KG 1 W 509/11

August 2, 2022

KG 1 W 509/11

Verneint das Nachlassgericht seine örtliche Zuständigkeit, hat es von Amts wegen über die Verweisung eines Erbscheinsverfahrens an das zuständige Gericht zu entscheiden.

Eines Verweisungsantrags des Antragstellers bedarf es nicht.

Tenor

Der Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 30. Mai 2011 – 62/67 VI 103/93 – wird abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Das Amtsgericht Charlottenburg ist zur Entscheidung über die Erbscheinsanträge vom 17. März 2010 und vom 7. April 2011 örtlich unzuständig.

Das Erbscheinsverfahren wird an das Amtsgericht Königs-Wusterhausen verwiesen.

Gründe
I.

Das Amtsgericht erteilte auf Antrag der Mutter des Beteiligten am 26. August 1993 einen gemeinschaftlichen Erbschein, der sie und ihren Bruder als Erben zu je ½ nach dem Erblasser auswies.

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Dabei war davon ausgegangen worden, dass der Erblasser wie viele andere Mitglieder seiner Familie deportiert und in der Deportation umgekommen war.

Mit Beschluss vom 7. September 1995 zog das Amtsgericht diesen Erbschein wieder ein, nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Erblasser tatsächlich am 16. Juni 19… in N… Y… verstorben war,

wohin er im Jahr 19… hatte auswandern können.

Nach einer in Kopie vorliegenden Sterbeurkunde besaß der Erblasser bei seinem Tod die Staatsangehörigkeit der U… …

Mit Schreiben vom 17. März 2010 und vom 7. April 2011 hat der Beteiligte die erneute Ausstellung eines gemeinschaftlichen Erbscheins beantragt,

der wiederum seine Mutter und deren Bruder als Erben zu je ½ ausweisen sollte.

Der Erbschein werde wegen eines im Bezirk des Amtsgerichts Königs-Wusterhausen belegenen Grundstücks benötigt.

Am 16. Juni 2010 hat das Amtsgericht neben weiteren Hindernissen auf Bedenken hinsichtlich seiner örtlichen Zuständigkeit hingewiesen und anheimgestellt, einen Verweisungsantrag zu stellen.

Nachdem sich der Beteiligte in der Folgezeit geweigert hat, einen solchen Antrag zu stellen, hat das Amtsgericht die Erbscheinsanträge mit am 7. Juni 2011 zugestelltem Beschluss vom 30. Mai 2011 zurückgewiesen.

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Hiergegen wendet sich der Beteiligte mit seiner am 6. Juli 2011 bei dem Amtsgericht eingegangenen Beschwerde, der das Amtsgericht mit Beschluss vom 7. Juli 2011 nicht abgeholfen hat.

II.

Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Beschwerde, § 63 Abs. 1 FamFG, ist begründet.

Allerdings ist es im Ausgangspunkt rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht eine Sachentscheidung über die Erbscheinsanträge vom 17. März 2010

und vom 7. April 2011 von seiner örtlichen Zuständigkeit abhängig gemacht und diese im Hinblick auf die Staatsangehörigkeit des Erblassers verneint hat.

Das Nachlassgericht darf einen Erbschein nur erteilen, wenn es die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet, § 2359 BGB.

Hierzu gehört auch die örtliche Zuständigkeit des Gerichts, weil Verstöße hiergegen einen schwerwiegenden Verfahrensverstoß begründen.

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Ein entsprechender Erbschein ist einzuziehen

(J. Lange, in: JurisPK, BGB, 5. Aufl., § 2361, Rdn. 6).

Das Amtsgericht Charlottenburg ist örtlich nicht zuständig.

Der Erblasser hatte in Deutschland keinen Wohnsitz und hat sich im Zeitpunkt des Erbfalls auch nicht im Bezirk des Amtsgerichts Charlottenburg aufgehalten, § 343 Abs. 1 FamFG.

Dort befinden sich auch keine Nachlassgegenstände, § 343 Abs. 3 FamFG.

Gleichwohl durfte das Amtsgericht Charlottenburg die Erbscheinsanträge nicht wegen seiner fehlenden örtlichen Zuständigkeit zurückweisen.

Vielmehr hätte sich das Amtsgericht gemäß § 3 Abs. 1 FamFG durch Beschluss für unzuständig erklären und das Erbscheinsverfahren an das örtlich zuständige Amtsgericht Königs-Wusterhausen verweisen müssen.

Eines entsprechenden Verweisungsantrags des Beteiligten – der im Übrigen nunmehr mit der Beschwerde gestellt

und von dem Amtsgericht im Rahmen seiner Entscheidung nach § 68 Abs. 1 S. 1 FamFG hätte berücksichtigt werden müssen, § 65 Abs. 3 FamFG – hierzu bedurfte es nicht.

Allerdings wird die Ansicht vertreten, dass es in Antragsverfahren im Hinblick auf die Dispositionsmaxime eines Verweisungsantrags bedürfe, andernfalls der Antrag als unzulässig zu verwerfen sei

(Sternal, in: Keidel, FamFG, 16. Aufl., § 3 Rdn. 36).

Der Erbschein wird nur auf Antrag erteilt, § 2353 BGB.

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Nach anderer Ansicht hat das Gericht die Verweisung in jedem Fall von Amts wegen vorzunehmen

(Schöpflin, in: Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG, 2. Aufl., § 3, Rdn. 4;

Bumiller/Harders, FamFG, 11. Aufl., § 3, Rdn. 4;

Borth/Grandel, in: Musielak/Borth, FamFG, 2. Aufl., § 3, Rdn. 2;

Bahrenfuss, FamFG, § 3, Rdn. 4;

Friederici, in: Friederici/Kemper, FamFG, § 3, Rdn. 2;

Prütting, in: Prütting/Helms, FamFG, § 3, Rdn. 14).

Der Senat schließt sich der letzteren Auffassung an. Bereits nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 S. 1 FamFG ist ein Antrag nicht Voraussetzung für eine Entscheidung des Gerichts über die Verweisung des Verfahrens.

Auch die Dispositionsmaxime begründet im Antragsverfahren das Erfordernis eines Verweisungsantrags nicht

(so aber Sternal, a.a.O. unter Hinweis auf Bärmann, FGG, 1968, § 6, Anm. IV 2c).

Sie besagt lediglich, dass der Antragsteller in solchen Verfahren grundsätzlich über das Verfahren im Ganzen verfügen kann.

Er kann den Beginn des Verfahrens, seinen Umfang oder seine Beendigung bestimmen.

Die Verweisung kann er dadurch verhindern, dass er seinen Antrag zurücknimmt (Schöpflin, a.a.O.).

Im Übrigen steht die Verweisung von Amts wegen auch in anderen, der Dispositionsmaxime unterfallenden Verfahren nicht entgegen.

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Hält das angerufene Gericht den beschrittenen Rechtsweg nicht für eröffnet, hat es von Amts wegen gemäß § 17a Abs. 2 S. 2 GVG an das Gericht des zulässigen Rechtsweges zu verweisen.

Die Abweisung einer Klage als unzulässig kommt nicht in Betracht (BGH, NJW-RR 2005, 721, 722). § 3 Abs. 1 S. 1 FamFG entspricht inhaltlich im Wesentlichen § 17a Abs. 2 S. 2 GVG zur Verweisung bei Rechtswegunzuständigkeit.

Der Gesetzgeber wollte damit eine Harmonisierung der Verfahrensordnungen erreichen (BT-Drs. 16/6308, S. 175 li.Sp.).

Soweit der BGH in einer Entscheidung vom 17. September 1998 auf die Verweisung eines örtlich unzuständigen (WEG)Gerichts an das zuständige Gericht § 281 ZPO entsprechend angewendet hat,

ist dies mit der nunmehr geltenden Regelung überholt.

Zuständig ist das Amtsgericht Königs-Wusterhausen wegen des im dortigen Bezirk belegenen Grundstücks, § 343 Abs. 3 FamFG.

Die danach gebotene Verweisungsentscheidung hat der Senat zu treffen (vgl. BGH, a.a.O.).

Der Erblasser war Ausländer, denn er besaß ausweislich der bei den Akten befindlichen Kopie der Sterbeurkunde die Staatsangehörigkeit der U… ..

Dass er daneben auch die deutsche Staatsangehörigkeit besaß, so dass die Zuständigkeit des Amtsgerichts Schöneberg begründet wäre, § 343 Abs. 2 FamFG, ist nicht ersichtlich.

Weder wurde er auf seinen Antrag nach dem 8. Mai 1945 wieder eingebürgert noch hat er nach diesem Zeitpunkt seinen Wohnsitz in Deutschland genommen, Art. 116 Abs. 2 GG.

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Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

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