OLG Braunschweig 3 W 885/22

Mai 11, 2023


OLG Braunschweig 3 W 885/22, Telefonische Bestellung eines Nachlasspflegers, persönliche Verpflichtung des Bestellten gemäß § 1789 BGB

  1. Die Bestellung eines berufsmäßigen Nachlasspflegers gemäß § 1789 BGB in der bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Fassung kann ausnahmsweise auch dann wirksam sein, wenn die persönliche Verpflichtung des Bestellten nicht in dessen Anwesenheit, sondern lediglich telefonisch erfolgt ist (Abgrenzung zu BGH, Beschluss vom 15. Januar 2020 – XII ZB 627/17, NJOZ 2020, 1099 [1100], Rn. 7 und Beschluss vom 13. Dezember 2017 – XII ZB 436/17, NJW-RR 2018, 325 [326], Rn. 12).
  2. Der Einwand der mangelhaften Geschäftsführung ist bei der Bewilligung der Vergütung eines Nachlasspflegers grundsätzlich nicht zu berücksichtigen (Anschluss an OLG Hamm, Beschluss vom 8. Juli 2020 – I-10 W 4/19, NLPrax 2020, 79 und OLG Schleswig, Beschluss vom 1. Juli 2011 – 3 Wx 19/11, FamRZ 2012, 143). Etwas anderes gilt nur bei einer bereits im Festsetzungsverfahren – etwa aufgrund eines Geständnisses – feststehenden gewichtigen und zumindest leichtfertigen Pflichtverletzung, die in ihrer Schwere mit einer vorsätzlichen Schädigung des Nachlassvermögens zumindest vergleichbar ist (Abgrenzung zu OLG Frankfurt, Beschluss vom 22. Januar 2019 – 20 W 316/16, FGPrax 2019, 134).


vorgehend AG Hann. Münden, 4. März 2022, 7 VI 275/20

Tenor

OLG Braunschweig 3 W 885/22
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Nachlassgericht – Hann. Münden vom 4. März 2022 – 7 VI 275/20 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beschwerdeführer.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen, jedoch beschränkt auf die Frage, ob eine wirksame Bestellung des Beteiligten zu 2) vorliegt.

Der Beschwerdewert wird auf 1.983,73 Euro festgesetzt.

Gründe
I.


Mit Beschluss vom 12. November 2020 hat das Amtsgericht – Nachlassgericht – Hann. Münden den [als Rechtsanwalt tätigen] Beteiligten zu 2) zum [berufsmäßigen] Nachlasspfleger bestellt (Bl. 4 d.A.). In die Übersendungsverfügung vom selben Tag hat das Nachlassgericht folgenden Passus aufgenommen:

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„Die Verpflichtung findet derzeit aufgrund der Pandemiemaßnahmen tel. statt. Sodann wird ein Aktenvermerk gefertigt. Bitte melden sie sich für diese Zwecke zu gegebener Zeit bei Frau P.“ (Bl. 6 d.A.)


Ausweislich des Protokolls vom 17. November 2020 (Bl. 10 d.A.) hat an diesem Tag ein Telefongespräch zwischen dem Beteiligten zu 2) und der zuständigen Rechtspflegerin zur Verpflichtung als Nachlasspfleger für die unbekannten Erben der Erblasserin stattgefunden. Der Beteiligte zu 2) wurde über die Aufgaben und Pflichten eines Nachlasspflegers unterrichtet und zu treuer und gewissenhafter Führung des Amtes verpflichtet. Das Merkblatt für Nachlasspfleger(innen) und der Ausweis wurden übersendet.


Mit Beschluss vom 31. März 2021 hat das Nachlassgericht die Vergütung des Beteiligten zu 2) für seine Tätigkeit im Zeitraum vom 23. November 2020 bis 8. Februar 2021 antragsgemäß auf 4.747,92 Euro festgesetzt. Mit weiterem Beschluss vom 4. März 2022 hat das Nachlassgericht sodann die Vergütung des Beteiligten zu 2) für seine Tätigkeit im Zeitraum vom 5. März 2021 bis 9. November 2021 auf 1.983,73 € festgesetzt.


Mit Verfügung vom 4. März 2022 (Bl. 84 d.A.) hat die Rechtspflegerin die formlose Übersendung des Festsetzungsbeschlusses vom 4. März 2022 u. a. an den „Erben“ verfügt. Alleinerbe der Erblasserin ist nach den Feststellungen des Senats im Beschluss vom 9. Februar 2022 zum Erbscheinsverfahren 3 W 55/21 der Beteiligte zu 1).


Mit seiner Beschwerde vom 30. April 2022 wendet sich der Beteiligte zu 1) (im Folgenden: Beschwerdeführer) gegen den Festsetzungsbeschluss vom 4. März 2022, den er seinem Vorbringen nach nicht postalisch, sondern über den Nachlasspfleger erhalten habe. Zur Begründung führt er im Wesentlichen an:

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Der Beteiligte zu 2) habe seinen Vergütungsanspruch verwirkt. Er habe seine gegenüber dem Erben bestehenden besonderen Treue- und Sorgfaltspflichten in einem besonders schwerwiegenden Maße verletzt. Obwohl ihm seit dem 7. Dezember 2020 sämtliche Umstände bekannt gewesen seien, aus denen die Alleinerbenstellung des Beschwerdeführers folgten, habe er zu keinem Zeitpunkt auf das Nachlassgericht eingewirkt, eine entsprechende Beweisaufnahme durchzuführen. Er habe sich vielmehr der grob rechtsfehlerhaften und unvertretbaren Rechtsansicht des Nachlassgerichts im Erbscheinsverfahren angeschlossen.

Selbst als ihm der Beschluss des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 9. Februar 2022 zugegangen sei, habe er die Nachlasspflegschaft u. a. durch Hinweis auf rechtlich nicht erforderliche Ermittlungen gesetzlicher Erben weiter hinausgezögert. Zugleich habe der Beteiligte zu 2) trotz frühzeitiger Kenntnis von den Umständen über den gesamten Verfahrenszeitraum Gebühren für Tätigkeiten ausgelöst, die sich nicht in der bloßen Sicherung des Nachlasses erschöpft hätten. Selbst nachdem der Beschwerdeführer unzweifelhaft aufgrund des Beschlusses des Oberlandesgerichts Braunschweig als Erbe festgestanden habe, habe der Nachlasspfleger das Finanzamt nicht von dessen Existenz informiert, sondern versucht, einen Erbschaftssteuerbescheid gegen unbekannt zu erwirken, dessen Bearbeitung durch ihn weitere Gebühren ausgelöst hätte.


Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 30. April 2020 (Bl. 104 – 109 d.A.) Bezug genommen.


Der Beteiligte zu 2) hat mit Schreiben vom 2. August 2022 Stellung genommen. Er habe keinen Anlass gehabt, auf das Nachlassgericht „einzuwirken“. Das Nachlassgericht entscheide nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen über die Erteilung eines Erbscheins. Außer der Behauptung des Beschwerdeführers hätten sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Beschwerdeführer trotz nicht auffindbaren Testaments testamentarischer Erbe geworden sei.


Der Beschwerdeführer hat mit weiterem Schriftsatz vom 12. September 2022 ergänzend Stellung genommen. Der Beteiligte zu 2) habe seine ihm obliegenden Pflichten zum Nachteil des Erben auch dadurch in schwerwiegender Weise verletzt, dass er bei der von ihm anstelle des Erben vorgenommenen Erklärung der Erbschaftssteuer einen wesentlich überhöhten Verkehrswert des zum Nachlass gehörenden Grundstücks angegeben habe.

Er habe trotz erheblicher und klar erkennbarer Mängel einen Wert von 280.000,00 Euro angegeben, obwohl der tatsächliche Verkehrswert lediglich 215.000,00 Euro betrage. Nachdem der Nachlasspfleger gegenüber dem Beschwerdeführer kolportiert habe, dass das Grundstück bei den Preisen, „die man so mitbekomme“ doch mindestens 300.000,00 Euro wert sei, sei davon auszugehen, dass die „Wertermittlung“ durch den Nachlasspfleger lediglich Ausdruck eines unbestimmten Bauchgefühls gewesen sei und nicht auf einer pflichtgemäßen Auseinandersetzung mit den wertbildenden Faktoren des Grundstücks basiert habe.

Die auf den Differenzbetrag entfallende Erbschaftssteuer betrage zum Steuersatz des Beschwerdeführers insgesamt 19.500,00 Euro. Der Beteiligte zu 2) habe ihn auch nicht von der Abgabe der Erbschaftssteuererklärung in Kenntnis gesetzt und so verhindert, dass er seine Rechte gegen den auf fehlerhafter Tatsachengrundlage beruhenden Feststellungsbescheid des Finanzamts habe wahrnehmen können.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 12. September 2022 (Bl. 145, 146 d.A.) Bezug genommen.


Das Nachlassgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 30. September 2022 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht vorgelegt.

II.

1.


Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere innerhalb der Frist des § 63 Abs. 1 FamFG eingelegt.


Die Monatsfrist des § 63 Abs. 1 FamFG beginnt gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses an die Beteiligten. Die Bekanntgabe kann gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG durch Zustellung nach den §§ 166 bis 195 ZPO oder dadurch bewirkt werden, dass das Schriftstück unter der Anschrift des Adressaten zur Post gegeben wird. Eine Aufgabe zur Post in diesem Sinne liegt nicht schon dann vor, wenn ein Dokument auf dem Postweg versandt wird. Bei der Bekanntgabe durch Aufgabe zur Post nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 FamFG ist vielmehr entsprechend § 184 Abs. 2 Satz 4 ZPO in den Akten zu vermerken, zu welcher Zeit und unter welcher Anschrift das Schriftstück zur Post gegeben wurde (BGH, Beschluss vom 2. Dezember 2015 – XII ZB 283/15 –, DNotZ 2016, 195 [197]). Zudem dürfte eine wirksame Bekanntgabe durch Aufgabe zur Post auch zwingend den Hinweis an den Empfänger erfordern, dass mit der Übersendung des Beschlusses dessen (fristauslösende) Bekanntgabe erfolgen sollte, um nicht den irrigen Eindruck zu erwecken, es handele sich lediglich um eine formlose Übersendung (OLG München, Beschluss vom 20. Februar 2012 – 31 Wx 565/11 –, Rn. 13, juris; vgl. auch BGH, Urteil vom 7. Dezember 1966 – IV ZR 264/65 –, BeckRS 1966, 31400628).

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Nach diesen Maßgaben liegt in der Übersendung des Beschlusses vom 4. März 2022 mit Verfügung vom 11. März 2022 keine Bekanntgabe i.S.d. § 15 FamFG. Die formlose Übersendung des Beschlusses hat die Beschwerdefrist gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG nicht in Gang gesetzt. Es lässt sich im Übrigen auch nicht feststellen, dass die Beschlussabschrift dem Beschwerdeführer tatsächlich zugegangen ist. Der Beschwerdeführer bestreitet dies.

Die Beschwerdefrist ist auch nicht dadurch in Gang gesetzt worden, dass der Beteiligte zu 2) dem Beschwerdeführer den Beschluss ausweislich des von diesem vorgelegten E-Mail-Verkehrs (wohl) am 21. März 2022 als E-Mail-Anhang übersandt hat (Bl. 114, 115 d.A.). Zwar kann ein Mangel der ordnungsgemäßen Bekanntgabe grundsätzlich gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG i.V.m. § 189 ZPO geheilt werden. Eine unwirksame Zustellung wird jedoch nur dann als wirksam angesehen, wenn das Gericht mit Zustellungswillen gehandelt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 26. November 2002 – VI ZB 41/02 –, NJW 2003, 1192 [1193]). Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn das Gericht – wie hier – eine formlose Übersendung verfügt hat (vgl. BGH, a.a.O.).

2.


Die Beschwerde hat in der Sache aber keinen Erfolg.


Dem Beteiligten zu 2) steht für seine Tätigkeit als Nachlasspfleger im Zeitraum vom 5. März 2021 bis zum 9. November 2021 eine Vergütung in der seitens des Nachlassgerichts festgesetzten Höhe zu.


Der Beteiligte zu 2) ist wirksam als Nachlasspfleger bestellt worden (dazu a). Das Nachlassgericht hat die Vergütung auch der Höhe nach zutreffend festgesetzt (dazu b). Der Vergütungsanspruch ist auch nicht verwirkt (dazu c).

a)


Der Beteiligte zu 2) ist wirksam als Nachlasspfleger bestellt worden.

aa)

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Die Bestellung erfolgte mit Beschluss vom 17. November 2020. Im vorliegenden Fall sind deshalb gemäß § 1915 Abs. 1 S. 1 BGB in der bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Fassung die Vorschriften des Vormundschaftsrechts, in der jeweils bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Fassung (a. F.) anwendbar. § 1789 Satz 1 BGB a. F. lautete:


„Der Vormund wird von dem Familiengericht durch Verpflichtung zu treuer und gewissenhafter Führung der Vormundschaft bestellt. Die Verpflichtung soll mittels Handschlag an Eides statt erfolgen.“


Der Beteiligte zu 2) wurde mit Beschluss des Nachlassgerichts vom 12. November 2020 (Bl. 4 d.A.) zum Nachlasspfleger bestellt und ihm mit Verfügung vom selben Tag das Merkblatt für Nachlasspfleger übersandt. Am 17. November 2020 wurde er telefonisch über die Aufgaben und Pflichten eines Nachlasspflegers unterrichtet und zu treuer und gewissenhafter Führung des Amtes verpflichtet. Er wurde damit wirksam bestellt. Der Umstand, dass die Verpflichtung lediglich telefonisch erfolgte führt nicht zur Unwirksamkeit der Bestellung.

bb)


Soweit sich aus der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung ergibt, dass eine wirksame Bestellung des Vormunds (bzw. hier des Nachlasspflegers) stets und ausnahmslos eine persönliche Anwesenheit des Vormunds (bzw. hier des Nachlasspflegers) voraussetzt, folgt der Senat dieser Bewertung für den hier vorliegenden (Ausnahme-)Fall nicht.


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat für die Bestellung eines Vormunds ausgeführt, eine wirksame Bestellung setze eine persönliche Verpflichtung durch das Gericht in Anwesenheit des Bestellten voraus. § 1789 BGB solle die Bedeutung und Notwendigkeit der besonderen Bestellung des Vormunds klarstellen, der als Hoheitsakt ein konstitutiver Charakter zukomme.

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Erst mit der wirksamen Bestellung des Vormunds würden die Rechte und Pflichten aus der Vormundschaft und damit auch die mit einer berufsmäßig geführten Vormundschaft verbundenen Vergütungsansprüche entstehen (vgl. Beschluss vom 15. Januar 2020 – XII ZB 627/17 –, NJOZ 2020, 1099 [1100], Rn. 7; Beschluss vom 13. Dezember 2017 – XII ZB 436/17 – NJW-RR 2018, 325 [326], Rn. 12). Dies entspricht auch der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. statt vieler nur: OLG Zweibrücken, Beschluss vom 29. Oktober 2020 – 6 W 74/20 –, Rn. 9, juris; OLG Dresden, Beschluss vom 17. November 2016 – 18 WF 1167/16 –, juris; OLG Brandenburg, Beschluss vom 15. April 2015 – 15 WF 84/15 –, juris) und der herrschenden Auffassung in der Literatur (vgl. etwa: Hamdan, in: jurisPK BGB, 9. Auflage 2020, § 1789, Rn. 4; Veit, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2020, § 1789, Rn. 6; Spickhoff, in: MüKo BGB, 8. Auflage 2020, § 1789, Rn. 13).


Zum Teil wird in der Literatur demgegenüber auch die Auffassung vertreten, eine wirksame Bestellung setze keine Verpflichtung in persönlicher Anwesenheit voraus (Keuter, in: FamRZ 2010, 1955; ders., in: FamRZ 2011, 954 [955]; Leipold, in: ZEV 2021, 378 [379]; Hoffmann, in: BeckOGK BGB, § 1789, Stand: 1. Oktober 2022, § 1789, Rn. 13).


Mit der Frage, ob bzw. unter welchen Umständen eine telefonische Verpflichtung oder eine Verpflichtung im Wege der Bild- und Tonübertragung einer Verpflichtung in persönlicher Anwesenheit gleichstehen kann, hat sich die ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung – soweit ersichtlich – noch nicht explizit befasst. Die Betonung des Erfordernisses einer persönlichen Anwesenheit legt aber nahe, dass eine telefonische Verpflichtung oder eine solche im Wege der Bild- und Tonübertragung nach dieser Auffassung unabhängig von der Frage, ob die Vormundschaft (bzw. Pflegschaft) berufsmäßig geführt wird, und unabhängig von den sonstigen Umständen des Einzelfalls für unzulässig und damit die Bestellung für unwirksam gehalten wird.


Der Senat entscheidet die vorgenannte Fragestellung im vorliegenden Fall dahingehend, dass die Verpflichtung eines berufsmäßigen Nachlasspflegers zumindest in begründeten Ausnahmefällen auch telefonisch bzw. im Wege der Bild- und Tonübertragung erfolgen kann.

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Dem steht der Wortlaut des § 1789 BGB a. F. nicht entgegen (wie hier: Leipold, in: ZEV 2021, 378 [379]; Keuter, in: FamRZ 2010, 1955 [1956]; a.A.: OLG Hamm, Beschluss vom 26. September 2013 – 6 WF 211/13 –, FamRZ 2014, 672, Rn. 6, juris). Satz 1 der Vorschrift enthielt die Regelung, dass der Vormund von dem Familiengericht durch Verpflichtung zu treuer und gewissenhafter Führung der Vormundschaft bestellt wird. Dass dies zwingend in persönlicher Anwesenheit zu geschehen hat, folgt hieraus nicht.

Gemäß Satz 2 der Vorschrift soll die Verpflichtung mittels Handschlags an Eides statt erfolgen. Hierbei handelt es sich nach ganz herrschender Meinung nur um eine Ordnungsvorschrift, von deren Einhaltung die Wirksamkeit der Bestellung nicht abhängt (vgl. etwa Spickhoff, a.a.O., Rn. 10). Auch dieser Ordnungsvorschrift lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber die persönliche Anwesenheit des zu Verpflichtenden als zwingende Voraussetzung einer wirksamen Bestellung angesehen hat.

Die Ausgestaltung der Verpflichtung „mittels Handschlags“ als Sollvorschrift lässt darauf schließen, dass der Gesetzgeber eine Verpflichtung in persönlicher Anwesenheit als Regelfall angesehen hat. Zu der Frage, ob in den Fällen, in denen auf eine Verpflichtung mittels Handschlags in zulässiger Weise verzichtet wird, gleichwohl zwingend eine persönliche Anwesenheit erforderlich ist, verhält sich die Vorschrift nicht. Das Fehlen einer solchen Regelung spricht eher gegen als für das Verständnis, der Gesetzgeber habe eine persönliche Anwesenheit des zu Verpflichtenden als zwingende Voraussetzung einer wirksamen Bestellung angesehen.


Dieses Verständnis wird durch die historische Auslegung der Norm gestützt. In der Entwurfsfassung eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich von 1888 (abrufbar unter https://archive.org/details/entwurfeinesbrg00bundgoog/page/ 390/mode/2up) befand sich eine dem § 1789 BGB in der Fassung bis zum 31. Dezember 2022 entsprechende Vorschrift in § 1645.


Satz 2 dieser Entwurfsfassung lautete:


„Die Verpflichtung erfolgt mittels Handschlags an Eidesstatt.“


Eine Ausnahme von diesem Erfordernis war in der Entwurfsfassung nicht vorgesehen.

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In den Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch von 1899 (herausgegeben von Mugdan) befindet sich eine alternative Fassung des § 1645 Satz 2 (Mugdan, Die gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 1899, IV. Band, Familienrecht, S. CIX):


„Die Verpflichtung erfolgt [soll] mittels Handschlages an Eidesstatt [erfolgen].“


Aus dieser Fassung ergibt sich, dass vor Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowohl die Alternative einer zwingenden Verpflichtung mittels Handschlags als auch eine Ausgestaltung als Sollvorschrift erwogen wurde. Aus den Motiven ergibt sich weiter, dass im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens der Antrag gestellt wurde, § 1645 Satz 2 gänzlich zu streichen, weil „die Verpflichtung durch Handschlag […] eine reine Formalität [sei], deren Erfüllung keinen Werth habe und häufig mit Unbequemlichkeiten verbunden sei. Es bestehe kein Grund, namentlich in Fällen, wo der Vormund nicht im Gerichtsorte wohne, den Vormund zu nöthigen, zur Erfüllung reiner Formalitäten vor Gericht zu erscheinen“ (Mugdan, a.a.O., S. 1063).


Der Antrag wurde zurückgezogen, „nachdem ihm entgegengehalten war, die Verpflichtung mittels Handschlages sei eine Solennitätsform, die dem Ernste und der Wichtigkeit der vom Vormunde anzunehmenden Pflichten angemessen sei. Erfahrungsgemäß verfehle die Verpflichtung mittels Handschlages in der Regel nicht einen gewissen Eindruck auf den Vormund zu machen; die Unbequemlichkeiten die damit verbunden seien, müssten angesichts dieser Wirkung in den Kauf genommen werden“ (Mugdan, a.a.O.).


Trotz dieser Betonung der Wichtigkeit der Verpflichtung mittels Handschlags in den Beratungen wurde diese im Gesetz schließlich nur als Sollvorschrift verankert. Gerade vor dem Hintergrund, dass in den vorangegangenen Beratungen der gänzliche Verzicht auf die Verpflichtung mittels Handschlags zur Vermeidung eines zwingenden persönlichen Erscheinens angeregt wurde, wäre eine Klarstellung zu erwarten gewesen, wenn der Gesetzgeber zwar nicht den Handschlag, wohl aber das persönliche Erscheinen ausnahmslos für zwingend erforderlich gehalten hätte.


Auch die historische Auslegung spricht damit eher gegen als für das zwingende Erfordernis eines persönlichen Erscheinens.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Sinn und Zweck des § 1789 Abs. 1 BGB.

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Den oben zitierten Gesetzesmaterialien lässt sich entnehmen, dass die Verpflichtung mittels Handschlags aus Sicht der BGB-Kommission den Zweck verfolgte, dem zu Verpflichtenden den Ernst und die Wichtigkeit der von ihm zu übernehmenden Pflichten zu verdeutlichen. Diesen Gesichtspunkt hebt auch der XII. Zivilsenat des Bundesgerichthofs hervor (s.o.). Bei einem Rechtsanwalt, der berufsmäßig und regelmäßig als Nachlasspfleger tätig ist, bestehen aber keine vernünftigen Zweifel, dass er sich der Bedeutung seines Amtes bewusst ist und seine Rechte und vor allem Pflichten kennt (so zutreffend Keuter, in: FamRZ 2010, 1955 [1956]). Dann erschließt es sich aber nicht, weshalb die Verpflichtung nicht telefonisch oder im Wege der Bild- und Tonübertragung möglich sein soll. Dies gilt umso mehr, als der vom Gesetz – zumindest als Grundsatz – vorgesehene feierliche Verpflichtungsakt durch routinemäßige Wiederholung seinen Sinn verliert (vgl. Keuter, in: FamRZ 2011, 954 [955]).


Eben dieses Verständnis liegt auch ersichtlich der gesetzlichen Neuregelung durch das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4. Mai 2021 zugrunde. Gemäß § 1888 Abs. 1 i.V.m. § 1861 Abs. 2 BGB findet seit dem 1. Januar 2023 keine persönliche Verpflichtung des berufsmäßigen Nachlasspflegers mehr statt. Es werden lediglich noch ehrenamtliche Nachlasspfleger mündlich verpflichtet und dies auch nur dann, wenn sie nicht mehr als eine Betreuung führen oder in den letzten zwei Jahren geführt haben, § 1861 Abs. 2 Satz 2 BGB (vgl. zum Ganzen Zimmermann, in: ZEV 2022, 580 [582]). Auch in diesen Fällen hat die Verpflichtung aber keinen Einfluss mehr auf die Wirksamkeit der Bestellung (Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 18. November 2020, BT-Drucks. 19/24445, S. 297).


Es stellt einen nicht erklärlichen Widerspruch dar, bis zum 31. Dezember 2022 aus Sinn und Zweck der Bestellungsvorschriften herzuleiten, dass die persönliche Anwesenheit auch eines berufsmäßig und regelmäßig als Nachlasspfleger tätigen Rechtsanwalts bei der Verpflichtung zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung ist, wenn der Gesetzgeber auf der anderen Seite bereits mit Gesetz vom 12. Mai 2021 (mit Wirkung zum 1. Januar 2023) zum Ausdruck gebracht hat, dass dies nicht einmal dann der Fall sein soll, wenn ein lediglich ehrenamtlicher Nachlasspfleger erstmals diese Tätigkeit übernimmt.


Das Nachlassgericht hat mit Hinweis auf den zurzeit der Bestellung aufgrund der Corona-Pandemie herrschenden (Teil-)lockdown auf eine persönliche Anwesenheit des Beteiligten zu 2) verzichtet und eine telefonische Verpflichtung vorgenommen. Es hat damit lediglich in einem durch die konkreten Umstände des vorliegenden Einzelfalls begründeten Ausnahmefall von dem gesetzlichen Regelfall der Verpflichtung mittels Handschlags in persönlicher Anwesenheit abgesehen. Die Bewertung des Nachlassgerichts, dass die Umstände des Einzelfalls ein Absehen vom gesetzlichen Regelfall rechtfertigten, ist nicht zu beanstanden. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob die Verpflichtung in Anwesenheit trotz der seinerzeitigen Pandemielage möglich und zumutbar gewesen wäre. Entscheidend ist, dass es aus der damaligen Sicht nachvollziehbare und vernünftige Gründe für ein Abweichen vom gesetzlichen Regelfall gegeben hat.

b)

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Die Vergütung eines Nachlasspflegers bei berufsmäßig geführter Nachlasspflegschaft ergibt sich bei einem vermögenden Nachlass bis zum 31. Dezember 2022 aus § 1915 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB a. F., § 1836 Abs. 1 BGB a. F. (jetzt § 1888 Abs. 2 BGB). Danach bestimmt sich die Höhe der Vergütung nach den für die Führung der Pflegschaftsgeschäfte nutzbaren Fachkenntnissen des Nachlasspflegers sowie nach dem Umfang und der Schwierigkeit der Pflegschaftsgeschäfte. Dabei richtet sich die Vergütung nach Zeitaufwand und angemessenem Stundensatz und nicht etwa nach einem bestimmten Prozentsatz des Aktivnachlasses (vgl. OLG Köln, OLG Köln, Beschluss vom 10. Februar 2021 – 2 Wx 294/20 –, Rn. 6, juris, mit weiteren Nachweisen).


Bei der Bemessung des angemessenen Stundensatzes steht dem Nachlassgericht bzw. dem an seine Stelle tretenden Senat als zweite Tatsacheninstanz ein weiter Ermessensspielraum zu (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 1. November 2018 – 1 W 144/15 – NLPrax 2019, 35, Rn. 36 mit weiteren Nachweisen). Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach Ansicht des Gesetzgebers (BT-Dr 15/4874, S. 27) die Stundensätze des VBVG (im Normalfall 33,50 Euro für einen Rechtsanwalt gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 VBVG) zu unangemessen niedrigen Vergütungen des Nachlasspflegers führen können und so die Bereitschaft zur Übernahme der Pflegschaft mindern.

Sie sind daher bei einem Rechtsanwalt und auch sonst bei entsprechender Qualifikation des Pflegers in der Regel deutlich zu überschreiten. Es besteht kein schutzwürdiges Interesse des bzw. der Erben, dass der Nachlasspfleger Leistungen zu einem besonders günstigen Stundensatz erbringt. Daher ist der Stundensatz regelmäßig so zu bemessen, dass ein Rechtsanwalt eine kostendeckende Vergütung erhält (OLG Braunschweig, a.a.O., Rn. 37 mit weiteren Nachweisen).


Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze hält der Senat in ständiger Rechtsprechung und im Anschluss an den ersten Senat des Oberlandesgerichts Braunschweig (a.a.O., Rn. 40 ff.) für die Tätigkeit eines Rechtsanwalts oder eines vergleichbar qualifizierten Nachlasspflegers bei einer normalen Pflegschaft in der Regel einen Stundensatz von 90,00–120,00 Euro für angemessen (vgl. etwa Senatsentscheidungen vom 7. Mai 2021 – 3 W 13/21 –, 28. Juni 2021 – 3 W 29/21 –, 23. August 2021 – 3 U 22/21 – und 21. Dezember 2021 – 3 W 70/21 –, sämtlich nicht veröffentlicht). Dies entspricht dem von zahlreichen anderen Oberlandesgerichten für angemessen erachteten Stundensatz (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 10. Februar 2021 – 2 Wx 294/20 –, Rn. 23 nebst weiteren Rechtsprechungsnachweisen).


Ausgehend von diesen Grundsätzen ist nicht zu beanstanden, dass das Nachlassgericht den Stundensatz des Beteiligten zu 2) mit 100,00 Euro bemessen hat. Es liegt eine normale Nachlasspflegschaft vor und der Beteiligte zu 2) verfügt als Rechtsanwalt über eine besondere Qualifikation und besondere Fachkenntnisse, die bei der vorliegenden Nachlasspflegschaft nutzbar waren.

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Das Nachlassgericht hat auch zutreffend den von dem Beteiligten zu 2) in der Anlage zu seinem Vergütungsantrag geltend gemachten Stundenaufwand zugrunde gelegt. Hinsichtlich der aufgewandten Zeit wird vom Nachlasspfleger verlangt, dass die zur Abrechnung gestellten Tätigkeiten zumindest stichwortartig angegeben und in einem Umfang konkretisiert werden, der eine sachliche Überprüfung der Abrechnungspositionen erlaubt. Eine überschlägige Prüfung des abgerechneten Zeitaufwands durch das Nachlassgericht genügt.

Bei der Überprüfung kann im Hinblick auf die eigenverantwortliche Amtsführung des Nachlasspflegers und auch zur Vermeidung eines unverhältnismäßigen Dokumentations- und Prüfungsaufwands Zurückhaltung geboten sein. Das Tatsachengericht hat die vom Nachlasspfleger vorzulegende Aufstellung über seinen Zeitaufwand auf ihre Plausibilität zu überprüfen. Es bestehen hier keine Anhaltspunkte dafür, dass das Nachlassgericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Die Aufstellung des Beteiligten zu 2) ist sowohl im Hinblick auf die geleisteten Tätigkeiten als auch im Hinblick auf den hierauf jeweils entfallenden Zeitaufwand nicht unplausibel. Der Beschwerdeführer erhebt hiergegen auch keine Einwendungen.


Soweit der Beschwerdeführer beanstandet, er sei vor Erlass des angefochtenen Beschlusses nicht angehört worden und dem ihm übersandten Beschluss sei keine Tätigkeitsaufstellung beigefügt gewesen, führt auch dies nicht zum Erfolg der Beschwerde. Das Nachlassgericht hat vor Erlass des Beschlusses den Verfahrenspfleger für die unbekannten Erben, M., angehört. Dieser hat mit Schreiben vom 12. Januar 2022 Stellung genommen und keine Einwendungen gegen den Vergütungsantrag und die Tätigkeitsaufstellung erhoben.

Ob schon vor Erlass des Beschlusses auch dem hiesigen Beschwerdeführer rechtliches Gehör hätte gewährt werden müssen, bedarf hier keiner Klärung. Dem Beschwerdeführer wurde jedenfalls im Abhilfeverfahren ausreichend rechtliches Gehör gewährt. Auf das Akteneinsichtsgesuch des Beschwerdeführers hat das Nachlassgericht diesem mit Verfügungen vom 5. Mai 2022 und 19. Mai 2022 angeboten, die Verfahrensakte an ein von diesem zu benennendes Amtsgericht zur Einsicht zu übersenden.

Von dieser Möglichkeit hat der Beschwerdeführer keinen Gebrauch gemacht. Auf den weiteren Antrag des Beschwerdeführers, ihm die Verfahrensakte gemäß § 13 Abs. 4 FamFG in seine Geschäftsräume zu überlassen, hat das Nachlassgericht das bestehende Ermessen unter Hinweis auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 1. August 2008 – I-3 Wx 118/08 –, FGPrax 2008, 252, dahingehend ausgeübt, dass die Akten nicht in die Geschäftsräume des Beschwerdeführers übersandt werden sollen.

OLG Braunschweig 3 W 885/22

Durch die Bezugnahme auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat das Nachlassgericht zum Ausdruck gebracht, dass der jene Entscheidung tragende Gesichtspunkt der – in Nachlasssachen gegenüber sonstigen Zivilsachen schwerer wiegenden – Gefahr des Verlustes der Akte, der gegenüber der Bequemlichkeit des Antragstellers der Vorrang einzuräumen ist (a.a.O., S. 253), auch im vorliegenden Verfahren ausschlaggebend ist. Diese Ermessensentscheidung ist nicht zu beanstanden.

c)


Der Vergütungsanspruch ist auch nicht verwirkt.


Der Einwand der mangelhaften Geschäftsführung ist bei der Bewilligung der Vergütung grundsätzlich nicht zu berücksichtigen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 8. Juli 2020 – I-10 W 4/19 –, juris; OLG Schleswig, Beschluss vom 1. Juli 2011 – 3 Wx 19/11 –, juris, mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Dies beruht neben verfahrensökonomischen Gründen insbesondere auf der Erwägung, dass das Festsetzungsvergütungsverfahren nach dem FamFG von seiner Struktur her für die Feststellung streitiger materieller Gegenansprüche nicht geeignet ist. Denn für das Festsetzungsverfahren ist funktional der Rechtspfleger zuständig, dem aber die Entscheidungskompetenz für die Klärung streitiger Gegenansprüche fehlt (vgl. OLG Schleswig, a.a.O., Rn. 22). Ansprüche gegen den Betreuer oder Nachlasspfleger wegen mangelhafter Führung seiner Geschäfte sind deshalb im ordentlichen Zivilprozess zu verfolgen (vgl. OLG Schleswig, a.a.O., Rn. 23).


Etwas anderes gilt nur bei einer bereits im Festsetzungsverfahren – etwa aufgrund eines Geständnisses – feststehenden vorsätzlichen Schädigung des Nachlassvermögens, die zu einer Verwirkung des Vergütungsanspruchs geführt hat (vgl. etwa OLG Hamm, Beschluss vom 23. April 2020 – 10 W 4/19 –, BeckRS 2020, 19872, Rn. 29; OLG Schleswig, Beschluss vom 1. Juli 2011 – 3 Wx 19/11 –, juris; BayObLG, Beschlüsse vom 18. Februar 2004 – 3Z BR 251/03 –, BeckRS 2004, 3798 und vom 11. Juli 1991 – BReg 3 Z 79/91 –, juris; vgl. auch Leipold, in: MüKo BGB, 9. Auflage 2020, § 1960, Rn. 103 mit weiteren Nachweisen).

OLG Braunschweig 3 W 885/22

Zum Teil wird – etwas weitergehender – formuliert, eine Verwirkung des Vergütungsanspruchs komme auch bei gewichtigen zumindest leichtfertigen Pflichtverletzungen in Betracht (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 22. Januar 2019 – 20 W 316/16 –, Rn. 31, juris, mit Hinweis auf die zur Vergütung eines Insolvenzverwalters ergangene Rechtsprechung des BGH, Beschluss vom 6. Mai 2004 – IX ZB 349/02 –).

Einigkeit besteht jedoch, dass angesichts des gemäß Art. 12 GG verfassungsrechtlich verbürgten Anspruchs auf eine der Qualifikation und Tätigkeit angemessene Vergütung der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine enge Begrenzung der Fälle gebietet, in denen ein grundsätzlich bestehender Anspruch auf Vergütung verwirkt sein kann (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 32, juris; OLG Frankfurt, a.a.O., Rn. 31 a.E.).

Hieraus folgt, dass nicht jede schwerwiegende, leichtfertige Pflichtverletzung zum Verlust des Vergütungsanspruchs führen kann. Der gravierende Eingriff des (gänzlichen) Verlustes des Vergütungsanspruchs ist vielmehr nur dann verhältnismäßig, wenn die vorgeworfene Pflichtverletzung in ihrer Schwere mit einer vorsätzlichen Schädigung des Nachlassvermögens zumindest vergleichbar ist. Nur dann ist die Bewertung gerechtfertigt, der Nachlasspfleger habe sich „seiner Vergütung als unwürdig erwiesen“ (so die Formulierung bei BGH, a.a.O., Rn. 28; OLG Frankfurt, a.a.O.).


Nach diesen Maßgaben ist der Vergütungsanspruch des Beteiligten zu 2) hier nicht verwirkt. Ein derart gravierender Pflichtenverstoß des Beteiligten zu 2) ergibt sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht.


Ein solcher ergibt sich zunächst nicht aus dem Vorwurf, der Beteiligte zu 2) habe nicht auf das Nachlassgericht eingewirkt, eine Beweisaufnahme zur Frage der Existenz bzw. des Abhandenkommens eines existierenden Testaments durchzuführen und sich dessen unvertretbarer Rechtsansicht angeschlossen.

OLG Braunschweig 3 W 885/22

Es ist schon fraglich, ob der Beteiligte zu 2) überhaupt eine Pflicht zur „Einwirkung“ auf das Nachlassgericht hatte. Der Beschwerdeführer hatte das Nachlassgericht bereits unter Bezugnahme auf obergerichtliche Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass eine Errichtung und der Inhalt eines abhanden gekommenen Testaments mit allen zulässigen Beweismitteln bewiesen werden könnten. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, dass eine etwaige Erklärung des Beteiligten zu 2), auch er teile die obergerichtliche Rechtsprechung, geeignet gewesen wäre, eine abweichende Entscheidung des Nachlassgerichts herbeizuführen.

Unabhängig hiervon würde sich aus einer rechtlichen Fehleinschätzung des Nachlasspflegers auch keine schwerwiegende Pflichtverletzung ergeben, die mit einer vorsätzlichen Schädigung des Nachlassvermögens vergleichbar wäre. Dies würde auch dann gelten, wenn man die Auffassung des Beschwerdeführers zugrunde legte, dass die rechtliche Bewertung als grob fehlerhaft einzustufen wäre. Dasselbe gilt für den Vorwurf, der Beteiligte zu 2) habe das Nachlassgericht nach Erhalt des Beschlusses des Senats vom 9. Februar 2022 nicht aufgefordert, die Nachlasspflegschaft unverzüglich aufzuheben.


Eine schwerwiegende Pflichtverletzung ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen, der Beteiligte zu 2) habe auch nach dem Beschluss des Senats im Erbscheinsverfahren das Finanzamt Hildesheim kontaktiert und dieses aufgefordert, einen Erbschaftssteuerbescheid gegen unbekannt zu erlassen. Die Entscheidung des Senats vom 9. Februar 2022 betraf die Erbenstellung nach der Erblasserin H. R. [Ehefrau]. Insoweit wurde das Nachlassgericht angewiesen, einen Erbschein auszustellen, der den Beschwerdeführer als Alleinerben ausweist (Ziffer 1 des Tenors). In Bezug auf die Erbfolge nach Z. R. [dem Ehemann] hat der Senat hingegen keine Entscheidung getroffen.

Es ist zwar richtig, dass der Senat in dem Beschluss davon ausgegangen ist, dass Z. R. [der Ehemann] von H. R. [der Ehefrau] beerbt worden ist. Bei den hierauf gerichteten Ausführungen handelte es sich aber um ein nicht entscheidungstragendes obiter dictum, das keine Bindungswirkung für das Nachlassgericht (und erst recht nicht für den Nachlasspfleger) entfaltete.

OLG Braunschweig 3 W 885/22

Es ist deshalb nicht zu beanstanden, dass der Beteiligte zu 2) bis zu einer Entscheidung des Nachlassgerichts über die Erbfolge nach Z. R. [dem Ehemann] und die Aufhebung der Nachlasspflegschaft für die unbekannten Erben von Z. R. [des Ehemannes] weiterhin im Rahmen der Nachlasspflegschaft tätig geworden und (nach dem Vortrag des Beschwerdeführers) in dieser Eigenschaft weiterhin den Erlass eines Steuerbescheids für die unbekannten Erben angestrebt hat.


Schließlich rechtfertigt auch die nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers falsche Angabe des Grundstückswertes in der Erbschaftssteuererklärung durch den Beteiligten zu 2) keine Verwirkung des Vergütungsanspruchs. Sollte der Beteiligte zu 2) im Zusammenhang mit der Erstellung der Steuererklärung und der dort enthaltenen Angabe des Grundstückwertes nicht die gebotene Sorgfalt beachtet haben, mag dies – was hier keiner Entscheidung bedarf – Schadensersatzansprüche auslösen.

Eine Verwirkung der Vergütung folgt hieraus nach den oben dargestellten Grundsätzen hingegen nicht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers, aufgrund der Äußerungen des Nachlasspflegers ihm gegenüber sei davon auszugehen, dass die Wertermittlung durch den Nachlasspfleger lediglich Ausdruck eines unbestimmten Bauchgefühls gewesen sei und nicht auf einer pflichtgemäßen Auseinandersetzung mit den wertbildenden Faktoren des Grundstücks basiert habe.

Die vom Beschwerdeführer behauptete Aussage des Beteiligten zu 2), bei den Preisen „die man so mitbekomme“ sei das Grundstück doch mindestens 300.000,00 Euro wert, lässt nicht den Rückschluss zu, dass sich der Beteiligte zu 2) nicht pflichtgemäß mit den wertbildenden Faktoren des Grundstücks befasst hat. Der Umstand, dass der Beteiligte zu 2) eben nicht einen Wert von (mehr als) 300.000,00 Euro, sondern einen Wert von 280.000,00 Euro angesetzt hat, spricht vielmehr dafür, dass er sich weitergehend mit der Frage des Grundstückwertes befasst hat.

Letztlich bedarf dies hier aber keiner abschließenden Klärung. Auch wenn der Beteiligte zu 2) den Wert des Grundstücks ohne pflichtgemäße Auseinandersetzung mit den wertbildenden Faktoren des Grundstücks geschätzt haben sollte, mag sich hieraus zwar ein Schadensersatzanspruch ergeben. Es läge aber keine derart schwerwiegende Pflichtverletzung vor, dass der Vergütungsanspruch des Beteiligten zu 2) verwirkt wäre.

III.

OLG Braunschweig 3 W 885/22


Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.


Die Wertfestsetzung beruht auf § 36 Abs. 1 GNotKG und entspricht dem mit der Beschwerde insgesamt angegriffenen Vergütungsbetrag.


Gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 FamFG ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, soweit die Frage betroffen ist, ob der Beteiligte zu 2) wirksam bestellt wurde. Eine auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen Teil des Gesamtstreitstoffs beschränkte Zulassung der Rechtsbeschwerde ist zulässig und damit wirksam, wenn der von dieser Beschränkung betroffene Teil des Streits in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig vom übrigen Prozessstoff beurteilt werden und auch nach einer möglichen Zurückverweisung der Sache kein Widerspruch zum unanfechtbaren Teil des Streitstoffs auftreten kann.

Es muss es sich dabei nicht um einen eigenen Streitgegenstand handeln und der betroffene Teil des Streitstoffs muss nicht teilentscheidungsfähig sein (vgl. für die Revision BGH, Urteil vom 31. Oktober 2018 – I ZR 73/17 –, Rn. 14, NJW-RR 2019, 610).


Die Rechtsfrage, ob im Fall eines berufsmäßigen Nachlasspflegers vor dem Hintergrund der im Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts zum Ausdruck kommenden Wertentscheidung des Gesetzgebers die grundsätzlich erforderliche Verpflichtung eines Nachlasspflegers in persönlicher Anwesenheit im Einzelfall durch eine telefonische Verpflichtung ersetzt werden kann, ist bislang nicht explizit höchstrichterlich entschieden (bzw. allenfalls gegenteilig entschieden) worden.

OLG Braunschweig 3 W 885/22

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