OLG Stuttgart 19 U 80/96

September 16, 2017

OLG Stuttgart 19 U 80/96 – Vermächtnis: Schlüssige Annahme und Verzicht durch einen in Gütergemeinschaft lebenden Vermächtnisnehmer

Tenor

  1. Die Berufung des Beklagten gegen das am 27. Februar 1996 verkündete Urteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart – 19 O 334/95 – wird zurückgewiesen.
  1. Der Beklagte trägt die Kosten der Berufungsinstanz.
  1. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch die Kläger durch Sicherheitsleistung in Höhe von 55.000,– DM abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leisten.
  1. Die Beschwer des Beklagten beträgt

1,8 Millionen DM

Berufungsstreitwert:

1,8 Millionen DM

Tatbestand OLG Stuttgart 19 U 80/96

Die Kläger begehren Feststellung, daß der Beklagte als Miterbe neben dem Zeugen H R zur Herausgabe aufgrund eines den Klägern zustehenden Vermächtnisses verpflichtet ist.

Der am 21. Januar 1964 verstorbene Dr. jur. h.c. K L wurde aufgrund des am 16.12.1959 von ihm errichteten Testaments zu einem Viertel von seiner Ehefrau M L und zu jeweils 3/8 von seinen beiden Kindern, der Klägerin Ziff. 1 und Herrn J L beerbt. In § 4 des Testaments vom 16.12.1959 war zudem angeordnet: “Stirbt eines meiner in § 1 eingesetzten Kinder nach dem Anfall der Erbschaft ohne Hinterlassung von Abkömmlingen, so hat es – bzw. seine Erben – den väterlichen Erbteil ohne die zwischenzeitlichen Erträgnisse an das andere in § 1 genannte Kind bzw. an dessen Abkömmlinge als Vermächtnis herauszugeben.

Das als Vermächtnisnehmer in Frage kommende Kind – bzw. dessen Abkömmlinge – kann demgemäß die Herausgabe der dem verstorbenen Kind von mir zugefallenen Erbschaft, soweit dieses Vermögen bei seinem Tod noch vorhanden ist, als Vermächtnis verlangen”. Am 18. Juli 1993 verstarb der Bruder der Klägerin Ziff. 2, Herr J L kinderlos. In seinem Testament vom 09. August 1979 hatte er als Erben jeweils zur Hälfte den Beklagten und den Zeugen H R eingesetzt.

Diese haben die Erbschaft angenommen. Der Umfang der Erbschaft und damit letztlich auch des Vermächtnisses ist zwischen den Parteien im einzelnen streitig. Aufgrund notariell beurkundeten Ehevertrags vom 10. Juli 1956 leben die Kläger im Güterstand der allgemeinen Gütergemeinschaft. Mit notariell beurkundeter Erklärung vom 02. November 1964 hatte die Klägerin Ziff. 2 dem Kläger Ziff. 1 Generalvollmacht dahingehend erteilt, sie in allen Vermögens- und Rechtsangelegenheiten zu vertreten. Mit notariell beurkundeten Erklärungen vom 13. September 1993 widerrief die Klägerin Ziff. 2 diese Generalvollmacht und schlug das ihr durch den Tod des Herrn J L angefallene Vermächtnis gegenüber den Beschwerten, dem Beklagten und dem Zeugen H R aus.

Die Kläger haben vorgetragen, die Klägerin Ziff. 2 habe das Vermächtnis unmittelbar nach dem Ableben ihres Bruders gegenüber dessen Erben angenommen. Sie habe zusammen mit dem Kläger Ziff. 1 sowie den Erben des J L Überlegungen angestellt, wie die Erbschaftssteuer aufgebracht werden könne. Auch hätten sie klar zum Ausdruck gebracht gegenüber den Erben des J L, daß das Vermögen des Erblassers J L, soweit es von Dr. jur. h.c. K L vererbt sei, nunmehr zum Vermögen der Kläger gehören solle.

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Im September 1993 hätten der Beklagte und der Zeuge H R die Klägerin Ziff. 2 in unlauterer Weise zu der Ausschlagungserklärung veranlaßt.

Die Kläger haben beantragt,

festzustellen, daß den Klägern gegenüber dem Beklagten und Herrn H R als Miterben des am 18.07.1993 verstorbenen Herrn J L ein Vermächtnisanspruch auf Herausgabe von 3/8 des Nachlasses des am 21.01.1964 verstorbenen Fabrikanten Dr. jur. h.c. K L zusteht.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat vorgetragen, für eine Feststellungsklage fehle es bereits am Feststellungsinteresse. Im übrigen habe die Klägerin Ziff. 2 die Erbschaft wirksam ausgeschlagen. Sie habe das Vermächtnis nicht angenommen. Mitursächlich für die Ausschlagung seien zwar erbschaftssteuerliche Gesichtspunkte gewesen, Hauptgrund sei jedoch gewesen, das Familienvermögen in der Familie zu halten.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen H R. Wegen des Inhalts der Aussage des Zeugen R wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 16.01.1996 (Bl. 145 ff. d.A.). Das Landgericht hat den Beklagten durch ein am 27. Februar 1996 verkündetes Urteil – 19 O 334/95 – antragsgemäß verurteilt. Gegen das ihm am 07. März 1996 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 03. April 1996 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 03. Juni 1996 am 31. Mai 1996 begründet.

Der Beklagte trägt vor:

Die Kläger hätten das Vermächtnis nicht angenommen. Sie hätten der Klägerin Ziff. 2 durch Vermächtnis zugewandte Gegenstände weder in Besitz genommen noch von den Erben herausverlangt. Auch fehle es an sonstigen Äußerungen gegenüber dem Beklagten, die zum Ausdruck gebracht hätten, daß die Klägerin Ziff. 2 das Vermächtnis annehme. Zwar seien in der Familie unter Beteiligung der Kläger und des Beklagten Gespräche über die Erbschaftssteuerbelastung und künftige Verteilung von Familienvermögen geführt worden. Diese Überlegungen seien nicht zuletzt für die Beurteilung der Frage angestellt worden, ob das Vermächtnis ausgeschlagen werden sollte zugunsten der nächsten Generation. Die anstehende Erbschaftssteuerbelastung habe es durchaus als ratsam für die Klägerin Ziff. 2 erscheinen lassen können, das Vermächtnis auszuschlagen.

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Bei diesen Überlegungen sei es verblieben und nicht zu einer Entscheidung im Sinne einer Annahme des Vermächtnisses gekommen. Jedenfalls sei eine solche Entscheidung gegenüber dem Beklagten nicht geäußert oder sonst erkennbar geworden.

Jedenfalls habe die Klägerin Ziff. 2 auf einen etwaigen Vermächtnisanspruch wirksam verzichtet. Selbst wenn unterstellt werde, die Klägerin Ziff. 2 habe das Vermächtnis angenommen und demzufolge nicht mehr gemäß § 2180 Abs. 1 BGB ausschlagen können, sei die Klägerin Ziff. 2 als Vermächtnisnehmerin befugt gewesen, gemäß § 397 BGB auf das Vermächtnis zu verzichten. Selbst wenn das Vermächtnis durch Annahmeerklärung der Klägerin Ziff. 2 in das Gesamtgut der Gütergemeinschaft gefallen sei, sei die Klägerin Ziff. 2 für sich allein befugt gewesen, später auf dieses Vermächtnis zu verzichten. Denn es handle sich dabei um ein Rechtsgeschäft persönlicher Art, zu dessen Vornahme die Zustimmung des Ehegatten gemäß § 1455 Nr. 1 BGB nicht erforderlich sei.

Der Beklagte beantragt:

Das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 27.02.1996 wird aufgehoben und die Klage der Kläger/Berufungsbeklagten abgewiesen.

Die Kläger beantragen in erster Linie,

die Berufung zurückzuweisen.

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Die Kläger tragen vor:

Die Kläger hätten das Vermächtnis zugunsten der Klägerin Ziff. 2 durch Handlungen und Äußerungen, die ihren Annahmewillen eindeutig zum Ausdruck gebracht hätten, gegenüber dem Beklagten und dem Zeugen H R angenommen.

Bei den regelmäßig stattfindenden Besprechungen in den Geschäftsräumen der Firma W hätten sowohl die Klägerin Ziff. 2 als auch der Kläger Ziff. 1 eindeutig geäußert, daß in ihrem Gesamtgut nunmehr weitere 3/8 des Nachlasses des Dr. K L und in diesen weiteren 3/8 des Nachlasses 42,5 % der Geschäftsanteile an der Firma W enthalten seien. Die im Gesamtgut befindliche Beteiligung mache damit 95 % aus. Der Kläger Ziff. 1 habe des weiteren darauf hingewiesen, daß der Nachlaß des Dr. K L nun insgesamt zu 3/4 bei seiner Frau und ihm sei.

Bei den genannten Besprechungen hätten die Kläger dem Beklagten und dem Zeugen H R auch mitgeteilt, sie würden ihr Testament ändern, damit die beiden Töchter gegenüber den Söhnen beim Ableben der Kläger nicht benachteiligt würden. Dies sei schon bei der Beerdigung von J L angesprochen worden. Eine Benachteiligung ergebe sich nämlich daraus, daß bisher die Geschäftsanteile nur auf die Söhne übergehen sollten, während die Töchter aus dem Privatvermögen Immobilien und Barvermögen erhalten sollten. Dabei sollten die Kinder wertmäßig alle in etwa gleichbehandelt werden. Die jetzt durch den Erblasser J L hinzugekommenen weiteren 3/8 des Vermögens von Dr. K L hätten aber überwiegend aus Geschäftsbeteiligungen bestanden, so daß bei Verfügung der Geschäftsanteile an die Söhne diese überproportional mehr erhalten würden als die Töchter.

Zur Vorbereitung der Neufassung des Testaments sei am 11. August 1993 der Gutachter N beauftragt worden, eine Bewertung der Immobilien der Kläger einschließlich der durch das Vermächtnis neu hinzugekommenen Hausgrundstücke (K straße und J straße) vorzunehmen. Diese Beauftragung des Sachverständigen N sei mit dem Beklagten abgestimmt worden.

Der Kläger Ziff. 1 habe anläßlich dieser Geschäftsbesprechungen dem Beklagten und dem Zeugen H R auch mitgeteilt, daß er den Steuerberater Dr. M beauftragt habe, ein Angebot zur Finanzierung der Erbschaftssteuer bei der … Bank einzuholen.

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Die Klägerin Ziff. 2 habe nicht auf das Vermächtnis verzichtet. Ein Verzicht der Klägerin Ziff. 2 auf das Vermächtnis sei schon deshalb unwirksam, weil der Kläger Ziff. 1 nicht mitgewirkt habe und ein allein durch die Klägerin Ziff. 2 geschlossener Erlaßvertrag gemäß §§ 1453 Abs. 1, 1366 Abs. 4 BGB wegen der versagten Genehmigung durch den Kläger Ziff. 1 unwirksam sei. Weder § 1455 BGB noch § 1432 BGB erlaubten der Klägerin Ziff. 2, auf einen bereits im Gesamtgut befindlichen Anspruch zu verzichten.

Selbst wenn die Klägerin Ziff. 2 befugt gewesen sein sollte, einen Verzicht zu erklären, so sei die Verzichtserklärung doch wirksam durch die Klägerin Ziff. 2 angefochten worden.

Die Kläger beantragen hilfsweise:

Es wird festgestellt, daß den Klägern gegen den Beklagten und Herrn H R ein Anspruch auf Herausgabe von 3/8 des Nachlasses des am 21.01.1964 verstorbenen Fabrikanten Dr. Jur. h.c. K L zusteht.

Der Beklagte erklärte im Termin vom 10. Oktober 1996, er lasse sich auf diesen Hilfsantrag nicht ein.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen H R. Wegen des Inhalts der Aussage des Zeugen wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 10.10.1996 Bl. 233/238 der Gerichtsakten. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe OLG Stuttgart 19 U 80/96

Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet.

Die Klägerin Ziff. 2 hat das Vermächtnis (§ 1939 BGB) durch schlüssiges Verhalten gegenüber den Erben des J L, nämlich gegenüber dem Beklagten und dem Zeugen H R angenommen. Infolge der wirksamen Annahme des Vermächtnisses konnte die Ausschlagungserklärung der Klägerin Ziff. 2 in der notariellen Urkunde des Notars K vom 13. September 1993 gemäß § 2180 Abs. 1 BGB keine Wirksamkeit erlangen, so daß es auf die Frage, ob die Klägerin Ziff. 2 diese Ausschlagungserklärung wirksam angefochten hat, nicht ankommt. Schließlich liegt in der Ausschlagungserklärung kein wirksamer Verzicht gemäß § 397 BGB, da die Klägerin Ziff. 2 nicht befugt war, ohne Zustimmung des Klägers Ziff. 1 auf das aufgrund Annahmeerklärung in das Gesamtgut der Gütergemeinschaft gefallene Vermächtnis zu verzichten.

I.

Die Annahme eines Vermächtnisses kann auch durch schlüssiges Verhalten gegenüber dem Erben erklärt werden (vgl. Palandt/Edenhofer, BGB, 54. Aufl. Rn. 1 § 2180). Die Klägerin Ziff. 2 war als Vermächtnisnehmerin gemäß § 1455 Nr. 1 BGB trotz bestehender Gütergemeinschaft mit dem Kläger Ziff. 1 befugt, das Vermächtnis ohne Zustimmung des Klägers Ziff. 1 anzunehmen. Dieser war aufgrund der Generalvollmacht vom 02. November 1964 befugt, das Vermächtnis für die Klägerin Ziff. 2 anzunehmen. Sowohl der Kläger Ziff. 1 als auch die Klägerin Ziff. 2 haben durch Erklärungen und ihr Verhalten seit dem Tod des J L am 18.07.1993 bis zur Ausschlagungserklärung der Klägerin Ziff. 2 am 13. September 1993 gegenüber dem Beklagten und dem Zeugen H R deutlich zum Ausdruck gebracht, daß das der Klägerin Ziff. 2 zugewendete Vermächtnis angenommen wird.

Aufgrund der Aussage des Zeugen H R ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, daß die Kläger zum Ausdruck gebracht haben, daß ihr Vermögen durch den Tod des J L einen bedeutenden Zuwachs erfahren habe und insbesondere die Geschäftsanteile des J L an der Firma W jetzt den Klägern gehörten, daß sie wegen dieser Entwicklung ihr Testament ändern und den neuen Verhältnissen anpassen wollten, und daß Überlegungen angestellt wurden im Hinblick auf die Bezahlung der zu erwartenden Erbschaftssteuer.

OLG Stuttgart 19 U 80/96

a) Der Zeuge H R hat anschaulich und glaubhaft geschildert, daß der Kläger Ziff. 2 anläßlich der regelmäßig in den Räumen der Firma W stattfindenden Geschäftsbesprechungen gesagt habe, daß nunmehr mangels Abkömmlingen des J L die Firmenanteile in der Familie seien. Die Geschäftsanteile der Eltern an der Firma W beliefen sich jetzt auf 95 %. Bereits nach der Beerdigung des J L habe sich der Kläger Ziff. 1 so geäußert, was seinerseits den Beklagten zu der Veräußerung veranlaßt habe: “Schau, der Vater läßt jetzt schon verlauten, daß ihm die Anteile von J gehören”.

Auch habe der Kläger Ziff. 1 ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Kläger auf das Auslandsvermögen des J L keine Ansprüche erheben würden, weil es sich dabei um sogenanntes Privatvermögen handle, das nicht dem Vermächtnis unterfalle. Bereits mit diesen Äußerungen wurde für den Beklagten und den Zeugen H R ausreichend deutlich, daß die Klägerin Ziff. 2 das Vermächtnis annimmt.

b) Der Zeuge H R hat weiterhin glaubhaft bekundet, daß der Kläger Ziff. 1 in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen habe, daß nunmehr das Testament der Kläger geändert werden müsse, weil sich durch den Hinzuerwerb der Geschäftsanteile des J L der Wert der Geschäftsanteile gegenüber dem privaten sonstigen Vermögen der Kläger verschoben habe. Um der Absicht der Kläger, dem Beklagten und dem Zeugen H R die Geschäftsanteile zuzuwenden und gleichzeitig die beiden Schwestern wertmäßig nicht zu benachteiligen, Geltung zu verschaffen, sei eine Änderung des Testaments beabsichtigt gewesen.

Die Änderung habe Notar K vornehmen sollen. In diesem Zusammenhang habe man auch eine Grundstücksbewertung für erforderlich gehalten, um den Wert der dem Unternehmen zuzuordnenden Vermögensobjekte und den Wert des Privatvermögens verläßlich bestimmen zu können. Mit der Grundstücksbewertung habe der Sachverständige N beauftragt werden sollen. Der Zeuge H R hat bekundet, er sei davon ausgegangen, daß der Kläger Ziff. 1 den Sachverständigen N auch tatsächlich beauftragt habe.

Auch dieses Verhalten hat gegenüber dem Beklagten und dem Zeugen H R ausreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, daß die Klägerin das Vermächtnis annimmt. Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger Ziff. 1 den Sachverständigen N tatsächlich beauftragt hat. Entscheidend ist, daß der Kläger Ziff. 1 gegenüber dem Beklagten und dem Zeugen H R bekundet hat, daß vor dem Hintergrund des Hinzuerwerbs von Vermögensanteilen des J L eine Änderung des Testaments der Kläger erforderlich sei.

c) Schließlich hat der Zeuge bekundet, daß auch über die im Zusammenhang mit dem Vermächtnis anfallende Erbschaftssteuer gesprochen worden sei und der Kläger Ziff. 1 insoweit ein Darlehensangebot der … Bank eingeholt habe. Auch insoweit kann dahinstehen, ob der Kläger Ziff. 1 den Steuerberater Dr. M mit Verhandlungen mit der … Bank beauftragt und ob diese ein Darlehensangebot unterbreitet hat. Von maßgeblicher Bedeutung ist, daß der Kläger Ziff. 1 mit dem Beklagten und dem Zeugen H R über das Problem der zu erwartenden Erbschaftssteuer gesprochen hat und Überlegungen angestellt worden sind, wie die Erbschaftssteuer finanziert werden kann.

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d) Aufgrund des persönlichen Eindrucks, den der Senat von dem Zeugen H R gewonnen hat, ist der Senat zu der Überzeugung gelangt, daß der Zeuge wahrheitsgemäße Angaben gemacht hat.

Dabei ist berücksichtigt, daß der Zeuge als Familienmitglied und in seinen geschäftlichen Interessen Betroffener nicht unbeteiligter Dritter ist, und er am 18.08.1995 mit den Klägern vereinbart hat, daß sich die Kläger und der Zeuge im Hinblick auf den vorliegenden Rechtsstreit und den vom Zeugen geführten Rechtsstreit gegen den Beklagten wegen des Geschäftsanteilkaufvertrags des Beklagten mit J L vom 16.07.1993 gegenseitig unterstützen, und daß die Kläger gegebenenfalls die dem Zeugen entstehenden Kosten erstatten.

Der Zeuge hat diese Vereinbarung nicht in Abrede gestellt und gegenüber dem Senat glaubhaft darauf abgehoben, daß er zwar bemüht sei, seine Interessen und die der Eltern zu vertreten, daß er davon unabhängig jedoch als Zeuge gewillt sei, wahrheitsgemäße Angaben zu machen und dies auch getan habe.

Die Behauptung, der Zeuge habe seine Aussage gleichsam im Sinne eines Rollenspiels mit den Klägern abgestimmt und einstudiert, hat sich nicht bestätigt. Die Zeugin M K, früher im Haushalt der Kläger beschäftigt und im Februar 1996 aufgrund Kündigung der Kläger aus dem Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden, hat bekundet, daß der Zeuge H R wiederholt ins Haus der Kläger gekommen sei. Was mit ihm im einzelnen gesprochen worden sei, habe sie nicht gehört. Sie habe insbesondere nicht gehört, daß der Zeuge H R etwas “auswendig lernen” solle.

Aufgrund der Aussage der Zeugin M K kann auch nicht festgestellt werden, daß der Zeuge H R die Unwahrheit im Hinblick auf eine Abstimmung der Aussage der Klägerin Ziff. 2 bei Gericht gesagt hat und seine Glaubwürdigkeit deshalb insgesamt in Zweifel zu ziehen ist. Die Zeugin hat nicht bestätigt, daß der Zeuge H R mit der Klägerin Ziff. 2 seine eigene Aussage oder die Aussage der Zeugin im Termin vor dem Landgericht im Sinne eines Rollenspiels einstudiert hat.

OLG Stuttgart 19 U 80/96

Daß der Zeuge H R mit den Klägern die mit dem Rechtsstreit zusammenhängenden Fragen, insbesondere auch die gewechselten Anwaltsschriftsätze besprochen hat, hat er selbst eingeräumt. Dafür, daß er seine eigene Zeugenaussage mit den Klägern abgestimmt und zugunsten der Kläger unwahre Angaben gemacht hat, gibt es nach der Überzeugung des Senats keine hinreichenden Anhaltspunkte.

e) Daß die Kläger möglicherweise die rechtlichen Voraussetzungen eines Vermächtnisses und dessen Annahme nicht im einzelnen gekannt haben, hindert die Annahme des Vermächtnisses durch schlüssiges Verhalten nicht. Aufgrund des oben festgestellten Sachverhalts wird hinreichend deutlich, daß die Klägerin Ziff. 2 und der Kläger Ziff. 1 als deren Vertreter das Vermächtnis beanspruchen wollten. Es handelte sich auch nicht um Vorüberlegungen und Vorbereitungshandlungen vor einer noch zu treffenden Entscheidung. Es wurde vielmehr deutlich gemacht, daß wegen der erfolgten Änderung der Vermögensverhältnisse der Kläger durch den Todesfall des J L das Testament der Kläger geändert und Vorkehrungen für die Finanzierung der Erbschaftssteuer getroffen werden mußten.

Soweit der Beklagte geltend macht, die Kläger hätten keine Gegenstände herausverlangt und damit ihren Annahmewillen dokumentiert, verfängt dieser Einwand nicht. Regelmäßig wird in Rechtsprechung und Literatur aus dem Umstand, daß ein Vermächtnisnehmer Vermächtnisgegenstände herausverlangt, auf dessen Annahmewillen geschlossen. Zwingend erforderlich ist dies freilich nicht. Insoweit hat der Zeuge H R zudem eine schlüssige Erklärung abgegeben, indem er darauf hingewiesen hat, daß der Kläger Ziff. 1 wert gelegt habe auf die Grundbucheintragung der dem Vermächtnis unterfallenden Grundstücke des J L; andererseits sei dies dann aber zurückgestellt worden, um die Zahlung der Erbschaftssteuer auf diese Weise hinauszuzögern.

II.

Die Klägerin Ziff. 2 hat auf das durch schlüssiges Verhalten angenommene Vermächtnis nicht in Form der Ausschlagungserklärung vom 13. September 1993 verzichtet (§ 397 BGB). Zu einem solchen Verzicht war die Klägerin Ziff. 2 ohne Mitwirkung des Klägers Ziff. 1 nicht befugt. Der Kläger Ziff. 1 hat die erforderliche Zustimmung auch nicht später erteilt.

OLG Stuttgart 19 U 80/96

Durch die Annahme des Vermächtnisses ist dieses in das Gesamtgut der Gütergemeinschaft gefallen. Ab diesem Zeitpunkt war die Klägerin nicht mehr befugt, ohne die Mitwirkung des Klägers Ziff. 1 auf das Vermächtnis zu verzichten. Der Verzicht auf ein angenommenes Vermächtnis ist nicht in § 1455 BGB aufgeführt. In dieser Bestimmung werden Verwaltungshandlungen aufgeführt, die nicht der Mitwirkung des anderen Ehegatten bedürfen. Bei § 1455 BGB handelt es sich um einen Ausnahmetatbestand von dem Grundsatz, daß bei der Gütergemeinschaft beide Ehegatten mitwirken müssen.

Entgegen der Auffassung des Beklagten besteht kein Anlaß für eine erweiternde Auslegung dieser Bestimmung. Gemäß § 1455 Nr. 1 BGB darf der Ehegatte eine ihm angefallene Erbschaft oder ein ihm angefallenes Vermächtnis annehmen oder ausschlagen. Gemäß § 1455 Nr. 2 BGB darf jeder Ehegatte auf seinen Pflichtteil oder auf den Ausgleich eines Zugewinns ohne Mitwirkung des anderen verzichten.

Beide Regelungen finden ihre Berechtigung im höchstpersönlichen Charakter des jeweiligen Rechts. Im Falle eines angenommenen Vermächtnisses fehlt es dagegen an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Auch ist der zugrundeliegende Sachverhalt insofern ein anderer, als das Vermächtnis nicht lediglich angefallen ist, sondern aufgrund der Annahmeerklärung nunmehr zum Gesamtgut der Gütergemeinschaft gehört. Ab diesem Zeitpunkt sind die wohlverstandenen Interessen des anderen Ehegatten zu berücksichtigen; eine erweiternde Auslegung der gesetzlichen Ausnahmetatbestände des § 1455 BGB ist nicht zuzulassen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Festsetzung der Beschwer beruht auf § 546 Abs. 1 ZPO.

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Schlagworte

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Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

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Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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