OLG Köln, Urteil vom 24.06.2016 – 20 U 43/16

November 5, 2021

OLG Köln, Urteil vom 24.06.2016 – 20 U 43/16

Tenor
Die Berufung der Kläger gegen das am 3. Februar 2016 verkündete Urteil der 26. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 26 O 84/15 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger zu 52% und die Klägerin zu 48% zu tragen.

Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe
I.

Der Kläger schloss bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten eine fondsgebundene Rentenversicherung (Vertrag Endz. -417) mit Versicherungsbeginn zum 1. April 2006 ab. Zwei weitere fondsgebundene Rentenversicherungen (Vertrag Endz. -227 und -225) schloss die Klägerin, ebenfalls mit Versicherungsbeginn zum 1. April 2006, bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten ab. Den Vertrag mit der Endz. -225 kündigte die Klägerin mit Schreiben vom 28. Oktober 2013; die Beklagte bestätigte die Kündigung zum 1. Dezember 2013 und zahlte insgesamt 1.465,79 € aus. Mit Schreiben vom 11. Juni 2014 bzw. vom 22. September 2014 erklärten die Kläger zu allen Verträgen den Widerspruch.

Mit der Klage verlangen die Kläger von der Beklagten die verzinsliche Rückerstattung der geleisteten Prämien abzüglich der zum Vertrag mit der Endz. -225 ausgekehrten Beträge.

Die Kläger haben die Auffassung vertreten, die Widerspruchsbelehrungen seien inhaltlich unzureichend, weil nicht darauf hingewiesen werde, dass für den Beginn der Widerspruchsfrist auch die Überlassung der Verbraucherinformation erforderlich sei; auch sei der Empfänger der Widerspruchserklärung nicht klar benannt. Es fehlten in der Verbraucherinformation zudem Angaben zur Aufsichtsbehörde und – was unstreitig ist – Angaben über den Sicherungsfonds.

Die Kläger haben beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

1. an den Kläger den Betrag in Höhe von EUR 14.550 zuzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 3.646 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz aus dem Betrag in Höhe von EUR 18.196 seit dem 12.6.2014 zu bezahlen Zug um Zug gegen Übertragung sämtlicher Rechte und Ansprüche an der Lebensversicherung Nr. 4x-1xx62xx7,

2. an die Klägerin den Betrag in Höhe von EUR 11.640 zuzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 2.953 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz aus dem Betrag in Höhe von EUR 14.593 seit dem 12.6.2014 zu bezahlen Zug um Zug gegen Übertragung sämtlicher Rechte und Ansprüche an der Lebensversicherung Nr. 4x-1xx66xx7,

3. an die Klägerin den Betrag in Höhe von EUR 1.584,21 zuzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 367 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz aus dem Betrag in Höhe von EUR 1.951,21 seit dem 23.9.2014 zu bezahlen Zug um Zug gegen Übertragung sämtlicher Rechte und Ansprüche an der Lebensversicherung Nr. 4x-1xx66xx5,

4. an die Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 1.666,95 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 11. Oktober 2014 zu bezahlen,

5. an die Kläger die Kosten des Gutachtens in Höhe von EUR 428,40 zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Kläger seien nicht mehr zum Widerspruch berechtigt. Die Widerspruchsbelehrungen seien nicht zu beanstanden. Die Anschrift der Aufsichtsbehörde ergebe sich aus den Allgemeinen Vertragshinweisen. Das Fehlen der Angaben über den Sicherungsfonds sei unschädlich.

Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 3. Februar 2016, auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, abgewiesen.

Dagegen richtet sich die Berufung der Kläger, mit der sie ihre erstinstanzlich gestellten Anträge in vollem Umfang weiterverfolgen. Sie sind weiterhin der Auffassung, die Belehrungen seien unzureichend. Die Verbraucherinformation sei wegen Fehlens von Angaben über den Sicherungsfonds unvollständig, was zur Folge habe, dass die Widerspruchsfristen nicht in Gang gesetzt worden seien.

Die Beklagte, die die Zurückweisung der Berufung beantragt, verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Kläger hat in der Sache keinen Erfolg.

1.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf verzinsliche Erstattung der von ihnen jeweils auf die streitgegenständlichen Versicherungsverträge geleisteten Prämien abzüglich der zum Vertrag mit der Endziffer -225 ausgekehrten Beträge gemäß § 812 Abs. 1 BGB. Die Versicherungsverträge sind auf der Grundlage des Policenmodells gemäß § 5a Abs. 1 VVG a.F. wirksam mit Versicherungsbeginn zum 1. April 2006 zustande gekommen. Die Kläger haben den Vertragsschlüssen nicht binnen einer Frist von 30 Tagen nach Überlassung des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformationen widersprochen (§ 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F.). Die erst mit Schreiben vom 11. Juni 2014 und 22. September 2014 erklärten Widersprüche waren verfristet.

Nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. beginnt der Lauf der Frist erst, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die Unterlagen nach Absatz 1 (Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen nach § 10 a VAG) vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist.

Dass die Kläger sämtliche notwendigen Vertragsunterlagen mit den Versicherungsscheinen erhalten haben, ist zwischen den Parteien nicht streitig. Sie bemängeln mit der Berufung nur die Vollständigkeit der Verbraucherinformation mit Blick auf fehlende Angaben zum Sicherungsfonds.

Ziff. 2 des Abschnitts I der Anlage D zum VAG wurde mit Gesetz vom 15. Dezember 2004 (BGBl. I, 3416, 3425) – in Kraft getreten am 21. Dezember 2004 – um den Buchstaben i) ergänzt; gefordert werden mit dieser Bestimmung “Angaben über die Zugehörigkeit zu einer Einrichtung zur Sicherung der Ansprüche von Versicherten (Sicherungsfonds)”. Solche Angaben fehlen vorliegend. Die Verbraucherinformation war deshalb unvollständig, was nach dem klaren Wortlaut des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. wonach die Unterlagen vollständig vorliegen müssen, um die Widerspruchsfrist in Gang zu setzen, dazu führen muss, dass die Widerspruchsfrist nicht zu laufen begonnen hat. In der versicherungsrechtlichen Literatur wird allerdings die Auffassung vertreten, ein Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F. werde nicht ausgelöst, wenn die unterlassene Information einen Punkt betrifft, der außerhalb des Vertrags liegt oder nicht zur Disposition des Versicherers steht (so insbes. Prölss in: Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 5a, Rn. 21, auch mit Nachweisen zur Gegenauffassung) bzw. wenn es sich um eine Information handelt, die dem Versicherungsnehmer keinen Anlass bieten könnte, vom Abschluss des Vertrags abzusehen (Prölss, aaO, Rz. 25a). Der Senat schließt sich dieser Auffassung an. Sie orientiert sich zutreffend nicht am reinen Wortlaut des § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F., sondern an dessen Zweck, dem Versicherungsnehmer nach Vorliegen aller notwendigen Unterlagen eine Überlegungsfrist einzuräumen, ob er sich endgültig an den Versicherungsvertrag binden will. Fehlt eine Information, die offenkundig für die Entscheidung, sich vertraglich zu binden, keine Rolle spielen kann, dann beginnt die Widerspruchsfrist gleichwohl, sofern dem Versicherungsnehmer alle weiteren notwendigen Unterlagen überlassen worden sind und die Widerspuchsbelehrung ordnungsgemäß erteilt wurde. Bei der Angabe über den Sicherungsfonds handelt es sich um eine Information, die für die Entscheidung, den Vertrag zu schließen, ohne Belang ist. Die Angehörigkeit zu einem solchen Sicherungsfonds ist eine gesetzliche Pflicht des Versicherers (§ 124 Abs. 1 VAG a.F.), und die fehlende Angabe, um welche Einrichtung es sich konkret handelt, ist ersichtlich nicht vertragsrelevant. Es kann ausgeschlossen werden, dass die Kläger den Vertragsschlüssen widersprochen hätten, wenn sie Kenntnis vom Bestehen eines Sicherungsfonds gehabt hätten, weil dies für sie eine lediglich vorteilhafte Einrichtung ist (so bereits Senat, Urt. v. 29. April 2016 – 20 U 4/16 -; zutr. auch LG Frankenthal, Urt. v. 12. August 2015 – 2 S 116/15 -, n.v.).

Die Widerspruchsbelehrungen, die in den jeweils 2-seitigen Policenbegleitschreiben vom 30. März 2006 (GA 69) und vom 7. April 2006 (GA 71 und 113 R) enthalten sind, sind formal und inhaltlich nicht zu beanstanden. Sie lauten jeweils:

Widerspruchsrecht

Der Versicherungsvertrag gilt auf der Grundlage des Versicherungsscheines, insbesondere der Versicherungsbedingungen, als abgeschlossen, wenn Sie nicht innerhalb von 30 Tagen nach Überlassung der Unterlagen in Textform widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs.

Im Einklang mit den gesetzlichen Vorgaben macht die Belehrung dem Versicherungsnehmer noch ausreichend deutlich, welche Unterlagen ihm vorliegen müssen, damit die Widerspruchsfrist beginnt. Allerdings erwähnt die Belehrung nicht ausdrücklich, dass dem Versicherungsnehmer neben dem Versicherungsschein und den Versicherungsbedingungen auch die Verbraucherinformationen vorliegen müssen, damit die Frist des § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. beginnt. Der Senat hält dies aber für unschädlich. Die Belehrung stellt klar, dass die Widerspruchsfrist erst nach “Überlassung der Unterlagen” beginnt. Damit ist verdeutlicht, dass weder alleine die Überlassung des Versicherungsscheins noch die Überlassung der Versicherungsbedingungen ausreichen, um die Frist in Gang zu setzen, sondern dass es vielmehr noch der Überlassung weiterer Unterlagen bedarf. Welche Unterlagen dies sind, erschließt sich dem Versicherungsnehmer aber ohne weiteres aus dem weiteren Text der Policenbegleitschreiben, auf das die Belehrung mit der Formulierung “Überlassung der Unterlagen” ersichtlich Bezug nimmt. In den Policenbegleitschreiben heißt es jeweils einleitend:

“wir überreichen Ihnen als Anlage die Unterlagen zu der abgeschlossenen

A – Renten Fondspolice.”

Bei diesen Unterlagen handelt es sich im Wesentlichen um den Versicherungsschein, die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen (vgl. GA 22-24, 31-33, Anlagen BLD 3, 4 und 5). Die Belehrungen machen dem Versicherungsnehmer mithin unter Einbeziehung des Gesamtinhaltes des Policenbegleitschreibens noch hinreichend klar, dass der Lauf der Widerspruchsfrist auch die Überlassung der Verbraucherinformationen voraussetzt.

Diese vom Senat bereits zu einer im Wortlaut identischen Belehrung vertretene Auffassung (Senatsurt. v. 6. Dezember 2013 – 20 U 144/13 -) hat der Bundesgerichtshof mit Hinweisbeschluss vom 30. Juni 2015 – IV ZR 16/14 – bestätigt, indem dort angeführt ist, der Senat habe mit revisionsrechtlich beanstandungsfreier Begründung die Ansicht vertreten, dass die Widerspruchsbelehrung unter Einbeziehung des Policenbegleitschreibens dem Versicherungsnehmer noch ausreichend deutlich mache, welche Unterlagen ihm vorliegen müssen, damit die Widerspruchsfrist beginnt. Der abweichenden Auffassung des OLG Hamm (Beschl. v. 24. Juli 2013 – 20 U 106/13 -) folgt der Senat nicht, zumal in dem dortigen Fall auch im Versicherungsschein die Verbraucherinformationen nicht erwähnt wurden, während vorliegend die “Verbraucherinformation zu den Anlagemöglichkeiten” im Versicherungsschein als “Beilagen zum Versicherungsschein” angeführt worden ist (GA 78, 84 und 112). Entgegen der Auffassung des OLG Karlsruhe (Urt. v. 11. August 2015 – 12 U 41/15 -) wird trotz der Verwendung des Begriffs “Beilagen” im Versicherungsschein hinreichend klar, dass es sich auch bei den unter diesem Begriff angeführten Verbraucherinformationen um Unterlagen im Sinne der Widerspruchsbelehrung handelt. Die Formulierung in der Belehrung und im Policenbegleitschreiben grenzt den Kreis der Unterlagen nicht ein, so dass für den Versicherungsnehmer nicht der Eindruck entstehen kann, die Verbraucherinformationen gehörten nicht zu den für den Fristbeginn maßgebenden Unterlagen.

Auch sonst ist die Belehrung inhaltlich nicht zu beanstanden. Die Widerspruchsbelehrung ist entgegen der von den Klägern erstinstanzlich vertretenen Auffassung (GA 204) nicht deshalb unvollständig, weil sie den Adressaten des Widerspruchs nicht benennt. Abgesehen davon, dass § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. diese Angabe nicht verlangt, ist für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne eine solche Angabe ersichtlich, dass er den Widerspruch an den Versicherer zu richten hat (vgl. BGH, B 2015, 538); dieser ist hier im Kopfteil der Policenbegleitschreiben klar bezeichnet. Auf diesen Einwand kommt die Berufung auch nicht mehr zurück.

Da die Rechtsvorgängerin der Beklagten die Kläger mithin über ihr Widerspruchsrecht wirksam belehrt und ihnen die erforderlichen Unterlagen mit Zusendung der Versicherungsscheine überlassen hat, hätten diese das Widerspruchsrecht innerhalb von 30 Tagen nach Zugang der Unterlagen ausüben müssen, was vorliegend nicht geschehen ist.

2.

Ob § 5a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 S. 1 VVG a.F. gegen europäisches Recht verstößt, bedarf keiner Entscheidung. Der Senat ist auch nicht gehalten, dem EuGH die Frage vorzulegen, ob das Policenmodell im Einklang steht mit den Bestimmungen in Art. 31 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang II Buchstabe A der Richtlinie 92/96 EWG des Rates vom 10. November 1992 bzw. Art. 36 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang III Buchstabe A der die erstgenannte Richtlinie ablösenden Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002 sowie mit Art. 15 der Zweiten Lebensversicherungsrichtlinie (Richtlinie 90/619/EWG vom 8. November 1990) bzw. Art. 35 der die vorgenannte Richtlinie ablösenden Richtlinie 2002/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. November 2002. Einer Vorlage bedarf es deshalb nicht, weil es auf die Frage, ob das Policenmodell mit den in Rede stehenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen vereinbar ist, nicht entscheidungserheblich ankommt (vgl. dazu BVerfG, VersR 2015, 693).

Hierzu hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass es einem Versicherungsnehmer, der mit Überlassung der Versicherungspolice die Versicherungsbedingungen, die Verbraucherinformationen und eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung nach § 5a VVG a.F. erhalten hat, auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells nach nationalem Recht gemäß den Grundsätzen von Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt ist, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten (BGH, VersR 2014, 1065). Dem schließt sich der Senat an.

Es bedarf auch keiner Vorlage an den EuGH zur Entscheidung darüber, ob das Recht zur Lösung vom Vertrag verwirkt sein kann. Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben auf den Einzelfall obliegt dem nationalen Gericht. Die generellen Maßstäbe für eine Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben sind in der Rechtsprechung des EuGH geklärt (BGH, aaO, Rz. 42; BVerfG, aaO, Rz. 43 ff.). Danach ist eine missbräuchliche Berufung auf Gemeinschaftsrecht nicht gestattet (zuletzt etwa EuGH, ZfZ 2014, 100, Rz. 29). Rechtsmissbräuchliches Verhalten kann sich auf der Grundlage lediglich objektiver Kriterien ergeben, soweit die mit der einschlägigen Bestimmung verfolgten Zwecke beachtet werden (so insbes. EuGH, Slg. 2000, I-1705, Rz. 34). Wenn – wie vorliegend – der Versicherungsnehmer über sein Vertragslösungsrecht vor Wirksamwerden des Vertrags ordnungsgemäß belehrt wird und er die notwendigen Vertragsunterlagen rechtzeitig erhalten hat, dann sind die mit der Dritten Richtlinie Lebensversicherung angestrebten Ziele erreicht worden (s. BGH, aaO, Rz. 42; BVerfG, aaO, Rz. 47). Demgemäß ist es treuwidrig, wenn sich der solchermaßen belehrte und informierte Versicherungsnehmer unter Berufung auf ein (unterstelltes) gemeinschaftswidriges Zustandekommen des Vertrags von diesem nach Jahren wieder lösen will. Er würde sich dadurch gegenüber den vertragstreuen Versicherungsnehmern einen objektiv widerrechtlichen Vorteil verschaffen.

Die Treuwidrigkeit des Verhaltens der Kläger ergibt sich vorliegend daraus, dass sie die Verträge bis zur Kündigung (Vertrag Endz. -225) bzw. bis zur Erklärung der Widersprüche mehr als 7 bzw. 8 Jahre lang durchgeführt und dadurch bei der Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der Verträge begründet haben.

3.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Senat lässt die Revision zu, weil er – bei identischer Widerspruchsbelehrung und gleichem Text (“Beilagen”) im Versicherungsschein – von der Rechtsauffassung des OLG Karlsruhe (aaO), das die Belehrung für unzureichend gehalten hat, abweicht. Grundsätzliche Bedeutung hat zudem die Beantwortung der Frage, ob trotz fehlender notwendiger Angaben in den Verbraucherinformationen ausnahmsweise gleichwohl die Widerspruchsfrist in Gang gesetzt werden kann.

Berufungsstreitwert: 27.774,21 €

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