RA und Notar Krau
Das Oberlandesgericht Hamm hatte in dem Fall I-10 U 112/10 über die Bindungswirkung eines gemeinschaftlichen Testaments (Berliner Testament) zu entscheiden.
Der Fall:
Ein Ehepaar hatte ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und ihren Sohn als Schlusserben einsetzten.
Nach dem Tod des Vaters errichtete die Mutter ein neues Testament, in dem sie einen Bekannten als Alleinerben einsetzte.
Der Sohn focht das neue Testament an und klagte auf Feststellung seiner Erbenstellung.
Die Entscheidung des Gerichts:
Das Gericht gab der Klage statt.
Die Mutter sei an die Erbeinsetzung des Sohnes im gemeinschaftlichen Testament gebunden gewesen und habe diese nicht mehr wirksam widerrufen können.
OLG Hamm I-10 U 112/10
Begründung:
- Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments: Ein gemeinschaftliches Testament entfaltet nach dem Tod eines Ehegatten Bindungswirkung für den überlebenden Ehegatten. Das bedeutet, dass der überlebende Ehegatte die wechselbezüglichen Verfügungen, die im gemeinschaftlichen Testament getroffen wurden, nicht mehr widerrufen kann.
- Wechselbezüglichkeit: Im vorliegenden Fall waren die Erbeinsetzung der Mutter durch den Vater und die Erbeinsetzung des Sohnes durch die Mutter wechselbezüglich. Das bedeutet, dass die jeweilige Verfügung nur im Hinblick auf die andere Verfügung getroffen wurde.
- Auslegung der Klausel “von etwaigen Verfügungsbeschränkungen befreit”: Das Testament enthielt die Klausel, dass jeder Ehegatte “von etwaigen Verfügungsbeschränkungen befreit” sei. Das Gericht legte diese Klausel dahingehend aus, dass sie sich nur auf Verfügungen zu Lebzeiten bezieht und nicht auf die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments.
- Kein Wille zur Freistellung: Das Gericht konnte nicht feststellen, dass die Eheleute bei der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments die Mutter von der Bindungswirkung freistellen wollten.
OLG Hamm I-10 U 112/10
Fazit:
Das Oberlandesgericht Hamm hat entschieden, dass die Mutter an die Erbeinsetzung des Sohnes im gemeinschaftlichen Testament gebunden war und diese nicht mehr wirksam widerrufen konnte.
Die Klausel “von etwaigen Verfügungsbeschränkungen befreit” bezieht sich nur auf Verfügungen zu Lebzeiten und nicht auf die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments.
Zusätzliche Hinweise:
- Das Gericht hat die Zeugenaussage des Notars, der das neue Testament beurkundet hatte, gewürdigt.
- Die Entscheidung ist für die Praxis relevant, da sie die Bindungswirkung des gemeinschaftlichen Testaments verdeutlicht.
- Die Entscheidung zeigt, dass die Gerichte bei der Auslegung von Testamenten den Willen der Erblasser erforschen.
Zusammenfassend lässt sich sagen:
- Ein gemeinschaftliches Testament entfaltet nach dem Tod eines Ehegatten Bindungswirkung für den überlebenden Ehegatten.
- Wechselbezügliche Verfügungen können vom überlebenden Ehegatten nicht widerrufen werden.
- Die Klausel “von etwaigen Verfügungsbeschränkungen befreit” bezieht sich in der Regel nur auf Verfügungen zu Lebzeiten.
- Die Gerichte legen Testamente so aus, dass der Wille der Erblasser möglichst genau umgesetzt wird.