Terminsverlegung in letzter Minute – BFH IX B 11/23

Juni 24, 2023

Terminsverlegung in letzter Minute – BFH IX B 11/23 Beschluss vom 07. Juni 2023, Verfahrensfehler: Verletzung des rechtlichen Gehörs durch unterbliebene Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung, Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren

vorgehend FG Münster, 24. November 2022, Az: 10 K 954/19 F

Zusammenfassung von RA und Notar Krau:

Im Fall BFH IX B 11/23 wurde ein Antrag auf Terminsverlegung “in letzter Minute” abgelehnt.

Das Gericht betont, dass der Antragsteller die Gründe für die Verlegung glaubhaft darlegen muss, insbesondere bei plötzlicher Erkrankung.

Eine Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren wurde verneint, da das Gericht korrekt gehandelt habe.

Die Beschwerde wurde abgewiesen.

Inhaltsverzeichnis:

I. Einleitung

  • Fall BFH IX B 11/23
  • Ablehnung eines “in letzter Minute” gestellten Verlegungsantrags
  • Notwendigkeit, Gründe für Verlegung darzulegen

II. Verfahrensfehler: Verletzung des rechtlichen Gehörs

  • Bedeutung des rechtlichen Gehörs
  • Anforderungen an Verlegungsantrag bei Erkrankung
  • Glaubhafte Darlegung der Verhandlungs- und Reiseunfähigkeit

III. Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren

  • Anspruch auf ein faires Verfahren als Prozessgrundrecht
  • Anforderungen an das Gericht in Bezug auf ein faires Verfahren
  • Prüfung der Verfahrensfehlerhaftigkeit und Widersprüchlichkeit

IV. Tenor der Entscheidung

  • Zurückweisung der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision
  • Kostenentscheidung zu Lasten der Klägerin

V. Fazit

  • Zusammenfassung der Schlüsselpunkte der Entscheidung in BFH IX B 11/23

Zum Entscheidungstext:

NV: Wird der “in letzter Minute” gestellte Verlegungsantrag mit einer Erkrankung begründet, obliegt es nach der ständigen Rechtsprechung des BFH dem Beteiligten, die Gründe für die Verhinderung so darzulegen und zu untermauern, dass das Gericht die Frage, ob die betreffende Person verhandlungs- und reiseunfähig ist oder nicht, selbst beurteilen kann.

NV: Der Anspruch auf ein faires Verfahren als “allgemeines Prozessgrundrecht” gewährleistet, dass das FG das Verfahren so gestaltet, wie die Beteiligten es von ihm erwarten dürfen, insbesondere darf das FG sich nicht widersprüchlich verhalten, darf aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile für die Beteiligten ableiten und ist allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet.

Tenor


Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 24.11.2022 – 10 K 954/19 F wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Terminsverlegung in letzter Minute – BFH IX B 11/23 – Gründe


Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen nicht vor.

Die Entscheidung der Vorinstanz verletzt nicht den Anspruch der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ‑‑GG‑‑, § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3 FGO).

a) Nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann das Gericht “aus erheblichen Gründen” auf Antrag oder von Amts wegen einen Termin aufheben oder verlegen. Liegen erhebliche Gründe im Sinne von § 227 Abs. 1 ZPO vor, verdichtet sich die in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessensfreiheit zu einer Rechtspflicht.

Terminsverlegung in letzter Minute – BFH IX B 11/23

In diesem Fall muss der Termin zur mündlichen Verhandlung zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits durch die Verlegung verzögert würde (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 08.11.2016 – I B 137/15, BFH/NV 2017, 433, Rz 11 und vom 05.05.2020 – III B 158/19, BFH/NV 2020, 905, Rz 8, m.w.N.). Die erheblichen Gründe sind auf Verlangen des Vorsitzenden, für eine Vertagung auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 2 ZPO).

In einer plötzlichen Erkrankung eines nicht fachkundig vertretenen Beteiligten, die dessen Erscheinen zum Verhandlungstermin entgegensteht, kann ein erheblicher Grund für eine Terminsverschiebung liegen. Ob im Einzelfall eine Terminsaufhebung und -verlegung gerechtfertigt ist, muss das Finanzgericht (FG) anhand der ihm bekannten Umstände beurteilen.

Dazu muss es in der Lage sein, sich über das Vorliegen eines Verlegungsgrundes ein eigenes Urteil zu bilden. Die Voraussetzungen hierfür zu schaffen ist Aufgabe desjenigen, der die Verlegung beantragt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19.11.2009 – IX B 160/09, BFH/NV 2010, 454, Rz 4 und vom 08.11.2016 – I B 137/15, BFH/NV 2017, 433, Rz 12).

Wird ein Antrag auf Terminsverlegung “in letzter Minute” gestellt, muss der Beteiligte von sich aus den Verlegungsgrund glaubhaft machen (z.B. BFH-Beschluss vom 05.05.2020 – III B 158/19, BFH/NV 2020, 905, Rz 8, m.w.N.; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 91 FGO Rz 133).

Wird der “in letzter Minute” gestellte Verlegungsantrag mit einer Erkrankung begründet, obliegt es nach der ständigen Rechtsprechung des BFH dem Beteiligten, die Gründe für die Verhinderung so darzulegen und zu untermauern, dass das FG die Frage, ob die betreffende Person verhandlungs- und reiseunfähig ist oder nicht, selbst beurteilen kann.

Terminsverlegung in letzter Minute – BFH IX B 11/23

Ein zu diesem Zweck vorgelegtes ärztliches Attest muss deshalb die Verhandlungsunfähigkeit eindeutig und nachvollziehbar beschreiben und sich zur Art und Schwere der Erkrankung äußern (vgl. u.a. BFH-Beschlüsse vom 19.11.2009 – IX B 160/09, BFH/NV 2010, 454, Rz 4; vom 25.10.2012 – X B 130/12, BFH/NV 2013, 228, Rz 5; vom 08.11.2016 – I B 137/15, BFH/NV 2017, 433, Rz 12 und vom 04.11.2019 – X B 70/19, BFH/NV 2020, 226, Rz 10).

Wird das Gericht bereits vor Einreichung eines ärztlichen Attests über eine schwerwiegende Erkrankung des Beteiligten informiert, reicht ein Attest aus, in dem lediglich bescheinigt wird, der Beteiligte sei nicht in der Lage, einen Gerichtstermin wahrzunehmen (vgl. BFH-Beschluss vom 25.10.2012 – X B 130/12, BFH/NV 2013, 228, Rz 5).

b) Nach diesen Maßstäben lagen im Streitfall die Voraussetzungen für eine Terminsverlegung nicht vor. Da der Antrag auf Verlegung in dem der mündlichen Verhandlung vorangehenden Termin im Verfahren 10 K 3107/18 F gestellt wurde, sind die oben genannten Grundsätze für “in letzter Minute” gestellte Anträge anzuwenden.

Der Vertreter der Klägerin (Klägervertreter) hatte jedoch seine Verhandlungsunfähigkeit nicht hinreichend dargelegt.

Seitens des FG ließ sich aus dem mündlichen Vortrag des Klägervertreters weder Art und Schwere der Erkrankung entnehmen noch hat dieser mitgeteilt, ob es sich um eine plötzlich und unerwartet aufgetretene Krankheit oder um eine bereits seit längerem bestehende Krankheit handelte.

Terminsverlegung in letzter Minute – BFH IX B 11/23

Ebenso wenig lässt sich den Ausführungen des Klägervertreters im Verfahren 10 K 3107/18 F entnehmen, ob und gegebenenfalls inwieweit die Krankheit Einfluss auf die Fähigkeit, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, hatte. Keinen Verlegungsgrund bildet der Umstand, dass der Klägervertreter subjektiv von seiner Verhandlungsunfähigkeit am Terminstag überzeugt war.

Denn das liefe darauf hinaus, dass ein Beteiligter kurzfristig die Aufhebung jedes Gerichtstermins erreichen könnte, ohne nähere Angaben zu den genauen Auswirkungen der Erkrankung am fraglichen Tag zu machen und dem Gericht auch nur die Möglichkeit einer Überprüfung zu geben.

Das vom Klägervertreter am Folgetag eingeholte und eingereichte Attest kommt nicht als Mittel der Glaubhaftmachung der Verhandlungsunfähigkeit in Betracht. Unabhängig davon, ob es Ausführungen zur Art und Schwere der Krankheit enthält, bezieht es sich ausdrücklich nicht auf die Frage der Verhandlungsfähigkeit am Terminstag.

Ebenso wenig liegt wegen der Nichtverlegung des Termins eine Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG) vor.

a) Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) leitet in ständiger Rechtsprechung aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes den Anspruch auf ein faires Verfahren als “allgemeines Prozessgrundrecht” ab. Danach muss der Richter das Verfahren so gestalten, wie die Beteiligten es von ihm erwarten dürfen.

Terminsverlegung in letzter Minute – BFH IX B 11/23

Er darf sich nicht widersprüchlich verhalten, insbesondere aber darf er aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile für die Beteiligten ableiten und ist allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet

(vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 06.04.1998 – 1 BvR 2194/97, Neue Juristische Wochenschrift ‑‑NJW‑‑ 1998, 2044, unter III.2., m.w.N.; vom 18.07.2013 – 1 BvR 1623/11, NJW 2014, 205, Rz 20, m.w.N.; BFH-Beschlüsse vom 04.03.2020 – XI B 30/19, BFH/NV 2020, 611, Rz 20 und vom 05.05.2020 – III B 158/19, BFH/NV 2020, 905, Rz 16; Lange in HHSp, § 115 FGO Rz 243).

b) Eine solche Rechtsverletzung liegt im Streitfall nicht vor. Es ist nicht erkennbar, dass sich das FG verfahrensfehlerhaft oder widersprüchlich verhalten hat. Vielmehr hat es die von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Mittel genutzt, um dem Verfahren Fortgang zu geben und es einer Entscheidung zuzuführen. Dass diese Entscheidung zu Lasten der Klägerin ausgefallen ist, stellt keine Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren dar.

Soweit sich die Ausführungen der Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung auf materielle Mängel hinsichtlich der Ablehnung des Schuldzinsenabzugs seitens des FG beziehen und sich damit gegen die materielle Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung richten, wird damit keiner der in § 115 Abs. 2 FGO abschließend aufgeführten Zulassungsgründe dargetan, sondern nur, dass das FG nach Auffassung der Klägerin falsch entschieden habe.

Die Rüge fehlerhafter Rechtsanwendung vermag die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO grundsätzlich nicht zu begründen.

Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weiter gehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Terminsverlegung in letzter Minute – BFH IX B 11/23

Schlagworte

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Warnhinweis:

Die auf dieser Homepage wiedergegebenen Gerichtsentscheidungen bilden einen kleinen Ausschnitt der Rechtsentwicklung über mehrere Jahrzehnte ab. Nicht jedes Urteil muss daher zwangsläufig die aktuelle Rechtslage wiedergeben.

Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.

Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.

Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

Benötigen Sie eine Beratung oder haben Sie Fragen?

Rufen Sie uns an oder schreiben Sie uns eine E-Mail, damit wir die grundsätzlichen Fragen klären können.

Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.

Letzte Beiträge

logo, concept, paragraph

Einziehung von Geschäftsanteilen – prozentuale Beteiligung der verbleibenden Geschäftsanteile – OLG München 31 Wx 16/22

April 19, 2024
Einziehung von Geschäftsanteilen – prozentuale Beteiligung der verbleibenden Geschäftsanteile – OLG München 31 Wx 16/22   TenorDer Beschluss …
woman in gold dress holding sword figurine

Beteiligung Kommanditist an Komplementär-GmbH als funktional (un)wesentliche Betriebsgrundlage seines Mitunternehmeranteils – BFH IV R 9/20

März 30, 2024
Beteiligung Kommanditist an Komplementär-GmbH als funktional (un)wesentliche Betriebsgrundlage seines Mitunternehmeranteils – BFH IV R 9/20Be…
brown wooden gavel on brown wooden table

Auslegungsfähigkeit eines Einspruchs – BFH V R 42/21

Februar 9, 2024
Auslegungsfähigkeit eines Einspruchs – BFH V R 42/21 – Urteil vom 12. Oktober 2023, Gegen die Ablehnung des Änderungsantragsvorgehend Thüring…