OLG München 33 W 775/22

März 24, 2023

OLG München 33 W 775/22, Beschluss vom 10.11.2022 – Vollstreckung bei Anspruch auf notarielles Nachlassverzeichnis als Verbindlichkeit des Auskunftsschuldners
Tenor

  1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Landgerichts Memmingen vom 02.06.2022, Az.: 35 O 753/20 aufgehoben.
  2. Gegen den Beklagten wird ein Zwangsgeld von 2.500 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, ersatzweise je € 500,00 ein Tag Zwangshaft angeordnet,
  3. wenn der Beklagte nicht bis zum 9. Dezember 2022 ein amtliches Verzeichnis der von der Erblasserin am 12.01.2019 bei ihrem Tode hinterlassenen Gegenstände (notarielles Nachlassverzeichnis) erstellt.
  4. Der Schuldner hat die Kosten dieses Verfahrens zu tragen.
  5. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
  6. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 7.500 € festgesetzt.
  7. OLG München 33 W 775/22

Gründe


Die sofortige Beschwerde ist zulässig und auch in der Sache erfolgreich.

I. OLG München 33 W 775/22

Der Kläger (= Gläubiger) hat die Festsetzung eines Zwangsgeldes gegen den Beklagten (= Schuldner) beantragt, damit dieser ein notarielles Nachlassverzeichnis vorlegt.

Der Beklagte war durch Teilanerkenntnis-, Teilversäumnis- und Teilurteil des Landgerichts Memmingen vom 03.12.2020 zur Auskunftserteilung unter gleichzeitiger Vorlage von Belegen verurteilt worden.

Auf die Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil, mit dem er sich gegen die Verpflichtung zur Belegvorlage wendete, hat der Senat das Urteil des Landgerichts durch Urteil vom 23.08.2021 insoweit aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Der Schuldner hat mit Schreiben vom 30.07.2020 das Notariat M. in K. mit der Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses beauftragt, ohne dass dieses in der Folgezeit erstellt worden wäre.

Mit Schreiben vom 11.02.2022 hat der Schuldner daraufhin das Notariat V. in B. mit der Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses beauftragt.

Dieses Notariat forderte im Februar 2022 beim Schuldner Unterlagen an, die dieser am 04.03.2022 übersandte. Eine weitere Anfrage des Notariats wurde am 08.04.2022 beantwortet.

Für den 13.09.2022 war offenbar die Aufnahme des notariellen Nachlassverzeichnisses durch den Notar geplant, der entsprechende Termine an die Parteivertreter mitgeteilt hatte.

Nachdem der Rechtsanwalt des Gläubigers Einwände gegen den seitens des Notars übersandten Entwurf mit E-Mail vom 12.09.2022 geäußert hatte, wurde der Termin abgesagt, das Nachlassverzeichnis wurde seitdem nicht erstellt.

Der Gläubiger hatte bereits am 12.01.2022 gegen den Schuldner die Verhängung eines Zwangsgeldes beantragt.

Das Landgericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 02.06.2022 zurückgewiesen und der dagegen am 14.06.2022 eingelegten sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 19.08.2022 nicht abgeholfen und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II. OLG München 33 W 775/22

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, insbesondere wurde sie fristgerecht erhoben.

Sie hat auch in der Sache Erfolg.

  1. Die allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung liegen vor.

a) Gemäß § 750 Abs. 1 S. 1 ZPO darf die Zwangsvollstreckung nur beginnen, wenn die Personen, für und gegen die sie stattfinden soll, in dem Urteil oder in der ihm beigefügten Vollstreckungsklausel namentlich bezeichnet sind und das Urteil bereits zugestellt ist oder gleichzeitig zugestellt wird.

OLG München 33 W 775/22

aa) Grundsätzlich ist eine Vollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil nur möglich, wenn die Berufung dagegen in vollem Umfang zurückgewiesen wurde

(st. Rechtsprechung, zuletzt BGH, Beschluss vom 23.09.2021 – I ZB 20/21, NJW 2022, 393 m. w. N.).

Etwas anderes gilt nur dann, wenn keine wesentliche Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung durch das Berufungsgericht erfolgt ist

(BGH a. a. O.).

bb) Vorliegend hat der Senat die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zwar nicht vollständig zurückgewiesen, vielmehr das Urteil teilweise abgeändert und die Klage insoweit abgewiesen.

Allerdings erstreckt sich die Klageabweisung lediglich auf die vom Erstgericht angeordnete Vorlage von Belegen (die auch allein Gegenstand des Berufungsverfahrens war).

Deshalb kann vorliegend die Vollstreckung ausnahmsweise aus dem landgerichtlichen Urteil erfolgen, da der Tenor des landgerichtlichen Urteils

durch die Entscheidung des Senats letztlich nur um die Belegvorlage abgeändert wurde und der Tenor des Berufungsurteils aufgrund dessen selbst keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat.

Hinzu kommt, dass dem Gläubiger die vollstreckbare Ausfertigung ausdrücklich in Verbindung mit dem Urteil des Senats erteilt worden ist.

OLG München 33 W 775/22

b) Die Voraussetzungen für die Verhängung eines Zwangsgeldes gemäß § 888 ZPO liegen (nunmehr) vor.

aa) Die Verpflichtung des Schuldners ist bisher nicht erfüllt; ein notarielles Nachlassverzeichnis liegt nicht vor.

bb) Die Zwangsvollstreckung zur Erfüllung eines titulierten Anspruchs auf Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses richtet sich als unvertretbare Handlung nach § 888 ZPO

(BGH ZEV 2019, 81 (82); Burandt/Rojahn/Horn, Erbrecht, 4. Aufl., 2022, § 2314 BGB Rn. 94).

Das gilt auch dann, wenn zur Vornahme der Handlung die Mitwirkung eines Dritten – hier des Notars – notwendig ist

(OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.02.2021, ZEV 2021, 577).

(1) Die Vollstreckung dient in diesem Fall dazu, den Willen eines Schuldners insoweit zu beugen, als dieser alles tatsächlich und rechtlich in seiner Macht Stehende zu tun hat, um den Notar zur erforderlichen Mitwirkung zu veranlassen

(Zöller/Seibel, ZPO, 34. Aufl., 2022, § 888 Rn. 2).

OLG München 33 W 775/22

Dabei ist es für die Festsetzung einer Zwangsmaßnahme gemäß §888 Abs. 1 ZPO bedeutungslos, ob und inwieweit der Schuldner in der Vergangenheit alles Erforderliche mit der gebotenen Beschleunigung getan hat,

um auf eine zügige Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses hinzuwirken, denn das Zwangsgeld hat – im Gegensatz zum Ordnungsgeld – keinen Sanktionscharakter.

Maßgeblich ist vielmehr (allein), ob der Schuldner zum Zeitpunkt der Entscheidung durch den Senat alles in seiner Macht Stehende getan hat, um die Mitwirkung des beauftragten Notars zu erlangen

(OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.04.2013 – 7 W 20/13, BeckRS 2013, 21164).

Für die Frage, ob Zwangsmaßnahmen gemäß §888 Abs. 1 ZPO zu verhängen sind, ist mithin darauf abzustellen,

ob dem Schuldner zum Zeitpunkt der Entscheidung Maßnahmen oder Handlungen möglich sind, die zur Herbeiführung des geschuldeten Erfolgs – Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses – führen können.

(2) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war vorliegend ein Zwangsgeld zu verhängen, weil der Schuldner bislang nicht hinreichend auf die zügige Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses hingewirkt hat.

Spätestens nachdem es im September 2022 nicht zur Aufnahme des Nachlassverzeichnisses gekommen ist, hätte der Schuldner beim Notar vorstellig werden müssen

und sich zu den Umständen erklären müssen, die der Gläubiger in seiner Email vom 12.09.2022 am vorgelegten Entwurf bemängelt hatte.

Dabei kann dahinstehen, ob die vom Gläubiger angesprochenen Punkte alle tatsächlich so in das notarielle Nachlassverzeichnis aufzunehmen sind oder nicht.

OLG München 33 W 775/22

Jedenfalls handelt es sich bei allen Punkten um solche, die grundsätzlich pflichtteilsrelevant sein können, so dass es die Aufgabe des Auskunftsschuldners gewesen wäre, sich von sich aus zu diesen Punkten gegenüber dem Notar zu erklären.

Keinesfalls darf er warten und sich darauf zurückziehen, bis ihm vom Notar entsprechende Fragen gestellt werden, denn der Notar erfüllt mit der Erstellung des notariellen Nachlassverzeichnisses keine eigene Verbindlichkeit, vielmehr handelt es sich allein um eine Verbindlichkeit des Schuldners

(Weidlich, MittBayNot 2022, 209),

so dass es dem Schuldner obliegt, aktiv zu werden.

Dass der Schuldner erst vom Notar aufgefordert werden muss, entsprechende Angaben zu machen (Schreiben des Notars vom 02.11.2022) zeigt,

dass der Schuldner zum Zeitpunkt der Entscheidung durch den Senat vorliegend also nicht alles getan hat, was aufgrund der Umstände geboten und ihm auch möglich war, um das notarielle Nachlassverzeichnis vorzulegen.

cc) Angesichts dessen erschien dem Senat das angedrohte Zwangsgeld erforderlich, aber auch ausreichend, um den Schuldner zur Vornahme der geschuldeten Handlung anzuhalten.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nicht vorliegen (§ 574 Abs. 2 ZPO).

OLG München 33 W 775/22

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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