etwaige Annahme der Erbschaft wegen Irrtums über Höhe und Einschränkung ihrer Beteiligung am Nachlass (Bl. 62f.).

Mit Schreiben vom 25.01.2019 erklärte die Klägerin gegenüber dem zwischenzeitlich vom Amtsgericht Wuppertal eingesetzten Testamentsvollstrecker, dem Beklagten zu 4), ihre Pflichtteilsansprüche geltend zu machen, die sie nach ihrer vorläufigen Berechnung in dem Schreiben auf 891.815,46 Euro bezifferte. Zur Begründung der Höhe nahm die Klägerin in dem Schreiben u.a. Bezug auf einen im Auftrag von T von Rechtsanwältin H entworfenen Teilungsplan vom 31.07.2017, in dem Rechtsanwältin H unter Übernahme der Werte aus den Verzeichnissen vom 01.03.2015 und vom 12.01.2016 Erbfallschulden i.S.d. § 2301 BGB in Höhe von 25.046,09 Euro angab.

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Weiter erklärte die Klägerin in dem Schreiben vom 25.01.2019, unter Bezugnahme auf das Testament vom 24.09.2009 den Vermächtnisanspruch ihres am 16.06.2016 verstorbenen und durch sie alleinbeerbten Vaters, T, geltend zu machen, den sie mit 15% von 366.751,07 Euro auf mindestens 55.012,66 Euro bezifferte. Schließlich forderte die Klägerin den Beklagten zu 4) in dem Schreiben vom 25.01.2019 zur Zahlung von insgesamt 946.828,12 Euro bis zum 28.02.2019 auf.

Durch Schreiben ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 16.07.2019 forderte die Klägerin hiernach die Beklagten zu 1) bis 3) unter Fristsetzung bis zum 31.07.2019 erfolglos zur Überweisung des Betrags von 946.828,12 Euro auf.

Durch Schreiben ihres jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 14.08.2019 forderte die Klägerin den Beklagten zu 4) unter Fristsetzung bis zum 04.09.2019 zur Abgabe einer Erklärung, nach der er für den Fall einer Verurteilung der Erbengemeinschaft zur Zahlung des Pflichtteilsanspruchs an die Klägerin eine Zwangsvollstreckung in den Nachlass dulden werde, sowie nochmals zur Zahlung des im Schreiben vom 25.01.2019 bezifferten Vermächtnisanspruchs ihres verstorbenen Vaters auf. Am 13.09.2019 überwies der Beklagte zu 4) einen Betrag in Höhe von 350.000,00 Euro an die Klägerin.

Die Klägerin behauptet, sie habe zunächst durch den vorherigen Testamentsvollstrecker erfahren, Alleinerbin zu sein aufgrund des Testaments vom 24.02.2009. Erst durch Schreiben des Amtsgerichts Wuppertal vom 13.05.2015 habe sie erfahren, dass es noch eine weitere Verfügung von Todes wegen gibt. Durch Schreiben vom 08.06.2015 habe ein von ihr beauftragter Rechtsanwalt, Herr G, ihr bestätigt, dass sie nicht befürchten müsse, dass der Erbvertrag aus dem Jahr 1967 hierdurch nicht wirksam sei. Herr G habe dies am 23.06.2015 auch nochmal mündlich bestätigt.

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Die Klägerin behauptet weiter, der Nachlasswert betrage ausweislich der bisherigen Aufstellungen 1.808.677,43 Euro. Für die Berechnung des Pflichtteils seien von dem Aktivnachlass lediglich die in den Überlegungen von Rechtsanwältin H angegeben Nachlassschulden in Höhe von 25.046,09 Euro abzuziehen, so dass für die Pflichtteilsberechnung ein Nettonachlasswert in Höhe von 1.783.631,34 Euro anzusetzen sei. Der hälftige Betrag davon in Höhe von 891.815,57 Euro sei nach Abzug der am 13.09.2019 gezahlten 350.000,00 Euro in Höhe von 541.815,57 Euro ab dem 01.03.2019 zu verzinsen. Für die Zeit vom 01.03.2019 bis zum 13.09.2019 seien auf den Betrag von 350.000,00 Euro Zinsen in Höhe von 7.690,67 Euro angefallen.

Durch Schriftsatz vom 13.11.2019 hat die Klägerin unter der Bedingung der Gewährung von Prozesskostenhilfe eine Klageschrift eingereicht, in der sie Anträge auf Zahlung von 541.815,57 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2019 durch die Beklagten 1) bis 3) zur Erfüllung ihres Pflichtteilsanspruchs (1.), auf Zahlung weiterer 55.012,66 Euro durch die Beklagten zu 1) bis 3) zur Erfüllung ihres ererbten Vermächtnisanspruches (2.), auf Zahlung von 7.690,67 Euro durch die Beklagten 1) bis 3) als Zinsen auf die gezahlten 350.000,00 Euro vom 01.03. bis zum 13.09.2019 (3.), auf Zahlung von 7.082,76 Euro durch die Beklagten 1) bis 3)

auf ihre außergerichtlichen Anwaltskosten (4.) sowie auf Duldung der Zwangsvollstreckung in den Nachlass der Erblasserin durch den Beklagten zu 4) angekündigt hat. Nach der Zurückweisung des PKH-Gesuchs wegen fehlender Bedürftigkeit durch Beschluss der Kammer vom 17.02.2020 hat die Klägerin durch Schriftsatz vom 09.03.2020 im Hinblick auf die angekündigten Anträge zu 1), 4) und 5) aus dem Schriftsatz vom 13.11.2019 unbedingte Klage erhoben (Bl. 109).

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Hiernach hat sie durch Schriftsatz vom 22.09.2020 hilfsweise eine pflichtteilsrechtliche Stufenklage auf der Auskunftsstufe erhoben (Bl. 177f.). In der mündlichen Verhandlung vom 09.10.2020 hat die Klägerin die Klage sodann hinsichtlich der Anträge zu 1) und 4) aus der Klageschrift vom 13.11.2019 subjektiv gegen ihre beiden Töchter, B2 und Dr. P, erweitert (Bl. 253R). Diese gegen ihre beiden Töchter als Beklagte zu 5) und 6) gerichtete Klage hat sie hiernach durch Schriftsatz vom 12.10.2020 wieder zurückgenommen (Bl. 257).

Den Klageantrag zu 1) auf Zahlung von 541.815,57 Euro hat die Klägerin dann durch Schriftsatz vom 28.10.2020 (Bl. 270) um 916,13 Euro erweitert und hierzu behauptet, dass der Wert der Nachlassschulden auf 23.213,83 Euro zu reduzieren sei, weil sich der Wert der pflichtteilsrelevanten Nachlassschulden allein aus den 8.745,40 Euro für die Löhne an K und N, den 5.186,75 Euro für AOK-Beiträge, den 5.594,58 Euro für Beerdigungskosten und Kolumbarium sowie ggf. noch den 3.687,10 Euro für das Gutachten Q-Straße aus der Aufstellung der Nachlassmasse aus Januar 2017 errechne. Die darüber hinausgehenden Beträge seien ausschließlich für die Verwaltung des Nachlass ab dem 03.01.2015 angefallen.

Durch Schriftsatz vom 22.12.2021 hat die Klägerin die Klage außerdem um mehrere Hilfsanträge für den Fall der rechtskräftigen Feststellung der Annahme der Erbschaft durch sie erweitert sowie um das Feststellungsbegehren ergänzt, dass ihr dann auch der Zusatzpflichtteil gegen die Beklagten zu 1) bis 3) und auch insoweit ein Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung gegen den Beklagten zu 4) zustehe (Bl. 389).

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Die Klägerin beantragt nunmehr,

  1. die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner zur Zahlung von 541.815,57 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2019 sowie zur Zahlung weiterer 916,13 Euro zu verurteilen;
  2. die Beklagten 1) bis 3) als Gesamtschuldner zur Zahlung von 7.690,67 Euro zu verurteilen;
  3. die Beklagten 1) bis 3) als Gesamtschuldner zur Zahlung von 7.082,76 Euro zu verurteilen;
  4. den Beklagten zu 4) als Testamentsvollstrecker zu verurteilen, die Zwangsvollstreckung in den Nachlass nach Frau L, geb. am 24.09.1921 und verstorben am 03.01.2015 zu dulden.

Hilfsweise beantragt die Klägerin,

  1. die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner zu verurteilen, der Klägerin ein Bestandsverzeichnis über den Nachlass der am 24.09.1921 geborenen Erblasserin L, verstorben am 03.01.2015 zu erteilen, insbesondere zu

Grundstücken und Grundstücksrechten,

Guthaben jeder Art, insbesondere gegenüber Kreditinstituten und Barvermögen,

Kraftfahrzeuge und sonstiges Mobiliar von größerem Wert,

persönliche Gegenstände

und die vorstehenden Wertangaben zu belegen;

  1. die Beklagten zu 1) bis 3) zu verurteilen, nach Erteilung der Auskunft an die Klägerin den sich aus der Auskunft ergebenden Pflichtteilsanspruch nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.03.2019 zu zahlen;
  2. den Beklagten zu 4) zu verurteilen, als Testamentsvollstrecker die Zwangsvollstreckung in den Nachlass zu dulden.

Äußerst hilfsweise beantragt die Klägerin,

  1. hinsichtlich der Beklagten zu 1) bis 3) festzustellen, dass der Klägerin für den Fall der rechtskräftigen Feststellung der Annahme der Erbschaft nach dem Erbvertrag vom 27.01.1967 ein Zusatzpflichtteil gemäß § 2305 BGB gegen die Beklagten als Gesamtschuldner in Höhe des Wertes der Differenz zu der Hälfte des gesetzlichen Erbteils zusteht;
  2. hinsichtlich des Beklagten zu 4) festzustellen, dass er auch insoweit zur Duldung der Zwangsvollstreckung in den Nachlass verpflichtet ist;
  3. die Beklagten zu 1) bis 3) werden verurteilt, den sich aus der vorstehenden Auskunft sich ergebenden Ergänzungsbetrag gemäß § 2305 BGB an die Klägerin zu zahlen;
  4. den Beklagten zu 3) wird verurteilt, die Zwangsvollstreckung aus dem vorstehenden Zahlungstitel zu 2. in den Nachlass L zu dulden.

Wiederum äußerst hilfsweise beantragt die Klägerin,

  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, Auskunft über die Höhe der Erbteile nach dem Erbvertrag vom 13.12.2021 zu erteilen, wenn rechtskräftig festgestellt worden ist, dass der Klägerin der mit der Klage geltend gemachte Pflichtteilsanspruch nicht zusteht;
  2. die Beklagten zu 1) bis 3) als Gesamtschuldner zu verurteilen, den sich aus der vorstehenden Auskunft ergebenden Ergänzungsbetrag gemäß § 2305 BGB an die Klägerin zu zahlen;
  3. den Beklagten zu 4) zu verurteilen, die Zwangsvollstreckung aus dem vorstehenden Zahlungstitel zu 2. in den Nachlass L zu dulden.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten zu 1) bis 3) berufen sich auf Verjährung des Pflichtteilsanspruchs und Verfristung der Ausschlagung.

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Die Beklagten vertreten die Auffassung, die Klägerin habe die Erbschaft durch schlüssiges Verhalten im Jahr 2015 angenommen. Die Klägerin sei – die zugrundeliegenden Tatsachen sind insoweit unstreitig – nach dem Erbfall in der Wohnung der Erblasserin gewesen und habe Bilder an den Wänden sowie den Schlafzimmerschrank mit Aufklebern versehen, auf die sie Wert gelegt habe. Die Beklagten meinen, auf der Grundlage einer Alleinerbenstellung wäre dies überflüssig gewesen.

Am 26.06.2015 sei die Beklagte zu 2) – auch diese Tatsachen sind unstreitig – zur Entgegennahme von Schmuckstücken und Bildern aus dem Nachlass nach V gereist und hiernach bei der Klägerin zum Kaffeetrinken gewesen. Die Beklagte zu 2) behauptet, die Klägerin habe beim Kaffeetrinken geäußert, dass die Erblasserin kein neues Testament hätte machen dürfen. Die Beklagten vertreten die Auffassung, daraus ergebe sich, dass der Klägerin die Nichtigkeit ihrer Erbeinsetzung durch das Testament vom 24.02.2009 bereits am 26.06.2015 bekannt gewesen sei.

Die Beklagten behaupten, die Klägerin habe zu Lebzeiten der Erblasserin finanzielle Zuwendungen und Schenkungen in nicht nur unerheblicher Höhe erhalten, für deren Beleg sie sich u.a. auf in der Wohnung der Erblasserin nach ihrem Tod gefundene Briefe vom 21.01.2007 und vom 12.11.2008 berufen, in denen die Klägerin – dies ist unstreitig – ihre Freude über die großzügige finanzielle Unterstützung, die Zahlung von Studiengebühren, aber auch über das Geld, das sie von der Erblasserin immer wieder erhalten habe, zum Ausdruck brachte (Bl. 189). Die Beklagten vertreten die Auffassung, dass ihnen im Hinblick auf diese Zuwendungen und Schenkungen der Erblasserin an die Klägerin ein Auskunftsanspruch zustehe und berufen sich auf ein daraus abgeleitetes Zurückbehaltungsrecht (Bl. 148).

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Schließlich behaupten die Beklagten, das Nachlassverzeichnis, aufgrund dessen die Klägerin ihren hier beanspruchten Pflichtteil konkretisiert habe, sei unvollkommen und zu aktualisieren. Die Beklagten tragen – insoweit unbestritten – vor, dass in dem Verzeichnis neben Immobilien des zweiten Ehemannes der Erblasserin auch Wertangaben zu zukünftigen Verkaufserlösen für Immobilien aufgenommen worden seien, die zum Zeitpunkt der Erstellung noch nicht veräußert waren. Weiter ungeklärt seien Mieteinnahmen Januar bis Dezember 2015 und von Januar 2016 bis Oktober 2016 sowie des halben Monats November 2016 in Höhe von 198.907,50 Euro, deren Verbleib nicht ausgewiesen und unklar sei. Der Beklagte zu 4) habe überdies – auch dies ist unstreitig – ein Konto mit 91.000,00 Euro gesehen, dessen Zuordnung klärungsbedürftig sei.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen B2 und Wichert. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Beweisaufnahme durch den beauftragten Richter vom 14.02.2022 (Bl. 402), für den weiteren Sach- und Streitstand auf die Gerichtsakte nebst Anlagen verwiesen.

Gründe
Die zulässige Klage ist in der Hauptsache begründet (I.) und unterliegt lediglich im Hinblick auf Zinsansprüche und Nebenforderungen einer teilweisen Abweisung (II.).

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten zu 1) bis 3) gemäß den §§ 2303 Abs. 1 Satz 2, 2306 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Auszahlung ihres Pflichtteils in Höhe des zugesprochenen Betrags von 542.731,70 Euro. Die nach der wirksamen Ausschlagung der Erbschaft i.S.d. § 1945 Abs. 1 BGB als (einziger) Abkömmling i.S.d. § 1754 Abs. 2 BGB pflichtteilsberechtigte Klägerin hat ihren Zahlungsanspruch (1.) in der Höhe der Hälfte des von ihr hierfür herangezogenen Nachlasswertes hinreichend substantiiert vorgetragen (2.). Der Einwand der Verjährung greift nicht durch (3.).

1.

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Die Klägerin ist pflichtteilsberechtigt.

Die Klägerin war zunächst neben den Beklagten zu 1) bis 3) Miterbin zu ¼ aufgrund des Erbvertrages vom 27.01.1967. Die späteren Verfügungen der Erblasserin vom 26.04.2005 und vom 24.02.2009 konnten demgegenüber gemäß § 2289 Abs. 1 BGB keine Rechtswirkungen entfalten. Bei der Erbeinsetzung der hiesigen Beteiligten durch den Erbvertrag vom 27.01.1967 handelt es sich um eine vertragsmäßige Verfügung i.S.d. §§ 1941 Abs. 1, 2278 BGB, an die die Erblasserin gebunden war. Auf die Ausführungen des Amtsgerichts Wuppertal im Beschluss vom 06.09.2016 sowie des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 14.12.2018, denen sich die Kammer anschließt, wird insoweit Bezug genommen.

Diese Erbschaft der am 03.01.2015 verstorbenen Erblasserin hat die Klägerin gemäß den §§ 1944ff. BGB wirksam ausgeschlagen, so dass ihr diese gemäß § 1953 Abs. 1 BGB nicht angefallen ist. Sie hat durch ihr an das Amtsgericht Wuppertal als zuständige Stelle i.S.d. § 1945 Abs. 1 BGB gerichtetes Schreiben vom 22.01.2019 insbesondere innerhalb der mit der Zustellung des Beschlusses des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 14.12.2018 gemäß § 1944 Abs. 2 BGB beginnenden 6-Wochen-Frist des § 1944 Abs. 1 BGB fristgerecht die hierfür notwendige Erklärung abgegeben.

Die Ausschlagungserklärung der Klägerin erfolgte fristgerecht. Die Frist zur Erbausschlagung beginnt gem. § 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB erst mit der Kenntnis über den Anfall der Erbschaft und den Grund der Berufung.

Die Kammer geht hierbei mit der wohl herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung davon aus, dass bei mehreren sich widersprechenden, gewillkürten Erbfolgeregelungen jede für sich einen Berufungsgrund darstellt, über den jeweils für sich genommen falsche Vorstellungen den Beginn der Ausschlagungsfrist hindern können (vgl. Leipold in MüKo-BGB, 9. Aufl., § 1944, Rn. 4 a.E.; ders., § 1949, Rn. 2). Hier hatte die Klägerin zwar von Anfang an vom Tod der Erblasserin Kenntnis; bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf war sie jedoch im Hinblick auf den tatsächlichen Berufungsgrund, den Erbvertrag, durch den Glauben an die Wirksamkeit ihrer Erbeinsetzung durch das spätere Testament im Irrtum. Ein solcher Irrtum hindert die i.S.d. § 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB für den Fristbeginn erforderliche Kenntnis über den Berufungsgrund, soweit er beachtlich ist.

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Dies ist im Falle eines Rechtsirrtums der Fall, wenn die Gründe für den Irrtum nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind (BGH, Urteil v. 19.02.1968 – III ZR 196/65; BGH, Urteil v. 05.07.2000 – IV ZR 180/99, S. 7; Weidlich in Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 1944, Rn. 5 m.w.N.; Leipold in MüKo-BGB, 9. Aufl., § 1944, Rn. 13; OLG Hamm, Beschluss v. 15.01.2021 – I-10 W 59/20, Rn. 46 nach juris). Dies ist hier zur Überzeugung der Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme der Fall (§ 286 ZPO).

a)

Selbst dann, wenn man die Klägerin für den Nachweis ihres den Beginn der Ausschlagungsfrist hemmenden Irrtums für beweisbelastet hält (vgl. Leipold in MüKo-BGB, 9. Aufl., § 1944, Rn.13; a.A. BGH, Urteil v. 05.07.2000 – IV ZR 180/99, S. 8; für den vorliegenden Fall unklar: Otte in Staudinger, BGB, 2017, § 1949, Rn. 11), ist ihr dieser Nachweis gelungen. Die Gründe, die zur Unwirksamkeit der testamentarischen Erbeinsetzung führen, ergeben sich aus einer schwer zu erkennenden, dem weiteren Wortlaut des Erbvertrages widersprechenden Bindungswirkung der vertragsmäßigen Verfügung der Erblasserin mit ihrem vorverstorbenen, ersten Ehemann.

Die Klägerin hat ihren Irrtum über die Wirksamkeit des zuletzt errichteten Testaments der Erblasserin mit den von ihr hierzu eingeholten anwaltlichen Auskünften von Rechtsanwalt G begründet und dies prozessual durch die Vorlage dessen an sie gerichteten Schreiben vom 08.06.2015 (Bl. 282f.) und vom 25.06.2015 (Bl. 284ff.) nachvollziehbar plausibilisiert (vgl. Leipold in MüKo-BGB, 9. Aufl., § 1944, Rn. 13). Aus beiden Schreiben ergibt sich, dass Rechtsanwalt G die Auffassung vertritt und begründet, dass der Erbvertrag aus dem Jahr 1967 der Wirksamkeit des sie als Alleinerbin berufenden Testaments aus dem Jahr 2009 nicht im Wege stehe. Im Schreiben vom 25.06.2015 findet überdies eine Auseinandersetzung mit der von Rechtsanwältin H offenbar den Beteiligten zur Kenntnis gebrachten, gegenteiligen Auffassung statt, die Rechtsanwalt G so bewertet, dass ihr nicht zu folgen sei (Bl. 285).

LG Wuppertal 2 O 298/19

Diesen Rechtsirrtum bewertet die Kammer bis zum Abschluss des Erbscheinverfahrens vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf durch Beschluss vom 14.12.2018 als beachtlich i.S.d. § 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB (vgl. Leipold in MüKo-BGB, 9. Aufl., § 1944, Rn. 11). Hierbei hat die Kammer in den Blick genommen, dass sich die Klägerin nicht über Tatsachen im Irrtum befand, deren tatsächliches Vorliegen oder Nichtvorliegen für sie selbst überprüfbar gewesen wäre. Sie befand sich vielmehr durch den Glauben an die Wirksamkeit an das zuletzt errichtete Testament in einem Rechtsirrtum, bei dem die tatsächliche Rechtslage für Laien nicht ohne weiteres erkennbar ist. In diesen Fällen kann dem sich auf die Ausschlagung berufenden Beteiligten auch dann, wenn er von der Gegenseite oder – wie hier durch die Hinweise des Amtsgerichts vom 11.12.2015 und vom 02.01.2017 –

durch Hinweise des Gerichts auf die tatsächliche Rechtslage hingewiesen wird, nicht verwehrt werden, seine Rechtsauffassung mit den dafür vorgesehenen prozessualen Mitteln durchzusetzen (vgl. Otte in Staudinger, BGB, 2017, § 1944, Rn. 11). Die Ausschlagungsfrist konnte deshalb nach der Rechtsauffassung der Kammer im vorliegenden Fall nicht vor der Ausschöpfung des Rechtsweges beginnen (vgl. Leipold in MüKo-BGB, 9. Aufl., § 1944, Rn. 13 a.E.; vgl. auch OLG Düsseldorf, Urteil v. 25.01.2008 – I-7 U 2/07, Rn. 6ff. nach juris; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 16.03.2021 – I-3 Wx 197/20, Rn. 20 nach juris; OLG Düsseldorf, Urteil v. 13.01.2017 – I-7 U 37/16 nach juris; BayOLG, Beschluss v. 22.12.1997 – 1Z BR 138/97 nach juris; KG, Beschluss v. 16.03.2004 – 1 W 120/01; für hier unklar: OLG Hamm, Beschluss v. 18.03.2004 – 15 W 38/04, Rn. 16ff.).

b)

Die sich aus den von der Klägerin angebotenen Nachweisen und ihrer persönlichen Anhörung ergebende Überzeugung vom Vorliegen ihres den Fristbeginn hemmenden Irrtums konnten die Beklagten durch ihr Vorbringen und die von ihnen hierzu angebotenen Beweise nicht erschüttern. Die von den Beklagten behauptete Aussage der Klägerin beim Kaffeetrinken am 26.06.2015, die Erblasserin hätte nie ein neues Testament machen dürfen, ist schon für sich betrachtet mehrdeutig. Neben der Möglichkeit eines rein rechtlichen Bedeutungsgehaltes dieser Aussage besteht die Möglichkeit eines rein moralischen Bedeutungsgehaltes. Dazwischen bestehen Mischformen, die in Anbetracht der Unübersichtlichkeit der Rechtslage in rechtlicher Hinsicht auch lediglich beschreibenden Charakter enthalten können. Ein zwingender Rückschluss auf die Kenntnis der Klägerin von der Unwirksamkeit des Testaments ergibt sich daraus nicht.

LG Wuppertal 2 O 298/19

Die Beweisaufnahme hierzu blieb unergiebig. Die Aussagen der hierzu vernommenen Zeugen sowie die Anhörung der Beklagten zu 2) über den Kontext der Aussage und ihre Umstände führten zwar zu der Überzeugung der Kammer, dass diese Aussage fiel (§ 286 ZPO); sie haben aber nichts zu Tage gefördert, aus dem sich für die Kammer die Überzeugung gewinnen ließe, dass dieser Aussage eine eindeutige rechtliche Bewertung der Klägerin innewohnt, die den Rückschluss darauf zulässt, dass sie die Rechtslage entgegen ihrem Vorbringen schon damals tatsächlich richtig erfasst hat.

Bei dieser Bewertung hat die Kammer zum einen zu beachten gehabt, dass ein die Kenntnis ausschließender Rechtsirrtum auch dann vorliegen kann, wenn dem Erben die richtige Einschätzung der Rechtslage als mögliche Betrachtungsweise zwar bekannt ist, er selbst aber die Rechtslage anders beurteilt oder sie jedenfalls für zweifelhaft hält (Leipold in MüKo-BGB, 9. Aufl., § 1944, Rn. 13; OLG München, ZEV 2006, 554, 555), zum anderen aber auch, dass der Fristbeginn nach § 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB eine positive Kenntnis derjenigen Tatsachen verlangt, aus denen sich der Übergang der Erbschaft ergibt (Leipold in MüKo-BGB, 9. Aufl., § 1944, Rn. 9), fahrlässige Unkenntnis hierfür also gerade nicht ausreichend ist (OLG Hamm, Beschluss v. 15.01.2021 – I-10 W 59/20, Rn. 47 a.E. nach juris; OLG Zweibrücken, NJW-RR 2006, 1594, 1595).

Gemessen an diesen Maßstäben sind mit den von den Beklagten vorgetragenen Umständen relevante Zweifel am fristhemmenden Irrtum der Klägerin nicht zu begründen. Die Klägerin, die vorgetragen hat, erst durch das Schreiben des Amtsgerichts vom 13.05.2015 über den Erbvertrag informiert worden zu sein, war ausweislich der von ihr vorgelegten Nachweise am 26.06.2015 noch in einer Rechtsberatungsphase, in der sie eine abschließende rechtliche Beurteilung für sich selbst zur Überzeugung der Kammer noch nicht vorgenommen hatte.

Dies sieht die Kammer insbesondere belegt durch die zeitliche Nähe des Kaffeetrinkens am 26.06.2015 zum Schreiben von Rechtsanwalt G vom 25.06.2015, von dem unklar ist, ob die Klägerin dessen Inhalt selbst dann, wenn sie das Schreiben zu dem Zeitpunkt bereits gelesen hat, bereits am 26.06.2015 zur Grundlage ihrer eigenen Überzeugungsbildung machen konnte. Weil sich die positive Kenntnis der Klägerin von der Unwirksamkeit des sie zum Alleinerben einsetzenden Testaments auch erst aus einer zutreffenden rechtlichen Bewertung der konkreten Inhalte von Erbvertrag und Testament zusammen und in Bezug zueinander ergeben konnte, kam es auf die Frage, ob die Klägerin grundsätzliche Kenntnis von einem Erbvertrag der Erblasserin mit ihrem ersten Ehemann hatte, nicht an.

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Dass sich die Beklagte zu 2) im Termin zur Beweisaufnahme vom 14.02.2022 daran erinnert haben will, dass ihr Großvater im Januar 1967 anlässlich seines Geburtstages den Beteiligten offengelegt habe, dass er mit der Erblasserin beim Notar gewesen sei und sie die Immobilie auf der Q-Straße erben sollten, hält die Kammer unabhängig hiervon für nicht glaubhaft.

c)

Die Ausschlagung war auch nicht wegen vorheriger Annahme der Erbschaft durch die Klägerin gemäß § 1943 BGB ausgeschlossen. Bis zur Beseitigung ihres Irrtums über die Wirksamkeit des Testaments war eine (konkludente) Annahme der Erbschaft aufgrund des Erbvertrags gemäß § 1949 Abs. 1 BGB schon nicht wirksam möglich (vgl. Leipold in MüKO-BGB, 9. Aufl., § 1949, Rn. 6). Die Klägerin hat die Erbschaft auch selbst nie durch ausdrückliche Erklärung angenommen.

Die etwaige Markierung von Nachlassgegenständen ist dagegen ein mehrdeutiger Verhaltensakt, aus dem selbst dann, wenn die Markierung zur Bekundung ihres Übernahmeinteresses erfolgt wäre, im hier vorliegenden Fall kein eindeutiger Rückschluss auf einen konkludenten Annahmewillen zu folgern ist. Der wertende Rückschluss der Beklagten, bei Annahme einer Alleinerbenstellung sei eine Markierung von Gegenständen, die die Klägerin für sich habe behalten wollen, überflüssig, ist möglich, aber nicht zwingend.

Bei unterstellter Richtigkeit der von ihr vorgetragenen Vorstellung, sie sei Alleinerbin, wäre sie hierzu nicht unbefugt (arg. ex § 903 Satz 1 BGB), und auch bei Annahme einer Alleinerbenstellung sind Schenkungen aus dem Nachlass an Verwandte nicht ausgeschlossen, die insbesondere dann, wenn eine Immobilie veräußert werden soll, auch einen Umfang haben können, der es einfacher erscheinen lässt, diejenigen Gegenstände, die hiervon ausgenommen sein sollen, zu markieren als umgekehrt.

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Überdies hat die Klägerin eine in ihrem Verhalten ggf. zu erkennende schlüssige Annahme der Erbschaft aus dem Erbvertrag vorsorglich im Ausschlagungsschreiben vom 22.01.2019 gemäß § 1955 BGB zugleich wirksam angefochten gemäß § 1954 Abs. 1 BGB. Gemäß § 1957 Abs. 1, 1. Var. BGB führt dies ebenfalls zur Bewertung als Ausschlagung. In dem Schreiben erklärt die Klägerin u.a., sich darüber, dass sie durch ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen die Erbschaft nach dem Erbvertrag unbewusst angenommen haben könnte, im Irrtum befunden zu haben. Soweit sie damit offenlegt, sich im Zusammenhang mit dem Irrtum über den Berufungsgrund über die Möglichkeit der Annahme der (anderen) Erbschaft durch schlüssiges Verhalten in Unkenntnis befunden zu haben, befand sie sich in einem Inhaltsirrtum i.S.d. § 1949 Abs. 1 BGB, der zur Anfechtbarkeit der Annahme führt (vgl. Weidlich in Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 1954, Rn. 3).

d)

Die hiernach im vorliegenden Fall allein noch offene Frage, ob die für den Beginn der Ausschlagungsfrist relevante Beachtlichkeit des (nachgewiesenen) Rechtsirrtums der Klägerin im hier vorliegenden Fall ausnahmsweise aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist, weil sie gemäß § 1948 Abs. 2 BGB unter Aufrechterhaltung ihrer Auffassung von der Wirksamkeit des Testaments aus dem Jahr 2009 und Weiterverfolgung ihrer sich daraus nach ihrer Auffassung ergebenden Rechte bereits im Jahr 2015 die Erbschaft aus dem Erbvertrag aus dem Jahr 1967 hätte ausschlagen können, ohne einen Rechtsverlust bei unterstellter Wirksamkeit des Testaments befürchten zu müssen, beantwortet die Kammer verneinend.

Die Frage ist entscheidungserheblich, weil die Klägerin die sich aus § 1948 Abs. 2 BGB ergebende Möglichkeit ab dem 26.06.2015 kannte. Die Klägerin hat zwar im Ausschlagungsschreiben vom 22.01.2019 höchstvorsorglich auch die etwaige Versäumung der Ausschlagungsfrist wegen Irrtums gemäß § 1956 BGB angefochten; zur Begründung führt sie jedoch an, nicht davon ausgegangen zu sein, das Erbe entsprechend dem Erbvertrag bereits vorher ausschlagen zu müssen, um Pflichtteilsansprüche geltend machen zu können (Anlage K4).

In diesem Irrtum kann sich die Klägerin aber nach ihrem eigenen Prozessvorbringen schon deshalb nicht befunden haben, weil Rechtsanwalt G in seinem Schreiben vom 25.06.2015 auf ausdrückliche Bitte der Klägerin auch zu einer etwaigen Erbausschlagung zur Erlangung von Pflichtteilen Stellung nimmt und die Konstellation der Ausschlagung des Erbes nach dem Erbvertrag aus dem Jahr 1967 bei angenommener Unwirksamkeit des Testaments aus dem Jahr 2009 unter eigener Überschrift skizziert und darin die auf das Erbe aus dem Erbvertrag beschränkte Ausschlagung als rechtlich möglich bewertet (Bl. 287).

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Ihren die Ausschlagungsfrist hemmenden Irrtum hat die Klägerin aber durchgängig allein unter Bezugnahme auf die Schreiben von Rechtsanwalt G begründet (Bl. 265), die ihr nach ihrem eigenen Vortrag ab dem 26.06.2015 beide bekannt gewesen seien (Bl. 343). Hiernach bestehen durchaus Zweifel, dass der sich so darstellende, begrenzte Irrtum der Klägerin für das Unterlassen ihrer Ausschlagung des Erbes aus dem Erbvertrag zu einem früheren Zeitpunkt kausal war, die durch die schwer nachvollziehbaren, konstruiert wirkenden Ausführungen ihres Rechtsanwalts dazu, warum er der Klägerin von einer für den skizzierten Fall lediglich als unsinnig bewerteten Ausschlagung dieses Erbes dennoch abrät, nicht wirklich auszuräumen sind.

In Literatur und Rechtsprechung wird dieses Problem – soweit ersichtlich – bisher nicht behandelt. Unstreitig ist allein, dass nach dem Wortlaut von § 1948 Abs. 2 BGB die Ausschlagung einer Erbschaft aus einem Erbvertrag des Erblassers bei gleichzeitiger Annahme einer Erbschaft aus einem Testament desselben Erblassers (und umgekehrt) rechtlich zulässig ist und diese Vorschrift ihren sinnvollen Anwendungsbereich (nur) in denjenigen Fällen hat, in denen sich – wie hier – Wirksamkeit und Unwirksamkeit dieser beiden Verfügungen bedingen (vgl. Leipold in MüKo-BGB, 9. Aufl., § 1948, Rn. 10; Otte in Staudinger, BGB, 2017, § 1948, Rn. 15; ders., a.a.O., § 1949, Rn. 9a; Weidlich in Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 1948, Rn. 3).

Ob aus der Kenntnis um diese Möglichkeit zur Wahrung der Ausschlagungsfrist des § 1944 Abs. 1 BGB in dem speziellen Fall, den § 1948 Abs. 2 BGB regelt, ein Müssen wird, ist dagegen unklar. Soweit in der Kommentarliteratur ein beachtlicher Irrtum über den Berufungsgrund i.S.d. § 1949 Abs. 1 BGB aber auch unter expliziter Benennung des Beispiels eines Erben, der durch Erbvertrag und Testament desselben Erblassers zugleich berufen ist, bejaht wird (Leipold in MüKo-BGB, 9. Aufl., § 1949, Rn. 2; Otte in Staudinger, BGB, 2017, § 1949, Rn. 6), schließt sich die Kammer dieser Auffassung unter Zurückstellung von sich aus anderen Stellen der Kommentierungen ergebenden, denkmöglichen Bedenken an (vgl. Otte in Staudinger, BGB, 2017, § 1944, Rn. 11; Leipold in MüKo-BGB, 9. Aufl., § 1944, Rn. 13).

2.

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Die Höhe ihres Pflichtteils beträgt den mit der Klage geltend gemachten Betrag.

Gemäß den §§ 2303 Abs. 1 Satz 2, 2306 Abs. 1 BGB ist die Klägerin in der Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils pflichtteilsberechtigt. Als einziger Abkömmling i.S.d. §§ 1922 Abs. 1, 1924 Abs. 1 BGB steht ihr deshalb die Hälfte des pflichtteilrelevanten Nachlasswertes i.S.d. § 2311 Abs. 1 BGB als Zahlungsbetrag zu. Dieser beträgt hier 542.731,70 Euro.

Das hierfür herangezogene Zahlenwerk stammt von den Beklagten. Soweit diese gegen die Aktualität der Zahlen nach dem Zeitpunkt, zu dem die Klägerin dies zur Grundlage ihrer Pflichtteilsberechnung gemacht hat, Einwendungen erhoben haben, greifen diese nicht durch.

Soweit die Beklagten behaupten, dass sich nach der Anfertigung der von ihnen als vorübergehend bezeichneten Nachlassaufstellungen noch Wertveränderungen ergeben hätten, greift dies schon deshalb nicht durch, weil der Pflichtteilsberechnung gemäß § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB allein der pflichtteilsrelevante Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalles zugrunde zu legen ist. Änderungen nach dem 03.01.2015 sind deshalb nicht relevant (vgl. Lange in MüKo-BGB, 9. Aufl., § 2311, Rn. 34).

Soweit sie vortragen, dass der in den Verzeichnissen genannte Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalles nach unten zu korrigieren sei, verbleiben diese Einwendungen zu abstrakt, um damit Gehör zu finden (§ 138 Abs. 1 ZPO). Insbesondere war die Klägerin nicht verpflichtet, zunächst eine Auskunftsklage zu erheben. Soweit an dem von der Klägerin vorgelegten Zahlenwerk Korrekturen notwendig gewesen wären, hätten die Beklagten diese auch innerhalb eines

Zahlungsrechtsstreits durch entsprechend beachtliches prozessuales Vorbringen zur Anspruchshöhe vornehmen können. Das Kostenrisiko der sofortigen Erhebung der Zahlungsklage lag insoweit bei der Klägerin, soweit diese durch beachtliche Korrekturen der Anspruchshöhe nach unten aufgrund des Vorbringens der Beklagten teilunterliegt. Solches Vorbringen ist aber nicht erfolgt.

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Soweit die Beklagten behaupten, dass der in den Verzeichnissen genannte Nachlasswert zum Zeitpunkt des Erbfalles nach oben zu korrigieren sei, hat die Klägerin dadurch, dass sie es unterließ, hierauf weiter einzugehen, offenkundig darauf verzichtet, diesbezüglich ihre Anträge nach oben anzupassen. Die Durchsetzung des darunterliegenden Anspruchs ist hiervon nicht betroffen.

Auch mit dem Einwand, die Werte der zum Nachlass gehörenden Immobilien auf der Q-Straße und Xa in V und auf der Straße X-Straße und x in V seien tatsächlich geringer gewesen als im Nachlassverzeichnis ausgewiesen, dringen die Beklagten hier nicht durch. Für die pflichtteilsrelevante Wertermittlung der Immobilien war gemäß § 2311 Abs. 1 BGB ihr Verkehrswert zum Zeitpunkt des Erbfalls maßgeblich (vgl. Weidlich in Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 2311, Rn. 6; Lange in MüKo-BGB, 9. Aufl., § 2311, Rn. 31). Der Verkehrswert in diesem Sinne ist der bei einer Veräußerung der Sache voraussichtlich zu erzielende Preis (Weidlich in Grüneberg, a.a.O.; Lange in MüKo-BGB, a.a.O.).

Dieser Wert ist zwar gemäß § 2311 Abs. 2 BGB durch Schätzung zu ermitteln, soweit dies erforderlich ist; ist die Sache jedoch zeitnah nach dem Erbfall veräußert worden und sind keine Umstände vorgetragen, die Zweifel daran begründen, dass der tatsächlich erzielte Verkaufserlös dem am Markt zu erzielenden Preis entspricht, so ist allein dieser Wert bei der Pflichtteilsberechnung maßgeblich, ohne dass es darauf ankommt, ob dieser Preis über oder unter einem von einem Sachverständigen ermittelten Schätzwert liegt (st. Rspr. vgl. BGH, Beschluss v. 25.11.2010 – IV ZR 124/09; BGH, NJW-RR 1993, 834; BGH, NJW-RR 1993, 343ff.; BGH, NJW-RR 1991, 900f.; BGH, NJW 1972, 1269ff.). So liegt der Fall hier, weil die Grundstücke Q-Straße und Xa am 15.11.2016 für den spätestens im Nachlassverzeichnis vom 12.01.2016

bereits angegebenen Preis von 1.100.000,00 Euro und die Grundstücke X-Straße und X am 16.06.2015 zu dem bereits im Nachlassverzeichnis vom 01.03.2015 berücksichtigten Preis von 680.000,00 Euro jeweils an Dritte veräußert worden sind. Die hiernach feststehenden Verkaufszeitpunkte liegen im Verhältnis zum Eintritt des Erbfalls am 03.01.2015 innerhalb eines Zeitraumes, der vom Bundesgerichtshof auch in anderen Fällen als “zeitnah” in diesem Sinne bewertet wird (vgl. BGH, Urteil v. 14.10.1992 – IV ZR 211/91, Rn. 9 nach juris; BGH, Beschluss v. 25.11.2010 – IV ZR 124/09, Rn. 10).

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Der hiergegen erhobene Einwand der Beklagten, die Werte der Immobilien seien tatsächlich geringer gewesen, stellt sich dagegen bei wertender Betrachtung als lediglich pauschales Bestreiten eines hinreichend substantiierten Prozessvorbringens der Klägerin dar (§ 138 Abs. 3 ZPO). Das Gericht verkennt bei dieser rechtlichen Bewertung nicht, dass der Pflichtteilsberechtigte auch im Fall einer späteren Veräußerung des Grundstücks zu einem über einem etwaigen Schätzwert zum Zeitpunkt des Erbfalls liegenden Preis die Beweislast dafür trägt,

dass sich die Marktverhältnisse vom Zeitpunkt des Erbfalls bis zur Veräußerung nicht geändert haben (BGH, Beschluss v. 25.11.2010 – IV ZR 124/09, Rn. 7); allerdings liegen hier die Voraussetzungen, die die Klägerin zu entsprechenden Darlegungen und Beweisantritten hätten veranlassen müssen, schon mangels substantiiertem (Gegen-) Vortrag der Beklagten zum tatsächlichen Wert der Immobilien im Zeitpunkt des Erbfalls nicht vor (§ 138 Abs. 2 ZPO).

Ein solcher substantiierter Vortrag wäre aber schon deshalb erforderlich gewesen, weil sich die Beklagten durch die prozessuale Behauptung, die tatsächlichen Werte der Immobilien zum Zeitpunkt des Erbfalls am 03.01.2015 seien geringer gewesen als die spätestens am 01.03.2015 und am 12.01.2016 bestimmten und hiernach auch jeweils realisierten Verkaufserlöse, in Widerspruch zu ihrem eigenen, stichtagsbezogenen Zahlenwerk setzen, dem die Klägerin die konkret vorgetragenen Immobilienwerte überhaupt erst entnommen hat (vgl. BGH, Urteil v. 04.04.2014 – V ZR 275/12, Rn. 11; BGH, Urteil v. 17.01.2008 – III ZR 239/06, Rn. 16; Greger in Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 138, Rn. 8b).

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Die von der Klägerin herangezogenen Werte stammen aus dem vorläufigen Nachlassverzeichnis, das die Beklagten selbst am 01.03.2015 zu anderen Zwecken haben anfertigen lassen und in dem bereits die Immobilien O mit einem Stichtagswert zum 03.01.2015 von 680.000,00 Euro angegeben sind, das spätestens am 12.01.2016 um den Wert der Immobilien Q-Straße ergänzt wurde, deren beabsichtigter Verkaufspreis von 1.100.000,00 Euro dort ebenfalls als Stichtagswert zum 03.01.2015 angegeben ist.

Nicht nur vor diesem Hintergrund, sondern auch, weil die Beklagten auch im Übrigen nichts dazu vorgetragen haben und es auch sonst nicht ersichtlich ist, aus welchem Grund und in welcher Höhe die von der Klägerin ihrer Berechnung zugrunde gelegten Werte vom 01.03.2015 und vom 12.01.2016 vom tatsächlichen Wert der Immobilien am 03.01.2015 abweichen sollen, waren der Klägerin weitere Darlegungen oder Beweisantritte hierzu nicht abzuverlangen (vgl. BGH, Urteil v. 14.10.1992 – IV ZR 211/91, Rn. 9 nach juris; BGH, Beschluss v. 25.11.2010 – IV ZR 124/09, Rn. 7).

Von den durch den Verkaufspreis ermittelten Werten der Grundstücke waren die Maklerkosten nicht abzugsfähig. Die tatsächlich entstandenen Maklerkosten mindern den stichtagsbezogenen Wert der Grundstücke für den pflichtteilsrelevanten Nachlass nicht. Das Ziel der pflichtteilsbezogenen Nachlassbewertung ist, den Pflichtteilsberechtigten so zu stellen, als wenn der Nachlass zum Zeitpunkt des Erbfalls in Geld umgesetzt worden wäre (BVerfGE 78, 132ff.; BGH, NJW-RR 1991, 900, 901). Hierbei dient der tatsächlich erzielte Verkaufserlös zwar bei marktgängigen Gütern als beste Orientierung für ihren Wert (Lange in MüKo-BGB, 9. Aufl., § 2311, Rn. 35; Weidlich in Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 2311, Rn. 6, jew. m.w.N.); dieser Ansatz überlagert aber nicht den Zweck einer fiktiven Bewertung an sich (vgl. Lange in MüKo-BGB, 9. Aufl., § 2311, Rn. 31).

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Mithin sind allenfalls solche Veräußerungskosten abzugsfähig, die mit dem Verkauf zwingend verbunden sind (Lange in MüKo-BGB, 9. Aufl., § 2311, Rn. 35; Weidlich in Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 2311, Rn. 6, jew. m.w.N.). Dies ist bei der Maklercourtage nicht der Fall, weil eine Veräußerung auch ohne Makler möglich ist (§ 291 ZPO). Überdies war der Nachlass zum Zeitpunkt des Erbfalls mit dieser Forderung noch nicht belastet (vgl. LG Cottbus, Urteil v. 19.07.2006 – 4 O 237/05, Rn. 39 nach juris).

Den Beklagten steht auch kein Zurückbehaltungsrecht wegen der fehlenden Auskunft der Klägerin zu ihren eigenen Schenkungen zu. Zu einer solchen Auskunft war die Klägerin den Beklagten hier nicht verpflichtet. Einen Pflichtteilsergänzungsanspruch i.S.d. § 2325 Abs. 1 BGB, der zum Erfordernis der Offenlegung nach § 2327 Abs. 1 BGB führen könnte, macht die Klägerin nicht geltend, eine Ausgleichungspflicht nach § 2316 Abs. 1 BGB scheidet mangels weiterer Abkömmlinge neben der Klägerin aus und eine Anrechnungsbestimmung i.S.d. § 2315 Abs. 1 BGB ist nicht dargetan.

3.

Der Pflichtteilsanspruch der Klägerin ist nicht verjährt.

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Die Frist beginnt nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Erbfall eingetreten ist und der Berechtigte Kenntnis von dem Anspruch erlangt. Setzt die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs die Ausschlagung voraus, beginnt die Verjährung zwar grundsätzlich nicht erst mit der Ausschlagung, sondern weiterhin mit dem Erbfall (Lange in MüKo-BGB, 8. Aufl. § 2332, Rn. 11), weil das Gesetz eine dem Irrtum über den Berufungsgrund i.S.d. § 1949 Abs. 1 BGB entsprechende Sonderregelung an dieser Stelle nicht kennt;

die entsprechende Hemmung des Beginns der Verjährungsfrist ist jedoch in Fällen, in denen sich der Pflichtteilsanspruch erst aus einer nach der Ausräumung eines beachtlichen Irrtums über den Berufungsgrund erfolgten Ausschlagung ergibt, in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. RGZ 115, 27, 30; BGH, Urteil v. 06.10.1999 – IV ZR 262/98; BGH, Urteil v. 25.01.1995 – VI ZR 134/94; OLG Rostock, Urteil v. 11.11.2010 m- 3 U 59/10).

Die Grenze dieser auf die Verjährung übertragenen Beachtlichkeit des Irrtums über den Berufungsgrund ist erst dort erreicht, wo die Beurteilung der Rechtslage eindeutig ist (OLG Düsseldorf, Urteil v. 25.01.2008 – I-7 U 2/07, Rn. 6ff.).

Dies ist hier nach der bereits dargelegten Auffassung des Gerichts nicht der Fall (s.o.). Auch insoweit kam es auf die Beachtlichkeit des Rechtsirrtums der Klägerin an, die die Kammer hier als gegeben ansieht, weil ihre Falschbeurteilung der Wirksamkeit des zuletzt errichteten Testaments gegenüber dem Erbvertrag hier nicht auf Gründen beruht, die von Anfang an völlig von der Hand zu weisen sind (arg. ex § 2258 Abs. 1 BGB; vgl. auch BGH, Urteil v. 05.07.2000 – IV ZR 180/99), sondern auf solchen, die sich aus der schwer zu erkennenden, dem weiteren Wortlaut des Erbvertrages widersprechenden Bindungswirkung der vertragsmäßigen Verfügung mit ihrem vorverstorbenen, ersten Ehemann ergaben.

LG Wuppertal 2 O 298/19

4.

Die mit den Klageanträgen zu Ziffer 1) und 2) hier geltend gemachte Zinsansprüche sind nur teilweise begründet. Der zugesprochene Zinsanspruch der Klägerin folgt aus den §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB und beträgt gemäß § 288 Abs. 1 BGB jeweils fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz aus 891.815,46 Euro vom 01.08.2019 bis zum 13.09.2019 und aus 541.815,46 Euro seit dem 14.09.2019 (§ 286 Abs. 1 BGB).

Der mit dem Klageantrag zu 1) geltend gemachte Zinsanspruch auf den Betrag von 541.815,57 Euro ist erst ab dem 01.08.2019 begründet. Die Beklagten zu 1) bis 3) waren ab dem 01.08.2019 mit der Zahlung des Pflichtteils in Höhe von 891.815,46 Euro in Verzug.

Der Pflichtteilsanspruch ist zwar nur dann vor Rechtshängigkeit zu verzinsen, wenn Verzug begründet worden ist (vgl. Weidenkaff in Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 2317, Rn. 3); diese Voraussetzungen liegen aber zeitlich in abgrenzbarer Weise jedenfalls teilweise vor. Die erste verzugsbegründende Mahnung der richtigen Pflichtteilsschuldner, der Beklagten zu 1) bis 3), war hier das außerprozessuale Schreiben des Klägervertreters vom 16.07.2019, in dem die Beklagten zu 1) bis 3) u.a. zur Zahlung eines Pflichtteils in Höhe von 891.815,46 Euro bis zum 31.07.2019 aufgefordert wurden.

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Die vorherige Zahlungsaufforderung gegenüber dem Beklagten zu 4) konnte den Verzug der Pflichtteilsschuldner dagegen nicht begründen. Der Verzug wird zwar schon dann durch eine Mahnung wirksam begründet, wenn der Pflichtteil als solcher noch nicht beziffert wird (BGH NJW 1981, 1732f.); auch in diesem Fall setzt die Wirksamkeit der Mahnung als solche aber voraus, dass sie gegenüber dem richtigen Schuldner erfolgt und aus ihr erkennbar wird, auf welche Ansprüche sie sich bezieht (Grüneberg in Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 286, Rn. 19). Dies war hier erst die Aufforderung zur Zahlung an die Beklagten zu 1) bis 3).

Der mit dem Klageantrag zu 2) geltend gemachte Zinsanspruch auf den Betrag von 350.000,00 Euro ist nur vom 01.08.2019 bis zum 13.09.2019 begründet. Die Höhe des geschuldeten Pflichtteils reduzierte sich ab Eingang des am 13.09.2019 auf dem Konto der Klägerin gutgeschriebenen Betrags von 350.000,00 Euro auf den hiernach noch geltend gemachten Betrag von 541.815,46 Euro. Mit dem darüberhinausgehenden Betrag waren die Beklagten zu 1) bis 3) deshalb ab dem 14.09.2019 nicht mehr in Verzug, so dass Verzugszinsen auf die gezahlten 350.000,00 Euro hiernach nicht mehr angefallen sind.

Die Verzinsung des durch Schriftsatz vom 28.10.2020 klageerweiternd geltend gemachten Betrages in Höhe von weiteren 916,13 Euro hat die Klägerin nicht begehrt (Bl. 270). Einen solchen Antrag hat die Klägerin auch nicht gestellt (Bl. 479R).

LG Wuppertal 2 O 298/19

Der Anspruch auf Duldung der Zwangsvollstreckung gegen den Beklagten zu 4) folgt aus der Begründetheit der Klage gegen die Beklagten zu 1) bis 3) (§ 2205 BGB).

II.

außerprozessualen Aufforderungsschreiben des Klägervertreters

Im Übrigen war die Klage abzuweisen.

1.

Im Hinblick auf den zugesprochenen Pflichtteilsanspruch steht der Klägerin ein über die zugesprochenen Zinsen hinausgehender Zinsanspruch für den Zeitraum vom 01.03.2019 bis zum 31.07.2019 nicht zu. Insoweit kam allein ein Anspruch aus den §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB in Betracht. Dessen Voraussetzungen liegen vor dem 01.08.2019 nicht vor, weil die Klägerin vor diesem Zeitpunkt den falschen Schuldner zur Zahlung von Beträgen aufgefordert hat, die ihr nicht zustehende Zuvielforderungen enthalten (vgl. BGH, NJW 2001, 822, 825; BGH NJW 2006, 769; BGH NJW 2017, 2104f.; Grüneberg in Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 286, Rn. 20).

Die Klägerin selbst hat vorprozessual lediglich den Beklagten zu 4) zur Zahlung eines Betrags aufgefordert, den sie aus der Summe der Hälfte des von ihr angegebenen Nachlasswertes und dem Vermächtnisanspruch ihres Vaters gebildet hat. Diese Summe ist übersetzt und steht der Klägerin als Betrag nicht zu, weil das Vermächtnis zu Gunsten ihres Vaters aus dem Testament vom 24.09.2009 unwirksam ist. Der Änderungsvorbehalt in Ziffer VI des Erbvertrages aus dem Jahr 1967 genügt den Voraussetzungen, unter denen einem längerlebenden Vertragspartner Änderungen der Vertragsfolgen gestattet sind, nicht

(vgl. Musielak, ZEV 2007, 245, 248; OLG München, DNotZ 2009, 138, 139; Mayer/Dietz in Reimann/Bengel/Dietz, Testament-Hdb., 7. Aufl., § 2278, Rn. 26; OLG Köln, NJW-RR 1994, 651, 652; Horn in Horn/Kroiß, Testamentsauslegung, 2. Aufl., § 20, Rn. 62), weil es an bestimmten, vorher genau festgelegten Kautelen fehlt, unter denen eine Änderung durch den Längerlebenden zulässig ist (vgl. Lange, Erbrecht, 3. Aufl., § 34, Rn. 64).

LG Wuppertal 2 O 298/19

Ein sich so darstellender Totalvorbehalt ist mit den Rechtswirkungen eines Erbvertrags aber unvereinbar und deshalb unwirksam.

Erst die unter Bezugnahme auf das vorgenannte Schreiben verfassten, an die Beklagten zu 1) bis 3) gerichteten außerprozessualen Aufforderungsschreiben des Klägervertreters vom 16.07.2019 konnten im Hinblick auf die gesondert ausgewiesene Pflichtteilssumme den Verzug wirksam begründen (s.o., Ziff. I, Nr. 4).

2.

Mangels Verzugseintritts vor dem Tätigwerden des Klägervertreters ist für die Beanspruchung der Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gemäß den §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1 BGB kein Raum. Eine andere Anspruchsgrundlage ist nicht erkennbar.

3.

Im Hinblick auf den zunächst mit dem Klageentwurf im Antrag zu 2) geltend gemachten Vermächtnisanspruch ihres Vaters in Höhe von 55.012,66 Euro ist in der Nichtstellung dieser Anträge eine konkludente Rücknahme zu erkennen, die mangels Stellung in einer der hiernach durchgeführten mündlichen Verhandlungen gemäß § 269 Abs. 1 ZPO auch wirksam ist. Über den Antrag war deshalb nicht zu entscheiden.

Aufgrund der Begründetheit des gestellten Hauptantrags war über die Hilfsanträge ebenfalls nicht zu entscheiden.

III.

LG Wuppertal 2 O 298/19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die der Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

IV.

Der Streitwert wird festgesetzt auf 550.422,37 Euro.

Dieser Wert entspricht der nach § 5 ZPO gebildeten Summe aus den gemäß § 3 ZPO bestimmten Werten der nunmehr gestellten Hauptanträge 1 (Hauptforderung) und 2 (auf einen nicht streitgegenständlichen Teil der Hauptforderung zu Ziffer 1 bezogene Zinsforderung). Hierbei hat die Kammer den von der Klägerin mit dem gestellten Antrag zu Ziffer 2 begehrten Zinsanspruch für die Zeit vom 01.03.2019 bis zum 13.09.2019 auf den Betrag von weiteren, nicht streitgegenständlich gewordenen 350.000,00 Euro in Höhe von 7.690,67 Euro streitwerterhöhend berücksichtigt (vgl. BGH, Beschluss v. 16.09.2021 – III ZR 298/20; BGH, Beschluss v. 04.09.2013 – III ZR 191/12; Herget in Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 4, Rn. 8 m.w.N.).

Der gestellte Hauptantrag 3 betrifft dagegen vorgerichtliche Anwaltskosten und ist damit unabhängig von seiner prozessualen Geltendmachung als nicht streitwerterhöhende Nebenforderung i.S.d. § 4 ZPO bei der Streitwertfestsetzung nicht zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschluss v. 30.01.2007 – X ZB 7/06, Rn. 7f.; BGH, Beschluss v. 11.09.2019 – IV ZB 13/19, Rn. 20).

Der gestellte Hauptantrag 4 wirkte sich wegen wirtschaftlicher Identität zu den Hauptanträgen 1 und 2 ebenfalls nicht streitwerterhöhend aus (vgl. Herget in Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 5, Rn. 8 m.w.N.).

Auf die Werte der gestellten Hilfsanträge kam es nicht an, weil über diese keine Entscheidung erging (§ 45 Abs. 1 Satz 2 GKG).

Der lediglich im Prozesskostenhilfegesuch der Klägerin angekündigte Antrag auf Auszahlung von weiteren 55.012,66 Euro ist dagegen nie gestellt worden. Er war entsprechend § 40 GKG für die Streitwertfestsetzung unbeachtlich.

LG Wuppertal 2 O 298/19

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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