OLG München, Endurteil vom 29.05.2020 – 25 U 6057/19

Februar 22, 2022

OLG München, Endurteil vom 29.05.2020 – 25 U 6057/19

Tenor
(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 20.09.2019 (versehentlich datiert auf 25.10.2019), Az. 1 O 533/19, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 13.227,41 € festgesetzt.

Gründe
I.

Der Kläger begehrt nach einem Widerspruch im Jahr 2019 gemäß § 5 a VVG a.F. bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines im Jahr 1999 im Policenmodell abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrages.

Das Landgericht hat der Klage aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 06.09.2019 im wesentlichen stattgegeben und sie nur hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren und der darauf entfallenden Zinsen abgewiesen. Im Laufe des Prozesses beim Landgericht wurde das Vertragsverhältnis zum 01.10.2019 gekündigt und daraufhin der Rückkaufswert in Höhe von 12.060,14 € ausbezahlt (Bl. 124 d.A.). Die Beklagte wendet sich mit der Berufung gegen ihre Verurteilung, der Kläger erstrebt mit der Anschlussberufung eine Verurteilung der Beklagten auch zur Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (einschließlich Zinsen).

Von der weiteren Darstellung des Sach – und Streitstandes wird nach §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf den vom Landgericht zugesprochenen Betrag. Der Kläger hat vor dem Landgericht beantragt, die Beklagte zu einem Hauptsachebetrag von 13.227,41 € zu verurteilen. Diesen Betrag hat das Landgericht auch zugesprochen. Im Berufungsverfahren hat der Kläger vollumfängliche Zurückweisung der Berufung beantragt.

1. Ein Anspruch in Höhe von 12.060,14 € kann dem Kläger schon deshalb nicht zustehen, weil die Beklagte ihm nach dem 01.10.2019 diesen Betrag ausbezahlt hat und der Kläger diesen Betrag nicht zweimal beanspruchen kann. Da die Zahlung nach der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht erfolgt ist, fand sie im Urteil des Landgerichts keine Berücksichtigung. Selbst wenn der Kläger – wie nicht, vgl. hierzu unten 2. – dem Vertrag wirksam widersprochen hätte, wäre ein bereicherungsrechtlicher Anspruch in dieser Höhe nach § 362 Abs. 1 BGB erloschen. Der bereicherungsrechtliche Rückzahlungs- und Nutzungsersatzanspruch und der vertragliche Rückzahlungsanspuch sind – soweit sie betragsmäßig teilweise übereinstimmen – auf dasselbe wirtschaftliche Interesse gerichtet. Die Erfüllungswirkung tritt im Regelfall bereits als objektive Folge der Leistungsbewirkung ein, wenn die Leistung einem bestimmten Schuldverhältnis zugeordnet werden kann, was etwa der Fall ist, wenn es sich dabei um die allein geschuldete handelt und keine andere, gleichartige Schuld besteht, auf welche die Leistung daneben oder stattdessen erbracht worden sein könnte und der Schuldner keine Bestimmung trifft (BGH, Urteil vom 17. 7. 2007 – X ZR 31/06, NJW 2007, 348; Dennhardt in BeckOK BGB, 53. Ed. 1.2.202 Rn. 22, BGB § 362 Rn. 22; Grüneberg in Palandt, 79. Auflage 2020 § 362 BGB Rn. 7). Darüberhinaus ergibt – selbst wenn man eine Tilgungs(zweck)bestimmung für erforderlich halten würde – eine Auslegung jedenfalls, dass die Zahlung aus der erkennbaren und offensichtlichen Sicht der Beklagten für den Fall, dass rechtskräftig entschieden wird, dass ein bereicherungsrechtlicher Rückabwicklungsanspruch (und damit kein vertraglicher Rückzahlungsanspruch aufgrund der Kündigung) besteht auf diesen erfolgen soll. Damit kann die Verurteilung zur Zahlung in Höhe von 12.060,14 € – aufgrund der nach der mündlichen Verhandlung beim Landgericht eingetretenen Erfüllung – schon aus diesem Grund keinen Bestand haben.

2. Der Kläger hat allerdings auch keine weitergehenden Ansprüche. Unabhängig von einer europarechtlich ggfs. zweifelhaften Zulässigkeit des Policenmodells (vgl. hierzu: BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 02.02.2015 – 2 BvR 2437/14 -) ist es der Klagepartei jedenfalls nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten.

2.1. Dem Kläger wurde eine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilt. Er erhielt die erforderlichen Verbraucherinformationen. Der Widerspruch wurde über 19 Jahre nach Vertragsschluss erklärt. Der Vertrag wurde über einen Zeitraum von mehr als 19 Jahren durchgeführt. Der Senat schließt sich in ständiger Rechtsprechung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (z. B. Urteil vom 16.07.2014 – Az. IV ZR 73/13, VersR 2014,1065; Entscheidungen vom 08.03.2017 – Az. IV ZR 98/16, 10.06.2015 – Az. IV ZR 105/13, VersR 2015,876, vom 17.08.2015 – Az. IV ZR 310/14 und vom 16.09.2015 – Az. IV ZR 142/13, BeckRS 2015, 16559), bestätigt durch das Bundesverfassungsgericht (Entscheidung vom 02.02.2015 – Az. 2 BvR 2437/14, VersR 2015, 693; Beschluss vom 04.03.2015 – Az. 1 BvR 3280/14; Beschluss vom 23.05.2016 – Az. 1 BvR 2230/15 und 1 BvR 2231/15) an, dass ein Bereicherungsanspruch des Versicherungsnehmers – bei ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung und längerer Durchführung des Vertrages – schon wegen widersprüchlichen Verhaltens ausgeschlossen ist (vgl. z.B. Beschluss vom 11.01.2018 – Az. 25 U 3916/17; Beschlüsse vom 22.11.2017 – Az. 25 U 4262/16, 18.07.2017 – Az. 25 U 1934/17, 20.04.2015 – Az. 25 U 237/15, vom 01.06.2015 – Az. 25 U 3379/14, vom 15.06.2015 – Az. 25 U 812/15, Endurteile vom 28.08.2015 – Az. 25 U 1671/14 und 25 U 1931/14). Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Der Vertrag wurde im Jahr 1999 abgeschlossen, die Klagepartei hat die vereinbarten Prämien bezahlt; den Widerspruch hat sie erst 2019 erklärt. Die Versicherungsgesellschaft nahm die Prämien entgegen und ging erkennbar von einem bestehenden Versicherungsvertrag aus. Daher konnte die Klagepartei bis zur Kündigung erwarten, Versicherungsschutz zu genießen, der zweifelsfrei bei Eintritt eines Versicherungsfalls in Anspruch genommen worden wäre. Durch das Verhalten der Klagepartei wurde bei dem Versicherer auch schutzwürdiges Vertrauen auf die Beständigkeit der vertraglichen Bindung begründet. Die Versicherungsgesellschaft muss sich grundsätzlich für ihre gesamte Kalkulation – insbesondere in Hinblick auf Rückstellungen für die Überschussbeteiligung – darauf verlassen können, dass langfristig angelegte Vertragsbeziehungen nicht plötzlich nach vielen Jahren rückabgewickelt werden müssen. Daneben ist außerdem das Vertrauen des Versicherers in den grundsätzlichen Bestand des vom deutschen Gesetzgeber gesetzten Rechts – auch bei etwaigen Zweifeln an der Europarechtskonformität – schutzwürdig und entsprechend zu berücksichtigen (vgl. Allgemein zum Vertrauensschutz in Hinblick auf das Urteil des BGH vom 07.05.2014 – Az. IV ZR 76/11).

Dass die vorliegende Widerspruchsbelehrung ordnungsgemäß ist, wenn dem Versicherungsnehmer – wie hier – sämtliche maßgebliche Verbraucherinformationen überlassen worden waren, hat der Senat bereits im Verfahren 25 U 327/18 entschieden.

Die vorliegende Belehrung (Anlage K 1) stellt zutreffend auf den Erhalt des Versicherungsscheins und der unten angeführten Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen ab; dass unten nur ein Teil der Verbraucherinformationen aufgelistet ist (den restlichen Teil hatte der Kläger unstreitig bei Antragstellung bereits erhalten), ändert an ihrer Richtigkeit und der durch sie eröffneten Möglichkeit, die Widerspruchsfrist richtig zu berechnen, nichts.

Offen bleiben kann vorliegend, ob eine Auslegung des Belehrungstextes ergibt, dass der Teil “und der unten aufgeführten” sich nur auf Versicherungsbedingungen und nicht auf Verbraucherinformationen bezieht. Dafür spricht folgendes: Vom Wortlaut her ist ein Bezug sowohl auf die Versicherungsbedingungen alleine als auch auf Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen möglich. Vom Sinn der Belehrung her, die den gesetzlichen Anforderungen gerecht werden will und für einen durchschnittlichen um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer, der einen Teil der Verbraucherinformationen (nicht aber die Bedingungen) bereits erhalten hat, auch erkennbar, knüpft der Beginn der Frist vorliegend an die Überlassung der unten genannten Versicherungsbedingungen und (allgemein) an die (bereits vorher überlassenen und mit dem Schreiben übersandten) Verbraucherinformationen an. Der Versicherungsnehmer kann das deshalb erkennen, weil er bei Antragstellung ausdrücklich als solche bezeichnete Verbraucherinformationen erhalten hat und daher den in der Belehrung verwendeten Begriff der Verbraucherinformationen auch auf die bereits erhaltenen Informationen bezieht.

Jedenfalls hat die Berufung auch bei einer Auslegung des genannten Teilsatzes, dass die Belehrung sich auf die unten aufgeführten Verbraucherinformationen bezieht, Erfolg: Es ist schon eine Aufzählung der Unterlagen im Einzelnen in der Belehrung selbst nicht erforderlich; eine Bezugnahme auf die “oben genannten Unterlagen” bzw. “diese Unterlagen” kann erfolgen. Das OLG Köln hält eine Widerspruchsbelehrung, die nicht ausdrücklich erwähnt, dass dem Versicherungsnehmer neben dem Versicherungsschein und den Versicherungsbedingungen auch die Verbraucherinformationen vorliegen müssen, damit die Widerspruchsfrist beginnt, für wirksam, da sich das aus der Formulierung “Überlassung der Unterlagen” und den überlassenen Unterlagen ergebe (Urteile vom 06.12.2013 – Az. 20 U 144/13, 25.09.2015 – Az. 20 U 97/15, 29.04.2016 – Az. 20 U 184/15 und vom 03.05.2016 – Az. 20 U 18/16). Der Bundesgerichtshof hat diese Rechtsauffassung gebilligt (Beschlüsse vom 30. Juni 2015 – Az. IV ZR 16/14, vom 29.06.2016 – Az. IV ZR 492/15, 21.03.2017 – Az. IV ZR 138/16 und vom 08.12.2016 – Az. IV ZR 144/16). Der Senat schließt sich dem in ständiger Rechtsprechung – vom Bundesgerichtshof gebilligt – an, da dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung – der Versicherungsnehmer soll die Frist zutreffend berechnen können und sein Widerspruchsrecht form – und fristgerecht ausüben können – Rechnung getragen ist (vgl. z.B. Senat, Beschluss vom 20.04.2015 – Az. 25 U 4040/14, die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 11.11. 2015 – Az. IV ZR 264/15 zurückgewiesen – in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde vom 28.04.2015 wurde die Problematik der ordnungsgemäßen Belehrung über den Beginn der Widerspruchsfrist ausdrücklich gerügt und darauf hingewiesen, dass das Policenbegleitschreiben nur vom Erhalt dieser Unterlagen spricht und dass (insoweit im behaupteten Widerspruch dazu) erst in der Belehrung auf S. 21 des Versicherungsscheins auf die Überlassung der im Gesetz genannten Unterlagen abgestellt wurde; Beschluss vom 20.04.2015 – Az. 25 U 237/15, die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 11.11. 2015 – Az. IV ZR 267/15 zurückgewiesen; Beschluss vom 20.04.2015 – Az. 25 U 4235/14, die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 11.11. 2015 – Az. IV ZR 263/15 zurückgewiesen; Urteil vom 24.01.2014 – Az. 25 U 2705/13, die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 30.07.2015 – Az. IV ZR 75/14 zurückgewiesen; Beschluss vom 23.04.2012 – Az. 25 U 3887/11, die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 22.07.2015 – Az. IV ZR 173/12 zurückgewiesen; Beschluss vom 20.02.2014 – Az. 25 U 1522/13, die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 21.07.2015 – Az. IV ZR 102/14 zurückgewiesen; Beschluss vom 20.02.2014 – Az. 25 U 1522/13, die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH mit Beschluss vom 21.07.2015 unter Az. IV ZR 102/14 zurückgewiesen; Beschluss vom 06.03.2013 – Az. 25 U 4780/12,, die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde vom BGH mit Beschluss vom 28.11.2013 unter Az. IV ZR 144/13 zurückgewiesen; Beschlüsse vom 25.01.2018 und vom 20.02.2018 – Az. 25 U 3741/17; Beschluss vom 11.01.2018 – Az. 25 U 3916/17; Beschluss vom 28.11.2017 – Az. 25 U 3174/17; Beschlüsse vom 22.11.2017 und vom 02.11.2017 – Az. 25 U 4262/16; Beschluss vom 18.07.2017 – Az. 25 U 1934/17; Beschluss vom 30.06.2017 – Az. 25 U 1996/17; Beschluss vom 14.02.2017 – Az. 25 U 63/17; Beschluss vom 11.05.2016 – Az. 25 U 1821/16.). Auch das Oberlandesgericht Hamm vertritt diese Auffassung: Eine Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 5 a VVG a. F. ist auch dann wirksam, wenn sie die notwendigen Bestandteile der Verbraucherinformation nicht auflistet (OLG Hamm – Beschlüsse vom 26.06.2015 und 30.07.2015 – Az. 20 U 48/15, VersR 2016, 777).

Zwar ist bei dieser Auslegung der Zusatz “unten aufgeführten” nicht nur auf die Versicherungsbedingungen, sondern auch auf die Verbraucherinformationen bezogen, die dann im Begleitschreiben genannt wurden und diesem beigefügt waren. Das war allerdings ausreichend. Zunächst wird auf obige Ausführungen, nach denen der Kläger nur noch darüber belehrt werden musste, welche weiteren Unterlagen ihm noch zugegangen sein müssen, damit die Frist zu laufen beginnt, Bezug genommen. Aus der Belehrung ergab sich für den Versicherungsnehmer hinreichend deutlich, dass ihm für den Beginn der Widerspruchsfrist nicht nur der Versicherungsschein und die Versicherungsbedingungen vorliegen müssen, sondern auch die Verbraucherinformationen. Da er einen Teil dieser Informationen bereits erhalten hatte, mussten ihm, um die Widerspruchsfrist wirksam in Gang zu setzen, neben der entsprechenden Belehrung lediglich die restlichen Informationen überlassen werden. Ohne Weiteres wird dem Versicherungsnehmer deutlich, wann die Frist zu laufen beginnt (mit Erhalt des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der restlichen Verbraucherinformationen) und ohne Weiteres kann er auch erkennen, um welche Unterlagen es sich handelt. Die Belehrung erweckt gerade nicht den unzutreffenden Eindruck, der Fristbeginn werde nur an den Erhalt des Versicherungsscheins geknüpft. Die Belehrung ist vorliegend auch nicht deshalb falsch, weil sie nicht auch die bereits bei Antragstellung überlassenen Verbraucherinformationen erwähnt. Für die Möglichkeit einer richtigen Berechnung der Frist mussten diese bereits überlassenen Unterlagen nicht gesondert erwähnt werden, weil in der Belehrung zutreffend der Begriff der Verbraucherinformationen verwendet wird und dadurch ein Bezug zu den unten aufgeführten Verbraucherinformationen und zugleich zu den bei Antragstellung übergebenen – ausdrücklich als solche bezeichneten – Verbraucherinformationen hergestellt ist.

Es besteht zwar eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass der Text der streitgegenständlichen Belehrung demjenigen entspricht, der der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23.03.2016 – Az. IV ZR 122/14 zugrundelag; allerdings war im dortigen Verfahren nicht nachvollziehbar dargestellt, welche Verbraucherinformationen dem Versicherungsnehmer überlassen worden waren, während im vorliegenden Verfahren dem Kläger unstreitig alle erforderlichen Informationen überlassen worden waren, so dass die zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs der vorliegenden Entscheidung nicht entgegensteht.

2.2. Abgesehen davon würde ein geringfügiger Belehrungsmangel nichts daran ändern, dass es dem Kläger, der hervorgehoben auf die Widerspruchsmöglichkeit hingewiesen wurde und dem es auch ohne weiteres möglich war, die Widerspruchsfrist richtig zu berechnen, nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt ist, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten. Selbst, wenn die Belehrung bezüglich der Verbraucherinformationen nicht als voll umfänglich zutreffend anzusehen wäre, würde das unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger alle Unterlagen erhalten hatte, nur einen geringfügigen Fehler der Beklagten darstellen; zudem ist ersichtlich, dass sich die Beklagte um eine zutreffende Belehrung bemüht hat. Auch der EuGH unterscheidet zwischen erheblichen und unerheblichen Belehrungsmängeln: “Wird dem Versicherungsnehmer durch die Belehrung, auch wenn diese fehlerhaft ist, nicht die Möglichkeit genommen, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben, wäre es unverhältnismäßig, es ihm zu ermöglichen, sich von den Verpflichtungen aus einem in gutem Glauben geschlossenen Vertrag zu lösen. In solchen Fällen bliebe es dem über sein Rücktrittsrecht informierten Versicherungsnehmer unbenommen, sein Rücktrittsrecht auszuüben und sich von den eingegangenen Verpflichtungen zu lösen, so dass das oben in den Rn. 63-66 25 U 6057/19 – Seite 7 – genannte Ziel der RL 90/619, 92/96, 2002/83 und 2009/138 erreicht würde.

In den Ausgangsverfahren werden die vorlegenden Gerichte zu prüfen haben, ob die Versicherer Informationen über die Form der Rücktrittserklärung mitgeteilt haben. Wenn ja, werden sie ferner zu prüfen haben, ob diese Informationen zutreffend waren oder derart unrichtig, dass den Versicherungsnehmern die Möglichkeit genommen wurde, ihr Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben, wobei im Wege einer Gesamtwürdigung insbesondere dem nationalen Rechtsrahmen und den Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen sein wird (EuGH,Urteil vom 19.12. 2019 – Az. C-355/18, C- 356/18 und C-357/18, NJW 2020, 667, beckonline Rn. 79 ff).

Die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens kommt auch bei nicht ordnungsgemäßer Belehrung in Betracht (BGH, Beschluss vom 27.01.2016 – Az. IV ZR 130/15; Senat, Beschluss vom 15.01.2018 – Az. 25 U 3770/17; Senat, Urteil vom 21.04.2015 – Az. 25 U 3877/11; OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.12.2016 – Az. 12 U 137/16 OLG Hamm, Urteil vom 13.01.2017 – Az. 20 U 159/16; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24.10.2016 – Az. I-4 U 131/16; KG, Urteil vom 12.04.2016 – Az. 6 U 102/15 – rechtskräftig; OLG Köln, Urteil vom 26.02.2016 – Az. 20 U 178/15; OLG Dresden, Urteil vom 26.08.2015 – Az. 7 U 146/15, VersR 2015,1498; OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 19.10.2015 – Az. 3 U 49/15; OLG Stuttgart, Urteil vom 06.11.2014 – Az. 7 U 147/10 – VersR 2015, 878; LG Wiesbaden, Urteil vom 12.02.2015 – Az. 9 O 116/14; BGH, Beschlüsse vom 11.11.2015 und 13.01.2016 – Az. IV ZR 117/15, BeckRS 2016, 02174, NJW 2016,375 für die Belehrung nach § 8 VVG a.F.). Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall obliegt grundsätzlich dem Tatrichter (BGH, Beschluss vom 11.11.2015 – Az. IV ZR 117/15). Ob ein schutzwürdiges Vertrauen des Versicherers auf den Bestand des Versicherungsvertrags angenommen werden kann, bleibt der tatrichterlichen Beurteilung vorbehalten (BGH, Urteil vom 01.06.2016 – IV ZR 482/14, NJOZ 2016, 1370).

Vorliegend veranlassen folgende besondere Umstände den Senat, davon auszugehen, dass sich die Klagepartei rechtsmissbräuchlich auf ihr Widerspruchsrecht beruft:

2.2.1. Der Widerspruch erfolgte besonders lange Zeit, nämlich über 19 Jahre nach Vertragsschluss (nach der aktuellen gesetzlichen Regelung, deren Wertung auch in die Beurteilung der Frage, ob treuwidriges Verhalten vorliegt, miteinzubeziehen ist, kann selbst bei arglistigem Verhalten eines Vertragspartners oder widerrechtlicher Drohung nach Ablauf von 10 Jahren eine Anfechtung nicht mehr erfolgen, bei einer Täuschung auch dann, wenn der Getäuschte von den Umständen der Täuschung keine Kenntnis hatte – § 124 Abs. 3 BGB zwar galt bis zum 31.12.2001 insoweit eine 30 Jahresfrist; maßgebend für die Beurteilung des Widerspruchs ist jedoch die gesetzliche Wertung zur Zeit der Abgabe der Widerspruchserklärung; zudem ergibt sich aus § 6 Abs. 5 zu Art. 229 EGBGB, dass die Zehnjahresfrist auch für Altverträge zur Anwendung kommen soll; diese Wertung kann ohne Weiteres für die Frage herangezogen werden, wie stark das Zeitmoment ins Gewicht fällt und welche Anforderungen an das Umstandsmoment zu stellen sind; der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – Urteil vom 01.06.2016 – Az. IV ZR 482/14, Urteil vom 11.11.2015 – Az. IV ZR 513/14, Urteil vom 29.07.2015 – Az. IV ZR 448/14 kann nichts Gegenteiliges entnommen werden: aus diesen Entscheidungen ergibt sich nur, dass nicht immer dann, wenn die 10 – Jahresfrist verstrichen ist, das Widerspruchsrecht verwirkt ist, nicht aber dass die Zeitdauer und die gesetzlichen Wertungen hierzu im Rahmen der Gesamtabwägung nicht berücksichtigt werden dürften).

Je länger der Zeitablauf bis zur Ausübung des Widerspruchsrechts ist, umso höher ist das schutzwürdige Vertrauen des Vertragspartners in den Bestand des Vertrages und umso mehr Gewicht erhält dieses Vertrauen, während umgekehrt der gesetzliche Schutzzweck für die Einräumung des Widerspruchsrechts, dem Vertrag (in zeitlichem Zusammenhang mit seinem Abschluss) widersprechen zu können, mit zunehmendem Zeitablauf immer mehr verblasst und in den Hintergrund tritt. Der Bundesgerichtshof hat zur Frage der (einen Unterfall des Rechtsmissbrauchs darstellenden) Verwirkung entschieden: Zwischen diesen Umständen und dem erforderlichen Zeitablauf besteht eine Wechselwirkung insofern, als der Zeitablauf umso kürzer sein kann, je gravierender die sonstigen Umstände sind, und dass umgekehrt an diese Umstände desto geringere Anforderungen gestellt werden, je länger der abgelaufene Zeitraum ist (BGH, Urteil vom 19. 10. 2005 – Az. XII ZR 224/03, NJW 2006, 219).

Sofern – wie im Fall einer nicht ordnungsgemäßen Belehrung – noch besondere Umstände vorhanden sein müssen, damit sich die Ausübung des Widerspruchsrechts als rechtsmissbräuchlich darstellt, brauchen diese Umstände mit zunehmendem Zeitablauf immer weniger ausgeprägt und gewichtig zu sein. Bei (vorliegend) besonders langem Zeitablauf zwischen Vertragsschluss und Widerspruch kommt die Annahme eines Rechtsmissbrauchs deshalb schon dann in Betracht, wenn an sich eher gering zu gewichtende Umstände für eine solche Annahme vorhanden sind.

2.2.2. Die vorliegenden Umstände begründen die Annahme eines Rechtsmissbrauchs.

Der von der Klagepartei in den Raum gestellte Fehler ist, wenn er – wie nicht – vorliegen würden nicht so schwerwiegend, dass er unter den gegebenen Umständen den Einwand der Treuwidrigkeit ausschließen würden. Der behauptete Fehler wurden vorliegend bei der Gesamtbewertung aller Umstände unterstellt und berücksichtigt. Wie dargestellt ist der behauptete Fehler minimal; dem Versicherungsnehmer wird durch die auffällige und hervorgehoben gedruckte Belehrung in dem nur einseitigen Schreiben, auch wenn diese wie vom Kläger behauptet fehlerhaft wäre, nicht die Möglichkeit genommen, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei zutreffender Belehrung auszuüben. Er konnte die Frist ohne Weiteres zutreffend berechnen. Vorliegend erstrebt der Kläger mit der Ausübung des Widerspruchsrechts lediglich eine Erhöhung der Rendite. Das gesetzlich eingeräumte Widerspruchsrecht soll den Versicherungsnehmer vor übereilten Abschlüssen schützen, nicht aber dem Versicherungsnehmer ermöglichen, mit dem nachträglichen Wissensvorsprung der für den Ertrag der Kapitalanlage wesentlichen Faktoren seine Entscheidung rückgängig zu machen und dadurch Verluste zu minimieren oder eine Rendite zu erzielen oder zu erhöhen. Nach der Rechtsprechung des EuGH dient das Vertragslösungsrecht nicht Spekulationszwecken: “Bei der Beurteilung der Bedürfnisse des Versicherungsnehmers ist jedoch auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen. Vorteile, die der Versicherungsnehmer aus einem verspäteten Rücktritt ziehen könnte, bleiben außer Betracht. Ein solcher Rücktritt würde nämlich nicht dazu dienen, die Wahlfreiheit des Versicherungsnehmers zu schützen, sondern dazu, ihm eine höhere Rendite zu ermöglichen oder gar auf die Differenz zwischen der effektiven Rendite des Vertrags und dem Satz der Vergütungszinsen zu spekulieren.” (EuGH,Urteil vom 19.12. 2019 – Az. C-355/18, C- 356/18 und C-357/18, NJW 2020, 667, beckonline Rn. 120 zum österreichischen Recht in dem Vergütungszinsen anstelle von Nutzungsherausgabe bestimmt ist). Nach Auffassung der Generalsanwältin beim EuGH in den Schlussanträgen vom 11.07.2019 zu den Verfahren C-355/18, C- 356/18 und C-357/18 steht es dem nationalen Richter frei, einem nicht zu leugnenden Missbrauchsrisiko im Einzelfall Rechnung zu tragen und den mit dem Rücktritt konkret verfolgten Zwecks hinreichend zu würdigen (Generalanwalt beim EuGH Schlussantrag v. 11.7.2019 – C-355/18, BeckRS 2019, 14135). Insgesamt ergibt sich damit, dass unter Berücksichtigung des hier allenfalls nur minimalen Fehlers in diesem besonderen Einzelfall alleine die dem Schutzzweck der Europäischen Richtlinie nicht entsprechende Motivation für die Annahme der Treuwidrigkeit ausreicht.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 ZPO (Kosten), § 708 Nr. 10, 711 ZPO (vorläufige Vollstreckbarkeit) und §§ 47, 48 GKG (Streitwert).

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen, § 543 Abs. 2 ZPO. Ob eine Widerspruchsbelehrung oder auch eine Rücktrittsbelehrung inhaltlich und formal den gesetzlichen Anforderungen genügt, hat der Tatrichter im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 21.03.2018 – Az. IV ZR 201/16, r+s 2018, 363; BGH, Beschluss vom 17. Mai 2017 – Az. IV ZR 501/15 -, Rn. 12, juris; Senat, Beschluss vom 22.11.2017 – Az. 25 U 4262/16).

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