BGH, Urteil vom 23. November 2018 – V ZR 33/18
Erbbaurechtsvertrag: Wirksamkeit eines formularmäßigen Ausschlusses der Abwendungsbefugnis des Grundstückseigentümers
Leitsatz
Eine in einem Erbbaurechtsvertrag formularmäßig verwendete Klausel, wonach die Abwendungsbefugnis des Grundstückseigentümers nach § 27 Abs. 3 ErbbauRG schuldrechtlich oder als Inhalt des Erbbaurechts ausgeschlossen ist, widerspricht dem gesetzlichen Leitbild des Erbbaurechts und ist nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB im Zweifel unwirksam. Das gilt auch dann, wenn in dem Erbbaurechtsvertrag die Entschädigung, die der Grundstückseigentümer dem Erbbauberechtigten nach Erlöschen des Erbbaurechts durch Zeitablauf zu leisten hat, auf zwei Drittel des Verkehrswerts des Bauwerks begrenzt wird.(Rn.15)
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 25. Januar 2018 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Beklagten sind in ungeteilter Erbengemeinschaft Miteigentümer zweier Grundstücke. Ihre Rechtsvorgänger bestellten mit notariellem Vertrag vom 28. Januar 1983 an diesen Grundstücken ein Gesamterbbaurecht für die Dauer von mindestens 30 Jahren. In Abschnitt III des Erbbaurechtsvertrags (nachfolgend: ErbbV) heißt es unter § 6:
„Zeitablauf
Die Klägerin erwarb 1984 das Erbbaurecht und errichtete auf den Grundstücken einen Verbrauchermarkt. Am 10. Mai 2014 endete die Laufzeit des Erbbaurechtsvertrags. Der von der Klägerin beauftragte Sachverständige ermittelte einen Verkehrswert der errichteten Bauwerke von 1.400.000 €. Gestützt auf § 27 Abs. 3 Satz 1 ErbbauRG boten die Beklagten der Klägerin an, das Gesamterbbaurecht um zehn Jahre zu den bisherigen Bedingungen zu verlängern, was diese ablehnte. Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin die Zahlung einer Entschädigung von 933.333 €.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und auf die von den Beklagten für den Fall der Klageabweisung erhobene Widerklage die Klägerin verurteilt, die Löschung des Erbbaurechts mit der Maßgabe zu bewilligen, dass diese ohne gleichzeitige Eintragung einer an die Stelle des Erbbaurechts tretenden Entschädigungsforderung zu erfolgen habe. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 212.417,94 € nebst Zinsen ab 11. Mai 2014 verurteilt. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision streben die Beklagten die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils an. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe
I.
Das sachverständig beratene Berufungsgericht meint, die Klägerin könne nach § 27 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG i.V.m. Abschnitt III § 6 Abs. 3 ErbbV die Zahlung einer Entschädigung in Höhe von zwei Dritteln des gerichtlich ermittelten Verkehrswertes in Höhe von 318.626,92 € verlangen. Der Entschädigungsanspruch sei nicht durch das Angebot der Beklagten auf Verlängerung des Erbbaurechts gemäß § 27 Abs. 3 Satz 1 ErbbauRG erloschen, da die gesetzliche Bestimmung im Erbbaurechtsvertrag wirksam abbedungen worden sei. Es könne offen bleiben, ob es sich bei der Klausel um eine Allgemeine Geschäftsbedingung oder vorformulierte Vertragsbedingung handele und ob eine inhaltliche Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB überhaupt zulässig sei. Die Regelung halte einer solchen Kontrolle jedenfalls stand, da sie die Beklagten als Grundstückseigentümer nicht unangemessen im Sinne des § 307 Abs. 2 Nr. 1 u. Abs. 1 BGB benachteilige. Wesentlicher Grundgedanke des § 27 ErbbauRG sei die Zahlung einer Entschädigung an den Erbbauberechtigten als Ausgleich für die auf dem Grundstück errichteten Bauwerke. Je länger das Erbbaurecht bestehe, desto geringer sei der Entschädigungsanspruch. Es obliege somit grundsätzlich den Vertragsparteien, die Dauer des Erbbaurechts und damit die Höhe der Entschädigung festzulegen. Durch § 27 Abs. 3 ErbbauRG werde dem Grundstückseigentümer lediglich die Möglichkeit der Abwendung der Entschädigungszahlung eröffnet, um sich vor wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu bewahren, die sich aus der Entschädigungspflicht namentlich bei gleichzeitigem Ablauf mehrerer Erbbaurechte ergeben könnten. Der Ausschluss der Abwendungsbefugnis unter gleichzeitiger Reduzierung des Entschädigungsanspruchs auf zwei Drittel des Verkehrswertes sei jedenfalls nicht als unbillig anzusehen.
II.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
(1) Mit Ablauf des Erbbaurechts hat der Grundstückseigentümer dem Erbbauberechtigten eine Entschädigung für den Verlust des Eigentums an den auf dem Grundstück befindlichen Bauwerken (§ 12 Abs. 3 ErbbauRG) zu zahlen (§ 27 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG). Dessen Höhe bestimmt sich, wenn nicht ein anderes vereinbart ist, nach dem Verkehrswert des Bauwerks im Zeitpunkt des Erlöschens des Erbbaurechts (vgl. Senat, Urteil vom 6. Dezember 1974 – V ZR 95/73, WM 1975, 256, 257; Urteil vom 3. Oktober 1980 – V ZR 125/79, NJW 1981, 1045, 1047). Diesen Entschädigungsanspruch kann der Grundstückseigentümer nach § 27 Abs. 3 ErbbauRG abwenden, indem er dem Erbbauberechtigten das Erbbaurecht – ggf. wiederholt (vgl. § 27 Abs. 3 Satz 2 ErbbauRG) – vor dessen Ablauf verlängert. Lehnt der Erbbauberechtigte die Verlängerung ab, erlischt der Anspruch auf Entschädigung (§ 27 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 ErbbauRG).
(2) Sinn und Zweck der Abwendungsbefugnis ist es, den Grundstückseigentümer davor zu bewahren, durch die Entschädigungspflicht in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu geraten. Dabei hat der historische Gesetzgeber insbesondere Gemeinden als schutzbedürftig angesehen, die eine größere Zahl von Erbbaurechten zu Wohnzwecken mit gleicher Ablaufzeit bestellt haben und für die deshalb bei Ablauf der Erbbaurechte eine Verpflichtung zur Zahlung von „ziemlich bedeutenden“ Entschädigungssummen entsteht (vgl. RAnz Nr. 26 vom 31. Januar 1919 zu §§ 27 bis 29 ErbbauVO). Er hat das Schutzrecht aber nicht auf die Gemeinden beschränkt, sondern allen Grundstückseigentümern die Möglichkeit eingeräumt, die Verpflichtung zur Zahlung einer Entschädigung durch die Verlängerung des Erbbaurechts abzuwenden.
(3) Der Möglichkeit des Grundstückseigentümers, zwischen der Übernahme des Bauwerks gegen Zahlung einer Entschädigungssumme und der Verlängerung des Erbbaurechts zu wählen, kommt zentrale Bedeutung für den Ausgleich seiner Interessen mit denen des Erbbauberechtigten am Ende der Laufzeit des Erbbaurechts zu. Könnte der Grundstückseigentümer die Entschädigungspflicht nicht abwenden, wäre der Ablauf des Erbbaurechts für ihn unter Umständen mit erheblichen wirtschaftlichen Belastungen verbunden.
(a) Er müsste zum einen die Entschädigungssumme aufbringen. Dies kann ihn in der konkreten Situation nach Vertragsablauf zur Unzeit treffen, wenn es ihm nicht möglich ist, die Entschädigungssumme zu zahlen oder zu finanzieren oder den damit verbundenen Liquiditätsabfluss zu verkraften. Dem könnte der Grundstückseigentümer zwar dadurch vorbeugen, dass er rechtzeitig ausreichende Rücklagen bildet. Das hätte aber beträchtliche Liquidationsverluste während der gesamten Laufzeit des Erbbaurechts zur Folge und wäre, da der Wert des Bauwerks erst am Ende der Laufzeit ermittelt wird, außerdem mit Unsicherheiten verbunden. Sieht der Erbbaurechtsvertrag eine Verlängerungsoption vor, weiß der Grundstückseigentümer zudem auch nicht, wann das Erbbaurecht endet.
(b) Zum anderen müsste der Grundstückseigentümer eine neue Verwendung für das Bauwerk finden. Dies kann insbesondere dann zu Schwierigkeiten führen, wenn es infolge der Marktentwicklung oder seines Zustands nicht nachgefragt ist. Zwar werden sich ungünstige Nutzungs- und Verwertungsmöglichkeiten des Bauwerks regelmäßig bei der Verkehrswertermittlung niederschlagen, die Grundlage der Berechnung der Entschädigung ist. Das Risiko, den ermittelten Verkehrs- bzw. Ertragswert zu realisieren, würde ohne die Regelung in § 27 Abs. 3 ErbbauRG mit dem Ende des Erbbaurechts aber zwingend auf den Grundstückseigentümer übergehen, obwohl er zuvor keinen Einfluss auf die Instandhaltung und Bewirtschaftung und meist auch nicht auf die Nutzung des Bauwerks hatte.
(c) Die Abwendungsbefugnis trägt damit einem wesentlichen Schutzbedürfnis des Grundstückseigentümers Rechnung. Zugleich weist sie das Risiko der weiteren Verwendung des Bauwerks dem Erbbauberechtigten als demjenigen zu, der die baulichen Investitionen getätigt bzw. von seinem Rechtsvorgänger übernommen hat (vgl. RAnz Nr. 26 vom 31. Januar 1919 zu §§ 26 bis 29 ErbbauVO) und der während der Laufzeit des Erbbaurechts für die wirtschaftliche Ausrichtung und die Instandhaltung des Bauwerks verantwortlich war. Das ist interessengerecht. Ist das Bauwerk gewinnbringend nutzbar, entsteht dem Erbbauberechtigten durch die Verlängerung des Erbbaurechts kein wirtschaftlicher Nachteil; sofern er es nicht selbst nutzen will, kann er es vermieten oder aber das Erbbaurecht verkaufen. Ist dies nicht der Fall und hat der Erbbauberechtigte deshalb kein Interesse an der Verlängerung des Erbbaurechts, ist es sachgerecht, ihm die damit verbundenen Nachteile zuzuweisen. Andernfalls würde das während der Laufzeit des Erbbaurechts grundsätzlich von ihm zu tragende Ertragsrisiko (vgl. Senat, Urteil vom 15. April 2016 – V ZR 42/15, NJW 2016, 3100 Rn. 15) nach Ablauf der Zeit, für die das Erbbaurecht bestellt war, zwangsläufig auf den Grundstückseigentümer übergehen.
(4) Der in § 27 Abs. 3 ErbbauRG bestimmte Zeitpunkt, zu dem sich der Grundstückseigentümer zwischen der Zahlung der Entschädigung und der Verlängerung des Erbbaurechts entscheiden kann, gehört ebenfalls zu den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung. Sähe man in dem Ausschluss der Abwendungsbefugnis bei Abschluss des Erbbaurechtsvertrages lediglich eine zeitlich vorverlagerte Entscheidung zwischen Entschädigungszahlung und Verlängerung des Erbbaurechts, würde sich der Grundstückseigentümer zu einem Zeitpunkt seiner durch das Gesetz eingeräumten Wahlmöglichkeit begeben, zu dem er die für die Wahl notwendigen Entscheidungsgrundlagen (eigene wirtschaftliche Situation bei Ende des Erbbaurechts, Zustand des Bauwerks, Verwertungsmöglichkeiten) nicht kennt. Angesichts der langen, typischerweise mehrere Generationen überdauernden Laufzeit von Erbbaurechten ist bei der Bestellung eines solchen Rechts regelmäßig nicht einmal vorhersehbar, ob der Erbbaurechtsausgeber das Ende des Erbbaurechts noch erleben wird, geschweige denn, ob sich für ihn dann die Übernahme des Bauwerks gegen Entschädigungszahlung oder die Verlängerung des Erbbaurechts empfiehlt. Teil des Leitbildes von § 27 Abs. 3 ErbbauRG ist deshalb auch, dass die Abwendungsbefugnis des Grundstückseigentümers am Ende der Laufzeit des Erbbaurechts noch besteht.
Eine solche Regelung liegt insbesondere nicht in der Reduzierung der Entschädigungssumme auf zwei Drittel des Verkehrswerts des Bauwerks. Zwar ist die Gefahr, dass der Grundstückseigentümer durch die Leistung der Entschädigung in finanzielle Schwierigkeiten gerät, umso stärker, je höher diese ist. Selbst eine auf zwei Drittel des Verkehrswerts des Bauwerks beschränkte Entschädigung kann aber, insbesondere bei einem hohen Verkehrswert, zu einer bedeutenden Entschädigungssumme führen, deren Zahlung bzw. Finanzierung dem Grundstückseigentümer nicht möglich ist oder zu einem beträchtlichen Liquiditätsverlust führt.
III.
Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben; es ist aufzuheben. Der Rechtsstreit ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da er nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ZPO). Es muss klären, ob es sich bei der Regelung in Abschnitt III § 6 ErbbV um eine Allgemeine Geschäftsbedingung handelt.
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
Eine nach Fälligkeit erklärte Mahnung durch die Klägerin ist bislang nicht festgestellt. Für sie wäre zu prüfen, ob sie trotz einer Zuvielforderung wirksam wäre (vgl. Senat, Urteil vom 25. Juni 1999 – V ZR 190/98, NJW 1999, 3115 mwN; Urteil vom 28. Januar 2000 – V ZR 252/98, WM 2000, 586).
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Haberkamp | Hamdorf |
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Einige Entscheidungen stellen Mindermeinungen dar oder sind später im Instanzenweg abgeändert oder durch neue obergerichtliche Entscheidungen oder Gesetzesänderungen überholt worden.
Das Recht entwickelt sich ständig weiter. Stetige Aktualität kann daher nicht gewährleistet werden.
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Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.
Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.
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Durch die schlichte Anfrage kommt noch kein kostenpflichtiges Mandat zustande.