OLG Hamm 11 U 273/09

September 25, 2022

OLG Hamm 11 U 273/09, Urteil vom 10.02.2010 – Kausalität der Amtspflichtverletzung bei Unterlassen einer durch den Notar gebotenen Sachverhaltsaufklärung

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 28. August 2009 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Siegen wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe OLG Hamm 11 U 273/09

I.

Die Klägerin nimmt den Beklagten aus eigenem Recht und aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes wegen Verletzung seiner Amtspflichten als Notar auf Schadensersatz in Anspruch.

Sie wirft ihm vor, bei der Beurkundung eines Grundstückskaufvertrages absprachewidrig eine für sie nachteilige Regelung aufgenommen zu haben, durch die sie als Veräußerer später festgesetzte Erschließungsbeiträge hätten übernehmen müssen.

Der Ehemann der Klägerin – der Zeuge R – ist Leiter des Bauordnungs- u. Bauplanungsamtes der Stadt Z1. Er und die Klägerin waren Eigentümer eines Grundstücks in der benachbarten Gemeinde X, Gemarkung I, Flur X, Flurstück 497 (postalisch: B-Straße 20).

Der Bau- und Planungsausschuss der Gemeinde X fasste am 17.06.1998 den Beschluss, den Bereich der Grundstücke B-Straße 18-20 zu erschließen.

Nach entsprechender Errichtung der Erschließungsanlage wurden die Klägerin und der Zeuge R durch Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde X vom 26.06.2001 zur Zahlung eines Erschließungskostenbeitrags in Höhe von 10.768,16 DM (entsprechend 5.505,67 EUR) herangezogen.

Der gegen diesen Bescheid erhobene Widerspruch vom 18.07.2001 wurde durch Widerspruchsbescheid vom 15.10.2001 als unbegründet zurückgewiesen, wobei zuvor am 20.08.2001 die beantragte Aussetzung der Vollziehung des Beitragsbescheides bewilligt worden war.

Die Klägerin und der Zeuge R machten am 14.11.2001 bei dem Verwaltungsgericht Arnsberg – 6 K 4519/01 – eine Anfechtungsklage gegen den Beitragsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides anhängig.

Die Berichterstatterin der 6. Kammer des Verwaltungsgerichts führte am 23.07.2002 einen Ortstermin B-Straße 20 durch, bei dem zugleich die Sach- und Rechtslage erörtert wurde.

In der Folgezeit entschlossen die Klägerin und der Zeuge R sich, das Grundstück in X zu veräußern und sie erteilten einem Immobilienmakler, dem Zeugen N, einen Vermittlungsauftrag. Der Zeuge N benannte als Kaufinteressenten Herrn Dr.-Ing. K und dessen Ehefrau y, die das Objekt mehrfach besichtigten und sodann den Kaufentschluss fassten.

Die Beurkundung des entsprechenden Kaufvertrages sollte der Beklagte durchführen. Zu diesem Zweck teilte der Zeuge N dem Beklagten am 28.04.2003 mit, dass am 30.04.2003 ein Beurkundungstermin stattfinden soll.

Der Zeuge N übersandte dem Beklagten zur Vorbereitung der Vertragsurkunde eine detaillierte Aufstellung über den Inhalt des beabsichtigten Kaufvertrages.

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Im Vorfeld der Beurkundung meldete der Zeuge R sich telefonisch bei dem Beklagten. Er setzte ihn über das seinerzeit noch bei dem Verwaltungsgericht Arnsberg wegen des Erschließungsbeitrags anhängige Verfahren in Kenntnis. Der genaue Inhalt des Telefonats ist zwischen den Prozessparteien streitig.

Am 30.04.2003 beurkundete der Beklagte zu seiner UR-Nr. …/03 den vorgesehenen Grundstückskaufvertrag. Der Kaufpreis belief sich auf 292.000,– EUR. Im Hinblick auf den Erschließungsbeitrag fand folgende vom Beklagten aufgesetzte Formulierung unter Ziff. II. 3. Eingang in die vertragliche Regelung:

Der Käufer erklärt, dass hinsichtlich der noch zu zahlenden Ersterschließungsbeiträge nach BauGB ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg anhängig ist, dem Widerspruch der Verkäufer wurde bislang nicht abgeholfen. Sollten die Erschließungsbeiträge entrichtet werden müssen, werden diese von den Verkäufern gezahlt.

In dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg fand am 10.07.2003 ein Verhandlungstermin statt, in dem der Sitzungsvertreter des Bürgermeisters der Gemeinde X den Heranziehungsbescheid zurücknahm und den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärte.

Mit Schreiben vom 07.03.2006 kündigte der Bürgermeister der Gemeinde X gegenüber den Erwerbern Dr. K und Frau y an, sie zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 5.335,28 EUR heranziehen zu wollen.

Daraufhin baten die Erwerber die Klägerin und den Zeugen R mit Schreiben vom 11.03.2006 um Übernahme dieses Betrages im Hinblick auf die unter Ziff. II. 3. des notariellen Vertrages getroffene Regelung, wonach die Verkäufer die Erschließungsbeiträge übernehmen würden.

Die Klägerin und der Zeuge R erwiderten mit Schreiben vom 15.03.2006, dass eine Übernahme des Erschließungsbeitrages nicht in Betracht komme.

Die Regelung unter Ziff. II. 3. beziehe sich nur auf die Übernahme des Erschließungsbeitrages, der mit Bescheid vom 26.06.2001 festgesetzt und seinerzeit vom Verwaltungsgericht Arnsberg überprüft worden sei. Nach Aufhebung des Bescheides sei die Beitragspflicht der Verkäufer weggefallen. Es bestehe kein Anlass, den nunmehr neu festzusetzenden Beitrag an die Käufer zu erstatten.

Durch Bescheid vom 10.05.2006 wurden Dr. K und seine Ehefrau zur Entrichtung eines Erschließungskostenbeitrags in Höhe von 5.335,28 EUR herangezogen. Der von ihnen dagegen am 06.06.2006 erhobene Widerspruch wurde durch Bescheid vom 30.08.2006 zurückgewiesen.

Daraufhin wandte sich Dr. K mit Schreiben vom 09.09.2006 erneut an die Klägerin und den Zeugen R mit dem Angebot, das bevorstehende Verfahren beim Verwaltungsgericht Arnsberg stellvertretend auf eigenes Kostenrisiko zu führen.

Aus dem Schreiben geht zudem hervor, dass das Verwaltungsgericht Arnsberg in dem vorausgegangenen Rechtsstreit nur die öffentliche Widmung der neu erstellten Erschließungsanlage bezweifelt und deshalb der Gemeinde X die Aufhebung des Bescheides empfohlen habe.

Diese Widmung sei am 24.08.2005 nachgeholt worden. Zudem verwies Dr. K auf ein weiteres Schreiben der Gemeinde X vom 31.03.2006 in dem bestätigt worden sei, dass der nunmehr zum zweiten Mal geltend gemachte Erschließungsbeitrag vollständig in dem durch Bescheid vom 26.06.2001 festgesetzten Beitrag enthalten gewesen sei.

Die Klägerin und der Zeuge R gingen auf das Angebot der Prozessführung nicht ein. Der Festsetzungsbescheid über den Beitrag in Höhe von 5.335,28 EUR wurde bestandskräftig.

Mit Klageerhebung vom 17.11.2006 nahmen Dr. K und seine Ehefrau die Klägerin und den Zeugen R in einem vor dem Landgericht Siegen geführten Rechtsstreit – 1 O 171/07 – auf Erstattung des Erschließungsbeitrags in Anspruch, woraufhin die Klägerin und der Zeuge R dem Beklagten am 07.02.2007 den Streit verkündeten.

Durch Urteil vom 07.09.2007 wurden die Klägerin und der Zeuge R antragsgemäß als Gesamtschuldner zur Zahlung von 5.335,28 EUR zzgl. Nebenforderungen verurteilt.

Zur Begründung führte das Landgericht aus, die Regelung in Ziff. II. 3. des notariellen Vertrages sehe eine Kostenlast der Veräußerer vor, die lediglich die gesetzliche Regelung in § 436 Abs. 1 BGB widerspiegele.

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Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung wurde zurückgenommen, nachdem der Vorsitzende des 19. Zivilsenats des OLG Hamm durch Schreiben vom 29.01.2008 auf die Aussichtslosigkeit des Rechtsmittels hingewiesen und ausgeführt hatte, die Klausel sehe aus objektivierter Sicht eine Kostenlast der Verkäufer vor, die interessengerecht sei, weil es sich um eine bereits erstellte Erschließungsanlage handele.

Die Klägerin ließ sich einen etwaigen gegen den Beklagten bestehenden Regressanspruch von ihrem Ehemann am 09.10.2008 – anteilig – abtreten und macht diesen Regressanspruch zum Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.

Dazu hat die Klägerin behauptet: Sie und ihr Ehemann hätten die Erschließungskosten nur insoweit übernehmen wollen, als sie sich gegen einen entsprechenden Heranziehungsbescheid durch Rechtsbehelf hätten zur Wehr setzen können, also nur hinsichtlich des beim Verwaltungsgericht Arnsberg anhängigen Bescheides.

Die Erwerber hingegen hätten die Erschließungsbeiträge übernehmen sollen, sofern sie durch einen neuen Heranziehungsbescheid festgesetzt worden wären, weil sie – die Klägerin und ihr Ehemann – dann keinen Einfluss auf etwaige Rechtsbehelfe hätten nehmen können.

Genau dieses Anliegen sei dem Beklagten ausdrücklich bei der telefonischen Unterredung vor der Beurkundung mitgeteilt worden. Nach ihrer – der Klägerin und ihres Ehemannes – laienhaften Einschätzung sei die gewünschte Regelung der Kostenlast auch in der vom Beklagten in Ziff. II. 3. gewählten Formulierung umgesetzt worden, denn würde man darin lediglich eine Wiederholung der gesetzlichen Regelung sehen, wäre die Klausel überflüssig.

Offenbar habe der Beklagte den gewünschten Parteiwillen aber entgegen § 17 Abs. 1 S. 1 BeurkG nicht unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, denn das Landgericht Siegen und der 19. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm hätten die vertragliche Vereinbarung im Vorprozess anders als gewünscht ausgelegt.

Als Folge dieser pflichtwidrig geschaffenen Unklarheit müsse der Beklagte die Belastung mit dem Erstattungsanspruch der Erwerber ausgleichen und dazu folgende durch Urteil des Landgerichts Siegen – 1 O 235/06 – vom 05.10.2007 titulierte Beträge ersetzen:

● Hauptforderung 5.335,28 EUR

● Zinsen bis 04.03.2008 415,26 EUR

● ausgerechnete Zinsen 79,10 EUR

● außergerichtliche Kosten 356,47 EUR

6.185,95 EUR

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 6.185,95 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat behauptet: Er habe in der streitgegenständlichen Vertragsklausel deutlich und unmissverständlich genau das zum Ausdruck gebracht, was nach seinem damaligen Kenntnisstand Wille der Vertragsparteien gewesen sei – nämlich, dass die Verkäufer uneingeschränkt die (Erst-) Erschließungsbeiträge übernehmen sollten.

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Ihm gegenüber sei weder in dem Telefonat mit dem Zeugen R noch während der Beurkundung deutlich gemacht worden, dass die Käufer – abweichend von der gesetzlichen Regelung – die Erschließungsbeiträge insoweit tragen sollten, als sie durch einen neuen Bescheid festgesetzt würden.

Außerdem habe er – der Beklagte – bei Verlesen der Urkunde auch die Erschließungskosten thematisiert. Bei dieser Gelegenheit sei von Klägerseite nicht zum Ausdruck gebracht worden, dass man eine von der Gesetzeslage abweichende Regelung wünsche.

Der Beklagte hat bezüglich der Kausalität einer etwaigen Pflichtverletzung für den geltend gemachten Schaden bestritten, dass die damaligen Erwerber – wenn ihnen das Ansinnen der Kläger hinsichtlich der Erschließungskosten mitgeteilt worden wäre – den Kaufvertrag überhaupt unterschrieben hätten.

Das Landgericht hat die Parteien angehört, die Zeugen R und N vernommen und die Klage durch Urteil vom 07.08.2009 mit folgender Begründung abgewiesen: Die Klägerin habe nicht den Beweis geführt, dass sie und der Zeuge R mit den Käufern eine von § 436 BGB abweichende Regelung vereinbart hätten. Zwar habe der Zeuge R bei seiner Vernehmung Entsprechendes bestätigt.

Dem stehe aber die nicht minder glaubhafte Aussage des Zeugen N gegenüber, der sich als Verhandlungsstand notiert habe, dass die Erschließungskosten von den Verkäufern zu tragen seien. Eine Amtspflichtverletzung könne auch nicht darin gesehen werden, dass der Beklagte die von ihm behauptete Belehrung über die Erschließungsbeiträge unterlassen habe.

Denn nach den eigenen Angaben der Klägerseite habe vor der Beurkundung ein Telefonat über die Erschließungskosten stattgefunden, so dass keine weitere Belehrungspflicht bestanden habe.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihren erstinstanzlichen Vortrag bekräftigt:

Der Beklagte habe seine Pflicht zur Sachverhaltsklärung nicht ernst genommen und im Übrigen auch seine Pflicht verletzt, die Parteien eingehend über die – nach Ansicht des Beklagten auch unter Zugrundelegung von Ziff. II. 3. weiterhin gültige – gesetzliche Regelung in § 436 BGB zu belehren. Das sei unterblieben, so dass die Klägerseite davon ausgegangen sei, die Käufer würden die Erschließungsbeiträge tragen.

Dass hingegen eine vom gesetzlichen Standard abweichende Vereinbarung mit dem Beklagten telefonisch vorgesprochen gewesen sei, ergebe sich nicht nur aus der Aussage ihres Ehemannes, sondern auch aus der Aussage des Zeugen N.

Denn dieser habe bekundet, der vom Zeugen R gewünschte Regelungsgehalt sei so kompliziert gewesen sei, dass er – der Zeuge N – den Zeugen R vorsorglich an den Beklagten verwiesen habe.

Außerdem habe der Zeuge N bekundet, auch er sei davon ausgegangen, dass die Käufer die Erschließungsbeiträge zu zahlen hätten, die nach der Umschreibung entstehen.

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Genau das werde mit der Klage geltend gemacht, denn die Belastung mit den Erschließungsbeiträgen beruhe auf dem nach der Eigentumsumschreibung erlassenen Bescheid vom 10.05.2006.

Schließlich behauptet die Klägerin alternativ, dass Herr Dr. K und seine Frau – wäre ihnen im Beurkundungstermin die Kostenaufbürdung erstmals mitgeteilt worden – sie damit einverstanden gewesen wären bzw. dass sich statt dessen ein anderer Interessent gefunden hätte, der ihr Grundstück zu gleichen Konditionen erworben und künftige Erschließungsbeiträge übernommen hätte.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Siegen vom 28.08.2009 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an sie Klägerin 6.185,95 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozent- punkten zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte bezieht sich auf sein erstinstanzliches Vorbringen: Es sei unzutreffend, dass er die Vertragsbeteiligten nicht über die Erschließungskosten belehrt habe.

Dementsprechend habe er auch die – der Gesetzeslage entsprechende – eindeutige Formulierung aufgenommen “Sollten die Erschließungsbeiträge entrichtet werden müssen, werden diese von den Verkäufern bezahlt.”

Dass zusätzlich etwas über das seinerzeitige Gerichtsverfahren in die Urkunde aufgenommen worden sei, habe mit dem nach ausführlichen Schilderungen geäußerten Wunsch des Zeugen R zusammengehangen, dessen Einsatz in dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren positiv zu betonen.

Der Senat hat die Parteien angehört und den Zeugen N mit dem aus dem Berichterstattervermerk vom 10.02.2010 ersichtlichen Inhalt vernommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts in seinem angefochtenen Urteil Bezug genommen.

II.

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Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Die Klägerin kann von dem Beklagten nicht gem. § 19 Abs. 1 S. 1 BNotO – der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage – den Ersatz des vom Landgericht Siegen zu ihren Lasten ausgeurteilten Betrages von insgesamt 6.185,95 EUR verlangen.

1. Die Klägerin geht allerdings im Ansatz zu Recht davon aus, dass dem Beklagten anlässlich der Beurkundung des Grundstückskaufvertrages eine Verletzung seiner aus § 17 BeurkG folgenden notariellen Amtspflichten anzulasten ist.

Nach dieser Regelung soll ein Notar im Vorfeld einer Beurkundung den Willen der Beteiligten erforschen, den Sachverhalt klären und zur Vermeidung von Irrtümern die Beteiligten über die rechtliche Tragweite des Geschäftes belehren (§ 17 Abs. 1 BeurkG).

Sofern Zweifel verbleiben, ob das Rechtsgeschäft dem wahren Willen der Parteien entspricht, soll der Notar diese Bedenken bei der Beurkundung mit den Beteiligten erörtern (§ 17 Abs. 2 BeurkG).

Diesen Obliegenheiten ist der Beklagte nicht gerecht geworden. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlich protokollierten Beweisaufnahme steht für den Senat fest, dass der Zeuge R in dem Telefonat mit dem Beklagten diesem gegenüber den Willen zum Ausdruck gebracht hat, künftig festgesetzte Erschließungsbeiträge mögen von den Erwerbern getragen werden.

Dagegen wiederholte der objektivierte Bedeutungsgehalt der vom Beklagten in Ziff. II. 3. seiner Urkunde gewählten Formulierung lediglich die gesetzliche Regelung in § 436 Abs. 1 BGB, wonach die Veräußerer die auf die bereits errichteten Erschließungsanlagen bezogenen Beiträge zu übernehmen haben.

Der Zeuge R sagte vor dem Landgericht aus, er habe mit Herrn Dr. K und Frau y bei der Hausbesichtigung vereinbart, dass die Erwerber den Erschließungsbeitrag übernehmen sollten, sofern dieser neu festgesetzt werden würde.

Diesen Verhandlungsstand habe er – der Zeuge R – auch dem Beklagten in dem vor der Beurkundung geführten Telefonat mitgeteilt und gebeten, einen entsprechenden Inhalt in den Kaufvertrag aufzunehmen.

Die Glaubhaftigkeit dieser Zeugenaussage steht für den Senat insoweit nicht in Zweifel, als der Zeuge R dem Beklagten den Wunsch nach einer die Erwerber belastenden Kostenregelung mitgeteilt haben will.

Eine solche Intention war aus Sicht der Veräußerer durchaus nachvollziehbar, weil der Zeuge R als Bauamtsleiter die Erfolgsaussichten des bei dem Verwaltungsgericht Arnsberg anhängigen Rechtsstreits gut abschätzen konnte, während es für ihn möglicherweise schwierig sein würde, gegen einen neuen Festsetzungsbescheid vorzugehen, weil dieser an die Erwerber adressiert sein würde.

Deshalb erscheint es als durchaus plausibel, dass für ihn – den Zeugen R – und die Klägerin mit der Erledigung des damaligen Rechtsstreits vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg auch zugleich das “Thema Erschließungsbeitrag” erledigt sein sollte.

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Sofern der Beklagte dagegen abstreitet, dass eine von der Gesetzeslage abweichende Regelung der Kostenlast getroffen werden sollte, mag das nicht ausschließbar seinem subjektiven Verständnis des mit dem Zeugen R geführten Telefonats entsprechen, nicht aber dem maßgeblichen objektivierten Inhalt dieses Gesprächs.

Denn falls der Zeuge R lediglich eine der Gesetzeslage entsprechende Regelung gewünscht hätte, hätte er den Beklagten nicht anzurufen brauchen. Insoweit sagte auch der Zeuge N bei seiner erstinstanzlichen Vernehmung aus, die Vorgaben des Zeugen R hinsichtlich des Erschließungsbeitrags seien “sehr umfangreich” gewesen.

Das spricht ebenfalls gegen den Wunsch nach einer gesetzeskonformen Standardlösung.

Dem Beklagten wiederum oblag es gem. § 17 Abs. 1 S. 1 BeurkG, diesen auf eine Kostenbelastung der Erwerber gerichteten “wahren” Willen der Grundstücksveräußerer zu ermitteln.

Falls sich der Beklagte über den entsprechenden Inhalt dieses Geschäftswillens nicht im Klaren gewesen sein sollte, hätte er bei dem Zeugen R entweder anlässlich des Telefonats oder spätestens im Beurkundungstermin nachfragen müssen, welcher genaue Regelungsgehalt von ihm gewünscht war.

Dieser Obliegenheit ist der Beklagte nicht nachgekommen.

Statt dessen hat er ohne Rückfrage die dem Willen der Klägerin und des Zeugen R widersprechende Formulierung in Ziff. II. 3. des Kaufvertrages aufgenommen, die wiederum auf Klägerseite einen Inhaltsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB) hervorrief über den nur vermeintlich ihrem Willen entsprechenden Bedeutungsgehalt dieser Vertragsklausel.

2. Trotz der pflichtwidrig unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung und Erforschung des Parteiwillens kann die Klägerin von dem Beklagten den geltend gemachten Schaden nicht ersetzt verlangen, weil nicht festgestellt werden kann, dass dieser Schaden auf der dem Beklagten anzulastenden Pflichtverletzung beruht.

Ob ein geltend gemachter Schaden im Sinne des § 19 Abs. 1 S. 1 BNotO aus der Amtspflichtverletzung entstanden ist, richtet sich danach, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten genommen hätten und wie die Vermögenslage des Betroffenen sich darstellen würde, wenn der Notar die Pflichtverletzung nicht begangen hätte (BGH NJW-RR 2009, S. 199 (200); BGH NJW-RR 2003, S. 1498 (1499)).

Sofern einem Notar wie hier – die pflichtwidrige Unterlassung der Aufklärung des Parteiwillens und einer darauf bezogenen Erörterung im Beurkundungstermin angelastet wird, muss untersucht werden, wie die Dinge beim Hinzudenken gerade dieser unterlassenen Handlungen verlaufen wären (BGH NJW-RR 1988, S. 1367 (1368); Ganter/Hertel/Wöstmann, Handbuch der Notarhaftung, 2. Aufl. 2009, Rnr. 2146; Arndt/Lerch/Sandkühler, Kommentar zur BNotO, 6. Aufl. 2008, § 19 Rnr. 139).

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Weil die Beantwortung der damit zusammenhängenden Fragen den Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität betrifft, braucht die Klägerin als Anspruchstellerin wegen des insoweit herabgesetzten Beweismaßes des § 287 ZPO lediglich darzulegen und zu beweisen, dass der Schaden mit deutlich überwiegender Wahrscheinlichkeit bei pflichtgemäßer Vorgehensweise ausgeblieben wäre (BGH NJW-RR 1996, S. 781).

Sofern der Beklagte bei dem Zeugen R genau nachgefragt hätte, wer die Erschließungsbeiträge für die bereits errichteten Anlagen für den Fall tragen soll, dass ein Festsetzungsbescheid neu erlassen wird, hätten die Klägerin und der Zeuge R mit überwiegender Wahrscheinlichkeit betont, dass die Erwerber die Erschließungsbeiträge übernehmen sollen.

Dass allerdings im nächsten Schritt Herr Dr. K und Frau y oder etwaige andere Interessenten mit der von Klägerseite angedachten Kostenaufbürdung einverstanden gewesen wären und das Grundstück unter ansonsten gleichbleibenden Konditionen erworben hätten, lässt sich selbst unter Berücksichtigung der für die Klägerin günstigen Beweiserleichterung nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststellen.

Die bisherige Behauptung der Klägerin ging dahin, dass Herr Dr. K und Frau y eine entsprechende Regelung der Kostenlast tatsächlich akzeptiert hatten.

Allerdings ließ diese Behauptung sowohl im Vorprozess als auch im hiesigen Rechtsstreit konkrete Ausführungen dahingehend vermissen, welche über eine bloße Erörtertung des Erschließungsbeitrags hinausgehende Vereinbarung genau mit den Erwerbern getroffen worden sein soll.

Erstmals ergab sich aus der Aussage des Zeugen R bei seiner Vernehmung am 13.07.2009, es sei mit Herrn Dr. K und Frau y abgemacht gewesen, dass diese die Einbauküche übernehmen sollten als Ausgleich für etwaige künftig von ihnen zu begleichende Erschließungsbeiträge.

Diese Aussage – die sich die Klägerin offenbar zu eigen macht – ist indessen nicht glaubhaft:

Zum einen stellt die behauptete Vereinbarung einer Gegenleistung in Gestalt der Einbauküche ein so bemerkenswertes und vordergründig plausibles Detail dar, dass dessen frühzeitige Geltendmachung bereits im Vorprozess zu erwarten gewesen wäre.

Eine solche Vereinbarung widerspricht aber dem tatsächlichen Gang der Geschehnisse. Denn Herr Dr. K und Frau y haben nicht nur im Vorprozess hinreichend deutlich gemacht, dass sie keinen Erschließungsbeitrag zahlen wollten.

Vielmehr wurde dieser Standpunkt von den Erwerbern – entgegen der Behauptung der Klägerin im Senatstermin – bereits in ihrer ersten gegenüber der Klägerseite abgegebenen schriftlichen Stellungnahme vom 11.03.2006 vertreten, unmittelbar nachdem die Gemeinde X mit einem am 07.03.2006 aufgesetzten Schreiben die Erhebung des Erschließungsbeitrages angekündigt hatte.

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Dass es mehrere Jahre nach dem Ankauf des Grundstücks zu einer wiederholten Erhebung des seinerzeit bereits bei dem Verwaltungsgericht Arnsberg streitbefangenen Erschließungsbeitrags kommen würde, war möglicherweise für den Zeugen R vorhersehbar, nicht aber für die Erwerber.

Für sie bestand auch kein Anlass, eine verbindliche Regelung über einen Erschließungsbeitrag zu treffen, bei dem weder Grund noch Höhe vorhersehbar waren.

Auch der Zeuge N bekundete bei seiner erstinstanzlichen Vernehmung, er könne sich nicht vorstellen, dass sich Herr Dr. K und Frau y zur Übernahme eines etwaigen Erschließungsbeitrags bereit gefunden hätten, weil eine solche Regelung schwammig und unüblich gewesen wäre.

Dementsprechend fand in der ansonsten sehr detaillierten Textvorgabe, die der Zeuge N dem Beklagten vor der Beurkundung übersandte, eine Abmachung über künftige Erschließungsbeiträge keine Erwähnung, während umgekehrt die auf die Einbauküche bezogene Wertanrechnung von 5.000,– EUR durchaus angeführt wurde.

Der Senat wertet auch dies als Indiz, dass die den Erschließungsbeitrag betreffende Kostenlast der Erwerber nicht dem seinerzeitigen Verhandlungsstand entsprach.

Wenn man von der hilfsweise seitens der Klägerin behaupteten – und vom Beklagten zulässigerweise bestrittenen – Variante ausgeht, dass die Übernahme der Erschließungsbeiträge zwar nicht im Vorfeld ausgehandelt wurde, aber von Herrn Dr. K und seiner Ehefrau im Beurkundungstermin so akzeptiert worden wäre, hat die Klägerin für ihre Behauptung keinen Beweis angetreten.

Soweit die Klägerin weiter hilfsweise vorträgt, im Falle einer ablehnenden Haltung des Herrn Dr. K und Frau y zu der gewünschten Kostenaufbürdung wäre dennoch eine anderweitige Veräußerung des Grundstücks zu den von Klägerseite vorgegebenen Konditionen und zu dem Kaufpreis von 292.000,– EUR erfolgt, hat die Klägerin dafür Beweis angetreten durch Benennung des Zeugen N.

Nach dessen ergänzend durchgeführter Vernehmung lässt sich zwar eine alternative Veräußerung zu den von Klägerseite gewünschten Bedingungen als in Betracht kommende Möglichkeit nicht ausschließen; sie lässt sich aber andererseits auch nicht mit der für die Zuerkennung des Schadens nötigen überwiegenden Wahrscheinlichkeit feststellen.

Der mit der Vermittlung des Grundstücks beauftragte Zeuge N bekundete insoweit, den Maklerauftrag am 19.11.2002 erhalten zu haben.

Die in dem ersten Exposé genannte Preisvorstellung von 305.000,00 EUR sei in der Folgezeit auf 295.000,– EUR reduziert worden.

Es hätten sich mehrere Kaufinteressenten gemeldet, insbesondere ein Oberarzt aus T.

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Mit ihm sei auch das Objekt besichtigt worden, ohne dass der Zeuge N sich insoweit an konkrete Preisverhandlungen erinnern konnte.

Der Zeuge N hielt es für relativ unwahrscheinlich, dass der Oberarzt das Objekt zum Exposépreis von 295.000,00 EUR gekauft hätte.

Nach Darlegung des Zeugen N wäre dann ausgehend vom tatsächlichen Kaufpreis von 292.000,00 EUR der Exposépreis unter Hinzurechnung des vom Erwerber noch zu zahlenden Erschließungsbeitrags von mehr als 5.000,00 EUR überschritten worden.

Ein solches wirtschaftliches Ergebnis – so der Zeuge N – habe er in seiner 25jährigen Berufstätigkeit noch nicht erzielt.

Der Zeuge N bekundete des weiteren, dass außer dem Oberarzt kein weiterer Interessent für das Grundstück vorhanden gewesen sei, mit dem er nähere Verhandlungen geführt hätte.

Er selbst – der Zeuge N – habe sich zwar grundsätzlich auch persönlich für das Objekt interessiert. Wegen der abgelegenen Lage sei es aber für ihn nicht ernsthaft in Betracht gekommen.

Damit hat die Klägerin den Beweis der Ursächlichkeit der pflichtwidrig unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung für die als Schaden angeführte Belastung mit dem Erschließungsbeitrag nicht führen können.

Vielmehr ist nicht auszuschließen, dass der Klägerin und dem Zeugen R auch bei pflichtgemäßer Vorgehensweise des Beklagten ein entsprechender finanzieller Nachteil entstanden wäre.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 ZPO.

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

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