BGH IV ZR 400/14
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 28. Mai 2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
BGH IV ZR 400/14
Der Kläger, Sohn des Beklagten, begehrt, dass dieser als Erbe seiner Ehefrau, der am 9. März 2012 verstorbenen Erblasserin, der Mutter des Klägers, für erbunwürdig erklärt wird.
Der Beklagte und seine Ehefrau errichteten am 1. November 1991 ein notarielles Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben sowie ihre drei Kinder, den Kläger und seine beiden Schwestern, zu gleichberechtigten Schlusserben einsetzten.
Ferner war bestimmt, dass, sollte eines der Kinder beim Tod des Erstversterbenden den Pflichtteil verlangen, es auch aus dem Nachlass des Längstlebenden nur den Pflichtteil erhalten und jede zu seinen Gunsten getroffene Verfügung unwirksam sein sollte.
Die seit 1997 an Alzheimer erkrankte Erblasserin wurde 2002 nach einem Krankenhausaufenthalt in ein Alten- und Pflegeheim verlegt.
Im Jahr 2003 erhielt sie nach einem epileptischen Anfall eine PEG-Sonde, über die ihr Nahrung, Flüssigkeit und Medikamente zugeführt wurden.
Sie verließ das Krankenzimmer in der Folgezeit nicht mehr. Eine verbale Kommunikation mit ihr war nicht mehr möglich.
Der als ihr Betreuer eingesetzte Beklagte besuchte sie regelmäßig.
Der Beklagte, der sich in einem depressiven Zustand befand und bereits einen Selbstmordversuch unternommen hatte, durchtrennte am 9. Februar 2012 mittels einer mitgebrachten Schere den Verbindungsschlauch zur Magensonde der Erblasserin und widersprach einer erneuten Verbindung, nachdem das Pflegepersonal seine Handlung entdeckt hatte.
Dem Pflegepersonal gelang es jedoch, die Verbindung zu reparieren.
Die Erblasserin verstarb einen Monat später an einer Lungenentzündung, die in keinem ursächlichen Zusammenhang mit der Tat des Beklagten stand.
Dieser wurde wegen versuchten Totschlags in einem minder schweren Fall (§ 213 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt.
Der Kläger machte nach dem Tod der Erblasserin zunächst einen Pflichtteilsanspruch gegen den Beklagten geltend. Später erhob er Klage auf Feststellung der Erbunwürdigkeit.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht diese abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Gründe
BGH IV ZR 400/14
Die Revision ist begründet; sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Beklagte sei nicht nach § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB erbunwürdig, ohne dass es darauf ankomme, ob er im Zeitpunkt der Tat schuldunfähig gewesen sei.
Er habe zwar vorsätzlich versucht, die Erblasserin durch das Durchtrennen des Verbindungsschlauchs zur Magensonde zu töten und einen minder schweren Fall des versuchten Totschlags i.S. des § 213 StGB begangen. Sein erstmals im Berufungsverfahren gehaltener Vortrag, die Erblasserin habe früher geäußert, nicht menschenunwürdig dahinvegetieren zu wollen, sei nach § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO nicht zu berücksichtigen.
Die gesundheitliche Situation der Erblasserin sei aber seit mehreren Jahren denkbar schwer und kaum erträglich ohne Aussicht auf Besserung gewesen.
Die Handlung des Beklagten sei nicht von einer für Tötungsdelikte typischen aggressiven Motivation, sondern eher von Verzweiflung und einer empfundenen Ausweg- und Aussichtslosigkeit geprägt gewesen.
Die versuchte Tötung in einem minder schweren Fall sei nicht ohne weiteres dazu geeignet, eine Erbunwürdigkeit zu begründen. § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB sei vielmehr als Regelvermutung zu verstehen, die eine Prüfung der besonderen Umstände des Einzelfalles zulasse. Zweck der Bestimmung sei der Schutz der Würde des Erblassers in seiner Eigenschaft als Träger von Testierfreiheit.
Dieser Schutzzweck werde durch das Verhalten des Beklagten nicht berührt. Die Erblasserin sei seit etwa zehn Jahren krankheitsbedingt nicht mehr testierfähig gewesen. Die Frage einer Änderung ihres den Beklagten begünstigenden Testaments habe sich nicht gestellt. Angesichts der tragischen Besonderheiten des Falles erscheine es als nicht angemessen, den Beklagten für erbunwürdig zu erklären.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
1. Gemäß § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist unter anderem erbunwürdig, wer den Erblasser vorsätzlich und widerrechtlich getötet oder zu töten versucht hat.
Die Geltendmachung der Erbunwürdigkeit erfolgt durch Anfechtung des Erbschaftserwerbs im Wege der Anfechtungsklage gemäß §§ 2340, 2342 BGB. Entschieden wird durch Gestaltungsurteil (Senatsbeschluss vom 12. September 2012 – IV ZR 177/11, ZEV 2013, 34 Rn. 7).
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Anfechtungsberechtigt ist jeder, dem der Wegfall des Erbunwürdigen zustattenkommt (§ 2341 BGB). Es muss zumindest die Möglichkeit bestehen, dass der am Wegfall des Unwürdigen Interessierte selbst Erbe wird (Senatsurteil vom 19. April 1989 – IVa ZR 93/88, NJW 1989, 3214 unter 1; MünchKomm-BGB/Helms, 6. Aufl. § 2341 Rn. 2).
Dies richtet sich nach § 2344 BGB. Ist ein Erbe für erbunwürdig erklärt, so gilt der Anfall an ihn als nicht erfolgt (Abs. 1).
Die Erbschaft fällt demjenigen an, welcher berufen sein würde, wenn der Erbunwürdige zur Zeit des Erbfalls nicht gelebt hätte (Abs. 2). Dies ist hier der Kläger, da er im Falle des rückwirkenden Wegfalls des Beklagten neben seinen Schwestern als testamentarischer – jedenfalls aber als gesetzlicher – Erbe der Erblasserin in Betracht kommt (zur Ermittlung des neuen Anfallsberechtigten vgl. Staudinger/Olshausen, BGB (2015) § 2344 Rn. 14).
Infolge der Rückwirkung der Erbunwürdigerklärung ist es – anders als die Revisionserwiderung meint – unerheblich, dass der Kläger nach dem Tod der Erblasserin zunächst einen Pflichtteilsanspruch gegen den Beklagten geltend gemacht hat.
Die im Testament vorgesehene Pflichtteilsstrafklausel greift hier nicht ein, da sie lediglich den Fall betrifft, dass der überlebende Ehegatte Vollerbe des zuerst Versterbenden geworden ist und ein Kind Pflichtteilsansprüche nach diesem geltend macht. In einem solchen Fall soll das Kind auch nach dem Längstlebenden nur den Pflichtteil erhalten und die weiter getroffene Verfügung in Form der Schlusserbeneinsetzung unwirksam sein.
Hier geht es indessen nicht um die Erbfolge nach dem Beklagten, sondern um diejenige nach der Mutter. Im Falle der Begründetheit der Erbunwürdigkeitsklage hat diese zur Folge, dass der Beklagte bereits nicht Vollerbe nach der Erblasserin geworden ist, sondern die Kinder der Eheleute an seine Stelle einrücken.
Der Sinn und Zweck einer Pflichtteilsstrafklausel, dem überlebenden Ehegatten den Nachlass möglichst vollständig zu erhalten und die Kinder daran zu hindern, Ansprüche bereits nach dem Tod des Erstversterbenden geltend zu machen (vgl. MünchKomm-BGB/Leipold, 6. Aufl. § 2074 Rn. 45), greift in einem solchen Fall nicht ein.
Ob und inwieweit sich der Kläger erhaltene Zahlungen im Rahmen der Erbauseinandersetzung mit seinen Geschwistern anrechnen lassen muss, betrifft lediglich das Verhältnis dieser Miterben untereinander, nicht dagegen die Rechtsbeziehung zum Beklagten.
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2. Mit der gegebenen Begründung durfte das Berufungsgericht die Erbunwürdigkeit des Beklagten gemäß § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht verneinen.
a) Die Vorschrift erfasst auch den Fall der versuchten vorsätzlichen Tötung, den der Gesetzgeber – anders als noch im ursprünglichen Entwurf vorgesehen – der vollendeten Tötung gleichgestellt hat (vgl. Protokolle Bd. V S. 635 f.).
Unter den Begriff der vorsätzlichen und widerrechtlichen Tötung im Sinne des Strafrechts fallen Taten gemäß §§ 211, 212 StGB
(vgl. MünchKomm-BGB/Helms, 6. Aufl. § 2339 Rn. 15;
Soergel/Damrau, BGB 13. Aufl. § 2339 Rn. 4;
Staudinger/Olshausen, BGB (2015) § 2339 Rn. 30;
Müller-Christmann in Bamberger/Roth, BGB 3. Aufl. § 2339 Rn. 7).
Hier ist der Beklagte wegen versuchten Totschlags in einem minder schweren Fall gemäß §§ 212, 213, 21, 22, 23 StGB verurteilt worden.
Bei § 213 StGB handelt es sich nach herrschender strafrechtlicher Auffassung nicht um einen eigenständigen Tatbestand, sondern lediglich um eine Strafzumessungsregel
(vgl. BGHSt 21, 14;
Fischer, StGB 61. Aufl. § 213 Rn. 1).
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Nicht erfasst von den strafrechtlichen Tötungsdelikten i.S. des § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB wird lediglich die Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB
(MünchKomm-BGB/Helms aaO Rn. 13, 15;
Soergel/Damrau aaO; Staudinger/Olshausen aaO;
Müller-Christmann in Bamberger/Roth aaO).
Dies rechtfertigt sich aus der Wertung des § 2343 BGB, weil eine Tötung auf Verlangen ebenso zu behandeln ist wie die Verzeihung, die ebenfalls die Anfechtung wegen Erbunwürdigkeit ausschließt.
Hier liegt nach den bisher getroffenen Feststellungen eine Tötung auf Verlangen nicht vor.
So wird bereits im Strafurteil ausgeführt, der Beklagte habe die Sonde durchschnitten, um sämtliche lebensverlängernden Maßnahmen zu beenden, obwohl es hierfür an einem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Einverständnis seiner Ehefrau gefehlt habe.
Sie habe einen diesbezüglichen Willen weder schriftlich noch mündlich geäußert.
Der Beklagte habe ihren Willen auch nicht aus sonstigen früheren Äußerungen oder ihren ethischen oder persönlichen Wertvorstellungen herzuleiten vermocht.
Zwar entfaltet das Strafurteil keine Bindungswirkung für das Zivilverfahren (Senatsbeschluss vom 16. März 2005 – IV ZR 140/04, ZEV 2005, 307 Rn. 2).
Der Zivilrichter muss sich aber mit den Feststellungen im Strafurteil auseinandersetzen, die für seine eigene Würdigung relevant sind. Hier ist nicht ersichtlich und wird auch vom Beklagten nicht mit Substanz vorgetragen, dass ein Fall von § 216 StGB vorliegt.
Dies kam schon deshalb nicht in Frage, weil eine Kommunikation mit der Erblasserin seit Jahren nicht mehr möglich war.
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Aus diesem Grunde scheidet auch eine Verzeihung gemäß § 2343 BGB aus.
Diese muss ausdrücklich oder stillschweigend erklärt werden und setzt die Kenntnis des Erbunwürdigkeitsgrundes voraus. Eine mutmaßliche Verzeihung genügt demgegenüber nicht
(OLG Stuttgart Rpfleger 1956, 160, 161;
MünchKomm-BGB/Helms, 6. Aufl. § 2343 Rn. 1;
Palandt/Weidlich, BGB 74. Aufl. § 2343 Rn. 1).
Hier steht nicht fest, dass die Erblasserin in dem einen Monat zwischen der versuchten Tötung und ihrem Tod Kenntnis von der Tat des Beklagten erlangt und durch eine nach außen erkennbare Handlung eine Verzeihung zum Ausdruck gebracht hätte.
Die Anforderungen an einen zulässigen Abbruch der lebenserhaltenden Maßnahmen zugunsten der Erblasserin gemäß §§ 1901a ff. BGB sind gleichfalls nicht erfüllt.
Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen seines Gesundheitszustands, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung),
prüft der Betreuer, ob diese Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Ist dies der Fall, hat er dem Willen des Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen (§ 1901a Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB).
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Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor, da die Erblasserin keine Patientenverfügung hinterlassen hat. In dieser Lage bedarf die vom Betreuer beabsichtigte Einwilligung in den Abbruch der künstlichen Ernährung des einwilligungsunfähigen Betroffenen nach § 1904 Abs. 2 BGB grundsätzlich der betreuungsgerichtlichen Genehmigung
(vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2014 – XII ZB 202/13, NJW 2014, 3572 Rn. 11 f.).
Hieran fehlt es, da sich der Beklagte um eine derartige Genehmigung nicht bemüht hat. Eine solche Genehmigung ist gemäß § 1904 Abs. 4 BGB nur dann nicht erforderlich, wenn zwischen dem Betreuer und dem behandelnden Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Nichterteilung oder der Widerruf der Einwilligung dem nach § 1901a BGB festgestellten Willen des Betreuten entspricht (BGH aaO Rn. 17).
Dem Schutz des Patienten vor einem etwaigen Missbrauch der Betreuerbefugnisse wird mithin durch die wechselseitige Kontrolle zwischen Arzt und Betreuer Rechnung getragen.
Auch eine derartige Konstellation ist nicht gegeben, da der Beklagte ein Einvernehmen mit dem behandelnden Arzt nicht hergestellt hat.
b) Eine einschränkende Auslegung von § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB – wie sie das Berufungsgericht vorgenommen hat – kommt hier nicht in Betracht. Nach dieser Regelung “ist” erbunwürdig, wer einen der im Einzelnen dort genannten Tatbestände erfüllt.
Auf dieser Grundlage ist anerkannt, dass es auf die Motive des Erbunwürdigen nicht ankommt, er den Tatbestand des § 2339 Abs. 1 BGB mithin selbst dann erfüllt, wenn er aus anerkennenswerten Motiven gehandelt hat
(so Senatsbeschluss vom 27. Februar 2008 – IV ZR 138/07, ZEV 2008, 193 für § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB;
Muscheler, Erbrecht II 2010 Rn. 3137, 3161;
ders. ZEV 2009, 58, 59; ders. 101, 102;
MünchKomm-BGB/Helms, 6. Aufl. § 2339 Rn. 13;
Soergel/Damrau, BGB 13. Aufl. § 2339 Rn. 2;
Staudinger/Olshausen, BGB (2015) § 2339 Rn. 31, 23;
Palandt/Weidlich, BGB 74. Aufl. § 2339 Rn. 3).
In diese Richtung weist auch die Entstehungsgeschichte (vgl. Motive Bd. V S. 517: “Es kommt nicht in Betracht, ob die Absicht des Handelnden auf einen Eingriff in die Testierfreiheit gerichtet war. …”).
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Daher entspricht es der überwiegenden Auffassung zum Erbunwürdigkeitsgrund des § 2339 Abs. 1 Nr. 4 BGB, dass es nicht darauf ankommt, ob der Erbunwürdige mit der Fälschung des Testaments möglicherweise nur den tatsächlichen oder vermuteten Willen des Erblassers durchsetzen wollte
(Senatsbeschluss vom 27. Februar 2008 – IV ZR 138/07, ZEV 2008, 193;
BGH, Urteil vom 20. Oktober 1969 – III ZR 208/67, NJW 1970, 197 unter 2 b;
OLG Stuttgart ZEV 1999, 187, 188; Muscheler, Erbrecht II 2010 Rn. 3161;
Staudinger/Olshausen, BGB (2015) § 2339 Rn. 23;
Palandt/Weidlich, BGB 74. Aufl. § 2339 Rn. 7;
kritisch hierzu MünchKomm-BGB/Helms, 6. Aufl. § 2339 Rn. 13).
Im Schrifttum wird verschiedentlich die Auffassung vertreten, das Gesetz gehe bei den in § 2339 BGB genannten Verfehlungen lediglich typisierend davon aus, dass der hypothetische Erblasserwille auf eine Enterbung des Täters gerichtet sei.
Wegen der ausdrücklich vorgesehenen Möglichkeit der Verzeihung nach § 2343 BGB könne von einer Art widerlegbarer gesetzlicher Vermutung gesprochen werden (vgl. MünchKomm-BGB/Helms aaO § 2339 Rn. 2; Staudinger/Olshausen aaO § 2339 Rn. 6).
Auf dieser Grundlage wird teilweise angenommen, bei einem Totschlag in einem minder schweren Fall sei gemäß § 213 StGB wegen der anzuwendenden Regelvermutung nicht von Erbunwürdigkeit auszugehen (Schulz, ErbR 2012, 276, 277 f.).
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Dem ist nicht zu folgen.
Maßgebend für die Beurteilung der Frage, ob eine teleologische Reduktion von § 2339 Abs. 1 BGB oder die Anwendung der Vorschrift als widerlegbare gesetzliche Vermutung möglich ist, ist der Gesetzeszweck der Erbunwürdigkeitsvorschriften.
Dieser wird unterschiedlich beurteilt
(vgl. hierzu ausführlich MünchKomm-BGB/Helms, 6. Aufl. § 2339 Rn. 2;
Muscheler, Erbrecht II 2010 Rn. 3141-3148;
ders. ZEV 2009, 58, 60 f.;
ferner Staudinger/Olshausen, BGB (2015) § 2339 Rn. 4-6).
Nach Auffassung des Senats ist die Erbunwürdigkeit gemäß § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB eine spezifisch erbrechtliche Sanktion auf schwerstes vorsätzlich begangenes Handlungsunrecht, das es als unerträglich erscheinen ließe, wenn der Nachlass des Opfers auf den Täter überginge (Urteil vom 25. November 1987 – IVa ZR 160/86, BGHZ 102, 227, 231).
Das rückt die Erbunwürdigkeit in die Nähe schuldhaft begangener unerlaubter Handlungen.
Die Verwirkung des Erbrechts stellt sich insoweit ungeachtet ihres strafähnlichen Charakters als zivilrechtliche Sanktion dar (Senat aaO).
Auf dieser Grundlage kommt eine allgemeine Abwägung mit einem Regel-Ausnahme-Verhältnis, ob Erbunwürdigkeit vorliegt oder nicht, angesichts des Wortlauts, der Entstehungsgeschichte und des Gesetzeszwecks nicht in Betracht.
Erst recht gilt dies für die Auffassung, die § 2339 BGB nicht anwenden will, wenn ein Fall von § 213 StGB vorliegt
(so Schulz, ErbR 2012, 276, 278).
Das Gesetz selbst enthält in § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB typisierende Regelungen, bei denen unabhängig von den Umständen des Einzelfalles von schwerem Handlungsunrecht auszugehen ist, welches die Erbunwürdigkeit des Erben begründet.
Auf die Regelung über die Verzeihung nach § 2343 BGB kann für eine allgemeine Abwägung im Rahmen von § 2339 BGB nicht abgestellt werden.
Erforderlich für eine Verzeihung ist, dass der Erblasser selbst noch in der Lage war, auf das Verhalten des Täters zu reagieren, was in Fällen wie dem hier zu beurteilenden nicht der Fall ist.
Auf eine “hypothetische Verzeihung” kommt es bei §§ 2339, 2343 BGB demgegenüber nicht an.
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Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass es zu Tötungen oder Tötungsversuchen an Erblassern kommt, ohne dass die Voraussetzungen einer Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB oder diejenigen einer Patientenverfügung gemäß § 1901a ff. BGB erfüllt sind.
Dies ist der Fall, wenn der Täter, weil er einen vermeintlichen Willen des Erblassers vollziehen will oder die gesundheitliche Lage des Erblassers für aussichtslos oder unwürdig hält, ohne Rücksprache mit Ärzten, Betreuungsgericht etc. die Dinge selbst in die Hand nimmt
(vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2014 – XII ZB 202/13, NJW 2014, 3572 Rn. 18).
Dem Beklagten ist zuzubilligen, dass er sich in einer persönlich äußerst schwierigen Situation befand. Gleichwohl gab ihm das nicht das Recht, einseitig die Behandlung der Erblasserin abzubrechen mit dem Ziel, ihren Tod herbeizuführen.
Allein auf die tragischen Umstände des Falles abzustellen, um eine Erbunwürdigkeit zu verneinen, begründet der Gefahr, dass die Konturen der §§ 2339, 2343 BGB verwischt werden.
Ob ausnahmsweise unter Anwendung des Rechtsgedankens des § 2343 BGB keine Erbunwürdigkeit in Betracht kommt, wenn ein in der Vergangenheit – auch formlos – geäußerter Wille des Erblassers ermittelt werden kann,
im Falle bestimmter Krankheitsverläufe lebenserhaltende Maßnahmen nicht durchführen zu lassen oder abzubrechen, muss hier nicht entschieden werden. Hierzu fehlt es bislang an Feststellungen des Berufungsgerichts.
3. Auf dieser Grundlage wird das Berufungsgericht die weitere Frage der Schuldfähigkeit des Beklagten, die es von seinem Standpunkt aus folgerichtig offengelassen hat, zu klären haben.
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a) Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, für den Pflichtteilsentziehungsgrund des § 2333 Nr. 1 BGB komme es nicht auf Schuldfähigkeit an, sondern es genüge, dass der Täter “jedenfalls in einem natürlichen Sinne vorsätzlich gehandelt” habe
(BVerfGE 112, 332, 359 f.).
Ausdrücklich offen gelassen hat es, ob bei § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB aus verfassungsrechtlichen Gründen eine entsprechende Auslegung geboten ist (aaO 361 f.).
Auch der Senat hat diese Frage bisher nicht entscheiden müssen (Beschluss vom 13. April 2011 – IV ZR 102/09, ZEV 2011, 370 Rn. 2).
Im Schrifttum wird teilweise die Auffassung vertreten, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei auf § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB zu übertragen
(so etwa Holtmeyer, ZErb 2010, 6, 7).
Dem folgt die überwiegende Meinung nicht und hält daran fest, dass bei § 2339 Abs. 1 Nr. 1 BGB Schuldfähigkeit zu fordern sei
(so etwa MünchKomm-BGB/Helms, 6. Aufl. § 2339 Rn. 11;
Staudinger/Olshausen, BGB (2015) § 2339 Rn. 25;
Muscheler, Erbrecht II 2010 Rn. 3159; ders. ZEV 101, 102;
Palandt/Weidlich, BGB 74. Aufl. § 2339 Rn. 3).
Die letztgenannte Ansicht trifft zu. Für sie spricht, dass die Pflichtteilsentziehung und die Erbunwürdigkeit verschiedene Zielsetzungen haben.
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Bei der Pflichtteilsentziehung geht es um die Realisierung eines tatsächlich geäußerten Erblasserwillens im Sinne einer Ausdehnung seiner ursprünglich eingeschränkten Testierfreiheit.
Unter Berücksichtigung von Art. 14 Abs. 1 GG spricht dies dafür, an die Gründe der Pflichtteilsentziehung keine zu hohen Anforderungen zu stellen.
Bei der Erbunwürdigkeit ist demgegenüber ein bloß hypothetischer Erblasserwille zu beurteilen.
Hier lässt sich bei schuldlosen Verfehlungen nicht ohne weiteres sagen, dass ein vollständiger Ausschluss naher Angehöriger oder testamentarisch Bedachter von der Erbschaft typischerweise gewollt ist
(so zu Recht MünchKomm-BGB/Helms, Staudinger/Olshausen, je aaO).
b) Ist mithin am Erfordernis der Schuldfähigkeit festzuhalten, so muss hierüber Beweis erhoben werden. Darlegungs- und beweispflichtig für die Schuldunfähigkeit im Rahmen von § 2339 Abs. 1 BGB ist in entsprechender Anwendung von § 827 BGB derjenige, der sich auf seine Unzurechnungsfähigkeit beruft
(Senatsurteil vom 25. November 1987 – IVa ZR 160/86, BGHZ 102, 227, 230 f.).
Der Beklagte hat ausdrücklich seine Unzurechnungsfähigkeit geltend gemacht
Die hierzu erforderlichen Feststellungen wird das Berufungsgericht nachzuholen haben.
Außerdem gibt die Aufhebung und Zurückverweisung Gelegenheit, gegebenenfalls noch Feststellungen zu der Frage eines Patientenwillens der Erblasserin zu treffen.
Mayen
Harsdorf-Gebhardt
Dr. Karczewski
Lehmann
Dr. Brockmöller
Vorinstanzen:
LG Gießen, Entscheidung vom 27.05.2013 – 2 O 417/12 –
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 28.05.2014 – 1 U 152/13 –
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