LG München 5 HK O 3712/21

Juli 29, 2022

LG München 5 HK O 3712/21

Tenor
I. Der Beschluss der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 19.2.2021 zum einzigen Tagesordnungspunkt, mit dem die Hauptversammlung beschlossen hat:

„Die auf den Inhaber lautenden Stückaktien der übrigen Aktionäre (Minderheitsaktionäre) der N… Aktiengesellschaft mit Sitz in München werden gemäß § 62 Absatz 5 Umwandlungsgesetz in Verbindung mit §§ 327a ff. Aktiengesetz gegen Gewährung einer von der N… SE mit Sitz in München (Hauptaktionär) zu zahlenden angemessenen Barabfindung in Höhe von EUR 822,00 je auf den Inhaber lautender Stückaktie der N… Aktiengesellschaft auf die N… SE übertragen.“
wird für nichtig erklärt.

II.Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III.Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 105 % des jeweils zu vollstreckendem Betrag.

IV.Der Streitwert wird auf € 56.000,– festgesetzt.

Tatbestand

LG München 5 HK O 3712/21

Die Parteien streiten mittels Beschlussmängelklage um die Wirksamkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses über einen verschmelzungsrechtlichen Squeeze out.
I.

1. Die Beklagte, deren Unternehmensgegenstand im Wesentlichen im Erwerb, der Entwicklung, Vermietung, Veräußerung und Vermittlung von Immobilien und sonstigen Vermögenswerten sowie der Beteiligung an anderen Gesellschaften liegt, ging aus der L… …gesellschaft mbH hervor und war bis Mitte 2017 an der Bayerischen Börse gelistet.

Das in 561.960 Stückaktien eingeteilte Grundkapital der Beklagten beläuft sich auf € 561.960,-.

Die Satzung der Beklagten (Anlage K 5) enthielt unter anderem folgende Bestimmungen:
㤠5
(1) Die Aktien lauten auf den Inhaber.
(2) (…)
(3) Anstelle von Aktienurkunden über eine Aktie kann die Gesellschaft Urkunden über mehrere Aktien (Sammelaktien) ausgeben. Der Anspruch auf Einzelverbriefung der Aktien ist ausgeschlossen.

§ 16
(1) Zur Teilnahme an der Hauptversammlung und zur Ausübung des Stimmrechts sind nur diejenigen Aktionäre berechtigt, die ihre Aktien bei einem deutschen Notar, bei einer zur Entgegennahme der Aktien befugten Wertpapiersammelbank oder bei den sonst in der Einberufung bezeichneten Stellen hinterlegen und bis zur Beendigung der Hauptversammlung dort belassen.

Die Hinterlegung gilt auch dann als bei einer der genannten Stellen bewirkt, wenn Aktien mit Zustimmung einer Hinterlegungsstelle für sie bei einem Kreditinstitut bis zur Beendigung der Hauptversammlung gesperrt gehalten werden.

(2) Die Hinterlegung hat so zeitig zu erfolgen, daß zwischen dem Tag der Hinterlegung und dem Tag der mindestens drei Werktage freibleiben. Ist der letzte Tag für die Hinterlegung ein Sonnabend, ein Sonntag, ein am Hinterlegungsort staatlich anerkannter Feiertag oder ein Tag, an dem die Kreditinstitute geschlossen sind, so tritt an dessen Stelle der vorangehende Werktag.

(3) Im Falle der Hinterlegung bei einem deutschen Notar oder bei einer Wertpapiersammelbank ist die von diesen auszustellende Hinterlegungsbescheinigung spätestens am nächsten Werktag nach Ablauf der Hinterlegungsfrist bei der Gesellschaft einzureichen.
(…)
(5) Sind Aktienurkunden nicht ausgegeben, so ist bei der Einladung zur Hauptversammlung bekanntzugeben, unter welchen Voraussetzungen die Aktionäre zur Teilnahme an der Hauptversammlung zugelassen werden.“

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2. Mit Kaufvertrag vom 13.12.2017 verkaufte die Beklagte die Immobilie P… 5 / R… 9, deren Erdgeschossflächen an die S1. L. GmbH verpachtet sind, die diese wiederum mit einem ebenfalls spätestens am 31.12.2022 auslaufenden Unterpachtvertrag

an den Gastronomiebetrieb X… GmbH & Co. KG zum Betrieb der Gaststätte „…“ unterverpachtet war, an ihre S2. AG, zu einem Kaufpreis von € 97 Mio. bei verwertbaren Flächen von 4.770 m², nachdem die A… AG im Jahr 2013 bereits die Nachbarimmobilie P… 5 mit einer Mietfläche von etwa 2.200 m² für € 54 Mio. erworben hatte.

Auf Antrag des Klägers vom 24.7.2020 erließ das Landgericht München I am 8.2.2021 einen Beschluss, Az. 17 HK O 9479/20 (Anlage K 2) mit dem eine Sonderprüfung der Transaktion vom Dezember 2017 angeordnet wurde.

Das Oberlandesgericht hob diese erstinstanzliche Entscheidung mit Beschluss vom 6.7.2021, Az. 31 Wx 236/21 (Anlage B 5) auf und wies den Sonderprüfungsantrag mit der Begründung zurück, eine Gesamtschau aller Umstände zeige, ein illoyales, grob eigennütziges Verhalten des hiesigen Klägers zu 1), weshalb von einem rechtsmissbräuchlichen Antrag auszugehen sei.

Am 19.7.2017, 21.2.2018, 31.8.2018 und 13.3.2020 hatte die von F… GmbH freiwillige öffentliche Kaufangebote (Anlagenkonvolut B 11) an die Aktionäre der Beklagten veröffentlicht; am 25.8.2020 veröffentlichte die von F… GmbH eine Aufforderung

zur Abgabe von Angeboten an die Aktionäre der N… Aktiengesellschaft, München (Anlagenkonvolut B 11) zu einem Preis von € 1.150,00 je Aktie.

Als Folge dieses letzten Angebots hielt die N… SE 505921 Aktien oder 90,03% der Aktien der Beklagten und informierte den Vorstand der Beklagten mit Schreiben vom 7.10.2020 über die Verschmelzungsabsicht und richtete ein erstes vorläufiges Verlangen zur Durchführung eines verschmelzungsrechtlichen Squeeze out an die Beklagte.

Am 27.11.2020 schlossen die Beklagte und die N… SE einen Verschmelzungsvertrag unter der Bedingung eines Beschlusses der Hauptversammlung der Beklagten gem. §§ 62 Abs. 5 Satz 1 UmwG, 327 a Abs. 1 Satz 1 AktG.

Nach Festlegung einer Barabfindung in Höhe von € 813,- je Stückaktie der Beklagten richtete die N… SE als Hauptaktionärin ein konkretisiertes Verlangen an die Beklagte.

3. Mit Veröffentlichung im Bundesanzeiger vom 14.1.2021 (Anlage K 19) lud die Beklagte zu einer außerordentlichen virtuellen Hauptversammlung auf den 19.2.2021, in der zum einzigen Tagesordnungspunkt die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf die N… SE gegen Zahlung einer Barabfindung in Höhe in Höhe von € 813,- beschlossen werden sollte.

Die Einberufung zu dieser virtuellen Hauptversammlung enthielt unter anderem folgende Aussagen zu den Teilnahmebedingungen:

„Voraussetzungen für die Ausübung der Aktionärsrechte in Bezug auf die virtuelle Hauptversammlung Zur Verfolgung der virtuellen Hauptversammlung im Aktionärsportal der Gesellschaft sowie zur Ausübung der weiteren Aktionärsrechte in Bezug auf die virtuelle Hauptversammlung, insbesondere des Stimmrechts, sind nach § 16 Abs. 1 und 2 der Satzung der Gesellschaft nur diejenigen Aktionäre berechtigt, die ihre Aktien spätestens am Montag, 15. Februar 2021, bei einem deutschen Notar oder bei einer zur Entgegennahme der Aktien befugten Wertpapiersammelbank hinterlegt haben und dort bis zum Ende der Hauptversammlung belassen.

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Die Hinterlegung gilt nach § 16 Abs. 1 Satz 2 der Satzung der Gesellschaft auch dann als bei einer der genannten Stellen ordnungsgemäß bewirkt, wenn die Aktien mit Zustimmung einer Hinterlegungsstelle für sie bei einem anderen Kreditinstitut bis zur Beendigung der Hauptversammlung gesperrt gehalten werden. Als Nachweis genügt eine in Textform (§ 126b BGB) in deutscher oder englischer Sprache erstellte Depotbestätigung des depotführenden Instituts mit entsprechendem Sperrvermerk, die der Gesellschaft unter einer der folgenden Kontaktmöglichkeiten übermittelt wird:

N… Aktiengesellschaft c/o C… 8. M. oder per Telefax: +49 (0) 89 30903 74675 oder per E-Mail: @computershare.de Im Falle der Hinterlegung bei einem deutschen Notar oder bei einer Wertpapiersammelbank bitten wir, die von diesen ausgestellte Bescheinigung über die erfolgte Hinterlegung nach § 16 Abs. 3 der Satzung der Gesellschaft spätestens am Dienstag, 16. Februar 2021, bei der Gesellschaft unter einer der unmittelbar vorstehenden Kontaktmöglichkeiten einzureichen.

Den Aktionären, die eine ordnungsgemäße Hinterlegung der Aktien nachgewiesen haben, etwa durch die Übermittlung einer in Textform (§ 126b BGB) in deutscher oder englischer Sprache erstellten Depotbestätigung des depotführenden Instituts mit entsprechendem Sperrvermerk im Sinne von § 16 Abs. 1 Satz 2 der Satzung der Gesellschaft

oder einer von einem Notar oder einer Wertpapiersammelbank ausgestellten Bescheinigung, werden – anstelle der herkömmlichen Eintrittskarten – Zugangskarten mit persönlichen Zugangsdaten (Zugangskartennummer und Internet-Zugangscode) für die Ausübung der Aktionärsrechte aus den hinterlegten Aktien in Bezug auf die virtuelle Hauptversammlung übermittelt.

… Fragemöglichkeit der Aktionäre gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 COVID-19-G Aktionäre, die ihre Aktien ordnungsgemäß hinterlegt haben, haben die Möglichkeit, im Wege der elektronischen Kommunikation Fragen zu stellen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 COVID-19-G).

Auf der Grundlage von § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 2. Halbsatz COVID-19-G hat der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats der Gesellschaft aus organisatorischen Gründen entschieden, dass Fragen spätestens bis zum Ablauf des 16. Februar 2021, 24:00 Uhr (MEZ),

über die dafür vorgesehene Eingabemaske im Aktionärsportal der Gesellschaft unter der Internetadresse www.n…-ag.de über den Link „Investor Relations / Hauptversammlung“ in deutscher Sprache einzureichen sind.

Auf anderem Wege oder später eingereichte Fragen bleiben unberücksichtigt. Eine Beantwortung der eingereichten Fragen erfolgt nach freiem, pflichtgemäßem Ermessen des Vorstands.

Der Vorstand ist nicht verpflichtet, alle Fragen zu beantworten. Fragen können insbesondere zusammengefasst werden, es können im Interesse der anderen Aktionäre sinnvolle Fragen ausgewählt werden. Rückfragen zu den Auskünften des Vorstands sind ausgeschlossen.

Darüber hinaus stehen den Aktionären weder das Auskunftsrecht gemäß § 131 AktG noch ein Rede- oder Fragerecht in und während der virtuellen Hauptversammlung zu.“

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Hinsichtlich der näheren Einzelheiten des Inhalts der Einberufung zur Hauptversammlung wird im vollen Umfang auf Anlage K 19 Bezug genommen.

Die Hauptaktionärin reichte bei der Beklagten eine Bestätigung der U… AG vom 28.1.2021 (Anlage B 20) ein, in der unter anderem Folgendes ausgeführt war:

„Wir bestätigen, dass die oben aufgeführten Aktien am Beginn des 21. Tages vor der Hauptversammlung, 00:00 Uhr (Record-Date) bei uns für den oben genannten Aktionär depotverwahrt, bzw. sonst im Bestand waren und, soweit erforderlich, während der Hinterlegungsfrist bis nach Ablauf der Hauptversammlung gesperrt gehalten werden.“

3. Die Hauptversammlung vom 19.2.2021 fasste zu dem einzigen Tagesordnungspunkt den angekündigten Beschluss, wobei aber die Barabfindung von € 813,- entsprechend der Ankündigung in der Einberufung auf € 822,- erhöht wurde.

Die Kläger, die ihre Aktien bereits vor der Bekanntmachung der Tagesordnung erworben hatten, stimmten gegen den Beschluss und erklärten jeweils Widerspruch zur Niederschrift des die Hauptversammlung beurkundenden Notars.

Nach Eintragung des verschmelzungsrechtlichen Squeeze out wurde die Beklagte auf die N… SE verschmolzen.

II. Zur Begründung ihrer Klage machen die Kläger im Wesentlichen geltend, der Squeeze out-Beschluss stelle sich als gesetzwidrig dar, weil die Hauptaktionärin versuche, in rechtsmissbräuchlicher Weise die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zu vereiteln und sich die Anteile der Minderheitsaktionäre unter Wert anzueignen.

Hier liege angesichts der Bewertung von Ersatzansprüchen als Folge der unter Wert erfolgten Veräußerung der oben beschriebenen Immobilie im Rahmen der Ermittlung der Barabfindung mit einem Erinnerungsposten von € 1,- ein den Rechtsmissbrauch begründender enger und zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Sonderprüfungsantrag als Vorbereitungsmaßnahme für Ersatzansprüche und dem verschmelzungsrechtlichen Squeeze out vor.

Die Verschmelzungskosten seien so hoch, dass sich die Maßnahme nur rentiere, wenn es der N… SE gelinge, die Ersatzansprüche zu vereiteln.

Auch seien die Minderheitsaktionäre angesichts des nicht nachvollziehbar wiedergegebenen Inhalts des Gutachtens in der Squeeze out-Dokumentation nicht in der Lage, die Bewertung der Immobilie durch den „Haus- und Hof-Gutachter“ der Familie … F… zu überprüfen.

Daher fehle es für den Squeeze out an einem legitimen Zweck.

Die Kläger zu 2) bis 4) machen darüber hinaus vor allem geltend, die Vorschriften des COVID-19-Gesetzes seien formell verfassungswidrig, weil der Deutsche Bundestag bei allen drei Lesungen wegen Abwesenheit von mehr als der Hälfte der Abgeordneten nicht beschlussfähig gewesen und eine gleichzeitige Zuleitung an den Deutschen Bundestag und den Bundesrat unzulässig sei, nachdem sich der Fraktionsentwurf aufgrund der Formulierungshilfen der Bundesregierung so behandeln lassen müsse, als sei er eine Vorlage der Bundesregierung.

Die materielle Verfassungswidrigkeit beruhe auf einem unverhältnismäßigen Eingriff in das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Fragerecht sowie dem Ausschluss des Anfechtungsrechts der Aktionäre.

Zudem habe der Vorstand die auf das verfassungswidrige Gesetz gestützten Fristen auch noch unzulässig verkürzt, weil die korrekt berechnete Frist erst am 17.2.2021, 24:00 Uhr geendet habe. Zudem sei eine Einreichung von Fragen bei Ausschöpfung der Frist zum Nachweis der Voraussetzungen zur Ausübung der Aktionärsrechte auf der Hauptversammlung nicht möglich gewesen.

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Angesichts der Regelung in der Satzung ohne Fristsetzung für die Übermittlung eines entsprechenden Nachweises über die Sperrung an die Beklagte und der damit bestehenden Möglichkeit der Übermittlung eines Nachweises bis zum oder sogar am Tag der Hauptversammlung wäre es den Aktionären bei Ausschöpfung der Frist zeitlich nicht möglich gewesen, überhaupt Fragen zu stellen,

nachdem Fragen lediglich über die zugangsgeschützte Eingangsmaske im Aktionärsportal der Gesellschaft zu stellen seien und die ordnungsgemäße Übersendung eines Nachweises der Teilnahmeberechtigung vorausgesetzt worden sei.

Weiterhin habe die Beklagte in Bezug auf den Nachweis der Sperrung der Aktien übermäßig und damit rechtswidrig über die Satzung hinausgehende Erfordernisse zur Teilnahme geschaffen.

Aus der Depotbestätigung der U… AG ergebe sich angesichts der einschränkenden Formulierung „soweit erforderlich“ gerade nicht der definitive Ausschluss der Übertragung der Aktien in der Zeit bis zur Hauptversammlung.

Alle Kläger wehren sich gegen den Vorwurf, die von ihnen erhobene Anfechtungsklage sei nicht rechtsmissbräuchlich.

Der Kläger zu 1) und sein Vater machen geltend, keine „räuberischen Aktionäre“ zu sein, die das Sonderprüfungsverfahren zur Monetarisierung eines Lästigkeitswerts missbraucht hätten; die problematische Transaktion sie durchaus fragwürdig gewesen, weshalb eine Fertigstellung der Sonderprüfung dem Interesse aller Aktionäre entsprochen habe.

Die Kläger beantragen daher:

Der Beschluss der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 19.2.2021 zum einzigen Tagesordnungspunkt, mit dem die Hauptversammlung beschlossen hat:

„Die auf den Inhaber lautenden Stückaktien der übrigen Aktionäre (Minderheitsaktionäre) der N… Aktiengesellschaft mit Sitz in München werden gemäß § 62 Absatz 5 Umwandlungsgesetz in Verbindung mit §§ 327a ff. Aktiengesetz gegen Gewährung einer von der N… SE mit Sitz in München (Hauptaktionär) zu zahlenden angemessenen Barabfindung in Höhe von EUR 822,00 je auf den Inhaber lautender Stückaktie der N… Aktiengesellschaft auf die N… SE übertragen.“
wird für nichtig erklärt.

Die Kläger zu 2) bis 4) beantragen darüber hinaus hilfsweise:
Es wird festgestellt, dass vorgenannter Beschluss nichtig ist.

Äußerst hilfsweise beantragen die Kläger zu 2) bis 4):
Es wird festgestellt, dass vorgenannter Beschluss unwirksam ist.

III. Die Beklagten beantragt dem gegenüber:

Klageabweisung.

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Zur Begründung beruft sie sich im Wesentlichen darauf, ein Rechtsmissbrauch ihrerseits lasse sich nicht bejahen.

Dies zeige sich bereits daran, dass kein unter Wertverkauf vorliege und die H1. F. GmbH seit langem geplant habe, die Aktien ihrer Beteiligungsgesellschaften – der Beklagten, der A… Verwaltungs GmbH und der C… AG – in ihren Aktienbesitz zu überführen.

Zudem beabsichtige sie, die Immobilien der Beklagten und der A. Verwaltungs AG aus gewerbesteuerlichen Gründen in einzelne G2. GmbH & Co. KGs auszulagern.

Bei den Regelungen über die virtuelle Hauptversammlung handle es sich allenfalls um zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmungen, deren Ausgestaltung angesichts des mit ihnen verfolgten legitimen Zwecks des Infektionsschutzes und der Aktionärsinteressen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspräche.

Die Frist zur Beantwortung der Fragen stehe in Einklang mit der auch hier anwendbaren Vorschrift des § 121 Abs. 7 AktG; eine analoge Anwendung der §§ 187 f. BGB führe zudem zu keinem anderen Ergebnis.

Auch habe die Beklagte die Ausübung des Fragerechts insgesamt in zulässiger Weise ausgestaltet; es bestehe die Möglichkeit, das Fragerecht von einer Frist und einer vorherigen Anmeldung und die Stellung der Fragen über ein Aktionärsportal abhängig zu machen

– dadurch erweitere und erleichtere die Beklagte ihren Aktionären die Teilnahme an der Hauptversammlung.

Die offenbleibende Möglichkeit zur Erfüllung der Teilnahmevoraussetzungen – also auch noch nach Ablauf der Frist zur Einreichung von Fragen – erhalte den Aktionären die Ausübung von Aktionärsrechten von großer praktischer Bedeutung wie beispielsweise die Ausübung des Stimmrechtes.

Die Einberufung stelle auch keine übermäßigen Erfordernisse an die Teilnehmer, weil sich aus dem Wort „genügt“ ergebe, dass andere Möglichkeiten des Nachweises nicht ausgeschlossen seien.

Den Kläger zu 1) treffe selbst der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs, weil er das Ziel verfolge, mit von ihm erhobenen Vorwürfen einen deutlich über dem Marktpreis liegenden Verkaufswert für die von ihm, seinem Vater und einer weiteren Minderheitsaktionärin gehaltenen Aktien zu erzielen.

Erst nach dem Scheitern der Verkaufsverhandlungen aufgrund überzogener Kaufpreisforderungen des Klägers zu 1) habe dieser den Antrag auf Durchführung einer Sonderprüfung gestellt.

Das Spruchverfahren biete angesichts der Möglichkeit der Berücksichtigung evtl. bestehender Schadensersatzansprüche einen hinreichenden Schutz.

IV. Das Oberlandesgericht München hat mit Beschluss vom 28.7.2021, Az. 7 AktG 4/21 festgestellt, dass die Erhebung der Klagen der dortigen Antragsgegner und hiesigen Kläger beim Landgericht München I, Az. 5 HK O 3712/21

gegen den in der außerordentlichen Hauptversammlung der dortigen Antragstellerin und hiesigen Beklagten vom 19.2.2021 gefassten Beschluss über die Übertragung der auf den Inhaber lautenden Stückaktien der übrigen Aktionäre auf die N… SE der Eintragung dieses Beschlusses in das Handelsregister nicht entgegenstehe.

V. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.2.2022 (Blatt 176/180 d.A.).

Entscheidungsgründe LG München 5 HK O 3712/21

I. Die Anfechtungsklagen sind zulässig und begründet.

1. An der Zulässigkeit der Anfechtungsklagen bestehen keine Zweifel.

Dabei muss insbesondere das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtungsklage bejaht werden, auch wenn der Beschluss über den Squeeze out im Handelsregister eingetragen ist und die Kläger daher ihre Aktionärsstellung aufgrund von § 327 e Abs. 3 Satz 1 AktG kraft Gesetzes verloren haben.

Dieses ließe sich nur dann verneinen, wenn aus einem entsprechenden Urteil keinerlei Rechtswirkungen zugunsten der Kläger hergeleitet werden könnten, wovon indes angesichts der Vorschriften der §§ 327 e Abs. 2, 319 Abs. 6 Satz 10 AktG nicht ausgegangen werden kann.

Erweist sich die Klage nämlich als begründet, so ist die Gesellschaft, die den (Freigabe-)Beschluss erwirkt hat, verpflichtet, dem Antragsgegner – mithin dem klagenden Aktionär – den Schaden zu ersetzen, der ihm aus einer auf dem Beschluss beruhenden Eintragung des Hauptversammlungsbeschlusses entstanden ist.

Demgemäß setzt ein Schadensersatzanspruch auf der Grundlage dieser Norm ein stattgebendes Urteil voraus, weshalb bereits der Gesetzgeber davon ausgeht, das Beschlussmängelverfahren müsse trotz Eintragung des Beschlusses fortgeführt werden.

2. Die Anfechtungsklagen sind auch begründet.

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a. Die Kläger sind anfechtungsbefugt im Sinne des § 245 Nr. 1 AktG. Nach dieser Vorschrift ist zur Anfechtung befugt jeder in der Hauptversammlung erschienene Aktionär, wenn er die Aktien schon vor der Bekanntmachung der Tagesordnung erworben hatte und gegen den Beschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat.

Da die Kläger ihre Aktien unstreitig bereits vor der am 14.1.2021 erfolgten Einberufung zu der außerordentlichen Hauptversammlung vom 19.2.2021 erworben hatte und während der Hauptversammlung Widerspruch zur Niederschrift erklärten, sind sie anfechtungsbefugt.

b. Die Klagen wurden fristgerecht innerhalb der gem. § 246 Abs. 1 AktG einen Monat betragenden und daher am 19.3.2021 endenden Klagefrist erhoben, auch wenn die Klage erst mit ihrer Zustellung gem. § 253 Abs. 1 ZPO erhoben wird.

Dabei erfolgte die Zustellung der Klage am 26.4.2022 an die Prozessbevollmächtigten der Beklagten. Es greift nämlich auch im Anwendungsbereich von § 246 Abs. 1 AktG die Vorschrift des § 167 ZPO ein, wonach in den Fällen, in denen durch die Erhebung der Klage eine Frist gewahrt werden soll, die Wirkung bereits mit Eingang des Antrags bei Gericht eintritt, wenn die Zustellung demnächst erfolgt.

Die Voraussetzungen des § 167 ZPO müssen bejaht werden, weshalb auf den am 12.3.2021 bzw. am 19.3.2021 erfolgten Eingang der Klagen bei Gericht abgestellt werden muss.

Die Verzögerung der Zustellung ist zu einem erheblichen Teil der Organisationssphäre des Gerichts zuzuordnen und steht folglich einer demnächst erfolgten Zustellung nicht entgegen.

Mit Beschlüssen vom 22.3.2021 (Bl. 35 d.A.) bzw. 30.3.2021 (Bl. 69/70 d.A. im hinzuverbundenen Verfahren 5HK O 4191/21) hat das Gericht den Streitwert jeweils vorläufig festgesetzt. Die Einzahlung des darauf beruhenden Kostenvorschusses erfolgte am 31.3. bzw. am 12.4.2021.

Wenn die Zustellung der Klageschrift aufgrund der Verfügung vom 12.4.2021 erst am 26.4.2021 erfolgte, so beruht dies auf der Zeitdauer zwischen der Einzahlung und dem Eingang des Zahlungsnachweises beim Landgericht München I sowie dem Nachweis der Zustellung durch das Empfangsbekenntnis des Prozessbevollmächtigten der Beklagten.

Dann aber ist die weitere Verzögerung der Zustellung ausschließlich der Organisationssphäre des Gerichts sowie dem Zeitpunkt der Entgegennahme der Zustellung durch die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zuzuordnen.

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Die Kläger selbst hatten alles Erforderliche veranlasst, um eine zeitnahe Zustellung der Klageschrift durch das Gericht zu ermöglichen.

Gerade bei einem nicht bezifferten Klageantrag sind sie auch berechtigt, die Aufforderung zur Zahlung des Gerichtskostenvorschusses abzuwarten.

c. Der Beschluss der Hauptversammlung vom 19.2.2021 verstößt gegen das Gesetz im Sinne des § 243 Abs. 1 AktG und ist daher für nichtig zu erklären.

(1) Eine Gesetzesverletzung muss in der Tatsache gesehen werden, dass die Ausübung des Fragerechts nur solchen Aktionären gestattet wurde, die sich bis zum Ende der Frist am 16.2.2021, 24:00 Uhr fristgerecht zur Hauptversammlung angemeldet hatten und die Zugangskarten mit persönlichen Zugangsdaten für die Ausübung der Aktionärsrechte aus den hinterlegten Aktien übermittelt bekommen haben.

Durch diese Anforderungen wird das Recht der Aktionäre aus § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG auch unter Berücksichtigung der einschränkenden Bestimmungen in Art. 2 § 1 Abs. 2 Satz 2 2. Hs. des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie in Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht vom 27.3.2020, BGBl I S. 569 (im Folgenden COVMG) a.F. verletzt.

Nach § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG ist jedem Aktionär auf Verlangen in der Hauptversammlung vom Vorstand Auskunft über Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben, sofern sie zur ordnungsgemäßen Beurteilung des Gegenstandes der Tagesordnung erforderlich ist.

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Diese Regelung wurde indes durch Art. 2 § 1 Abs. 2 Satz 2 COVMG dahingehend verändert, dass im Rahmen einer virtuellen Hauptversammlung der Vorstand nach pflichtgemäßem,

freiem Ermessen entscheidet, wie er Fragen beantwortet; der Vorstand kann auch vorgeben, dass Fragen bis spätestens zwei Tage vor der Versammlung im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen sind.

Da Art. 11 des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften

im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht vom 22.12.2020, BGBl I S. 3328 aufgrund von Art. 14 Abs. 3 dieses Gesetzes erst am 28.2.2021 in Kraft getreten ist, finden auf die Hauptversammlung der Beklagten die Regelungen aus Art. 2, § 1 Abs. 2 COVMG a.F. Anwendung.

Die Anordnung in der Einberufung der Hauptversammlung zum Einreichen von Fragen innerhalb einer Frist von zwei Tagen vor der Hauptversammlung sowie die Verknüpfung des Fragerechts mit der ordnungsgemäßen

Hinterlegung der Aktien und daran anknüpfend dem Versand der Zugangsdaten als Voraussetzung für die Ausübung von Aktionärsrechten führt zu einer gesetzeswidrigen Verkürzung des Fragerechts der Aktionäre.

Die ordnungsgemäße Hinterlegung der Aktien setzt nach § 16 Abs. 1 Satz 2 der Satzung der Beklagten voraus, dass die Aktien mit Zustimmung der Hinterlegungsstelle für die Aktionäre bei einem anderen Kreditinstitut bis zur Beendigung der Hauptversammlung gesperrt gehalten werden.

Sodann erhalten die Aktionäre anstelle der herkömmlichen Zugangskarten Zugangskarten mit persönlichen Zugangsdaten, um überhaupt ihre Aktionärsrechte ausüben zu können.

Zu diesen Aktionärsrechten muss ohne jeden Zweifel auch das durch Art. 14 Abs. 1, Satz 2 GG als Ausfluss des Eigentumsrechts grundrechtlich geschützte Fragerecht der Aktionäre gehören

(vgl. BVerfG NJW 2000, 349, 350 = NZG 2000, 192, 192 = AG 2000, 74 = ZIP 1999, 1798, 1799).

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Dieses Zusammenspiel zwischen Nachweis der ordnungsgemäßen Hinterlegung und Erhalt der Zugangsdaten zur Ausübung dieses Aktionärsrechts führt indes dazu, dass ein Aktionär die Frist aus Art. 2 § 1 Abs. 2 Satz 2 COVMG nicht ausschöpfen kann, wenn er von seiner Fragemöglichkeit Gebrauch machen will.

Er muss nämlich abwarten, bis er seine Zugangskarte erhält.

Dies kann bei einem Erhalt der für die Rechteausübung erforderlichen Unterlagen erst ganz kurz vor Mitternacht des 16.2.2021 nicht mehr ausreichen, um die Fragen rechtzeitig vor dem Fristende in elektronischer Form bei der Beklagten einzureichen,

weil er dann die Zugangsdaten nicht mehr vor dem Ende der für die Ausübung des Fragerechts gesetzten Frist erhalten kann.

Die Möglichkeit, eine gesetzte Frist vollumfänglich auszuschöpfen, ist indes ein allgemein anerkannter Grundsatz

(vgl. für prozessuale Fristen BVerfGE 40, 42, 44 = NJW 1975, 1405, 1406;

BVerfGE 69, 381, 385 = NJW 1986, 244;

BGH VersR 2018, 1278, 1279 = MDR 2018, 1074, 1075 = NJW-RR 2018, 958, 959).

Der tragende Gedanke, das Fristen auch Überlegungsfristen sind

(vgl. BVerfGE 40, 42, 44 = NJW 1975, 1405, 1406),

gilt hier in gleicher Weise.

Durch die mit der Einberufung gesetzten Fristen soll dem Aktionär gerade auch die Möglichkeit gegeben werden, sich auf den Hauptversammlungstermin einzustellen und sich insbesondere auch sachlich darauf vorbereiten zu können

(vgl. Reger in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, 5. Aufl., § 123 Rdn. 1;

Kubis in: Münchener Kommentar zum AktG, 5. Aufl., § 123 Rdn. 1;

Noack/Zetzsche in: Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl., § 123 Rdn. 2;

Müller in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., § 123 Rdn. 5).

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Wenn der Aktionär die erforderlichen Daten der Hinterlegungsstelle nicht bis zum oder erst sehr spät am letzten Tag der für die Fragen eingeräumten Frist erhält, ist es diesem Aktionär trotz Aktionärsstellung nach der Einberufung in der Satzung verwehrt, von seinem Fragerecht Gebrauch zu machen.

Dies stellt sich als Gesetzesverletzung dar.

Dem können organisatorische Schwierigkeiten nicht entgegengehalten werden.

Sollte ein Aktionär den Nachweis seiner Aktionärsstellung entsprechend den Vorgaben aus § 16 der Satzung nicht erbringen können, ist er an der Hauptversammlung nicht teilnahmeberechtigt – in diesem Fall muss dann aber auch die vorab eingereichte Frage nicht beantwortet werden.

Ein Abgleich der Fragesteller mit den teilnahmeberechtigten Aktionären muss der Beklagten problemlos möglich sein.

Damit aber trägt auch das Argument der Beklagten nicht, es komme zu einer Verbesserung der Rechtsposition des Aktionärs, weil er zwar keine Fragen stellen, aber immerhin an der Hauptversammlung teilnehmen und sein Stimmrecht ausüben dürfe.

Die in der Einberufung enthaltene Beschränkung des Fragerechts ist rechtswidrig, weshalb eine Verbesserung der Rechtsstellung nicht angenommen werden kann. Bei rechtmäßiger Ausgestaltung der Einberufung wäre es gerade nicht zur unzulässigen Verkürzung des Fragerechts der Aktionäre gekommen.

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(2) Der Beschluss der Hauptversammlung beruht auch auf diesem Gesetzesverstoß; die Kausalität zwischen der Gesetzesverletzung und der Beschlussfassung muss bejaht werden.

Dabei kann nicht auf eine mathematisch-naturwissenschaftliche Kausalität abgestellt werden. Für die Nichtigerklärung eines Beschlusses ist vielmehr die Relevanz des hier in der Verkürzung des Fragerechts liegenden Verfahrensverstoßes für das Mitgliedschafts- bzw. Mitwirkungsrecht

eines objektiv urteilenden Aktionärs maßgebend, insbesondere auch des in der Abstimmung unterlegenen Minderheitsaktionärs, im Sinne eines dem Beschluss anhaftenden Legitimationsdefizits, das bei einer wertenden, am Schutzzweck der verletzten Norm orientierten Betrachtung die Rechtsfolge der Anfechtbarkeit gemäß § 243 Abs. 1 AktG rechtfertigt

(vgl. BGHZ 160, 385, 391 f. = NJW 2005, 828, 830 = NZG 2005, 77, 79 = AG 2005, 87, 89 = ZIP 2004, 2428, 2430 = WM 2004, 2489, 2491 = DB 2004, 2803, 2805 = BB 2005, 65, 66 f. = DNotZ 2005, 302, 305; NZG 2010, 843, 945 = AG 2010, 632, 634 = ZIP 2010, 1437, 1439 = WM 2010, 1502, 1504 = DB 2010 1697, 1699 = NJW-RR 2010, 1339, 1341 = DNotZ 2011, 138, 140;

BGHZ 216, 110, 134 = NJW 2018, 52, 58 = NZG 2017, 1374, 1380 = AG 2018, 28, 35 = ZIP 2017, 2245, 2252 = WM 2007, 2263, 2270 f. = DB 2017, 2794, 2801 = DNotZ 2018, 382, 397; NZG 2020, 1106, 1109 = AG 2020, 789, 793 = ZIP 2020, 1857, 1860 = WM 2020, 1784, 14887 = DB 2020, 2008, 2012;

OLG München AG 2019, 266, 268 = ZIP 2018, 2369, 2371 = Der Konzern 2019, 140, 143; Koch, AktG, 16. Aufl., § 243 Rdn. 13;

Ehmann in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl., § 243 Rdn. 8).

Die Möglichkeit der Verweigerung des Fragerechts kann sehr wohl dazu führen, dass ein Aktionär auf seine Teilnahme an der Hauptversammlung verzichtet.

Gerade die Entscheidung über die Teilnahme kann durch die Fehlerhaftigkeit der Bekanntmachung und den Ausschluss des Fragerechts im negativen Sinn beeinflusst werden.

LG München 5 HK O 3712/21

Es besteht sehr wohl die Gefahr, dass Aktionäre von der Teilnahme an der Hauptversammlung abgehalten werden, weil sie davon ausgehen, keine Fragen zu dem Tagesordnungspunkt stellen zu können.

Folglich kann auch von einem lediglich marginalen Verstoß nicht gesprochen werden.

(vgl. BGHZ 153, 32, 36 f. = NJW 2003, 970, 971 f. = NZG 2003, 216, 217 = AG 2003, 319 f. = ZIP 2003, 290, 292 = WM 2003, 437, 438 = DB 2003, 383, 384 = BB 2003, 462, 463 = GmbHR 2003, 408, 409 f. = DNotZ 2003, 358, 360 f.).

Es besteht die Gefahr, dass Aktionäre auch aufgrund unvollständiger Informationen eine Entscheidung für oder gegen den Beschluss auf nicht hinreichend informierter Basis treffen.

(3) Ein Anfechtungsausschluss lässt sich nicht aus Art. 2 § 1 Abs. 7 COVMG herleiten.

Nach dieser Vorschrift kann die Anfechtung eines Beschlusses unter anderem nicht auf eine Verletzung von Art. 2 § 1 Abs. 2 COVMG gestützt werden.

Allerdings sind die Voraussetzungen dieser Norm bereits nicht erfüllt, weil sich dieser Verstoß auch auf die Teilnahmebedingungen im Übrigen zumindest mittelbar auswirkt. Dann aber handelt es sich zumindest auch um einen inhaltlichen Mangel der Einberufung, der von Art. 2 § 1 Abs. 7 COVMG nicht erfasst sein kann (vgl. Schäfer NZG 2010, 481, 486 f.).

Bei dieser Vorschrift handelt es sich nämlich um eine Sonderregelung, die den besonderen Bedingungen der Abhaltung einer Hauptversammlung während der Pandemie geschuldet ist

(vgl. BT-Drucks 19/18110, Satz 27)

und die daher eng auszulegen ist, um den aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Justizgewährungsanspruch der Aktionäre hinreichend Rechnung zu tragen.

LG München 5 HK O 3712/21

(4) Die Klagen wurden nicht rechtsmissbräuchlich erhoben.

Zwar ist weithin anerkannt, dass die Ausübung der Anfechtungsbefugnis ungeachtet ihrer Kontrollfunktion den für die private Rechtsausübung auch sonst geltenden Schranken – hier dem aus § 242 BGB folgenden Verbot des individuellen Rechtsmissbrauchs – unterliegt und dass eine rechtsmissbräuchlich erhobene Anfechtungsklage unbegründet ist

(vgl. BGHZ 107, 296, 310 f. = NJW 1989, 2689, 2692 = ZIP 1989, 980, 983 = DB 1989, 1664, 1666 = BB 1989, 1782, 1784;

OLG Stuttgart, Beschluss vom 22.3.2002, Az. 20 W 32/2001;

LG München I Der Konzern 2006, 700, 703).

Da es zur Erhebung einer Anfechtungsklage eines berechtigten Eigeninteresses grundsätzlich nicht bedarf und ihr gerade die Aufgabe der Rechtmäßigkeitskontrolle in Bezug auf Beschlüsse der Hauptversammlung zukommt,

kann eine Klageerhebung nur in Ausnahmefällen, für die die Gesellschaft die Darlegungs- und Beweislast trägt, als rechtsmissbräuchlich angesehen werden.

Der Aktionär muss sachfremde, eigene Interessen verfolgen und somit das Klagerecht in zweckentfremdender Weise zum eigenen Vorteil nutzen.

Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden.

LG München 5 HK O 3712/21

(a) Dies gilt zunächst für den Kläger zu 1).

Allein die Tatsache, dass er nach Scheitern der Verhandlungen über eine Veräußerung der insbesondere von ihm und seinem Vater gehaltenen Aktien einen Antrag auf Durchführung einer Sonderprüfung nach § 315 Satz 2 AktG gestellt hat und im Wesentlichen nur unter Hinweis auf die Rechtsmissbräuchlichkeit der Durchführung eines verschmelzungsrechtlichen Squeeze out die Anfechtungsklage erhoben hat, rechtfertigt nicht die Annahme eines Rechtsmissbrauchs. Es geht dem Kläger zu 1) nicht ausschließlich um die Verfolgung selbstsüchtiger Motive.

Der Antrag auf Durchführung einer Sonderprüfung stellt sich als legitimes Mittel des Minderheitenschutzes dar, der die Durchsetzung von Ansprüchen nach §§ 317, 318 AktG erleichtern soll und zudem den außenstehenden Aktionären die Möglichkeit gibt, ihre Informationsgrundlage zu verbessern

(vgl. Fett in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, a.a.O., § 315 Rdn. 2;

Altmeppen in: Münchener Kommentar zum AktG, a.a.O., § 315 Rdn. 1 und 4;

J. Vetter in: Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 315 Rdn. 2;

Schatz/Schödel in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, a.a.O., § 315 Rdn. 1 und 2).

Allein die Tatsache der Einreichung eines Antrages auf Bestellung eines Sonderprüfers nach dem Scheitern von Verkaufsgesprächen begründet – entgegen der Auffassung des 31. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München im Beschluss vom 6.7.2021, Az. 31 Wx 236/21 (NZG 2021, 1403, 1404 f = AG 2021, 891 f. = ZIP 2022, 79,80 f.

mit krit. Anm. Hippeli, jurisPR – HaGesR 1/2022 Anm. 5)

– selbst bei gleichzeitiger und fortdauernder Bereitschaft zum Verkauf der Aktien im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nicht den Rechtsmissbrauch der Anfechtungsklage.

Dies zeigt sich bereits darin, dass die Anfechtungsklage einen völlig anderen Streitgegenstand hat als die Durchführung einer Sonderprüfung nach § 315 Satz 2 AktG.

LG München 5 HK O 3712/21

Nun wehrt sich der Kläger zu 1) gegen den Verlust der Aktionärsstellung der Minderheitsaktionäre, ohne dass er eine unangemessene Gegenleistung für einen freiwilligen Verkauf der Aktien gefordert hätte.

Die Verhandlung über einen Verkauf von Aktien stellt sich nicht als rechtsmissbräuchlich dar.

Dabei muss insbesondere berücksichtigt werden, dass der Kläger zu 1) auch in diesem Verfahren ein Privatgutachten vorgelegt hat, aus dem er herleitet, dass der Kaufpreis für die Immobilie P… 5 / R… 9 deutlich zu niedrig angesetzt sei.

Dem lässt sich gerade nicht entgegenhalten, dass im Spruchverfahren nach zutreffender Ansicht

(vgl. OLG München, ZIP 2008, 2117, 2122;

AG 2007, 452, 453 = ZIP 2007, 699, 700;

auch BGHZ 169, 221, 228 f. = NJW 2007, 300, 302 = NZG 2007, 26, 28 = AG 2006, 931, 933 = ZIP 2006, 2167, 2170 = WM 2006, 2216, 2218 f. = DB 2006, 2566, 2567 f = BB 2006, 2601, 2603;

OLG München NZG 2021, 1160, 1164 f. = AG 2022, 47, 52 f.;

Hüttemann/Meinert in: Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, a.a.O., Rdn. 8.49)

die Frage des Bestehens von Ansprüchen auf Nachteilsausgleich im Falle einer Unterwertveräußerung geprüft werden muss und daher den Rechtsschutzinteressen des Klägers zu 1) Genüge getan sei.

Dies ergibt sich bereits aus dem strukturellen Unterschied zwischen der Prüfung der Strukturmaßnahme als solcher im Rahmen der eine kassatorische Wirkung erstrebenden Anfechtungsklage und der Überprüfung der Angemessenheit der Barabfindung im Spruchverfahren.

LG München 5 HK O 3712/21

(2) Der gegen die Kläger zu 2) bis 4) erhobene Vorwurf, Sonderinteressen angesichts einer Vielzahl von Anfechtungsklagen unter Hinweis auf die Verfassungs- und Europarechtswidrigkeit der Bestimmungen des COVMG zu verfolgen, trägt ebenfalls nicht den Rechtsmissbrauch der Klageerhebung durch die Kläger zu 2) bis 4).

Die Kammer hat zwar bereits mit Endurteil vom 29.7.2021, Az. 5 HK O 8083/21, entschieden, dass die Regelungen im COVMG weder gegen das Grundgesetz noch gegen europarechtliche Vorgaben aus Art. 9 der RL 2007/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 über die Ausübung bestimmter Rechte von Aktionären in börsennotierten Gesellschaften verstoßen,

wobei dies auch dann gilt, wenn man deren Vorgaben entgegen ihrem Wortlaut auch auf die nicht börsennotierte Beklagte anwenden wollte.

Allerdings muss gesehen werden, dass in der Literatur durchaus mit beachtlichen Argumenten vertreten wird, namentlich die Beschränkung des Fragerechts aus § 131 Abs. 1 Satz 1 AktG verstoße gegen Art. 14 Abs. 1 GG

(vgl. Heidel/Lochner in: Hirte/Heidel, das neue Aktienrecht, 1. Aufl., § 1 GesCoronaG Rdn. 32 ff.).

Angesichts dieser Auffassung lässt sich eine Rechtsmissbrauch nicht bejahen.

Die gegenteilige Auffassung wird der Schutzfunktion der Anfechtungsklage nicht gerecht.

Folglich muss die Kammer nicht abschließend entscheiden, inwieweit die weiteren von den Klägern vorgetragenen Anfechtungsgründe tatsächlich gegeben sind.

Da die Anfechtungsklage bereits im Hauptantrag Erfolg hatte, ist die Bedingung für die hilfsweise erhobenen Feststellungsklagen nicht eingetreten; über sie muss ebenfalls nicht entschieden werden.

II. 1. Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO; als Unterlegene hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.

3. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 247 Abs. 1 AktG.

LG München 5 HK O 3712/21

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Die schlichte Wiedergabe dieser Entscheidungen vermag daher eine fundierte juristische Beratung keinesfalls zu ersetzen.

Für den fehlerhaften juristischen Gebrauch, der hier wiedergegebenen Entscheidungen durch Dritte außerhalb der Kanzlei Krau kann daher keine Haftung übernommen werden.

Verstehen Sie bitte die Texte auf dieser Homepage als gedankliche Anregung zur vertieften Recherche, keinesfalls jedoch als rechtlichen Rat.

Es soll auch nicht der falsche Anschein erweckt werden, als seien die veröffentlichten Urteile von der Kanzlei Krau erzielt worden. Das ist in aller Regel nicht der Fall. Vielmehr handelt es sich um einen allgemeinen Auszug aus dem deutschen Rechtsleben zur Information der Rechtssuchenden.

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