Mehrfache Berufungseinlegung bei verschiedenen Gerichten – BGH VIII ZB 75/22

Juli 22, 2023

Mehrfache Berufungseinlegung bei verschiedenen Gerichten – BGH VIII ZB 75/22 – Beschluss vom 21.02.2023 – Einheitlichkeit eines Rechtsmittels

Zusammenfassung von RA und Notar Krau:


Zur Einheitlichkeit eines Rechtsmittels trotz Einreichung von Berufungsschriften bei verschiedenen Gerichten

(im Anschluss an BGH, Urteil vom 29. Juni 1966 – IV ZR 86/65, BGHZ 45, 380, 382 f.;

Beschluss vom 26. November 2020 – V ZB 151/19, NJW 2021, 2121 Rn. 9 ff.).

Inhaltsverzeichnis:

I. Einleitung

  • Hintergrund und Bedeutung des Falls
  • Verweis auf einschlägige BGH-Rechtsprechung

II. Tenor des Beschlusses

  • Entscheidung über die Rechtsbeschwerden
  • Maßnahmen in Bezug auf die Beklagten zu 1 und 2
  • Verweisung an das Landgericht Heidelberg

III. Sachverhalt

  • Klage und Urteil des Amtsgerichts Heidelberg
  • Berufungseinlegungen und Zuständigkeitsfragen
  • Verwerfung der Berufung durch das Landgericht Mannheim
  • Einleitung des Rechtsbeschwerdeverfahrens

IV. Rechtsgrundlagen und Begründung

  • Einheitlichkeit eines Rechtsmittels
  • Verwerfung der Berufung nach § 522 Abs. 1 ZPO
  • Koordinierung von gleichzeitig anhängigen Rechtsmittelverfahren
  • Unzulässigkeit der Verwerfung durch das Landgericht Mannheim

V. Schlussfolgerung und Ausblick

  • Aufhebung der angefochtenen Entscheidung
  • Verweisung an das Landgericht Heidelberg
  • Kostenentscheidung gemäß § 91 Abs. 1 ZPO

Mehrfache Berufungseinlegung bei verschiedenen Gerichten – BGH VIII ZB 75/22 – Tenor


Der Beklagte zu 2 wird, nachdem er die Rechtsbeschwerde gegen den am 22. Juli 2022 ergangenen Beschluss des Landgerichts Mannheim – 4. Zivilkammer – zurückgenommen hat, dieses Rechtsmittels für verlustig erklärt.

Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 1 wird der vorgenannte Beschluss des Landgerichts Mannheim aufgehoben.

Die Sache wird zur Entscheidung über die Berufung der Beklagten zu 1 gegen das Urteil des Amtsgerichts Heidelberg vom 13. April 2022 an das Landgericht Heidelberg verwiesen, das auch über die durch die Anrufung des Landgerichts Mannheim und das Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen Kosten zu entscheiden hat.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 3.611 € festgesetzt.

Mehrfache Berufungseinlegung bei verschiedenen Gerichten – BGH VIII ZB 75/22 – Gründe


I.

Die Beklagten sind Mieter einer Wohnung der Klägerin in Heidelberg. Das Amtsgericht hat der auf Zahlung rückständiger Miete und Betriebskostennachforderungen, jeweils nebst Zinsen, gerichteten Klage stattgegeben.

Gegen das den Beklagten am 25. April 2022 zugestellte Urteil des Amtsgerichts Heidelberg hat die Beklagte zu 1 (rechtzeitig) Berufung zum Landgericht Mannheim eingelegt.

Mit Verfügung vom 3. Mai 2022 wies die Vorsitzende der Berufungskammer auf die Zuständigkeit des Landgerichts Heidelberg hin.

Daraufhin beantragte die Beklagte zu 1 am 10. Mai 2022 die Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Heidelberg.

Am 15. Mai 2022 legte sie dort erneut Berufung ein.

Die Vorsitzende der Berufungskammer des Landgerichts Mannheim wies die Beklagte zu 1 mit Verfügung vom 4. Juli 2022 darauf hin, dass das Rechtsmittel nicht innerhalb der (bis Montag, den 27. Juni 2022 laufenden) Berufungsbegründungsfrist begründet worden sei.

Mehrfache Berufungseinlegung bei verschiedenen Gerichten – BGH VIII ZB 75/22

Das Landgericht Heidelberg teilte dem Landgericht Mannheim am 14. Juli 2022 mit, dass Berufung zum Landgericht Heidelberg eingelegt worden sei, und bat um Übersendung der Prozessakten. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht Mannheim die Berufung der Beklagten zu 1 wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verworfen.

Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 1. Der Beklagte zu 2 hat die von ihm eingelegte Rechtsbeschwerde zurückgenommen.

Das Landgericht Heidelberg hat auf Anfrage des Senats mitgeteilt, dass es über die Berufung mit Rücksicht auf die beim Senat anhängige Rechtsbeschwerde noch nicht entschieden habe.

II.

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 1 hat Erfolg.

Sie ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig; insbesondere ist ein Zulassungsgrund gemäß § 574 Abs. 2 ZPO gegeben. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts über die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

Das Landgericht Mannheim hat sich in Widerspruch zu der gefestigten, auf eine mehrfache Rechtsmitteleinlegung bezogenen höchstrichterlichen Rechtsprechung gesetzt, indem es die Berufung der Beklagten zu 1 verworfen hat, obwohl es von dem Landgericht Heidelberg zuvor von der auch dort eingelegten Berufung in Kenntnis gesetzt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. November 2020 – V ZB 151/19, NJW 2021, 2121 Rn. 6).

Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Landgericht Mannheim durfte die Berufung der Beklagten zu 1 nicht nach § 522 Abs. 1 ZPO verwerfen.

Mehrfache Berufungseinlegung bei verschiedenen Gerichten – BGH VIII ZB 75/22

a) Der unterlegenen Partei steht gegen ein erstinstanzliches Urteil ein einziges Rechtsmittel, nämlich die Berufung zu. Das Rechtsmittel als solches ist dabei von durch den einzelnen Rechtsmittelschriftsatz eingeleiteten Verfahren zu unterscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 1966 – IV ZR 86/65, BGHZ 45, 380, 382 mwN; Beschluss vom 26. November 2020 – V ZB 151/19, aaO Rn. 10; siehe bereits RGZ 102, 364, 365).

Da die Beklagte zu 1 Berufung sowohl bei dem Landgericht Mannheim als auch bei dem (gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 GVG i.V.m. § 4 Abs. 5 des Gesetzes über die Organisation der ordentlichen Gerichte in Baden-Württemberg [Gerichtsorganisationsgesetz BW] zur Entscheidung über die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Heidelberg berufenen) Landgericht Heidelberg eingelegt hat, kommt eine Verwerfung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur in Betracht, wenn sich erweist, dass die verschiedenen Einlegungen des Rechtsmittels sämtlich unzulässig sind.

In diesem Fall ist über das Rechtsmittel als solches einheitlich zu entscheiden und auszusprechen, dass es unzulässig ist (vgl. BGH, Urteile vom 29. Juni 1966 – IV ZR 86/65, aaO S. 383; vom 27. Februar 2018 – XI ZR 224/17, NJW 2018, 1683 Rn. 27; Beschlüsse vom 18. Januar 2007 – V ZB 129/06, NJW 2007, 1211 Rn. 5; vom 11. Juni 2015 – V ZB 34/13, NJW 2015, 3171 Rn. 10; vom 26. November 2020 – V ZB 151/19, aaO Rn. 10).

Das gilt auch dann, wenn das Rechtsmittel – wie hier – bei unterschiedlichen Gerichten eingelegt worden ist; das einheitliche Rechtsmittel darf auch in diesem Fall nur dann als unzulässig verworfen werden, wenn sich erweist, dass keine der Einlegungen zulässig ist (BGH, Beschluss vom 26. November 2020 – V ZB 151/19, aaO). Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht gegeben.

b) Erlangt das Rechtsmittelgericht – wie hier das Landgericht Mannheim aufgrund der am 14. Juli 2022 eingegangenen Mitteilung des Landgerichts Heidelberg – Kenntnis von einer weiteren Rechtsmitteleinlegung in derselben Sache bei einem anderen Gericht, müssen infolgedessen die zeitgleich anhängigen Rechtsmittelverfahren koordiniert werden, indem die angerufenen Gerichte zunächst ihre Zuständigkeit prüfen.

Mehrfache Berufungseinlegung bei verschiedenen Gerichten – BGH VIII ZB 75/22

Hält sich eines der Gerichte für unzuständig, hat es die Sache – wie die Rechtsbeschwerde zu Recht geltend macht – unter Übersendung der Prozessakten an das andere Gericht abzugeben

(BGH, Beschluss vom 26. November 2020 – V ZB 151/19, aaO Rn. 11;

siehe auch BGH, Beschluss vom 18. Februar 2021 – III ZR 79/20, NJW-RR 2021, 507 Rn. 9; jeweils mwN).

c) Daran gemessen gibt es nicht etwa, wovon das Landgericht Mannheim in dem angefochtenen Beschluss möglicherweise ausgegangen ist, jeweils eine Berufung zu beiden Landgerichten, sondern handelt es sich um eine einheitliche Berufung der Beklagten zu 1 mit zwei anhängigen Verfahren.

Das Landgericht Mannheim durfte die Berufung mithin nicht als unzulässig verwerfen, weil das Rechtsmittelverfahren vor dem Landgericht Heidelberg noch nicht abgeschlossen war (vgl. BGH, Beschluss vom 26. November 2020 – V ZB 151/19, aaO Rn. 12). Vielmehr hätte das Landgericht Mannheim sich für unzuständig erklären und die Sache an das Landgericht Heidelberg abgeben müssen.

Das Landgericht Mannheim hat somit die Berufung der Beklagten zu 1 zu Unrecht als unzulässig verworfen.

Die angefochtene Entscheidung kann deshalb keinen Bestand haben; sie ist aufzuheben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO) und die Sache nunmehr an das Landgericht Heidelberg zu verweisen, welches auch über die durch die Anrufung des Landgerichts Mannheim entstandenen Kosten sowie diejenigen des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden hat.

Ob diese Kosten der unterliegenden Partei zur Last fallen oder der obsiegenden, richtet sich gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO danach, ob sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren

(BGH, Beschluss vom 26. November 2020 – V ZB 151/19, aaO Rn. 13 mwN).

Dr. Bünger

Kosziol

Dr. Schmidt

Wiegand

Dr. Matussek

Mehrfache Berufungseinlegung bei verschiedenen Gerichten – BGH VIII ZB 75/22

Schlagworte

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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